Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.07.1995, Az.: 4 L 6365/94

Sozialhilfe; Regelbedarf; Schulmaterial; Abgrenzung zum Einschulungsbedarf; Aufstieg in höhere Klasse

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.07.1995
Aktenzeichen
4 L 6365/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 14093
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1995:0712.4L6365.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover 17.08.1994 - 3 A 1273/94
nachfolgend
BVerwG - 28.03.1996 - AZ: BVerwG 5 C 32/95

Fundstelle

  • FEVS 1946, 205

Amtlicher Leitsatz

Der während des Schulbesuchs entstehende laufende Bedarf eines Schülers an Lern- und Arbeitsmaterialien von geringem Einzelwert gehört - anders als der Einschulungsbedarf (vgl dazu Urteil des Senats vom 12.7.1995 - 4 L 3685/95) - zum Regelbedarf. Das gilt auch dann, wenn der Bedarf konzentriert am Schuljahresbeginn auftritt. Eine "Aufstockung" der Regelsatzleistungen durch die zusätzliche Gewährung einer einmaligen Leistung (Beihilfe) für die Beschaffung dieser Gegenstände ist unzulässig (wie BVerwGE Bd 87 S 212 (216) = FEVS Bd 41 S 221). Soweit der Aufstieg des Kindes/Jugendlichen in eine höhere Schulklasse dazu führt, daß in dieser Klassenstufe erstmals benötigte Gegenstände (zB Zirkel, Taschenrechner etc) angeschafft werden müssen, handelt es sich um einen nicht aus den Regelsatzleistungen zu deckenden Bedarf; insoweit kommt die Gewährung einer einmaligen Leistung in Betracht.

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Hannover - 3. Kammer Hannover - vom 17. August 1994 teilweise geändert. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin - über die bewilligte Beihilfe von 35,65 DM hinaus - eine einmalige Leistung für die Beschaffung von Unterrichtsheften für das Blockflötenspiel in Höhe von 110,70 DM zu gewähren. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 1993 und der Widerspruchsbescheid vom 12. April 1994 werden auch insoweit aufgehoben. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu einem Drittel und die Beklagte zu zwei Dritteln; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt Hilfe zum Lebensunterhalt in Form einer einmaligen Leistung (Beihilfe) für Schulmaterialien.

2

Die Klägerin erhält bereits seit längerer Zeit von der Beklagten Sozialhilfe (laufende Hilfe zum Lebensunterhalt). Im Schuljahr 1993/94 besuchte sie die 5. Klasse der Integrierten Gesamtschule .... Am 23. Juni 1993 beantragte sie bei der Beklagten eine Beihilfe für die Beschaffung folgender Gegenstände:

3

1) Schreibblock DIN A 4

4

2) Füllfederhalter, Bleistift, Radiergummi, Anspitzer

5

3) Buntstifte

6

4) Deckfarbenkasten

7

5) Pinsel Nr. 3, Nr. 10, Nr. 14

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6) Zeichenblock DIN A 3

9

7) Sammelmappe DIN A 3

10

8) Klebstoff, Schere

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9) Schreibblock DIN A 4

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10) Lineal, Geodreieck

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Ferner beantragte sie eine Beihilfe für eine an die Schule zu zahlende Pauschale in Höhe von 50,-- DM für die zentrale Beschaffung von Arbeitsmaterialien. Sie legte ein Schreiben der IGS ... vor, aus dem sich die zum Schuljahresbeginn erforderlichen Lernmittel ergaben.

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Gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 1993 legte die Klägerin Widerspruch ein und beantragte ferner eine Beihilfe für die Beschaffung einer Blockflöte mit Talg, des Buches "Spiel und Spaß mit der Blockflöte" (77,70 DM), des "Blockflötenspielbuchs 1" (13,50 DM), einer "Blockflötenschule 1" (19,50 DM), eines Englisch-Arbeitsheftes und von Schutzumschlägen für acht Bücher. Sie trug vor, daß die Schule bis auf einen Atlas Kosten für Arbeitsmittel der Schüler nicht übernehme und daß sie, die Klägerin, die Vielzahl der Arbeitsmaterialien nicht aus dem Regelsatz bezahlen könne. Sie legte hierzu eine Bescheinigung der IGS ... vor, mit der diese bestätigte, daß sie keine Materialkosten übernehme.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 1994 wies die Beklagte den Widerspruch - auch hinsichtlich der nachträglich beantragten Übernahme der Kosten für Materialien - zurück. Zur Begründung führte sie aus: Die beantragte Übernahme der Kosten für Schulmaterialien komme nicht in Betracht, denn diese gehörten zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens und seien deshalb bereits mit den Regelsätzen abgegolten. Darüber hinaus übernehme der Schulträger für bedürftige Schüler der Vorklassen die Kosten für die verbindlich vorgeschriebenen Lernmittel, soweit sie über gesetzliche Leistungen des Landes hinausgingen. Hierzu gehörten auch Lehrbücher sowie die dazu gehörigen Arbeitsbücher. Im übrigen entscheide der Schulleiter über die Vergabe von Verbrauchsmaterialien, soweit dies erforderlich sei, um Härten zu vermeiden.

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Mit der Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen ausgeführt: Die Blockflöte werde für eine freiwillige Arbeitsgemeinschaft im Rahmen des Musikunterrichts benötigt. Das Instrument habe nicht geliehen werden können. Aus der eingesammelten Pauschale in Höhe von 50,-- DM würden beispielsweise Kopien, Arbeitsmappen, aber auch Materialien für den Werkunterricht bezahlt. Sie hat sinngemäß beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. Juni 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. April 1994 zu verpflichten, ihr Sozialhilfe in Form einer Beihilfe für Schulmaterialien in Höhe von 226,35 DM zu gewähren.

18

Die Beklagte hat beantragt,

19

die Klage abzuweisen.

20

Mit Gerichtsbescheid vom 17. August 1994 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Teilaufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, der Klägerin Sozialhilfe in Form einer Beihilfe für eine Blockflöte mit Talg in Höhe von 35,65 DM zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

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Die Klägerin habe einen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe für den Kauf einer Blockflöte. Das Erlernen des Blockflötenspiels als Einstieg in die Musikerziehung durch die Schule gehöre - anders als etwa privater Musikunterricht - auch zu den Lebensgewohnheiten der Bevölkerungsgruppe mit niedrigem Einkommen. Deshalb gehöre eine Blockflöte zum notwendigen Bedarf der Klägerin im Sinne von § 12 Abs. 1 BSHG, der von den Regelsätzen, nach denen die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werde, nicht erfaßt sei. Im übrigen sei die Klage unbegründet. Wegen der Notenhefte sei die Klägerin auf Selbsthilfe zu verweisen. Wenn die Schule Notenhefte nicht verliehen habe, sei es ihr - der Klägerin - doch zuzumuten gewesen, sich bei älteren Schülern zu erkundigen, ob diese ihr die Notenbücher liehen oder gegen ein geringes Entgelt überließen, zumal die ersten Notenbücher erfahrungsgemäß nach einem halben Jahr durchgespielt seien. Wegen des Englisch-Arbeitsheftes habe die Beklagte die Klägerin zu Recht an die Schule verwiesen. Nach §§ 3 Abs. 1 und 5 des Nds. Gesetzes über Lernmittelfreiheit (NLFrG) vom 24. April 1991 (Nds. GVBl. S. 174) habe die Klägerin nämlich einen Anspruch auf die leihweise Überlassung des Englisch-Arbeitsheftes. In § 1 Nr. 4 der VO zur Durchführung des Niedersächsischen Gesetzes für Lernmittelfreiheit (NLFrVO) vom 2. August 1993 (Nds. GVBl. S. 293) werde bestimmt, daß als Lernmittel im Sinne des § 2 NLFrG auch Arbeits- und Übungshefte und entsprechende Arbeitsblätter gelten, auch wenn sie - wie das Englisch-Arbeitsheft - durch Eintragungen verbraucht würden. Soweit die Klägerin eine Beihilfe für zentrale Besorgungen in Höhe von 50,-- DM begehre, habe sie nicht dargelegt, daß es sich bei den angeschafften Materialien um besondere Lernmittel im Sinne des § 21 Abs. 1 a Nr. 3 BSHG handele. Auch dem vorgelegten Anschreiben der IGS ... lasse sich das nicht entnehmen. Schließlich habe die Klägerin auch nicht Anspruch auf eine Beihilfe für die Bezahlung der übrigen Schulmaterialien, da es sich insoweit nicht um besondere Lernmittel, sondern um Verbrauchsmaterialien handele. Die Kosten für Schulartikel mit geringem Anschaffungswert wie Hefte, Blöcke, Schreibgeräte, Lineal und Pinsel, die ständig ersetzt werden müßten, seien mit den Regelsätzen abgegolten. Das gelte auch für einen Füllfederhalter, der für weniger als 10,-- DM erworben werden könne. Insoweit sei auch die Notwendigkeit einer Neubeschaffung zweifelhaft, weil die Mutter der Klägerin in dem von dem Gericht durchgeführten Erörterungstermin ausgeführt habe, daß lediglich die Spitze des Füllfederhalters verbogen sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehe sozialhilferechtlich ein Anspruch auf eine Grundausstattung an Arbeitsmaterialien jeweils zu Schuljahresbeginn - anders als möglicherweise bei der Einschulung -.

22

Gegen diesen Gerichtsbescheid richtet sich die von dem Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Klägerin. Sie beantragt,

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den angefochtenen Gerichtsbescheid teilweise zu ändern und nach den Schlußanträgen in erster Instanz zu entscheiden.

24

Die Beklagte hat sich nicht geäußert.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26

Die Berufung der Klägerin ist nur teilweise begründet.

27

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 1991 (BGBl. I S. 94, 808) und der Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG - vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944) ist Hilfe zum Lebensunterhalt dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG umfaßt der notwendige Lebensunterhalt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Bei Kindern und Jugendlichen umfaßt der notwendige Lebensunterhalt gemäß § 12 Abs. 2 BSHG auch den besonderen, vor allem den durch das Wachstum bedingten, Bedarf.

28

Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten, die einem Schüler durch die Beschaffung von Schulunterrichtsmaterialien (Arbeitsmaterial und Lernmittel) entstehen, setzt - abgesehen von der hier unstreitig erfüllten Voraussetzung der Hilfebedürftigkeit - somit voraus, daß die zu beschaffenden Gegenstände zum notwendigen Lebensunterhalt gehören. Das hängt nicht davon ab, ob die anfallenden Kosten einer der in § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG genannten Bedarfsgruppen zugeordnet werden können. Denn diese Bedarfsaufzählung ist nicht abschließend (BVerwG, Urt. v. 21. Jan. 1993 - BVerwG 5 C 34.92 -, BVerwGE 92, 6 ff.).

29

Es ist Aufgabe der Sozialhilfe, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG) und ihm die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft möglich macht (vgl. § 9 SGB I). Die Sozialhilfe hat der sozialen Isolierung des Hilfebedürftigen zu begegnen, die dann droht, wenn es ihm nicht möglich ist, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben. Dementsprechend umfaßt der "notwendige Lebensunterhalt" nach § 12 BSHG nicht nur das physiologisch Notwendige, sondern den gesamten zu einem menschenwürdigen Leben erforderlichen Bedarf (vgl. BVerwG, Urt. v. 13. Dez. 1990 - BVerwG 5 C 17.88 -, BVerwGE 87, 212, 214 [BVerwG 13.12.1990 - 5 C 17/88] m.w.N.). Dabei sind auch die herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen zu berücksichtigen (BVerwG, Urteile vom 12. April 1984 - BVerwG 5 C 95.80 -, BVerwGE 69, 146, 154 [BVerwG 12.04.1984 - 5 C 95/80], u. v. 9. Febr. 1995 - BVerwG 5 C 2.93 -, DVBl. 1995, S. 697). Allerdings ist dabei nicht auf die Bevölkerung im allgemeinen, sondern auf die Bevölkerungsteile mit niedrigem Einkommen abzustellen (vgl. § 22 Abs. 3 BSHG). Daraus folgt, daß jedenfalls solche Arbeitsmaterialien und Lernmittel, über die ein Schüler aus dieser Bevölkerungsgruppe üblicherweise verfügt bzw. deren Vorhandensein von der Schule als erforderlich angesehen wird, zum notwendigen Lebensunterhalt eines Schülers gehören. Das Recht des jungen Menschen auf Schulbildung würde verletzt, wenn die erfolgreiche Teilnahme am Unterricht etwa dadurch in Frage gestellt würde, daß er nicht über die notwendige Ausrüstung für die Bewältigung der Arbeit in der Schule verfügt. In einem solchen Fall bestünde auch die Gefahr einer sozialen Ausgrenzung aus der Gemeinschaft der Mitschüler.

30

Gemäß § 21 Abs. 1 BSHG kann Hilfe zum Lebensunterhalt durch laufende und einmalige Leistungen gewährt werden. Ein Anspruch eines Schülers auf gesonderte Übernahme der Aufwendungen für die Beschaffung von Arbeitsmaterial und Lernmitteln durch Gewährung einer einmaligen Leistung (Beihilfe) besteht deshalb nur insoweit, als dieser Bedarf nicht ein Regelbedarf und deshalb nicht durch Regelsatzleistungen abgegolten ist. Regelbedarf ist der ohne Besonderheiten des Einzelfalles (§ 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG) bei vielen Hilfeempfängern (zu deren Einteilung in Gruppen vgl. § 2 RegelsatzVO) gleichermaßen bestehender, nicht nur einmaliger Bedarf gemäß § 1 Abs. 1 RegelsatzVO (BVerwG, Urt. v. 9. Febr. 1995 aaO). Die Abgrenzung, was vom Gegenstand und vom Wert her zum Regelbedarf gehört, hat der Normgeber in § 22 BSHG in Verbindung mit § 1 RegelsatzVO getroffen. Er hat z.B. die Ernährung und die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens, nicht aber die Beschaffung von Kleidung in größerem Umfang oder die Beschaffung von besonderen Lernmitteln für Schüler zum Regelbedarf bestimmt; für diese nur beispielhaft ("insbesondere") genannten Bedarfsgruppen bestimmt § 21 Abs. 1 a Nr. 1 bzw. Nr. 3 BSHG ausdrücklich, daß hierfür einmalige Leistungen zu gewähren sind. Nicht als Regelbedarf durch Regelsatzleistungen abgegolten sind Aufwendungen eines Schülers für Lern- und Arbeitsmaterialien aber auch insoweit, als sie nicht zu einer der in § 1 Abs. 1 RegelsatzVO genannten Bedarfsgruppen, für die Leistungen nach Regelsätzen gewährt werden, gehören. In Betracht kommt hier nur die Bedarfsgruppe "persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens". Diese Bezeichnung ist der Definition des "notwendigen Lebensunterhalts" in § 12 Abs. 1 BSHG entnommen. Bei der Ermittlung dessen, was diese Bedarfsgruppe umfaßt, ist deshalb zu berücksichtigen, daß § 12 Abs. 2 BSHG gesondert bestimmt, daß bei Kindern und Jugendlichen der notwendige Lebensunterhalt auch deren besonderen, vor allem durch das Wachstum bedingten, Bedarf umfaßt. Aus der gesonderten Erwähnung dieses "besonderen" Bedarfs der Kinder und Jugendlichen folgt, daß er nicht zu den in § 12 Abs. 1 BSHG genannten "persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens" gehört. Es entspräche nämlich nicht der herkömmlichen Gesetzestechnik, in dem zweiten Absatz einer Vorschrift einen Tatbestand hervorzuheben, der bereits in dem ersten Absatz der Vorschrift geregelt ist. Auch der Wortlaut der Bestimmung fordert diese Auslegung, weil im zweiten Absatz des § 12 BSHG dem in dessen ersten Absatz erfaßten Bedarf noch ein anderer, nämlich der besondere, vor allem durch das Wachstum bedingte, Bedarf gegenübergestellt wird (Senat, Urt. v. 27. Nov. 1991 - 4 L 2/90 -).

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Aus diesen Erwägungen folgt allerdings nicht, daß jeglicher Schulbedarf eines Kindes oder Jugendlichen nur durch einmalige Leistungen oder besondere Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG zu decken wäre (a. A. LPK-BSHG, 4. Aufl. 1994, Anm. 33 zu § 21). Dies würde weder der Differenzierung nach Bedarfsgruppen in § 12 BSHG noch der Hervorhebung des besonderen Bedarfs der Schüler in § 21 Abs. 1 a Nr. 3 BSHG gerecht. Der Schulbesuch ist hierzulande wesentlicher Bestandteil des Lebens jedes Kindes und Jugendlichen. Mit ihm verbunden ist ein in seiner Art teilweise gleichbleibender, teilweise sich verändernder Bedarf, Lern- und Arbeitsmittel zu beschaffen. Die Einschulung eines Kindes erfordert die Beschaffung einer Erstausstattung. Der Aufstieg des Kindes/Jugendlichen in höhere Klassen ist weiter mit der Notwendigkeit verbunden, diverse Gegenstände erstmals zu beschaffen, weil diese üblicherweise erst in höheren Klassen benötigt werden (z.B. Zirkel, Taschenrechner, Formelsammlungen etc.). Diese Bedürfnisse ergeben sich typischerweise aus der Entwicklung des Kindes bzw. Jugendlichen, die § 12 Abs. 2 BSHG gesondert berücksichtigt, zählen also nicht zu den in § 12 Abs. 1 BSHG und § 1 Abs. 1 Satz 1 RegelsatzVO genannten Bedürfnissen des täglichen Lebens. Anders verhält es sich mit dem "laufenden Bedarf" eines Schülers, also insbesondere dem Bedarf an Ersatz für verbrauchte Materialien (Stifte, Radiergummi, Füllerpatronen, Schreibblocks und dergleichen). Insoweit ist der Bedarf des Schülers nicht durch seine Entwicklung geprägt und unterscheidet sich nicht grundsätzlich von einem entsprechenden Bedarf eines Erwachsenen. In diesem Umfang gehört der Schulbedarf deshalb zur Bedarfsgruppe "Bedürfnisse des täglichen Lebens", für die als Regelbedarf Leistungen nach Regelsätzen entsprechend § 22 Abs. 1 BSHG in Verbindung mit § 1 RegelsatzVO zu gewähren sind (Senat, Beschl. v. 3. Mai 1988 - 4 B 146/88 -, FEVS Bd. 38 S. 112, 113 f.; ebenso Schellhorn/Jirasek/Seipp, Komm. z. BSHG, 14. Aufl. 1993, Anm. 55 zu § 12 BSHG und Anm. 15 zu § 1 RegelsatzVO). Auf dieser Differenzierung beruht ersichtlich auch die Hervorhebung des Bedarfs an "besonderen Lernmitteln" - gegenüber dem "einfachen" Bedarf der Schüler - in § 21 Abs. 1 a Nr. 3 BSHG, die lediglich der verbesserten Abgrenzung zwischen der Konkretisierung von laufenden und einmaligen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt dient (BT-Drucks. 12/4401 S. 48).

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Soweit Leistungen danach durch Gewährung von Regelsätzen zu erbringen sind, sind daneben ergänzende Leistungen unzulässig. Ohne Änderung der Normen dürfen nicht - auch nicht teilweise - einzelne Posten (z.B. Kochfeuerung) aus den in § 22 BSHG und § 1 RegelsatzVO festgelegten Bedarfsteilen herausgelöst und andere (z.B. Hausrat insgesamt) ihnen hinzugefügt werden. Denn das Regelsatzsystem mit seinen auf bestimmte Bedarfsteile bezogenen und sie für den Regelfall umfassend deckenden Regelsätzen ist ein geschlossenes System. Nur bei festgelegter Ausgangslage (Regelbedarf) läßt sich ein bedarfsdeckender Regelsatz festsetzen. Die mit der Leistung nach Regelsätzen beabsichtigte Klarheit und Gleichheit der Sozialhilfegewährung gebietet, daß Sozialhilfeleistungen für den Regelbedarf (§ 22 BSHG, § 1 RegelsatzVO) - von den nach § 1 Abs. 2 RegelsatzVO möglichen Ausnahmen abgesehen - ausschließlich nach Regelsätzen zu bemessen sind. Damit scheiden einmalige Leistungen zur Deckung von Regelbedarf aus. Das gilt auch dann, wenn die Regelsatzleistung den Regelbedarf nicht ausreichend berücksichtigt haben sollte. Zeigt sich, daß ein Regelsatz unzureichend bemessen worden ist, dürfen die darauf beruhenden (unzureichenden) Regelsatzleistungen nicht durch einmalige Leistungen ergänzt werden (BVerwG, Urt. v. 13. Dez. 1990 aaO S. 216).

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Zu dem Regelbedarf eines Schülers, der mit den Regelsätzen abgegolten ist, gehören danach alle für den Schulbesuch benötigten Gegenstände des "laufenden Bedarfs", die in gleicher oder ähnlicher Form von allen Schülern derselben Altersgruppe im Sinne des § 2 Abs. 3 RegelsatzVO regelmäßig gebraucht und nicht - etwa im Rahmen der Lernmittelfreiheit - von dritter Seite gestellt werden und die bei der Bemessung der Regelsätze berücksichtigt worden sind. Dabei läßt sich allerdings nicht im Einzelnen ermitteln, ob und mit welchem Wert jeder in Frage kommende Gegenstand bei der Festlegung der Regelsätze einbezogen worden ist. Denn das stufenweise seit 1990 eingeführte neue Bedarfsbemessungssystem für Regelsätze in der Sozialhilfe - sogenanntes Statistikmodell - orientiert sich an den durchschnittlichen Ausgaben und dem Verbrauchsverhalten der maßgeblichen Haushalte mit niedrigem Einkommen, das nach den Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1983 (EVS 83) - hochgerechnet auf das Jahr 1990 - ermittelt worden ist. Es läßt - anders als es bei dem zuvor angewandten sogenannten "Warenkorbmodell" teilweise üblich war - eine Aussage über Einzelpositionen des Bedarfskatalogs und deren entsprechenden Geldbetrag nicht unmittelbar zu. Anhaltspunkte für die Ermittlung des Bedarfs, der mit den Regelsätzen abgegolten ist, bieten nur die in die Statistik einbezogenen Warengruppen. Als regelsatzrelevant berücksichtigt worden sind (zitiert nach NDV 1990 S. 157) u. a. unter den systematischen Nummern 73-1 Bücher und Broschüren, 73-4, -7 Zeitungen und Zeitschriften und 74-3, -5, -9 übrige Verbrauchsgüter für Bildung, Unterhaltung, Freizeit (z.B. Postkarten, Briefpapier, Schulhefte, Mal- und Zeichenpapier, Bleistifte, Kugelschreiber, Batterien, Bastelartikel). Verallgemeinernd gesagt sind damit Gegenstände von geringem Anschaffungswert, die ständig ersetzt werden müssen, erfaßt. Es handelt sich um kurzlebige Verbrauchsgüter, bei denen eine Wiederbeschaffung zur Erhaltung des Bestandes in regelmäßigen, kurzen Abständen mit durchschnittlich gleichen Kosten erforderlich ist. Das entspricht der oben dargelegten Unterscheidung zwischen dem Neuanschaffungsbedarf und dem laufenden (Ersatz-)Bedarf.

34

Für das vorliegende Verfahren ergibt sich daraus, daß der von der Klägerin geltend gemachte Bedarf nur teilweise durch einmalige Leistungen zu decken ist.

35

Soweit das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, ihr eine einmalige Leistung für den Kauf einer Blockflöte zu gewähren, ist das Urteil nicht angegriffen worden. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß es auch den Lebensgewohnheiten der Bevölkerungsgruppe mit niedrigem Einkommen entspricht, zur Musikerziehung den Kindern das Erlernen des Blockflötenspieles zu ermöglichen. Insoweit gehören Aufwendungen für den Blockflötenunterricht zum notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des § 12 Abs. 1 BSHG und sind nicht zu vergleichen mit denen für anderweitigen privaten Musikunterricht (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 14. Februar 1994 - 6 S 1684/92 -, FEVS Bd. 45 S. 253). Nicht gefolgt werden kann dem Verwaltungsgericht allerdings in der Annahme, daß es der Klägerin zuzumuten gewesen wäre, sich wegen der Musikunterrichtshefte an ältere Schüler zu wenden mit der Bitte, ihr deren nicht mehr benötigte Hefte zu überlassen. Es mag zwar früher einen gewissen "Markt" für gebrauchte Unterrichtsbücher und -hefte gegeben haben. Insoweit haben sich aber, wie allgemein bekannt ist, mit der Einführung der Lernmittelfreiheit die Verhältnisse geändert, da seither ein allgemeines Bedürfnis für die Weitergabe derartiger Lernmittel unter den. Schülern nicht mehr besteht. Jedenfalls heutzutage geht deshalb die Verpflichtung des Sozialhilfeempfängers, von den vorhandenen Möglichkeiten zur Selbsthilfe Gebrauch zu machen, nicht mehr so weit, daß ein Kind ältere Mitschüler gleichsam "anbetteln" und damit die ungünstigen finanziellen Verhältnisse der Familie offenlegen muß. Die Anschaffung der Unterrichtshefte ist deshalb ebenso wie die der Blockflöte selbst ein einmalig auftretender Bedarf eines Schülers, so daß für ihn eine einmalige Leistung zu gewähren ist. Daß die von der Klägerin genannten Hefte für eine ordnungsgemäße Unterweisung nicht erforderlich oder die genannten Preise (insgesamt 110,70 DM) unzutreffend seien, hat die Beklagte nicht eingewandt. Daß die Hefte vorrangig von der Schule im Rahmen der Lernmittelfreiheit zur Verfügung gestellt werden müßten, ergibt sich aus dem niedersächsischen Gesetz über Lernmittelfreiheit vom 24. April 1991 - NLFrG - (Nds. GVBl. S. 174), geändert durch Gesetz vom 23. Juni 1993 (Nds. GVBl. S. 178) nicht. Dieses regelt nur, inwieweit den Schülern Lernmittel zum Gebrauch im Unterricht zur Verfügung zu stellen sind (§ 3 NLFrG) und erstreckt sich nicht auf Lernmittel für den Gebrauch in Arbeitsgemeinschaften - wie hier dem Blockflötenunterricht -, die die Schulen neben dem regulären Unterricht anbieten und an denen teilzunehmen den Schülern freigestellt ist.

36

Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Beihilfe für die Beschaffung des Englischarbeitsheftes zutreffend verneint. Nach §§ 3 Abs. 1 und 5 NLFrG hat sie einen vorrangigen Anspruch gegen die Schule auf Überlassung dieses Heftes als Lernmittel. Nach § 1 der VO zur Durchführung des NLFrG vom 14. Mai 1991 - NLFrVO - (Nds. GVBl. S. 187) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 2. April 1992 (Nds. GVBl. S. 92) gelten Arbeits- und Übungshefte auch dann als Lernmittel im Sinne des § 2 NLFrG, wenn sie durch Eintragungen verbraucht werden.

37

Bei den übrigen Gegenständen, für deren Beschaffung die Klägerin eine Beihilfe begehrt, handelt es sich offensichtlich nicht um Dinge, die deshalb zum Schuljahresbeginn neu beschafft werden müßten, weil neue Unterrichtsinhalte in der 5. Klasse besondere Materialien und/oder Geräte erstmals erforderlich machten. Es handelt sich um einen laufenden Ersatzbedarf, wie er bei allen Schülern ständig auftritt. Dieser ist als Regelbedarf mit den Regelsätzen abgegolten. Eine "Aufstockung" des Regelsatzes etwa für den Antragsmonat oder den Monat des Beginns des neuen Schuljahres für den Fall, daß die Bemessung des Regelsatzes zur Deckung des Bedarfs nicht ausreicht, kommt - wie oben ausgeführt - nicht in Betracht. Das gilt auch insoweit, als die Schule von den Schülern im voraus die Zahlung von 50,-- DM für die Beschaffung der verschiedenen Arbeitsmaterialien für den Unterricht im Laufe des Schuljahres verlangt. Hier ist es der Klägerin bzw. ihrer Mutter zuzumuten, sich mit der Schule in Verbindung zu setzen und im Hinblick auf ihre besondere Situation - sie dürfte insoweit nicht ein Einzelfall sein - einen Zahlungsaufschub oder eine Ratenzahlung zu erwirken. Daß dies erfolglos versucht worden wäre, hat die Klägerin nicht vorgetragen.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

39

Der Senat läßt die Revision zu, da die Frage, ob und in welchem Umfang zur Deckung der Kosten für Lern- und Arbeitsmittel, die im Laufe des Schulbesuchs eines Kindes - insbesondere zum Beginn des Schuljahres - zu beschaffen sind, einmalige Leistungen im Sinne des § 21 Abs. 1 BSHG zu bewähren sind, grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu nicht vorliegt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

40

Willikonsky

41

Zeisler

42

Berthold