Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.04.2009, Az.: 1 Ws 205/09
Umfang der Pflichtverteidigerbestellung; Erstreckung auf das Wiederaufnahmeverfahren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 15.04.2009
- Aktenzeichen
- 1 Ws 205/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 17817
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:0415.1WS205.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück, 7 AR 1/09 vom 11.02.2009
Rechtsgrundlagen
- § 141 StPO
- § 364a StPO
Fundstellen
- NStZ-RR 2009, 208-209
- StraFo 2009, 242
Amtlicher Leitsatz
Die Pflichtverteidigerbestellung im Ausgangsverfahren erstreckt sich - entgegen der herrschenden Meinung - nicht auf das Verfahren über einen Wiederaufnahmeantrag.
Tenor:
Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 11. Februar 2009, durch den Landgericht seinen Antrag, ihm für das Wiederaufnahmeverfahren Rechtsanwalt ..., beizuordnen, als unbegründet verworfen hat, wird auf Kosten der Verurteilten als unbegründet verworfen.
Gründe
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 27. November 2008 hat der Verurteilte die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens, die Unterbrechung der Vollstreckung aus dem Urteil bis zur Entscheidung über die Wiederaufnahme sowie die Beiordnung des Rechtsanwalts ..., für das Wiederaufnahmeverfahren beantragt. ... Durch Beschluss vom 11. Februar 2009 hat das Landgericht Osnabrück u. a. den Antrag Beiordnung des Rechtsanwalts ... für das Wiederaufnahmeverfahren verworfen.
Das gegen diesen Beschluss eingelegte Rechtsmittel des Verurteilten bleibt ohne Erfolg.
Mangels Erfolgsaussicht des Wiederaufnahmebegehrens ist auch der Antrag des Verurteilten, ihm Rechtsanwalt ... für das Wiederaufnahmeverfahren beizuordnen, zu Recht vom Landgericht zurückgewiesen worden.
Zu dieser Entscheidung bestand Anlass, obwohl der Rechtsanwalt dem Verurteilten bereits in dem zur Verurteilung führenden Ausgangsverfahren vom Amtsgericht Delmenhorst am 16. April 2007 als Verteidiger beigeordnet worden war.
Zwar vertritt die herrschende Meinung - im Anschluss an die vor Inkrafttreten von § 364a StPO ergangene Entscheidung RGSt 22, 97 - die Ansicht, eine im Ursprungsverfahren erfolgte Pflichtverteidigerbestellung erstrecke sich auch noch auf das Verfahren über einen Wiederaufnahmeantrag (zum Meinungsstand vgl. Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 25. Aufl., § 364a Rdn. 3 m. w. Nachw.). Das Reichsgericht hat sich dabei auf die Befugnis des Verteidigers zur Stellung eines Wiederaufnahmeantrages nach §§ 339, 405 StPO a. F. (jetzt §§ 297, 365 StPO) gestützt und ist dabei - ohne nähere Erörterung - davon ausgegangen, dass ein bestellter Verteidiger auch nach Rechtskrafteintritt noch die Stellung eines Verteidigers besitze. Die dem folgenden überwiegend älteren obergerichtlichen Entscheidungen (vgl. etwa OLG Bremen NJW 1964, 2175 [OLG Bremen 18.02.1964 - Vas 6/64], OLG Hamm NJW 1958, 641 (642) [OLG Hamm 10.01.1958 - 2 Ws 481/57] und 1971, 1418. OLG Düsseldorf MDR 1983, 428 [OLG Düsseldorf 01.12.1982 - 1 W 819/82] (= NStZ 1983, 235). OLG Schleswig SchlHA 2005, 255), auf die sich die herrschende Meinung stützt, haben diese Frage nur beiläufig behandelt und nicht problematisiert.
Der Senat vermag sich dieser herrschenden Meinung nicht anzuschließen. Eine Verteidigerbestellung im Erkenntnisverfahren erfolgt für dieses und gilt - mit Ausnahme einer Revisionshauptverhandlung, vgl. BGHSt 19, 258 - für das gesamte Verfahren bis zu dessen Abschluss. Es besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass die Verteidigerbestellung grundsätzlich mit dem Eintritt der Rechtskraft endet. Nach Auffassung des Senats besteht keine Veranlassung, von diesem Grundsatz für Wiederaufnahmeverfahren abzuweichen, so auch SK-Frister/Deiters § 364a Rdn. 3 - 5. KK-Laufhütte § 141 Rdn. 9.
Der gesetzlichen Regelung in §§ 140, 364a StPO ist insoweit keine eindeutige Aussage zu entnehmen. Der Wortlaut von § 140 StPO legt allerdings nahe, dass sich die nach dieser Vorschrift zu beurteilende Notwendigkeit einer Verteidigung nur auf das Erkenntnisverfahren bezieht und nur für dieses Geltung besitzt.
Dafür sprechen insbesondere auch die folgenden Gesichtspunkte: Eine Wiederaufnahme kann ohne zeitliche Begrenzung angestrengt werden. Eine Kontinuität mit dem Ursprungsverfahren und der dort geführten Verteidigung besteht deshalb häufig schon wegen des Zeitablaufs nicht. Eine solche fehlt aber auch, weil der Gegenstand eines Wiederaufnahmeverfahrens ein anderer ist. Es geht dabei nicht mehr - wie im Ausgangsverfahren - um die Feststellung einer Straftat aufgrund der gerichtlichen Beweiserhebung und um die Festsetzung der Rechtsfolgen, sondern um die Frage, ob einer der in §§ 359, 362 StPO bezeichneten Gründe besteht, unter Durchbrechung der Rechtskraft ausnahmsweise eine erneute Hauptverhandlung durchzuführen. Auf diesen Verfahrensgegenstand bezieht sich indessen § 140 StPO nicht, der allein den Maßstab für die frühere Bejahung einer notwendigen Verteidigung im Ursprungsverfahren bildete.
Die herrschende Meinung führt auch zu einer inhaltlich wenig systematischen Abgrenzung der Reichweite einer Verteidigerbestellung. So ist es in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass eine frühere Pflichtverteidigerbestellung für das Strafvollstreckungsverfahren nicht fortwirkt, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 140 Rdn. 33 m. w. Nachw.. Wenn eine solche Fortwirkung für die Strafvollstreckung, die die regelmäßige Folge von Verurteilungen ist, verneint wird, leuchtet es wenig ein, dass dies für die vergleichsweise seltenen und u. U. viel später betriebenen Wiederaufnahmeverfahren gleichwohl der Fall sein soll.
Dagegen spricht ferner, dass dann kein Raum wäre für die - nach allgemeiner Ansicht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, a. a. O.,§ 364a Rdn. 5) angezeigte - gerichtliche Prüfung, ob wegen Aussichtslosigkeit des Wiederaufnahmeantrags kein Verteidiger zu bestellen ist. Unter diesem Gesichtspunkt führt die herrschende Meinung zum einen zu einer kaum zu rechtfertigenden Belastung des Steuerfiskus, weil dann auch völlig aussichtslose Wiederaufnahmeanträge Gebührenansprüche der Pflichtverteidiger entstehen ließen. Zum anderen läge darin auch eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleich und Schlechterbehandlung derjenigen Verurteilten, denen in ihren Ursprungsverfahren kein Verteidiger bestellt wurde und die sich deshalb eine Erfolgsaussichtsprüfung ihres Wiederaufnahmeantrages gefallen lassen müssen.