Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 06.04.2009, Az.: Ausl 33/08
Zulässigkeit der Auslieferung Deutscher bei im Inland verjährter Straftaten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 06.04.2009
- Aktenzeichen
- Ausl 33/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 16726
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:0406.AUSL33.08.0A
Rechtsgrundlage
- § 9 Nr. 2 IRG
Fundstelle
- NJW 2009, 2320-2321
Amtlicher Leitsatz
Ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Polen - zur Strafverfolgung wegen in Polen begangener Straftaten, die nach deutschem Recht verjährt wären und für die wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des Verdächtigten auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist - auch dann unzulässig, wenn in der Republik Polen Handlungen vorgenommen worden sind, die ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen?
Tenor:
Die Sache wird dem Bundesgerichtshof gemäß § 42 Abs. 1 IRG mit folgender Rechtsfrage vorgelegt:
Ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Polen - zur Strafverfolgung wegen in Polen begangener Straftaten, die nach deutschem Recht verjährt wären und für die wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des Verdächtigten auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist - auch dann unzulässig, wenn in der Republik Polen Handlungen vorgenommen worden sind, die ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen?
Gründe
Der Verfolgte ist deutscher Staatsangehöriger. Er verbüßt derzeit in der Justizvollzugsanstalt ... bis mindestens zum 23.07.2009 Strafhaft in anderer Sache.
Die polnischen Behörden haben um die Auslieferung des Verfolgten ersucht.
Gegen ihn liegt ein Europäischer Haftbefehl des Landgerichts Zielona Gora vom 19.11.2007 (Aktenzeichen: II Kop 150/07) - beruhend auf dem Beschluss über die vorläufige Inhaftierung des Verfolgten des Amtsgerichts Zary vom 13.08.2007 (Aktenzeichen: Kp 891/07) - vor.
Dem Verfolgten wird vorgeworfen:
1. Am 22. November 2000 eignete er sich an einer Tankstelle in ..., eine ihm von einem ... anvertraute Bekleidung und persönliche Gegenstände im Gesamtwert von 2.000 ZL zum Nachteil des vorgenannten Geschädigten an.
2. am 22. November 2000 eignete er sich an einer Tankstelle in ..., eine ihm von einem ... anvertraute Bekleidung und persönliche Gegenstände im Gesamtwert von 1.000 ZL zum Nachteil des vorgenannten Geschädigten an.
3. am 22. November 2000 schädigte er an einer Tankstelle im Bereich ..., ... in betrügerischer Absicht dadurch, dass er für den Verkauf eines Motors eine Anzahlung in Höhe von 250,00 DM, d. h. cirka 1.500 ZL, zum Nachteil des Geschädigten entgegennahm.
Wegen der zu Ziffer 1. und 2. genannten Taten tritt die Verjährung nach polnischem Recht am 22.11.2020, wegen der zu Ziffer 3. genannten Tat am 22.11.2025, ein. Bei Anwendung deutschen Rechtes wäre die Verjährung am 21. November 2005 eingetreten.
Auf entsprechende Nachfrage haben die polnischen Behörden mitgeteilt, dass der Verfolgte am 20.11.2002 wegen der ihm vorgeworfenen Taten von einem Staatsanwalt vernommen , am 16.12.2002 gegen den Verfolgten vom Staatsanwalt eine Anordnung über Festnahme und Zwangsvorführung erlassen , am 12.02.2003 durch das Amtsgericht Zary ein Haftbefehl für die Zeit von 7 Tagen ab dem Festnahmetag erlassen , am 03.02.2005 die angewandte Maßnahme aufgehoben und am 13.08.2007 durch das Amtsgericht Zary gegen den Verfolgten ein Haftbefehl für die Zeit von 14 Tagen ab dem Festnahmetag erlassen worden sei. Aufgrund dieses Haftbefehls ist der Verfolgte seit dem 30.08.2008 zur Fahndung ausgeschrieben gewesen.
Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat in seiner vormaligen personellen Besetzung am 15. Juli 2008 gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der im Europäischen Haftbefehl des Landgerichts Zielona Gora vom 19.11.2007 genannten Taten angeordnet. Diesen Haftbefehl hat der Senat durch Beschluss vom 30.3.2009 aufgehoben.
Der Senat hält abweichend von der im Haftbefehl des Senats genannten Auffassung die Auslieferung des Verfolgten nach Polen wegen eingetretener Verfolgungsverjährung für unzulässig.
Gemäß § 9 Nr. 2 IRG ist eine Auslieferung nicht zulässig, wenn die Verfolgung oder Vollstreckung nach deutschem Recht verjährt oder aufgrund eines deutschen Straffreiheitsgesetzes ausgeschlossen ist und für die Tat auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist.
Der Senat hat im Auslieferungshaftbefehl vom 15. Juli 2008 die Ansicht vertreten, dass über die Anwendung von Art. 10 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens hinsichtlich dessen der BGH im 33. Band (26 f) entschieden hatte, dass eine Auslieferung zur Strafverfolgung auch dann zulässig sei, wenn die Tat im Innern wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden könne, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates jedoch Handlungen vorgenommen hätten, die ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen - eine Unterbrechung durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Zary vom 12.02.2003 eingetreten sei. Im Haftbefehl des Senats heißt es, dass sich Art. 10 des Übereinkommens vom 13.12.1957 auch auf Deutsche beziehe.
In § 78 Abs. 2 IRG ist geregelt, dass der achte Teil (§ 78 ff IRG) den in § 1 Abs. 3 genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen vorgehe, soweit er abschließende Regelungen enthalte. Der 8. Teil enthält jedoch keine Regelungen bezüglich der Frage der Verjährung.
Dem Senat erscheint es aber - selbst wenn das Auslieferungsübereinkommen weiterhin Geltung beanspruchen könnte. dazu siehe unten zweifelhaft, ob die Grundsätze der Entscheidung des BGH im 33. Band auf den hier vorliegenden Fall der Auslieferung eines Deutschen anwendbar sind:
Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 15.04.2008 ( 4 ARs 22/07) ausgeführt, dass die nach deutschem Recht eingetretene Verfolgungsverjährung einer Tat, für die auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet sei, der Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Polen entgegenstehe, selbst wenn nach polnischem Recht die Strafverfolgung noch nicht verjährt sei. Er hat in diesem Zusammenhang zum deutschpolnischen Vertrag, der in Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 in Art. 4 bestimmt, dass zur Beurteilung der Verjährung ausschließlich das Recht der ersuchenden Vertragspartei maßgebend ist, ausgeführt, dass der Vertrag auf die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger nicht anwendbar sei.
Er hat dies damit begründet, dass der Vertrag zwischen Deutschland und Polen lediglich der Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens und der Erleichterung seiner Anwendung gedient habe. Art. 6 Europäisches Auslieferungsübereinkommen - nach dessen Art. 6 Abs. 1 a jede Vertragspartei berechtigt sei, die Auslieferung ihrer Staatsangehörigen abzulehnen - sei durch den Vertrag nicht modifiziert worden. Auch sonst sei dem Vertrag nicht zu entnehmen, dass aufgrund des Vertrages auch die Auslieferung von Staatsangehörigen des jeweiligen ersuchten Staates möglich sein sollte. Der Anwendungsbereich des Vertrages habe auch nicht dadurch eine Ausweitung erfahren, dass mit der Umsetzung des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 durch das Europäische Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 2006 die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger zum Zwecke der Strafverfolgung zulässig geworden sei. Es fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Europäische Haftbefehlsgesetz bei der gebotenen grundrechtsschonenden Auslegung die bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen - einseitig - inhaltlich habe erweitern sollen und können. Der deutschpolnische Vertrag beziehe sich somit nicht auf die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger.
Nach Ansicht des Senates liegt es nahe, diese Argumentation auch im Hinblick auf die völkerrechtlichen Vereinbarungen, die in § 78 Abs. 2 IRG genannt sind, anzuwenden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 18.07.2005 (StV 2005, 505) ausgeführt, dass das Grundrecht, das die Staatsangehörigkeit und den Verbleib in der eigenen Rechtsordnung garantiere, einen hohen Rang habe. Der Gesetzgeber sei jedenfalls verpflichtet gewesen, die Umsetzungsspielräume, die der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten belasse, in einer grundrechtschonenden Weise auszufüllen. Die unumgängliche Einschränkung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit müsse verhältnismäßig sein. Insbesondere habe der Gesetzgeber über die Beachtung der Wesensgehaltsgarantien hinaus dafür Sorge zu tragen, dass der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 2 Grundgesetz schonend erfolge. Dabei müsse er beachten, dass mit dem Auslieferungsverbot gerade auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für den von der Auslieferung betroffenen Deutschen gewahrt werden sollten.
Das Europäische Auslieferungsübereinkommen ist vor der durch das Gesetz vom 29.11.2000 geschaffenen Möglichkeit der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger in Kraft getreten.
Die Argumentation des BGH im Beschluss vom 15.04.2008 lässt sich deshalb auch auf die Auslegung des vorgenannten Übereinkommens anwenden. Danach erfasste dieses Übereinkommen die Möglichkeit der Auslieferung Deutscher ebenfalls nicht.
Gemäß Art. 31 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten hat dieser Rahmenbeschluss am 1. Januar 2004 u.a. die entsprechenden Bestimmungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 und des Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ersetzt. In Art. 4 Nr. 4 des Rahmenbeschlusses ist geregelt, dass die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung des europäischen Haftbefehls verweigern kann, wenn die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates verjährt ist und hinsichtlich der Handlungen nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand. Nach Absatz 2 dieses Artikels steht es den Mitgliedstaaten allerdings frei, auch weiterhin die zum Zeitpunkt der Annahme des Rahmenbeschlusses geltenden bilateralen und multilateralen Abkommen oder Übereinkünfte anzuwenden, sofern diese die Möglichkeit bieten, über die Ziele des Rahmenbeschlusses hinauszugehen und zu einer weiteren Vereinfachung und Erleichterung der Verfahren zur Übergabe von Personen beitragen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vorliegt. Auch steht es den Mitgliedstaaten frei, nach Inkrafttreten des Rahmenbeschlusses entsprechende bilaterale oder multilaterale Abkommen oder Übereinkünfte zu schließen.
Deutschland hat am 18. August 2004 zu Art. 31 Abs. 2 und Abs. 4 des Rahmenbeschlusses erklärt, dass die in Art. 31 Abs. 1 genannten multilateralen und bilateralen Übereinkommen hilfsweise anwendbar bleiben, sofern sie die Möglichkeit bieten, über die Ziele des europäischen Haftbefehls hinauszugehen, zu einer Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren beitragen und der betreffende Mitgliedstaat sie insoweit ebenfalls weiter anwendet.
Da aber Art 10 des Auslieferungsübereinkommens die Auslieferung Deutscher aber nicht erfasst (s.o.), kann hierauf die Auslieferung wegen der in der Bundesrepublik eingetretenen Verjährung allerdings nicht gestützt werden.
Ob das Europäische Auslieferungsübereinkommen trotz der Erklärung der Bundesrepublik vom 18. August 2004 im Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls allerdings überhaupt weiterhin anwendbar ist, erscheint vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 12.08.2008 (NJW 2009, 657 f) ohnehin fraglich. Der Europäische Gerichtshof hat darin ausgeführt, dass sich Artikel 31 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses nicht auf die in Artikel 31 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses aufgeführten Übereinkommen beziehe, da der Rahmenbeschluss gerade die Ersetzung dieser Übereinkommen durch eine einfachere und wirksamere Regelung bezwecke. Dann aber ginge die Erklärung der Bundesrepublik vom 18. August 2004 ins Leere, da die Fortgeltung u. a. des Europäischen Auslieferungsübereinkommens nicht hätte erklärt werden können.
Da der Senat jedoch das Europäische Auslieferungsübereinkommen ohnehin auf einen deutschen Staatsbürger nicht für anwendbar hält, bedarf dieser Gesichtspunkt keiner vertieften Erörterung.
Auch das Übereinkommen vom 27. September 1996 aufgrund von Art. K 3 des Vertrages über die Europäische Union über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Nach Art 8 Abs 1 darf die Auslieferung auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Strafverfolgung sei im ersuchten Staat verjährt. Der ersuchte Staat darf jedoch von der Anwendung von Absatz 1 absehen, wenn dem Ersuchen Handlungen zu Grunde liegen, hinsichtlich derer nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand. Diese Möglichkeit findet sich aber in § 9 Nr 2 IRG, der auch für den Europäischen Haftbefehl gilt, da in § 82 IRG nicht genannt. Somit schafft auch das Übereinkommen vom 27.9.1996 keine weitergehende Möglichkeit zur Auslieferung.
In Betracht käme noch, dass die in Polen vorgenommenen Unterbrechungshandlungen im Rahmen des § 9 Nr 2 IRG ausreichend sind (offengelassen von BGH St 33, 26 (28). ablehnend Schomburg/Lagodny/Gleß/HacknerLagodny - Internationale Rechtshife in Strafsachen, 4. Aufl. § 9 IRG RN 20. befürwortend v.Bubnoff NStZ 87, 354).
Vor dem Hintergrund der o.g. grundrechtsschonenden Auslegung der Vorschriften kommt nach Auffassung des Senats eine Auslegung dahingehend, dass die polnischen Haftbefehle auch die deutsche Verjährung unterbrochen haben, nicht in Betracht. Die praktischen Erwägungen, die v. Bubnoff in seinem Aufsatz schildert vermögen daran nicht zu ändern.
Da die Rechtsfrage über den hier vorliegenden Einzelfall hinaus wegen der langen Verjährungsfristen in der Republik Polen grundsätzliche Bedeutung hat, ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs herbeizuführen.