Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 18.07.2012, Az.: 8 W 32/12
Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 18.07.2012
- Aktenzeichen
- 8 W 32/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 20753
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2012:0718.8W32.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 25.06.2012 - AZ: 4 OH 6/11
Rechtsgrundlagen
- § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO
- § 492 Abs. 1 ZPO
Fundstellen
- GuG 2012, 384
- IBR 2012, 622
- Mitt. 2013, 149
- NJW-Spezial 2012, 588-589
Amtlicher Leitsatz
Die Partei ist mit Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten im selbständigen Beweisverfahren nach Ablauf einer nach §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 4 S. 2 ZPO gesetzten Frist zur Stellungnahme zu dem Gutachten nur dann ausgeschlossen, wenn die richterliche Fristsetzung ordnungsgemäß zugestellt und die Partei auf die Nichtbeachtung der Frist ordnungsgemäß hingewiesen worden ist.
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 25. 06. 2012 - 4 OH 6/11 - wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Landgericht Göttingen zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Antragsteller hat mit Antragsschrift vom 02.05.2011 über das Vorhandensein von Schäden an seinem PKW Audi A6 ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet. Das Landgericht Göttingen hat mit Verfügung vom 16. 05. 2012 den Beteiligten das zweite Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. W........ vom 14. 05. 2012 übersandt. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat es ihnen unter Hinweis auf §§ 411 Abs. 4 S. 2, 492 Abs. 1 ZPO eine Frist bis zum 08. 06. 2012 gesetzt, um Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zum schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Dieser Beschluss ist dem Bevollmächtigten der Antragsgegnerin ausweislich dessen Stellungnahme vom 22. Juni 2012 am 23. 05. 2012 zugegangen. Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2012, eingegangen beim Landgericht Göttingen per Telefax am selben Tage, hat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin zu dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 14. 05. 2012 Stellung genommen und eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen zu den Einwendungen seiner Partei sowie die Einholung eines Obergutachtens beantragt. Mit Verfügung vom 13. 06. 2012 hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass das Beweisverfahren nach Ablauf der gesetzten Frist zum 08. 06. 2012 beendet sei, so dass der Antrag auf eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen und/oder Einholung eines Obergutachtens zurückzuweisen sei. Hieraufhin hat der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 22. Juni 2012 Stellung genommen und insbesondere darauf hingewiesen, dass die ihm gesetzte Frist unangemessen kurz bemessen gewesen sei. Im Übrigen habe er die Frist schuldlos überschritten. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 25. 06. 2012 die Anträge der Antragsgegnerin vom 13. 06. 2012 zurückgewiesen. Gegen diesen am 2. Juli 2012 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 4. Juli 2012, eingegangen beim Landgericht Göttingen am folgenden Tage, Beschwerde eingelegt. Das Landgericht Göttingen hat mit Beschluss vom 06. 07. 2012 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten zur Entscheidung dem Oberlandesgericht vorgelegt.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat vorläufigen Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, weil es sich bei dem angefochtenen Beschluss um eine Entscheidung i.S.d. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist. Eine Einschränkung des Beschwerderechts, wie sie in den Fällen zu erfolgen hat, in denen im selbständigen Beweisverfahren die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 412 ZPO zurückgewiesen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 09.02.2010 -VI ZB 59/09 - BauR 2010,932), kommt hier nicht zum Tragen, weil die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 13.06.2012 auch eine Erläuterung und Ergänzung des bisherigen Gutachtens im Rahmen der Beweisfragen beantragt hat.
2. Die sofortige Beschwerde hat vorläufigen Erfolg. Mit der gegebenen Begründung des Landgerichts kann die Entscheidung nicht aufrechterhalten werden. Das Beweisverfahren ist nicht beendet, so dass im Ergebnis das Landgericht über die Anträge der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 13. Juni 2012 zu entscheiden haben wird.
Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass das selbständige Beweisverfahren im Falle einer nach §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 4 S. 2 gesetzten Frist zur Stellungnahme mit Fristablauf beendet ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. 02. 2002, Tz. 12 - VIII ZR 228/00 - NJW 2002, 1640 [BGH 20.02.2002 - VIII ZR 228/00]). Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt.
a. Die Antragsgegnerin hat zwar erst nach Ablauf der ihr gesetzten Frist zum Ergänzungsgutachten vom 14. 05. 2012 Stellung genommen. Ein Ausschluss mit Einwendungen, Fragen oder Anträgen kann aber nur dann ausgelöst werden, wenn die Parteien zuvor auf die Folgen einer Nichtbeachtung der richterlichen Frist ordnungsgemäß hingewiesen worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 28. 10. 2010, Tz. 13 - VII ZR 172/09 - BauR 2011, 287; OLG Celle, Beschluss vom 06. 03. 2009 - 16 W 19/09 - NJW-RR 2009, 1364, 1365; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 01.06.2012 - 4 W 86/12 - zitiert bei juris)). Daran fehlt es hier. Die Fristsetzung beinhaltet keinen Hinweis auf den Ausschluss eines erst nach Ablauf der Frist eingehenden Vorbringens (vgl. BGH, Beschluss vom 25. 10. 2005, aaO.; OLG Celle, aaO.; OLG Saarbrücken aaO.). Der Beschluss vom 16. 05. 2012 enthält lediglich eine Fristsetzung.
b. Weiter liegt auch schon keine wirksame Fristsetzung vor. Nach § 329 Abs. 2 S. 2 ZPO bedarf eine Fristsetzung nach §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 4 S. 2 ZPO der Zustellung. Der Beschluss des Landgerichts ist dem Bevollmächtigten der Antragsgegnerin aber lediglich formlos übersandt worden. Ist die Zustellung - wie hier - nicht erfolgt und handelt es sich dabei um eine Ausschlussfrist, so wird die gesetzte Frist nicht wirksam in Gang gesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 13. 03. 1980, Tz. 20 - VII ZR 147/79 - NJW 1980, 1167 [BGH 13.03.1980 - VII ZR 147/79]). Eine Heilung von Zustellungsmängeln nach § 189 ZPO scheidet schon deshalb aus, weil eine Zustellung offenbar nicht beabsichtigt war (vgl. BGH, Beschluss vom 26.11.2002, Tz. 11 - VI ZB 41/02 - NJW 2003,1192; OLG Celle, Beschluss vom 15.08.2005, Tz. 5 - 4 W 165/05 - BauR 2005,1961; OLG Schleswig, Beschluss vom 21.08.2003, Tz. 4 - 16 W 115/03 - OLGR Schleswig 2003,470).
c. Ist mithin keine wirksame Frist gesetzt worden, so endet das selbständige Beweisverfahren innerhalb eines angemessenen Zeitraums ab Zustellung des Gutachtens, soweit keine Anträge einer Partei zur Ergänzung gestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 24. 03. 2009, Tz. 7 - VII ZR 200/08 - BauR 2009, 979). Die Angemessenheit dieses Zeitraumes bestimmt sich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und wird maßgeblich durch den Umfang und die objektive Schwierigkeit der Beweisfragen sowie den Umfang und die Verständlichkeit des Gutachtens mitbestimmt (vgl. OLG Braunschweig, BauR 1993, 251; OLG Koblenz, Beschluss vom 24. 04. 2001 - 8 W 253/01 -, zitiert bei Juris; OLG Köln, Beschluss vom 23. 02. 2010 - 7 W 6/10 - zitiert bei Juris; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 411 Rz. 5 c).
Hat wie hier der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin innerhalb eines Monats zu dem Ergänzungsgutachten Stellung genommen, so ist dies noch innerhalb eines angemessenen Zeitraumes erfolgt. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Einwendungen der Antragsgegnerin ein zweites Ergänzungsgutachten betreffen, so dass bereits wesentliche Fragen in den vorangegangenen Gutachten ausreichend angesprochen worden sind. Andererseits ist angesichts der Komplexität der Materie und des Umstandes, dass sich auch die Antragsgegnerin mit ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu besprechen hat und zur sachgerechten Stellungnahme auf das Ergänzungsgutachten weitere Fachleute und Sachverständige hinzuzuziehen haben dürfte, insgesamt ihre Stellungnahme als zeitlich angemessen anzusehen. Jedenfalls ist in der Regel mangels wirksam gesetzter Frist eine Stellungnahme, die innerhalb eines Monats nach Zugang des Gutachtens abgegeben wird, noch innerhalb des angemessenen Zeitraumes erfolgt und daher zu berücksichtigen (vgl. auch OLG Saarbrücken, Beschluss vom 26. 02. 2010 - 4 W 29/10 - zitiert bei Juris).
III. Die sachliche Bescheidung des Antrages der Beschwerdeführerin vom 13. Juni 2012 war dem Landgericht vorzubehalten (§ 572 Abs. 3 ZPO).
Eine Kostenentscheidung bleibt dem Landgericht vorbehalten (vgl. OLG Saarbrücken aaO.,Tz. 18).
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben (§ 574 ZPO).
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens bestimmt sich nach dem Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens.