Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.08.2009, Az.: 322 SsBs 137/09
Verwertbarkeit von Voreintragungen nach Ablauf der Tilgungsfrist bei der Bemessung der Geldbuße
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 05.08.2009
- Aktenzeichen
- 322 SsBs 137/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 20807
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0805.322SSBS137.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Zeven - 17.04.2009
Rechtsgrundlagen
- § 29 Abs. 6 S. 1 StVG
- § 29 Abs. 8 S. 2 StVG
Fundstellen
- NZV 2009, 570-571
- VRA 2009, 214
- VRR 2009, 389-390
- VRS 2009, 110-111
Amtlicher Leitsatz
Zum Verhältnis zwischen § 29 Abs. 8 Satz 2 und § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG.
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Geldbuße auf 100 EUR reduziert wird.
Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendige Auslagen; jedoch wird die Gebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren um ein Viertel ermäßigt. In diesem Maße fallen die notwendigen Auslagen des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 200 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat Dauer angeordnet. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 30. Juli 2008 um 21.00 Uhr die Landesstraße 142 in der Gemarkung W. in Richtung S. noch außerhalb der geschlossenen Ortschaft W. mit einem Kleintransporter mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 93 km/h, obwohl dort die Geschwindigkeit mittels Verkehrszeichen auf maximal 50 km/h begrenzt ist. Bei der Bemessung der Geldbuße hat das Gericht die zahlreichen einschlägigen Voreintragungen bußgelderhöhend berücksichtigt. Dabei handelt es sich um insgesamt 4 Bußgeldbescheide aus den Jahren 2004 bis 2006 sowie zwei Straftaten aus den Jahren 2001 und 2000. Mit Urteil vom 26.02.2001 wurde der Betroffene wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt. Mit Urteil vom 10.10.2000 wurde er wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu 30 Tagessätzen zu je 30 DM verurteilt, die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde angeordnet, eine Sperre bis zum 09.01.2001 verhängt.
Mit seiner Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen. Die Einzelrichterin hat die Sache zur Fortbildung des Rechts auf den Senat übertragen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen verwirft der Senat die Rechtsbeschwerde auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO, mit dem zusätzlichen Hinweis, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung eine Ordnungswidrigkeit nicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, sondern nach § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO darstellt, da hier gegen die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung durch ein Verkehrszeichen verstoßen wurde.
Die Rüge der Verletzung formellen Rechts genügt nicht den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO und ist daher unzulässig, da die in Rede stehenden Verfahrenstatsachen nur unvollständig mitgeteilt werden. Insbesondere fehlt es an der Mitteilung des Inhalts des Beschlusses, mit dem der fragliche Beweisantrag in der Hauptverhandlung zurückgewiesen wurde.
Zum Schuldspruch deckt die demnach allein zulässig erhobene Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf. Insbesondere begegnen die Feststellungen zur Ordnungsmäßigkeit der Messung und zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrzeugführer keinen Bedenken. Das Messfoto ist durch die Bezugnahme Bestandteil des Urteils geworden und steht dem Senat damit zur Überprüfung offen. Es ist uneingeschränkt zu Identifizierungszwecken geeignet. Da der Tatrichter den anwesenden Betroffenen und den anwesenden Bruder in der Hauptverhandlung gesehen hat und danach zu dem Ergebnis gelangt ist, der Betroffene sei der Verantwortliche, ist dies als Ergebnis der tatrichterlichen Beweiswürdigung vom Rechtsbeschwerdegericht hinzunehmen. Nähere Ausführungen dazu, anhand welcher Merkmale das Gericht den Betroffenen wieder erkannt hat, sind nicht erforderlich (vgl. Beschluss des Senats vom 20. Juni 2008, 322 Ss Bs 104/08, m. w. N. ).
Auch die Verhängung des Fahrverbotes ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Besondere Umstände, die es erlauben könnten, von dem Regelfahrverbot nach Bußgeldkatalogverordnung abzuweichen, hat das Gericht geprüft, aber ausdrücklich nicht festgestellt.
Anders verhält es sich hingegen mit der Bemessung der Geldbuße. Im angefochtenen Urteil ist die Regelgeldbuße aufgrund der zahlreichen einschlägigen Voreintragungen von 100 EUR auf 200 EUR erhöht worden. Diese Verdoppelung der Geldbuße aufgrund der längere Zeit zurückliegenden Voreintragungen war unzulässig, da die Voreintragungen nicht verwertbar waren.
Dies folgt daraus, dass für die Ordnungswidrigkeiten aus den Jahren 2004 bis 2006 zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung die zweijährige Tilgungsfrist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 StVG bereits abgelaufen war und auch die Straftat aus dem Jahr 2000 gemäß § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG nicht zu einer Tilgungshemmung führte.
Zwar unterlag die Straftat aus dem Jahr 2000 grundsätzlich gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 StVG einer Tilgungsfrist von 10 Jahren und daher wären gemäß § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG nicht nur diese Straftat, sondern auch die während dieser Tilgungsfrist begangenen Ordnungswidrigkeiten verwertbar. Einer Verwertbarkeit steht hier jedoch § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG entgegen. Danach dürfen Eintragungen, die einer zehnjährigen Tilgungsfrist unterliegen, nach Ablauf einer fünfjährigen Tilgungsfrist nur noch für ein Verfahren übermittelt und verwertet werden, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat. Um ein solches Verfahren ging es vorliegend nicht, so dass also die Straftat aus dem Jahre 2000 nicht verwertet werden durfte und für dieses Verfahren auch nicht übermittelt werden durfte.
Die Regelung in § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG führt nämlich dazu, dass auch die zwischenzeitlich eingetragenen Ordnungswidrigkeiten nicht mehr verwertet werden dürfen. Diese Regelung betrifft also nicht nur die Verwertbarkeit der Straftat als solche, sondern hat auch Folgewirkungen im Sinne eines umfassenden Verwertungsverbotes dahingehend, dass auch die von ihr ausgehende Tilgungshemmung entfällt.
Soweit ersichtlich gibt es zur Frage der Reichweite des in § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG normierten Verwertungsverbots zwar bislang weder Stellungnahmen in der Literatur noch einschlägige Rechtsprechung. Für die Annahme eines umfassenden Verwertungsverbotes spricht aber der Wortlaut von § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG. Wenn die Straftat aus dem Jahr 2000 nach Ablauf von 5 Jahren für ein Bußgeldverfahren nicht übermittelt oder verwertet werden darf, hat der Bußgeldrichter davon auszugehen, dass eine solche Straftat nicht vorliegt. Dann darf die Straftat aber auch nicht herangezogen werden, um die Tilgungshemmung von nachfolgend begangenen, an sich tilgungsreifen Ordnungswidrigkeiten zu begründen. Anhaltspunkte dafür, das Verwertungsverbot einschränkend auszulegen, sind nicht erkennbar. Nach dem Sinn der Vorschrift sollen offenbar länger zurückliegende Straftaten nur noch für vergleichbar schwere Straftaten herangezogen werden können. Da es hier nicht um eine solche schwere Straftat geht, war von einem umfassenden Verwertungsverbot der früheren Straftat auszugehen.
III.
Die danach vorzunehmende Korrektur im Rechtsfolgenausspruch zwingt den Senat nicht, die Sache zur Entscheidung im Rechtsfolgenausspruch zurückzuverweisen. Die getroffenen Feststellungen gestatten vielmehr eine eigene Sachentscheidung nach § 79 Abs. 6 OWiG.
Der Senat hält hier ausgehend von dem Regelsatz in der zur Tatzeit geltenden Fassung des Bußgeldkataloges eine Geldbuße von 100 EUR für schuldangemessen. Anhaltspunkte, von diesem Regelsatz abzuweichen, sind nicht erkennbar.
IV.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung richtet sich nach § 473 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG.
Der Beschwerdeführer wird darauf hingewiesen, dass er sich nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar macht, wenn er nach Ablieferung des Führerscheins oder vier Monate nach Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung, also nach dem 05.12.2009, ein Kraftfahrzeug führt, dass die Verbotsfrist aber erst vom Tage der Ablieferung des Führerscheins bei der Vollstreckungsbehörde (Staatsanwaltschaft Stade) an gerechnet wird (§ 25 Abs. 5 S. 1 StVG).