Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 21.12.1993, Az.: 4 A 4115/93

Anordnung der unteren Wasserbehörde zur Sanierung eines ehemaligen Betriebsgeländes; Bestimmung des Verhaltensstörers für die Verunreinigung eines Bodens durch Teerölrückstände

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
21.12.1993
Aktenzeichen
4 A 4115/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 23460
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:1993:1221.4A4115.93.0A

Verfahrensgegenstand

Wasserrecht

Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen hat
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Dezember 1993
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Prilop,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Wenderoth und
den Richter Pardey sowie
die ehrenamtlichen Richter Groffmann und Hackethal
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin betrieb von 1891 bis 1967 auf dem Gebiet der Stadt ... ein Schwellenwerk (sog. "Schwellentränke"), in dem Holzschwellen, die für Gleisanlagen benötigt wurden, durch Behandlung mit Steinkohlenteeröl imprägniert wurden. Bei diesem Vorgang fielen u.a. mit Teeröl verunreinigte Abwässer an, die die Klägerin zum Teil über eine unmittelbar auf dem Betriebsgelände befindliche Sickergrube, zum anderen Teil über ein offenes Gewässer in den ... ableitete. Im Jahr 1955 legte die Klägerin unter Beteiligung des Wasserwirtschaftsamtes ... zudem einen Schluckbrunnen an, über den die Abwässer teils direkt in das Grundwasser, teils über radial vom Schluckbrunnen ausgehende Drainageleitungen in den Bereich des Grundwasserleiters abgeleitet wurden.

2

Die Klägerin stellte den Betrieb des Schwellenwerkes im Jahr 1967 ein und veräußerte den Grundstücksteil, auf dem sich der Schluckbrunnen befand, an die ... AG, die dort seitdem einen Produktionsbetrieb unterhält. Zwischen 1971 und 1974 wurde ein Teil des Geländes des ehemaligen Schwellenwerkes saniert, nachdem bei Untersuchungen Belastungen von Boden und Grundwasser mit Kohlenwasserstoffen ermittelt worden waren. Im Jahr 1983 wurden anläßlich der Bauarbeiten zur Errichtung der DB-Schnellstrecke ... weitere Verunreinigungen des Bodens im Bereich der ehemaligen Betriebsstätte festgestellt. Es folgten 1984 erneute Bodenuntersuchungen, die ergaben, daß sich im Untergrund des ehemaligen Schwellenwerks Verunreinigungen mit Teeröl befanden, die bis in grundwasserführende Bodenschichten reichten.

3

In der Folgezeit ließ die Klägerin, wie von dem Beklagten aufgegeben, im Bereich des ehemaligen Schwellenwerks Bodenuntersuchungen durchführen und ein entsprechendes Gutachten erstellen. Da die durchgeführten Untersuchungen nach dem Ergebnis einer am 05.10.1989 zwischen den Beteiligten durchgeführten Besprechung noch nicht zweifelsfrei Festlegungen über Sanierungsumfang und -art zuließen, wies der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 10.10.1989 unter anderem an, zwecks Festlegung des Sanierungsumfanges bis zum 01.05.1990 ein zusätzliches Gutachten mit einem Sanierungsvorschlag und einem Zeitplan zur Sanierung vorzulegen.

4

Hiergegen legte die Klägerin zunächst Widerspruch ein, ließ anschließend jedoch die geforderten Maßnahmen vornehmen, so daß die Verfügung des Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 08.09.1992 für erledigt erklärt wurde. Das Anfang September 1990 übergebene Sanierungsgutachten der ... und ... Consulting GmbH ... vom 15. Juni 1990 legte drei, mittels eines Lageplanes bestimmte, das Sanierungsgebiet bildende Kontaminationsbereiche fest. Dabei handelt es sich um die außerhalb des klägerischen Betriebsgeländes gelegenen Bereiche des ehemaligen Schluckbrunnens und des ... (Anlage 2 und 3 des Gutachtens) sowie den innerhalb liegenden Bereich der ehemaligen Sickergrube (Anlage 2 des Gutachtens). Die Gutachter ermittelten Verunreinigungen des Bodens und des Grundwassers mit Phenolen, polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) und Benzol, Toluol und Xylol (BTX). Dabei ergab sich, daß die festgestellten Belastungswerte für Boden und Grundwasser teilweise um ein Vielfaches über den B- und C-Werten des niederländischen Leitfadens zur Bodensanierung von 1989 lagen. Für den Bereich des Schluckbrunnens hieß es, der Boden im Bereich des Grundwasserleiters stelle wegen des Zusammentreffens der PAK mit BTX und Phenolen als Lösungsvermittler eine potentielle Emissionsquelle dar, aus welcher permanent Schadstoffe in das Grundwasser abgegeben werden könnten. Es bestehe hiernach langfristig die Gefahr, daß diese Schadstoffe die im Abstrom befindlichen Wassergewinnungsanlagen erreichten. Für den Bereich des ... stellten die Gutachter fest, daß vom oberen, unverrohrten Abschnitt und im weiteren Grabenverlauf zumindest vom oberflächennahen Grabenbereich Schadstoffe in Lösung gehen und mit dem Grundwasser bzw. dem Oberflächenwasser in Abstromrichtung transportiert werden, wodurch die in 1 km Entfernung vom ... befindlichen Wasserversorgungsanlagen der Kleingärten gefährdet werden könnten.

5

Die Gutachter erarbeiteten für die drei Bereiche jeweils zwei Konzepte zur Sicherung bzw. Sanierung, die mit "Sanierungsvariante I" und "Sanierungsvariante II" bezeichnet wurden. Das Gutachten erörterte dabei zunächst den als vorrangig angesehenen Sanierungsbedarf für den Bereich "Schluckbrunnen". Für dessen Sanierung wurden konkrete Vorgaben gemacht sowie ein Zeitplan zur Sanierung erstellt. Der Bereich soll nach beiden Sanierungsvarianten u.a. mit einer bis in die Tiefe des Grundwasserleiters reichenden Dichtwand sowie - nach zwei Seiten - einer Spundwand umgeben werden. Die Wände sollen danach teilweise auf dem Grundstück der Klägerin verlaufen. Die Kosten dieser Maßnahme wurden für die weniger aufwendige "Sanierungsvariante I" mit ca. 7 Mio. DM beziffert. Im Anschluß hieran ging das Gutachten auf die als nachrangig bezeichnete Sanierung der Bereiche "..." und ... ein, wobei im wesentlichen auf die Ausführungen zum Bereich "..." Bezug genommen wurde.

6

Mit Bescheid vom 13.09.1990 forderte der Beklagte die Klägerin auf, bis spätestens 01.04.1991 mit der Sanierung des nicht zum DB-Betriebsgelände gehörenden Geländes der ehemaligen Schwellentränke zu beginnen und zügig gemäß dem Zeitplan (Variante I) des Gutachtens zu verfahren. Der Bescheid nahm Bezug auf die Verfügung vom 10.10.1989; er enthielt keine Begründung. Die Klägerin legte hiergegen fristgerecht Widerspruch ein, den die Bezirksregierung ... mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.1992 - zugestellt am 14.09.1992 - zurückwies. Zur Begründung führte die Bezirksregierung im wesentlichen aus, das Gutachten vom 15.06.1990 belege eine Verunreinigung des Grundwassers im Bereich der ehemaligen Schwellentränke. Hieraus ergebe sich eine Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung. Die angefochtene Verfügung sei ferner bestimmt genug und lasse keine Ermessensfehler hinsichtlich der Störerauswahl erkennen. Insoweit sei beachtlich, daß die Verfügung das PGC-Gutachten in Bezug nehme, aus dem sich der konkrete Sanierungsumfang ergebe. Die Klägerin habe die Grundwasserverunreinigung verursacht und sei deshalb Handlungsstörerin. Besondere Gründe, die, abweichend von dem Grundsatz der vorrangigen Inanspruchnahme des Handlungsstörers, eine Inanspruchnahme des Zustandstörers rechtfertigten, lägen nicht vor. Es sei nicht erkennbar, daß die ... AG besser zur Gefahrenbeseitigung geeignet oder finanziell leistungsfähiger sei als die Klägerin. Zudem sei in Anbetracht der voraussichtlichen Sanierungskosten von 7 Mio. DM die Eigentümerverantwortlichkeit grundrechtlich eingeschränkt. Schließlich liege weder ein Eingriff in den Hoheitsbereich der Klägerin noch eine legalisierende Genehmigung für die störenden Handlungen vor.

7

Hiergegen hat die Klägerin am 13.10.1992 Klage erhoben.

8

Sie ist der Ansicht, die angegriffene Verfügung sei nicht hinreichend bestimmt, nachdem sich die Verfügung vom 10.10.1989, auf die sich der angefochtene Bescheid bezieht, erledigt habe. Eine Gefahr liege nicht vor. Die Art der Abwasserbeseitigung über den Schluckbrunnen habe seinerzeit dem Stand der Technik entsprochen. Die Klägerin habe den Schluckbrunnen auf Anraten und mit Genehmigung des Wasserwirtschaftsamtes ... errichtet. Es sei auch ein Planfeststellungsverfahren nach dem Bundesbahngesetz - Unterlagen hierüber existieren nicht - durchgeführt worden. Das Verhalten, das damals rechtmäßig gewesen sei und keine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes begründet habe, könne nunmehr keine objektive Gefahrenlage im Sinne des Polizei und Ordnungsrechtes begründen. Die Klägerin sei für die Sanierung zudem nicht verantwortlich. Die Verantwortlichkeit für einen die Öffentliche Ordnung störenden Zustand des Geländes habe sich durch Zeitablauf mehr und mehr auf den neuen Eigentümer die ... verlagert. Die Rechtsprechung gehe in solchen Fällen von einem "Verwachsungseffekt" aus. Für die ... AG greife eine Haftungsbegrenzung nicht ein, da ihr die seinerzeitige Verwendung des Geländes als Betriebsgrundstück der Klägerin und Schwellentränke bekannt gewesen sei. Zudem sei die Verfügung ohne flankierende Duldungsverfügungen gegenüber den betroffenen Grundstückseigentümern nicht durchführbar, da sie sich auf ein Gelände beziehe, das nicht im Eigentum der Klägerin stehe.

9

Die Klägerin beantragt,

die Verfügung des Beklagten vom 13.09.1990 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung ... vom 08.09.1992 aufzuheben.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung bezieht er sich im wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt er vor, ein "Verwachsungseffekt" sei angesichts der Tatsache, daß die Störungshandlung weder lange zurückliege noch lange unentdeckt geblieben sei, nicht eingetreten. Überhaupt sei die hierzu angeführte Rechtsprechung auf den Bereich des Abfallrechts zugeschnitten und auf das Wasserrecht nicht übertragbar. Der Verfügung stehe ferner nicht entgegen, daß keine flankierenden Duldungsverfügungen erlassen worden seien. Sie sei deswegen weder nichtig noch rechtswidrig. Aus dem bisherigen Verhalten der ... AG könne geschlossen werden, daß sie mit der Durchführung der in der Verfügung angeordneten Maßnahmen auf ihrem Grundstück einverstanden sei bzw. diese dulde. Selbst im Falle einer Ablehnung könne die Duldung noch nachträglich durch Verfügung gegen die ... AG erzwungen werden.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

14

Der Bescheid des Beklagten vom 13.09.1990 und der diesen bestätigende Widerspruchsbescheid sind rechtmäßig.

15

Die Inanspruchnahme der Klägerin zur Sanierung ihres ehemaligen Betriebsgeländes stützt sich auf § 169 Satz 1 Nds. Wassergesetz i.d.F. vom 20.08.1990 (Nds. GVBl S. 371 - NWG). Nach dieser eigenständigen Eingriffsnorm kann der Beklagte als Untere Wasserbehörde (§ 168 Abs. 3 NWG) zum Zwecke des Vollzuges des NWG und zur Abwehr von Gefahren für Gewässer nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Anordnungen einschließlich der Maßnahmen nach dem allgemeinen Recht der Gefahrenabwehr treffen. Hierzu gehört die im Bescheid vom 13.09.1990 verfügte Anordnung der Sanierung.

16

Die Vorschriften des NWG finden in zeitlicher Hinsicht Anwendung, da die in Streit stehende Gewässerverunreinigung bis zur Betriebsstillegung im Jahre 1967 andauerte und somit zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des NWG am 15. Juli 1960 (§ 198 NWG) noch nicht beendet war. Die Verunreinigung unterfällt auch sachlich dem Wasserrecht und nicht dem Abfallrecht, weil es sich bei den verunreinigenden Stoffen mit ihrer Verbindung mit dem Grund und Boden nicht mehr um bewegliche Sachen handelt.

17

Die Anwendung des § 169 Abs. 1 NWG ist schließlich nicht durch § 38 Bundesbahngesetz ausgeschlossen. Die Vorschrift, wonach die ... selbst dafür einzustehen hat, daß ihre dem Betrieb dienenden baulichen Anlagen allen Anforderungen an die öffentliche Sicherheit und Ordnung genügen, schließt zwar aus, daß der Beklagte zur Abwehr wasserrechtlicher Gefahren Maßnahmen in Bezug auf Betriebseinrichtungen der Klägerin ergreift; insoweit ist sie Ausfluß des Rechtsgedankens, daß ein Hoheitsträger nicht in die hoheitliche Tätigkeit eines anderen eingreifen darf (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 08.11.1990 - 3 L 105/89 -, ZfW 1992, S. 317, 318). Sie gilt jedoch nicht für außerhalb dieser Einrichtungen gelegene Bereiche. Diese sind aber allein Gegenstand der angefochtenen Verfügung, da sie ausdrücklich das Betriebsgelände der Klägerin von den angeordneten Maßnahmen ausnimmt. Die Klägerin wird danach durch die Anordnung dieser Maßnahmen nicht in ihrer hoheitlichen Tätigkeit, d.h. ihrer öffentlich-rechtlich geregelten Zuständigkeit, beeinträchtigt. Die von ihr verlangten Handlungen sind vielmehr unabhängig von ihrer hoheitlichen Aufgabenerfüllung zu erbringen. Dem steht nicht entgegen, daß das im Gutachten zum Bereich "..." entworfene Sanierungskonzept einen Teil des im Eigentum der Klägerin stehenden und von ihr noch genutzten Betriebsgeländes miterfaßt. Zwar sollen Teile der Spund- und Dichtwände auch auf bundesbahneigenem Gelände errichtet werden. Bei dieser Maßnahme, die insoweit jedoch ausdrücklich von der Sanierungsverfügung ausgenommen wurde, handelt es sich um die aus sachverständiger Sicht sinnvollste Sanierungslösung.

18

Die Tatsache, daß der Beklagte diese Maßnahme nicht mit ordnungsbehördlichen Zwangsmitteln durchsetzen kann, führt nicht dazu, daß die Verfügung deshalb rechtswidrig ist, weil die mit ihr aufgegebenen Handlungen als ungeeignet im Hinblick auf die angestrebte Sanierung erscheinen. Der Beklagte besitzt nur die rechtliche Möglichkeit, die Sanierung insoweit anzuordnen, als sie das Gebiet außerhalb des Betriebsgrundstückes der Klägerin betrifft. Er darf aber darauf vertrauen, daß sich die Klägerin ihrerseits gesetzestreu verhält (§ 38 Bundesbahngesetz) und die Sanierung auf ihrem Gebiet entsprechend fortführt. Es liegt somit weder ein Eingriff in den Hoheitsbereich der Klägerin vor noch sind die verfügten Maßnahmen ungeeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen.

19

Dem angefochtenen Bescheid mangelt es entgegen der Ansicht der Klägerin ferner nicht an der von § 37 Abs. 1 VwVfG geforderten inhaltlichen Bestimmtheit. Zwar geht unmittelbar aus ihm weder hervor, auf welche Grundfläche er sich bezieht, welche Maßnahmen im einzelnen durchzuführen sind noch welche zeitlichen Vorgaben hierfür gesetzt werden; die Verfügung verwendet insoweit nur unklare Formulierungen ("Flächen außerhalb des DB-Betriebsgeländes", "zügig gemäß Zeitplan (Variante I des Gutachtens) ... zu verfahren").

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Die Einzelheiten ergeben sich aber für jeden mit der Vorgeschichte des Bescheides und dem Sachverständigengutachten vom 15. Juni 1990 vertrauten Betrachter aus den Umständen des Bescheiderlasses. Diese sind bei der Frage der Bestimmtheit zu berücksichtigen (vgl. Kopp, Komm. z. VwVfG, § 37 Rn. 8).

21

Der Beklagte hatte von der Klägerin unmittelbar vor der Verfügung Anfang September 1990 das Sanierungsgutachten der PGC erhalten, in dem die Einzelheiten der Sanierung ausführlich dargestellt wurden. Es war für die Beteiligten offensichtlich, daß der Beklagte mit dem Hinweis auf das Gutachten des Büros ... und ... dieses zur Grundlage seiner Verfügung machen wollte. Aus dem Gutachten ergibt sich dabei die genaue Lage der zur Sanierung vorgesehenen Bereiche (Anlage 2 und 3). Auch nach Herausnahme des flurstückmäßig bezeichneten Betriebsgeländes der Klägerin ist die verbleibende Sanierungsfläche weiterhin eindeutig erkennbar. Sie bezieht sich nur noch auf die Bereiche "..." und ..., nicht aber auf den Bereich der auf DB-Gelände liegenden "...". Der Bereich ... ist zudem auf die Grundfläche des Flurstücks 125/14 begrenzt.

22

Die im einzelnen durchzuführenden Maßnahmen der Sanierung werden in dem Gutachten - nach "Variante I" (Anlage 25) und "Variante II" (Anlage 27) getrennt - zudem ausführlich beschrieben, so daß mit dem Hinweis im Bescheid auf eine Sanierung nach "Variante I" die gebotenen Handlungen bestimmt werden können. Zwar beziehen sich beide Varianten zunächst nur auf die Sanierung des Bereichs "...". Das Gutachten nimmt auf diese Varianten aber bei der Darstellung der Sanierung des hier ebenfalls streitigen Bereiches "Martinsgraben" Bezug. Die Ausführungen gelten daher für diese Bereiche entsprechend. Dabei ist unschädlich, daß das Gutachten für den Bereich ... keine konkreten Angaben über die durchzuführenden Arbeiten enthält und die genaue Bestimmung der zu reinigenden Erdmassen sowie den Sanierungsbedarf der an den Martinsgraben angrenzenden Gräben von einer weiteren Sanierungsplanung abhängig macht. Der Klägerin wurde in der angefochtenen Verfügung zunächst nur aufgegeben, mit der Sanierung des vorrangig sanierungsbedürftigen Bereichs des "..." zu beginnen. Dies schließt nicht aus, daß Einzelheiten der nachrangigen Sanierung des Bereichs "..." erst später festgelegt werden. Es ist daher nicht zu beanstanden, daß der in dem Gutachten enthaltene Sanierungszeitplan (Anlage 26) sich allein auf den Bereich "..." bezieht.

23

Auch ein Verstoß gegen § 39 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Nds. VwVfG ist nicht zu erkennen. Zwar fehlt dem angefochtenen Bescheid eine schriftliche Begründung; dieser Mangel wurde jedoch gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG durch den Widerspruchsbescheid vom 08.09.1992 geheilt.

24

Die angefochtene Verfügung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 169 NWG sind erfüllt. Es besteht eine konkrete Gefahr für ein Gewässer, nämlich sowohl für ein oberirdisches Gewässer i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1a NwG ... als auch für das Grundwasser i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 2 NwG. Nach dem dem Gericht vorliegenden Gutachten der PGC vom 15.06.1990, dessen inhaltliche Richtigkeit weder die Beteiligten noch die Kammer bezweifeln, ist der Boden im Bereich des "Schluckbrunnens" und des "..." durch Teeröle verunreinigt. Es wurden sowohl im Boden als auch im Grundwasser unter dem Boden Giftstoffkonzentrationen nachgewiesen, die die tolerablen Werte weit überschreiten. Die Gewässer in den genannten Bereichen sind daher von der Klägerin bereits verunreinigt worden, es besteht jedoch die Gefahr der Verstärkung dieser Verunreinigungen durch Auswaschung weiterer Schadstoffe aus dem kontaminierten Boden. Hierdurch wird letztlich auch die öffentliche Wasserversorgung bedroht.

25

Die Heranziehung der Klägerin als Verantwortliche für die Sanierung ist ermessensgerecht. Die Klägerin ist nach den für das Wasserrecht entsprechend heranzuziehenden Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts Verhaltensstörerin i.S.d. § 6 Nds. SOG. Die in den Bereichen "..." und "..." Im Boden vorgefundenen, die Gewässergefährdung verursachenden Verunreinigungen durch Teerölrückstände gehen - auch zwischen den Beteiligten unstreitig - auf den Betrieb der ehemaligen Schwellentränke durch die Klägerin zurück. Die Klägerin ist danach für die in diesen Bereichen bestehende Gefährdung von Grund- und Oberflächenwasser als Verhaltensstörerin verantwortlich.

26

Diese Verantwortlichkeit entfällt für den Bereich "Schluckbrunnen" nicht deswegen, weil die Klägerin vor der Errichtung das Wasserwirtschaftsamt Hildesheim beteiligt hat.

27

Dieses Amt hatte nach den damals geltenden Vorschriften lediglich die Aufgabe, fachlich zu beraten, und war nicht Genehmigungsbehörde. Aus seiner Beteiligung läßt sich deshalb eine Einschränkung der Handlungsverantwortlichkeit weder unter dem Gesichtspunkt der Legalisierung noch unter demjenigen der fehlenden Erkennbarkeit der Gefahrverursachung ableiten.

28

Es mag sein, daß die Anlage eines Schluckbrunnens seinerzeit dem Stand der Technik entsprach. Die Kammer folgt indes nicht der in der Literatur vertretenen Ansicht, daß in diesen Fällen die Inanspruchnahme des Handlungsstörers an dem Verbot der Rückwirkung belastender Gesetze scheitert (vgl. Papier NVwZ 1987, S. 256, 259 [VG Aachen 19.03.1985 - 5 K 1721/83]).

29

In der Änderung wissenschaftlicher Erkenntnisse liegt zum einen keine Änderung der Rechtslage; zum anderen würde diese Ansicht zu einer von der Kammer für systemwidrig erachteten, verschuldensabhängigen Handlungshaftung führen.

30

Darüber hinaus läßt sich eine, die Verantwortlichkeit der Klägerin möglicherweise ausschließende Legalisierungswirkung auch nicht aus der Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Bundesbahngesetz oder eines vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach § 36 Abs. 2 Bundesbahngesetz ableiten. Die Kammer hat Zweifel, ob diese, unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes vertretene Einschränkung der Störerverantwortlichkeit (vgl. Papier DVBl. 1985, S. 873, 877) überhaupt auf Genehmigungen Anwendung findet, die sich der Störer, wie es hier der Fall wäre, selbst erteilt. Diese Bedenken brauchen indes nicht vertieft zu werden, da davon auszugehen ist, daß ein solches Verfahren nicht durchgeführt wurde. Die Klägerin, die allein hierzu in der Lage gewesen wäre, hat keinerlei Unterlagen vorlegen können. Dieses geht zu ihren Lasten, die sie sich auf die Legalisierungswirkung beruft.

31

Die Klägerin ist in ihrer Verhaltensverantwortlichkeit schließlich auch nicht dadurch eingeschränkt, daß sie das Flurstück 125/14, auf dem sich der Schluckbrunnen befindet, nach Einstellung des Betriebes des Schwellenwerkes im Jahr 1967 an die ... veräußert hat. Durch die Veräußerung ist die wasserrechtliche Verantwortlichkeit der Klägerin nicht erloschen. Die ... ist als Eigentümerin des Flurstücks vielmehr zusätzlich als Zustandsstörerin (§ 7 Nds. SOG) neben die Klägerin getreten. Die Verantwortlichkeit für sog. "Altlasten" trifft nebeneinander den Ablagerer, den Besitzer und den Eigentümer. Sie ist für den Verhaltensstörer, hier also die Klägerin, zeitlich nicht begrenzt.

32

Die von dem Beklagten vorgenommene Störerauswahl läßt Ermessensfehler nicht erkennen. Die Kammer folgt dem in Rechtsprechung (vgl. nur Beschluß des Bay. VGH vom 13.05.1986 - 20 CS 86.00338 - DVBl. 1986, S. 1283) und Literatur (vgl. Drews/Wacke/Vogel, § 19 Rn. 6c) anerkannten Grundsatz der vorrangigen Inanspruchnahme des Verhaltensstörers. Die Klägerin kann die von ihr geforderten Maßnahmen rechtlich und tatsächlich durchführen und verfügt auch über die erforderlichen-finanziellen Mittel, um die Gefahr schnell und wirksam zu beseitigen. Die Gefahrenlage kann auch nicht schneller, einfacher oder wirksamer von der ... beseitigt werden. Demgegenüber verfängt der Hinweis der Klägerin auf die vom Bay. VGH a.a.O. für zulässig erachtete Inanspruchnahme des Zustandstörers, hier also der ... rechtlich nicht. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß unter gewissen, in dem angeführten Beschluß näher erläuterten, Voraussetzungen auch die Inanspruchnahme des Zustandstörers ermessensgerecht sein kann. Daraus läßt sich nicht der Umkehrschluß ableiten, daß in diesen Fällen die Inanspruchnahme des zur umgehenden, schnellen und effektiven Gefahrbeseitigung fähigen Handlungsstörers ermessensfehlerhaft wäre. Im übrigen liegen die Voraussetzungen, unter denen die Inanspruchnahme des Zustandsstörers für rechtmäßig gehalten wird - mangelnde Erreichbarkeit oder Fähigkeit zur Gefahrbeseitigung des Handlungsstörer oder Verschulden des ordnungswidrigen Zustandes durch den Eigentümer - hier nicht vor.

33

Schließlich ist die Verfügung des Beklagten auch nicht deswegen fehlerhaft, weil dieser keine flankierenden Duldungsverfügungen an den Grundstückseigentümer erlassen hat. Von der, Klägerin wird kein rechtswidriges Verhalten verlangt. Nach bisherigem Kenntnisstand sind die Grundstückseigentümer, insbesondere die ... auf deren Grundstück die Sanierung zunächst durchgeführt werden soll, mit der Durchführung der Sanierungsmaßnahmen durch die Klägerin einverstanden, so daß für den Erlaß von Duldungsverfügungen keine Veranlassung besteht. Sollten dennoch eigentumsrechtliche Einwände erhoben werden, kann eine entsprechende Duldungsverfügung auch noch nachträglich ausgesprochen werden. In diesem Falle wäre die Verfügung nicht "schwebend" rechtswidrig, sondern könnte nur vorübergehend nicht vollzogen werden.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

35

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre gesetzliche Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

36

Rechtsmittelbelehrung

37

Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft.

38

...

Prilop
Pardey
Dr. Wenderoth