Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 27.03.2009, Az.: 1 Ws 118/09
Rechtmäßigkeit der Unterbringung eines Sexualstraftäters in einem psychiatrischen Krankenhaus; Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung zum weiteren Vollzug der Unterbringung im Rahmen einer Güterrechtsabwägung und Sozialprognose des Untergebrachten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 27.03.2009
- Aktenzeichen
- 1 Ws 118/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 36713
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:0327.1WS118.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 05.01.2009 - AZ: 51 StVK 78/08
Rechtsgrundlagen
- Art. 2 Abs. 2 GG
- § 63 StGB
- § 67d Abs. 6 S. 1 StGB
- § 68c Abs. 2 StGB
- § 68c Abs. 3 StGB
Redaktioneller Leitsatz
Da die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als Maßregel der Besserung und Sicherung nur solange vollstreckt werden darf, wie es deren Zweck unabweisbar erfordert und zu dessen Erreichung weniger belastende Maßnahmen nicht genügen, ist die Anordnung des weiteren Vollzugs der Maßregel unverhältnismäßig, wenn Gewalttaten vom Untergebrachten künftig nicht mehr zu erwarten sind, weil er vor der Anlasstat strafrechtlich noch nie in Erscheinung getreten war, obwohl seine psychotische Störung bereits vor 40 Jahren aufgetreten ist, keine Neigung zu Gewalttätigkeiten besteht und die Taten ohne schwerwiegende Folgen für die Opfer geblieben sind.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 5. Januar 2009, durch den die Fortdauer der Unterbringung beschlossen worden ist, aufgehoben.
Die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aus dem Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 25. Februar 2005 wird zum Ablauf des 27. April 2009 für erledigt erklärt.
Die Dauer der von Gesetzes wegen eintretenden Führungsaufsicht wird auf fünf Jahre bestimmt.
Die Sache wird an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht zurückgegeben.
Die Kosten des Rechtsmittels, einschließlich der notwendigen Auslagen des Untergebrachten, fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Durch Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 25. Februar 2005 nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 2005 ist Herr Z. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und zugleich seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Die Taten beging Herr Z. im Zustand verminderter Schuldfähigkeit infolge einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis und einer Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Pädophilie.
Nach Untersuchungshaft vom 16. April 2004 bis zum 25. Februar 2005 und sich unmittelbar anschließender vorläufiger Unterbringung gemäß § 126a StPO befindet sich Herr Z. seit der am 19. Oktober 2005 eingetretenen Rechtskraft des Urteils im Maßregelvollzug der heutigen K. -Klinik.
Diagnostisch besteht neben einer Pädophilie (ICD-10: F65.4) eine paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F20.0), wobei von einem schizophrenen Residuum mit intermittierend auftretenden paranoid psychotischen Einschüben auszugehen ist. Nach den ärztlichen Stellungnahmen vom 8. September 2008, 1. und 3. Dezember 2008 und im Anhörungstermin vom 28. November 2008 ist die mit den begangenen Straftaten in engem Zusammenhang stehende psychotische Erkrankung des Untergebrachten noch nicht ausreichend behandelt worden und auch die Deliktsbearbeitung noch nicht abgeschlossen.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg hat daraufhin mit Beschluss vom 5. Januar 2009 die Fortdauer der Unterbringung beschlossen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil, die genannten ärztlichen Stellungnahmen und den Beschluss des Landgerichts Bezug genommen.
Gegen die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung hat der Untergebrachte sofortige Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
Ein weiterer Vollzug der Maßregel über den 27. April 2009 hinaus wäre unverhältnismäßig.
Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nur zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren erheblichen rechtswidrigen Taten vorgesehen werden. Nur dann steht das Freiheitsgrundrecht aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht entgegen (BVerfG NJW 1995, 1077 [BVerfG 16.03.1994 - 2 BvL 3/90]). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, die Unterbringung eines Täters in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nur so lange zu vollstrecken, wie der Zweck dieser Maßregel es unabweisbar erfordert und zu seiner Erreichung weniger belastende Maßnahmen nicht genügen. Die Beurteilung hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Zu erwägen sind dabei das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bisher begangene Taten. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges (BVerfG NJW 1995, 3048 [BVerfG 06.04.1995 - 2 BvR 1087/94]).
Gewalttaten sind vom Untergebrachten in der Zukunft nicht zu befürchten. Der - im Zeitpunkt des Urteilserlasses bereits 58jährige und jetzt 61jährige - Untergebrachte war ausweislich des Urteils trotz seiner bereits seit spätestens Mitte der 60er Jahre auftretenden schweren psychotischen Erkrankung in seinem Leben zuvor nie bestraft worden. Nach ausdrücklicher Feststellung in den Urteilsgründen (UA S. 17) neigt er nicht zu Gewalttätigkeiten. Nach den Urteilsgründen sind die Taten auch (UA S. 14) ohne schwerwiegende Folgen für die Kinder geblieben.
Als Straftaten, die mit einem hinreichenden Grad an Gewissheit vom Untergebrachten zu befürchten sind, kommen vielmehr ausschließlich aufgrund seiner pädophilen Neigung begangene Sexualstraftaten der abgeurteilten Art in Betracht, also exhibitionistische Handlungen im weitesten Sinne und gewaltlos verübte unsittliche Berührungen von Mädchen. Dabei ist allerdings einerseits eine Intensitätssteigerung nicht völlig auszuschließen, andererseits sind aber Taten zu Lasten von Mädchen, zu denen der Untergebrachte nicht zuvor eine anderweitige Beziehung aufgebaut hat, unwahrscheinlich, vgl. auch die Stellungnahme der Prognosekommission Maßregelvollzug Niedersachsen vom 16. Dezember 2007, die auf diesen Aspekt ihre Empfehlung einer Vollzugslockerung gestützt hat.
Dieser Gefahr kann durch geeignete Weisungen im Rahmen der eintretenden - erforderlichenfalls gemäß § 68c Abs. 2 und 3 StGB verlängerbaren - Führungsaufsicht schon so ausreichend begegnet werden, dass ein weiterer Vollzug der Unterbringung im Sinne von § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB unverhältnismäßig wäre.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Unterbringung einschließlich der vorangegangenen Inhafthaltung insgesamt jetzt fast 5 Jahre andauert, also fast doppelt so lange wie die ausgeurteilte Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten.
Als Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht kommen hier insbesondere in Betracht eine Anordnung der Fortführung der psychiatrischen Behandlung und der Depot-Medikamenteneinnahme nach ärztlicher Weisung und deren regelmäßige Überprüfung, ein Verbot gemeinsamen Wohnens und jeglicher Kontaktaufnahme - insbesondere einschließlich einer Unterrichtstätigkeit - mit weiblichen Kindern und Jugendlichen und ein Wohnungs- und Aufenthaltswechels nur nach vorheriger Genehmigung. Zudem sollte der Untergebrachte der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt werden.
Die Erledigung der Maßregel nach § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB wird allerdings erst mit Ablauf des 27. April 2009 eintreten, um der Klinik die Gelegenheit zu entlassungsvorbereitenden Maßnahmen zu geben, eine bei einem abrupten und unvorbereiteten Wechsel in die Freiheit entstehende Überforderung und damit einhergehende Gefährlichkeit des Untergebrachten zu verringern. Mit der Erledigung tritt Führungsaufsicht ein (§ 67d Abs. 6 Satz 2 StGB), deren Dauer der Senat auf 5 Jahre festsetzt.
Da die Ausgestaltung der Führungsaufsicht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich ist (Konkretisierung der Weisungen gemäß § 68b StGB nach Absprache mit den Ärzten, dem Betreuer und dem Verurteilten), hat sie der Senat der zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg übertragen, vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2005, 338.
Die Strafvollstreckungsklammer wird zudem umgehend über eine Reststrafenaussetzung der Gesamtfreiheitsstrafe zu entscheiden haben, die wegen des Vorabvollzuges der Maßregel gemäß § 67 Abs. 4 StGB zu 2/3 als verbüßt gilt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.