Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.04.2009, Az.: 1 Ws 187/09
Gerichtliche Zuständigkeit für Haftentscheidungen nach Rechtskraft eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils gegen einen in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 21.04.2009
- Aktenzeichen
- 1 Ws 187/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 16727
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:0421.1WS187.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg, 3 BRs 42/08 vom 11.02.2009
Rechtsgrundlagen
- § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB
- § 57 StGB
- § 462a Abs. 1 StPO
Fundstellen
- NStZ 2009, 656
- StraFo 2009, 254-255
Amtlicher Leitsatz
1. Wird ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil gegen einen in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten durch unmittelbar nach der Urteilsverkündung erklärten allseitigen Rechtsmittelverzicht rechtskräftig, so ist für die Aussetzung eines nach Anrechnung der Untersuchungshaft verbleibenden Strafrestes zur Bewährung und darauf bezogene Folgeentscheidungen nicht das erkennende Gericht, sondern die Strafvollstreckungskammer zuständig. Dies gilt auch, wenn das Gericht die Strafaussetzung - unzulässigerweise - im Rahmen einer Absprache zugesagt hatte.
2. Eine Geldauflage zugunsten einer brasilianischen gemeinnützigen Organisation ist mangels ausreichender gerichtlicher Überwachungsmöglichkeit unzulässig.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 11.02.2009 aufgehoben.
Der Bewährungsbeschluss des Landgerichts Oldenburg vom 25.09.2008 wird zu b) dahin geändert, dass dem Verurteilten anstelle der gemeinnützigen Arbeit aufgegeben wird, einen Betrag von 400,00 Euro zu zahlen und zwar an den Verein ... und die Zahlung der zuständigen Strafvollstreckungskammer binnen drei Monaten nachzuweisen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Gründe
Der Verurteilte ist durch Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 25.09.2008 wegen gemeinschaftlichen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Die in Brasilien vollzogene Auslieferungshaft wurde in der Weise auf die Strafe angerechnet, dass ein Tag Auslieferungshaft zwei Tagen Freiheitsstrafe entspricht.
Nachdem der Angeklagte, der Verteidiger und der Oberstaatsanwalt Rechtsmittelverzicht erklärt hatten und das Urteil damit rechtskräftig geworden war , wurden am 25.09.2008 der bis dahin vollzogene Haftbefehl aufgehoben und von der Strafkammer ein Bewährungsbeschluss erlassen.
In dem Bewährungsbeschluss wurde die Vollstreckung des Strafrestes aus der Verurteilung des Landgerichts vom 25.09.2008 zur Bewährung ausgesetzt und eine Bewährungszeit von drei Jahren bestimmt. Außerdem wurde dem Verurteilten aufgegeben,
a) jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht und deren Generalkonsulat ... mitzuteilen,
b) nach Weisung des Gerichts 300 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten.
Weiter heißt es in dem Bewährungsbeschluss, dass mit dem Verurteilten und der Staatsanwaltschaft Einverständnis dahin hergestellt worden sei, dass angesichts der zu berücksichtigenden Auslieferungshaft und der Untersuchungshaft der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Hinsichtlich der gemeinnützigen Arbeit werde das Gericht das Generalkonsulat in ... um Mitwirkung und Vermittlung einer geeigneten Arbeitsstelle ersuchen. Im vermuteten Einverständnis des Verurteilten solle das Direktionsrecht insoweit an das Generalkonsulat abgegeben werden.
Die Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts folge aus § 462 a Abs. 2 StPO.
Wie sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 25.09.2008 ergibt, hat die Staatsanwaltschaft auf die sofortige Beschwerde gegen den Bewährungsbeschluss verzichtet.
Nachdem der Verurteilte nach Brasilien zurückgekehrt war und Schwierigkeiten auftraten, die Bewährungsauflage hinsichtlich der gemeinnützigen Arbeit zu erfüllen, schlug der Verurteilte vor, die Arbeitsauflage in eine Zahlungsauflage umzuwandeln.
Daraufhin hat das Landgericht Oldenburg mit Beschluss vom 11.02.2009 den Bewährungsbeschluss vom 25.09.2008 dahin geändert, dass dem Verurteilten anstelle der gemeinnützigen Arbeit aufgegeben wird, einen Betrag von 1.500,00 R$ zu zahlen und zwar an die Einrichtung ... und die Zahlung dem Gericht gegenüber binnen drei Monaten nachzuweisen.
Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.02.2009 Beschwerde eingelegt. Er rügt, dass das Landgericht vor Ablauf der ihm gesetzten zweiwöchigen Stellungnahmefrist entschieden habe. Außerdem vertritt er die Ansicht, dass der Betrag von 1.500,00 R$ im Verhältnis zu den üblichen Lebenshaltungskosten in Brasilien überproportional hoch sei und eine Auflage in Höhe von 750,00 R$ tat und schuldangemessen sei.
Das Landgericht Oldenburg hat mit Beschluss vom 24.02.2009, auf den Bezug genommen wird, der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Beschwerde ist nach § 56 e StGB in Verbindung mit § 453 Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Neufassung der Auflage.
Die Änderung der Bewährungsauflage im Beschluss vom 11. Februar 2009 konnte schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Strafkammer des Landgericht Oldenburg für diese nachträgliche Entscheidung, die Arbeitsauflage aus dem Bewährungsbeschluss vom 25. September 2008 durch eine Geldauflage (§ 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB) zu ersetzen, nicht zuständig war. Sie war hierfür nicht zuständig, weil schon für die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nicht das Tatgericht, sondern die Strafvollstreckungskammer zuständig war und diese Zuständigkeit für die nachträglich zu treffenden Vollstreckungsentscheidungen bestehen blieb.
Mit dem allseitigen Rechtsmittelverzicht, der unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung vom 25. September 2008 erfolgte, wurde das auf Freiheitsstrafe lautende Urteil rechtskräftig. Damit verwandelte sich zugleich, ohne dass weitere Entscheidungen oder Maßnahmen erforderlich gewesen wären, die bis dahin vollzogene Untersuchungshaft in Strafhaft. der Haftbefehl wurde gegenstandslos, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. § 120 Rdn. 15 m. w. Nachw..
Für alle ab dann zu treffenden Vollstreckungsentscheidungen, insbesondere eine Aussetzung der Reststrafe nach § 57 StGB, war - und blieb - gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO allein die Strafvollstreckungskammer zuständig, vgl. BGH StraFo 2004, 71 [BGH 26.11.2003 - 2 ARs 382/03].
Dass gegen den Aussetzungsbeschluss der unzuständigen Strafkammer kein Rechtsmittel eingelegt wurde, führte zwar zur Bestandskraft dieser Entscheidung, vermochte aber keine Zuständigkeit des Gerichts für künftige Vollstreckungsentscheidungen zu begründen, also auch nicht für den hier angefochtenen Änderungsbeschluss.
Zu einer anderen Beurteilung führte es auch nicht, wenn der von der Strafkammer ausgesprochene Reststrafenerlass Gegenstand einer "verfahrensbeendenden Absprache" gewesen sein sollte. Zu nicht in ihre Zuständigkeit fallenden Entscheidungen war die Strafkammer auch insoweit nicht befugt. Sie durfte sie auch nicht zusagen.
Der Beschluss des Landgerichts vom 11.02.2009 ist aber auch in der Sache rechtlich nicht haltbar. Die Verhängung einer Geldauflage zugunsten einer brasilianischen Einrichtung ist schon mit dem Sinn und Zweck einer Geldauflage nach § 56 b Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht vereinbar und deshalb gesetzwidrig.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit ausgeführt:
"Allgemeiner Rechtsgedanke der Auferlegung einer Geldzahlung im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung ist, dass dem begangenen Unrecht durch die Anordnung eines sanktionsähnlichen, fühlbaren Nachteils Genugtuung verschafft wird (§ 56 b Abs. 1 Satz 1 : "... die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen". vgl. Horn in SKStGB, § 56 b Rdnr. 2. Hubrach in LK, 12. Auflage, StGB, § 56 b Rdnr. 2. Händel, JR 1955, 377. OLG Celle NStZ 1990, 148 [OLG Celle 04.07.1989 - 1 Ws 195/89]: "Denkzettelfunktion"). Denknotwendig setzt die Bewährungsauflage damit voraus, dass die Umsetzung der Auflage vom Gericht mit Blick auf einen evtl. Verstoß überwacht wird. Eine Auflage ohne Kontrolle für den Probanden ist sinnwidrig und damit eine ungeeignete Maßnahme für den Verlauf der Bewährung.
Die vom Landgericht Oldenburg - im Wege der Umwandlung - angeordnete Geldauflage (Zahlung von 1.500,00 R$ an eine brasilianische Einrichtung ...) ist als eine solche ungeeignete Maßnahme zu werten, weil sie im Ergebnis nicht zu überwachen ist. Sie ist damit gesetzwidrig.
a. Ersichtlich kann das Gericht die Zahlungen in Brasilien nicht selbst überwachen, weil ihm der Empfänger der Geldauflage nicht bekannt ist. Weder ist die Anschrift der brasilianischen Einrichtung aktenkundig noch ist ein verlässlicher Ansprechpartner bei dieser Einrichtung benannt worden, der auch sicherstellt, dass die Zahlungen des Verurteilten dort nicht als Spende vereinnahmt werden. Letzteres ist nämlich nicht der Sinn einer Geldauflage, wonach der Angeklagte sich als Spender gegenüber der Einrichtung gerieren dürfte. Die Auflage dient dem Zweck der Genugtuung für das begangene Unrecht (Horn in SK, aaO Rdnr. 8). Dies wird sowohl vom Landgericht als auch vom Verurteilten rechtsirrig verkannt, wonach die Auflage als Spende angesehen wird, die sich - nach dem Beschwerdevorbringen - auf die in Brasilien üblichen Kleinstbeträge beschränken soll.
b. Eine Auflage, die vom Gericht nicht überwacht werden kann, ist aber keine echte Bewährungsauflage, um dem Angeklagten das Unrecht seiner Tat vor Augen zu führen (Genugtuungsfunktion) und im Falle des gröblichen oder beharrlichen Auflagenverstoßes, das Widerrufsverfahren zu betreiben. Eine Auflage, die mangels gerichtlicher Möglichkeit der Überwachung offenbar ins Leere geht und der Beliebigkeit preisgegeben wird, kann wegen Ungeeignetheit nicht angeordnet werden. Sie verstieße gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. Meyer-Goßner, 51. Auflage, StPO, § 453 Rdnr. 12. Appl in KK, aaO.), wonach belastende, sanktionsähnliche Maßnahmen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein müssen.
c. Eine Überwachung der Zahlungsauflage durch das deutsche Generalkonsulat in ... ist rechtlich nicht zulässig. Die Beauftragung einer konsularischen Vertretung, um die Vollziehung eines deutschen Gerichtsbeschlusses in Brasilien - ggf. durch Nachfragen beim Empfänger - zu überwachen, würde die Souveränität des brasilianischen Staates verletzen. Dies gilt auch für die Arbeitsauflage, die im ursprünglichen Beschluss vom 25.09.2008 angeordnet wurde.
d. Die Übertragung der Bewährungsaufsicht auf das Generalkonsulat, was im Beschluss des LG Oldenburg vom 25.06.2008 mit "Direktionsrecht" bezeichnet wird, ist gesetzwidrig (BGHSt. 10, 288). Die Bewährungsaufsicht und -führung kann vom Gericht keiner Person oder Institution übertragen werden, die organisatorisch schon nicht in die Justizverwaltung eingegliedert ist.
e. Im Übrigen ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich, wonach dem Generalkonsulat konkrete Akteninhalte mit personenbezogenen Daten übermittelt werden könnten. Die Vorgehensweise der Mitteilung von Akteninhalten dürfte - vorbehaltlich der Einwilligung des Verurteilten - grundsätzlich nicht unbedenklich sein."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.
Auch wenn eine Geldauflage zugunsten einer brasilianischen Einrichtung nach den obigen Ausführungen nicht in Betracht kommt, hält es der Senat für sachgerecht, dem Verurteilten eine Geldauflage zugunsten einer deutschen gemeinnützigen Einrichtung aufzuerlegen, die in Brasilien zugunsten armer Bevölkerungskreise Schulen errichtet, Lehrer bezahlt und weitere soziale Maßnahmen unterstützt. Der Senat hat deshalb als Beschwerdegericht in der Sache entschieden und dem Verurteilten die Auflage erteilt, einen Geldbetrag von 400,00 Euro an den Verein ... zu zahlen, der derartige Leistungen in Brasilien unterstützt. Der Betrag von 400,00 Euro steht im angemessenen Verhältnis zur Tatschwere und zur Tatschuld und berücksichtigt auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten. Angesichts der erheblichen Kosten für Auslandsüberweisungen hat der Senat den Betrag, der zwei Monatseinkünften des Verurteilten entspricht, angemessen herabgesetzt. Außerdem hat der Verurteilte die Möglichkeit, den Betrag innerhalb von drei Monaten zu begleichen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, weil sein Rechtsmittel im Ergebnis nur in geringen Umfang Erfolg hat.