Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 12.02.2003, Az.: 5 A 243/02
Austritt aus einer Samtgemeinde; Austrittsrecht; Bildung einer Samtgemeinde; einseitiges Kündigungsrecht; Gemeinderat; Hauptsatzung; kommunale Selbstverwaltung; Mitgliedsgemeinde; Samtgemeinde; Satzungsänderung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 12.02.2003
- Aktenzeichen
- 5 A 243/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 47919
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BVerfG - 11.05.2004 - AZ: 2 BvR 693/04
Rechtsgrundlagen
- Art 28 Abs 2 GG
- § 73 Abs 2 GemO ND
- § 73 Abs 5 GemO ND
- § 74 GemO ND
- § 77 Abs 1 GemO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Weder die Regelungen in der Niedersächsichen Gemeindeordnung noch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleisten ein (einseitiges) Recht einer Mitgliedsgemeinde zum Austritt aus einer Samtgemeinde.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie nicht Mitglied in der beklagten Samtgemeinde ist.
Der Rat der Klägerin beschloss in seiner Sitzung am 23. Dezember 1970 die Bildung einer Samtgemeinde mit der Gemeinde E.. Am 10. Februar 1971 vereinbarte die Klägerin mit den damaligen Gemeinden F. und G. die Hauptsatzung der Samtgemeinde E., die der Landkreis H. anschließend genehmigte. Am 2. Februar 1972 beschloss der Rat der Klägerin sein Einverständnis zur Ergänzung der Hauptsatzung der Samtgemeinde. In seiner Sitzung am 9. Mai 1972 beschloss er, die Hauptsatzung der Samtgemeinde in der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Form anzunehmen. Die geänderte Hauptsatzung der Samtgemeinde wurde zusammen mit ihrer Genehmigung durch den Landkreis H. am 13. Juli 1972 im Amtsblatt für den Landkreis H. öffentlich bekannt gemacht. Mitgliedsgemeinden der Beklagten sind danach die Gemeinden I. und J..
In seiner Sitzung am 4. Februar 2002 beschloss der Rat der Klägerin den Austritt aus der Beklagten zum 30. Juni 2002. Die Klägerin teilte dies der Beklagten mit Schreiben vom 12. Februar 2002 mit und bat die Beklagte, die Änderung der Hauptsatzung der Samtgemeinde herbeizuführen. Zur Begründung führte die Klägerin eine veränderte Situation bei der Abwasserentsorgung an, die die Beklagte nicht im Sinne der Klägerin und nicht so wie bei der Gründung der Samtgemeinde vereinbart handhabe. Der Samtgemeindeausschuss der Beklagten lehnte in seiner Sitzung am 21. März 2002 die beantragte Änderung der Hauptsatzung ab.
Die Klägerin hat am 17. September 2002 Klage erhoben, mit der sie geltend macht, nicht mehr Mitglied in der Beklagten zu sein. Zweifel beständen schon an der ordnungsgemäßen Gründung der Samtgemeinde. Sie, die Klägerin, habe am 23. Dezember 1970 nur die Bildung der Samtgemeinde, nicht aber eine dahin gehende Satzung beschlossen. Zumindest sei sie aufgrund ihres Ratsbeschlusses vom 4. Februar 2002 aus der Beklagten ausgetreten. Die Regelungen in der Niedersächsischen Gemeindeordnung ständen dem Austritt nicht entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist Mitglied der 1971/1972 gebildeten Beklagten geworden (1.). Durch ihren Ratsbeschluss vom 4. Februar 2002 und das Schreiben vom 12. Februar 2002 ist die Klägerin nicht wirksam zum 30. Juni 2002 aus der Beklagten ausgetreten (2.).
1. An der rechtmäßigen Bildung der Beklagten und der ursprünglichen Mitgliedschaft der Klägerin in der Beklagten bestehen keine nachhaltigen Zweifel. Zur Bildung der Samtgemeinde ist nach § 73 Abs. 2 der Niedersächsischen Gemeindeordnung - NGO - in der damals geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1967 (GVBl. S. 383) die Vereinbarung einer Hauptsatzung durch die Mitgliedsgemeinden erforderlich gewesen. Die Hauptsatzung bedurfte nach § 74 Abs. 1 NGO der Genehmigung der Aufsichtsbehörde und musste nach § 74 Abs. 2 NGO zusammen mit der Genehmigung öffentlich bekannt gemacht werden. Dass diese Erfordernisse bei der Bildung der Beklagten erfüllt worden sind, hat die Kammer bereits in ihrem Urteil vom 8. August 2001 (5 A 65/00) festgestellt. Im vorliegenden Verfahren haben sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten. Die von den Mitgliedsgemeinden vereinbarte Hauptsatzung der Beklagten ist am 13. Juli 1972 zusammen mit ihrer Genehmigung durch den Landkreis H. im Amtsblatt für den Landkreis H. öffentlich bekannt gemacht worden. Gemäß § 74 Abs. 3 NGO ist die Beklagte am ersten Tage des auf die Bekanntmachung folgenden Monats gebildet worden, d.h. am 1. August 1972.
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin steht ihrer Mitgliedschaft in der Beklagten nicht entgegen, dass ihr Gemeinderat zur Bildung der Samtgemeinde nicht selbst eine Satzung erlassen hat. § 73 NGO (a.F.) sieht eine dahin gehende Satzung in den einzelnen Mitgliedsgemeinden nicht vor. Erforderlich ist lediglich die Vereinbarung einer Hauptsatzung durch die Mitgliedsgemeinden, die durch entsprechende Ratsbeschlüsse nach § 40 Abs. 1 Nr. 15 NGO in den einzelnen Gemeinden vorbereitet werden kann.
2. Die Klägerin ist aus der Beklagten nicht wirksam ausgetreten. Sie hat sich gemäß dem Beschluss ihres Rates vom 4. Februar 2002 zwar für einen Austritt entschieden und ihn sinngemäß auch gegenüber der Beklagten erklärt. In dem Schreiben vom 12. Februar 2002 hat sie die Beklagte weiterhin gebeten, die Änderung der Hauptsatzung herbei zu führen, um damit die Voraussetzung für den Austritt zu schaffen.
Hinsichtlich der Austrittserklärung ist aber zu berücksichtigen, dass die NGO ein einseitiges Austritts- oder Kündigungsrecht einer Mitgliedsgemeinde zur Beendigung ihrer Mitgliedschaft in der Samtgemeinde nicht vorsieht. Auch das grundgesetzlich gewährleistete Recht auf kommunale Selbstverwaltung gewährleistet nicht ein solches Recht. § 77 Abs. 1 NGO verlangt für das Ausscheiden einer Mitgliedsgemeinde neben dem Einverständnis der betreffenden Gemeinde eine Änderung der Hauptsatzung und außerdem, dass Gründe des öffentlichen Wohls dem nicht entgegen stehen. Schon daraus folgt, dass ein einseitiges Austrittsrecht einer Mitgliedsgemeinde rechtlich nicht vorgesehen ist.
Die Klägerin kann ein einseitiges Austrittsrecht auch nicht aus § 73 Abs. 5 NGO herleiten. Danach kann die Hauptsatzung bestimmen, dass die Aufnahme und das Ausscheiden von Mitgliedsgemeinden der Zustimmung einer Mehrheit der Mitgliedsgemeinden bedürfen. Trifft die Hauptsatzung - wie hier - eine dahin gehende Bestimmung nicht, folgt daraus nicht, dass dann ein erleichtertes, einseitiges Austrittsrecht ohne eine entsprechende Änderung der Hauptsatzung nach § 77 Abs. 1 NGO besteht. Die Regelung in § 73 Abs. 5 NGO stellt es lediglich in das Ermessen der Samtgemeinde, durch eine Bestimmung ihrer Hauptsatzung eine weitere, über die Regelung in § 77 Abs. 1 NGO hinaus gehende Voraussetzung für das Ausscheiden einer Mitgliedsgemeinde zu schaffen. Um eine solche zusätzliche Voraussetzung für ein Ausscheiden aus der Samtgemeinde geht es im vorliegenden Verfahren aber nicht.
Das Ausscheiden der Klägerin aus der Beklagten scheitert schon daran, dass die Hauptsatzung der Beklagten bislang nicht geändert worden ist. In ihrem Schreiben vom 12. Februar 2002 hat die Klägerin die Beklagte zwar gebeten, die Änderung der Hauptsatzung herbeizuführen. Mit diesem Anliegen ist sie bisher jedoch nicht durchgedrungen. Vielmehr hat der Rat der Beklagten den Antrag in seiner Sitzung am 15. Oktober 2002 abgelehnt. Ob die von der Klägerin gewünschte Änderung der Hauptsatzung nach § 74 Abs. 1 NGO genehmigungsfähig wäre oder ihr Gründe des öffentlichen Wohls im Sinne von § 77 Abs. 1 NGO entgegen stünden, kann deshalb im vorliegenden Verfahren dahin stehen.
Die Regelungen in §§ 77 Abs. 1, 73 Abs. 5 NGO über das Ausscheiden von Mitgliedsgemeinden aus der Samtgemeinde sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass Art. 28 Abs. 2 GG kein einseitiges Recht auf Austritt aus einer Samtgemeinde gewährleistet (OVG Lüneburg, Urteil v. 3.7.1984, dng 1985, 302; BVerwG, Beschluss v. 23.1.1985, NVwZ 1985, 823 [VerfGH Bayern 23.07.1984 - Vf. 15 - VII/83]; ebenso: Thiele, NGO, 5. Aufl., Erl. zu § 77; Weißhaar, Allg. Kommunalrecht in Niedersachsen, 3. Aufl., S. 283 f). Weil auch die Samtgemeinde ihrerseits den Schutz des Art. 28 Abs. 2 GG für sich in Anspruch nehmen kann, begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn eine Mitgliedsgemeinde sich nicht einseitig aus einer Samtgemeinde lösen kann, sondern dieses nur mit deren Zustimmung möglich ist.