Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 05.03.2014, Az.: 1 B 168/14
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 05.03.2014
- Aktenzeichen
- 1 B 168/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 13821
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2014:0305.1B168.14.0A
[Gründe]
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Zypern.
Hierfür kann ihm die beantragte Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten nicht gewährt werden, weil sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes keine hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne der §§ 166 VwGO, 114 ff ZPO hat. Die Kostenentscheidung beruht insoweit auf §§ 83b AsylVfG; 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Januar 2014 ausgesprochene Abschiebungsanordnung nach Zypern anzuordnen, hat keinen Erfolg. Das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung dieser Verfügung überwiegt das Interesse des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung über seine Klage vorerst im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, weil die Abschiebungsanordnung rechtmäßig ist.
Nach § 34a AsylVfG ordnet das Bundesamt u.a. die Abschiebung in den nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dabei ist nach § 27a AsylVfG ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Für das Asylverfahren des Antragstellers ist die Republik Zypern zuständig. Dies folgt aus Art. 13 der hier noch anwendbaren VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates (ABl. L, 50). Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung nicht bestimmen, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, so ist danach der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Hier steht die Zuständigkeit der Republik Zypern fest. Durch einen sog. EURODAC Treffer der Kategorie 1 ist belegt, dass der Antragsteller im Jahr 2007 in Zypern einen Asylantrag gestellt hat. Dies hat der Antragsteller auf Vorhalt im Rahmen der Anhörung bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 12. September 2012 auch eingeräumt. Damit ist die Republik Zypern nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. c der VO (EG) Nr. 343/2003 verpflichtet, den Antragsteller nach Maßgabe des Art. 20 der VO (EG) Nr. 343/2003 wieder aufzunehmen.
Diese Verpflichtung ist nicht nach Art. 20 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 343/2003 erloschen, weil nicht davon auszugehen ist, dass der Antragsteller das Gebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat. Die Angabe des Antragstellers, er sei wieder in den Iran zurückgekehrt, glaubt die Einzelrichterin nicht. Sein Vorbringen ist dabei bereits widersprüchlich was den Zeitpunkt der angeblichen Rückkehr angeht. So hat er bei der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angegeben, er sei im Oktober/November 2007 zurückgekehrt. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens macht er hingegen geltend, er sei im Jahr 2008 in Zypern gewesen und in diesem Jahr auch in den Iran zurückgekehrt. Hier passt der Antragsteller seine Angaben offensichtlich dem Umstand an, dass nach den Feststellungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die Abnahme der Fingerabdrücke in Zypern im Dezember 2007 erfolgt ist, so dass eine Rückkehr des Antragstellers in sein Heimatland im Oktober oder November 2007 ausgeschlossen werden konnte. Im Übrigen hat der Antragsteller bei der Anhörung vor dem Bundesamt auch zunächst insoweit unwahre Angaben gemacht, als er behauptet hat, er habe in der Vergangenheit noch keinen Asylantrag in einem Mitgliedstaat gestellt. Erst nachdem ihm der EURODAC - Treffer vorgehalten wurde, hat er dies eingeräumt. All dies rechtfertigt den Schluss, dass das Vorbringen des Antragstellers zur Dauer seines Aufenthaltes in Zypern weniger an der Wahrheit als an taktischen Erwägungen orientiert ist. Es ist insgesamt unglaubhaft.
Die Zuständigkeit für das Asylverfahren ist nicht nach Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 2 der VO (EG) Nr. 343/2003 auf die Antragsgegnerin übergegangen. Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist danach der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Asylantrag gestellt wurde. Diese Vorschrift ist, was bereits der Wortlaut zeigt, nur auf Antragsteller anwendbar, die noch keinen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt haben, d.h. auf Asylbewerber im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der VO (EG) Nr. 343/2003. Hingegen ist das Gesuch um Wiederaufnahme nach Art. 20 Abs. 1 i.V. mit Art. 16 Abs. 1 Buchst. c der VO (EG) 343/2003 nicht fristgebunden (so auch z.B. VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 806/13 -, [...]; VG Regensburg, Beschl. v. 5.7.2013 - RN 5 S 13.30273 -, [...]).
Die Antragsgegnerin hat weiter nicht bereits von dem sog. Recht zum Selbsteintritt Gebrauch gemacht, das sich aus Art. 3 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 343/2003 ergibt. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird hierdurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung. Dabei steht es grundsätzlich in dem Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaates, ob er in das Asylverfahren im Sinne der genannten Vorschrift eintritt (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C- 411/10 -, [...]).
Eine bloß routinemäßige Anhörung des Asylbewerbers zu den Gründen der Verfolgungsfurcht für sich genommen bringt regelmäßig nicht hinreichend zum Ausdruck, die Antragsgegnerin habe sich entschlossen, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, das Asylverfahren abweichend vom Regelfall in seiner "Gesamtheit" in eigener Verantwortung durchzuführen. Vielmehr dient die Anhörung gerade auch dem Ziel, Angaben über Reisewege und Aufenthalte in anderen Staaten sowie darüber zu erhalten, ob bereits in anderen Staaten ein Verfahren mit dem Ziel der Anerkennung als ausländischer Flüchtling oder ein Asylverfahren eingeleitet oder durchgeführt ist und soll gerade auch eine Grundlage für eine Entscheidung nach § 27a AsylVfG sein (vgl. VG des Saarlandes, Urt. v. 24.09.2008 - 2 K 94/08 - [...]).
Der Antragsteller kann zuletzt nicht verlangen, dass die Antragsgegnerin von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht. Es gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - steht. Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Es obliegt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs den nationalen Gerichten, einen Asylbewerber nicht an den nach der VO (EG) Nr. 343/2003 zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung ausgesetzt zu werden. Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ist in einem solchen Fall verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u.a., NVwZ 2012, 417, 419 ff. [EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10]).
Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel rechtfertigen nicht den Schluss, dass in der Republik Zypern derartige systemische Mängel vorliegen. Die von dem Antragsteller genannte Dokumentation "Asyl in der Republik Zypern" der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrantinnen e.V. aus dem Jahr 2013 sowie die Berichte von Amnesty International ("Punishment without a Crime", Januar 2012; Report 2013) sprechen allerdings von Mängeln im Hinblick auf das Asylverfahren in Zypern; v.a. sei es zu europarechtswidrigen Verhaftungen gekommen. In der Dokumentation "Asyl in der Republik Zypern" wird zudem u.a. auch über Probleme von Asylbewerbern im Bereich der Arbeitsaufnahme, Unterbringung und Versorgung berichtet. Die tatsächliche Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. des Art. 4 der Charta der Grundrechte folgt aber nicht bereits daraus, dass einzelne Bestimmungen des Unionsrechts zur Behandlung von Asylbewerbern nicht angewendet werden, selbst wenn dies in einer Vielzahl von Einzelfällen erfolgt. Systemische Mängel im oben genannten Sinne können vielmehr nur dann angenommen werden, wenn die für den Fall einer Überstellung drohenden Beeinträchtigungen ihre Ursache in strukturellen, systembedingten Defiziten des Asyl- und Aufnahmeverfahrens haben, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen geäußert haben müssen. Erforderlich ist weiter, dass diese systemischen Mängel eine tatsächlich konkrete Gefahr von gravierenden Verletzungen von unionsrechtlich garantierten Grundrechten bewirken (vgl. zum Vorst: auch Hailbronner, Ausländerrecht, § 34a AsylVfG Rn. 26. m.w.N.). Um dies anzunehmen, reichen die Ausführungen in den genannten Berichten nicht aus. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach den Äußerungen des Vertreters des UNHCR in Zypern, die Situation im Hinblick auf die Asylsuchenden in Zypern zu managen sei. Größere Probleme bestünden ungeachtet einiger Lücken und Schwächen nicht (Famagusta Gazette, 3.2.3014; http://famagusta-gazette.com).
Aus der persönlichen Situation des Antragstellers ergibt sich ebenfalls keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die dies notwendig machten, sind nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat individuelle konkrete Gefährdungstatbestände nicht glaubhaft gemacht.
Zuletzt liegen keine inlandsbezogene Abschiebungs- oder Vollstreckungshindernisse vor. Nach allem steht im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO; 83 b AsylVfG.