Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 10.12.1997, Az.: 5 A 149/95
Erhebung von Sondernutzungsgebühren für die Zufahrt zu einem Grundstück; Errichtung neuer oder Änderung bestehender Zugänge zu Landes- und Kreisstraßen außerhalb der Ortsdurchfahrten; Bestandsschutz bei erlaubnisfreiem Gemeingebrauch; Zustand von Dauer bei dem Begriff "dienen soll"
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 10.12.1997
- Aktenzeichen
- 5 A 149/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 11158
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:1997:1210.5A149.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 GebFstrVO,NI
- § 8 Abs. 3 FStrG
- § 21 NStrG,NI
- § 18 Abs. 1 NStrG,NI
- § 20 Abs. 2 NStrG,NI
- § 20 Abs. 3 NStrG,NI
- § 24 Abs. 2 NStrG,NI
- § 24 Abs. 7 NStrG,NI
Fundstellen
- NZM 1998, 384
- NdsVBl 1999, 22-23
Verfahrensgegenstand
Sondernutzungsgebühr
Prozessführer
Dipl.-Kaufmann ...
Prozessgegner
Straßenbauamt Lüneburg, Am Alten Eisenwerk 2 d, 21339 Lüneburg,
Redaktioneller Leitsatz
Zufahrten und Zugänge zu Landes- und Kreisstraßen außerhalb der Ortsdurchfahrten gelten als Sondernutzung, wenn sie neu angelegt oder geändert werden. Das ist dann der Fall, wenn sie gegenüber dem bisherigen Zustand sowohl einem erheblich größeren als auch einem andersartigen Verkehr dienen. Die Änderung einer Zufahrt setzt dabei keine bauliche Veränderung voraus. Wie das Merkmal "dienen soll" erkennen läßt, ist ein objektiver Zustand maßgebend; denn mit dem Begriff "dienen" wird ein Zustand von Dauer beschrieben, der nicht von ständig wechselnden Verhältnissen und nicht von den subjektiven Vorstellungen der Betroffenen abhängig ist. Das Hinzutreten einer weiteren Wohneinheit auf einem Grundstück verursacht nach dem anzulegenden objektiven Maßstab einen erheblich größeren Kraftfahrzeugverkehr. Da erfahrungsgemäß die Bewohner jeder Wohneinheit mindestens ein Kraftfahrzeug haben und einen auf die jeweilige Wohneinheit bezogenen weiteren Kraftfahrzeugverkehr auslösen, wird durch eine zweite Wohneinheit der zu erwartende Verkehr verdoppelt. Für vorhandene und unverändert gebliebene Altzufahrten gilt, dass sie keine Sondernutzungen darstellen, sondern im Wege des Bestandschutzes zu den Straßennutzungen im Rahmen des erlaubnisfreien Gemeinbrauchs zu rechnen sind.
In der Verwaltungsrechtssache
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 1997
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts ...,
die Richterin am Verwaltungsgericht ... und
den Richter am Verwaltungsgericht ... sowie
die ehrenamtliche Richterin ... und den ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Sondernutzungsgebühren für die Zufahrt zu seinem Grundstück.
Mit Bescheid vom 26. November 1993 erteilte der Landkreis Lüneburg dem Kläger auf dessen Antrag die Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung eines Wohnhauses in zwei Wohneinheiten auf dem Grundstück ... in ... Da das
Grundstück an der freien Strecke der Landesstraße ... und nicht im Bereich eines festgesetzten Bebauungsplanes liegt, genehmigte der Beklagte zuvor mit Bescheid vom 4. Oktober 1993 eine Ausnahme vom Bauverbot. In Ziff. 13 des Bescheides wies er darauf hin, daß die Inanspruchnahme und Nutzung einer Zufahrt im Außenbereich von Ortsdurchfahrten Sondernutzung sei, für die eine Sondernutzungsgebühr festgesetzt werde.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 1994 setzte der Beklagte für die Nutzung der Zufahrt an der Landesstraße ... durch den Kläger eine jährliche Sondernutzungsgebühr in Höhe von 90,00 DM fest, zahlbar bis zum 1. April eines jeden Jahres. Er wies darauf hin, daß der für das laufende Rechnungsjahr 1995 zu zahlende Betrag von 90,00 DM bis zum 1. April 1995 fällig sei. Mit weiterem Bescheid vom 15. Dezember 1994 forderte der Beklagte von dem Kläger die Zahlung der Sondernutzungsgebühr in Höhe von 90,00 DM für das Jahr 1994.
Mit Schreiben vom 11. Januar 1995 legte der Kläger gegen die Bescheide des Beklagten über die Erhebung von Sondernutzungsgebühren vom 15. Dezember 1994 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, daß es sich um eine seit mehr als 25 Jahren bestehende Zufahrt zu einem ebenfalls seit dieser Zeit vorhandenen Wohngebäude handele. Mit der Baugenehmigung vom 14. Mai 1968 sei auch die Erlaubnis für die Zufahrt zur freien Strecke der Landesstraße erteilt worden. Eine Sondernutzungsgebühr sei nicht festgesetzt worden. Durch den jetzt genehmigten Umbau und den Ausbau des Dachgeschosses in dem genehmigten Wohnhaus sei keine Änderung in der Benutzung der Zufahrt eingetreten. Im übrigen entbehre die Erhebung von Sondernutzungsgebühren für zwei Wohneinheiten à 45,00 DM jeglicher Grundlage, da eine Wohneinheit bereits vorher vorhanden gewesen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 1995 - zugestellt am 2. November 1995 - wies das Niedersächsische Landesamt für Straßenbau den Widerspruch des Klägers zurück und gab zur Begründung an, daß Zufahrten und Zugänge zu Landesstraßen außerhalb der Ortsdurchfahrt als Sondernutzung anzusehen seien, wenn sie neu angelegt oder geändert würden. Eine Änderung liege auch vor, wenn eine Zufahrt gegenüber dem bisherigen Zustand einem erheblich größeren oder andersartigen Verkehr als bisher dienen solle. Durch das Bauvorhaben des Klägers werde die Zufahrt für zwei Wohneinheiten genutzt. Aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung könne angenommen werden, daß sich der Zu- und Abgangsverkehr durch eine weitere Wohneinheit erhöhe.
Der Kläger hat am 27. November 1995 Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, daß infolge des Umbaus des Wohnhauses die Nutzung der vorhandenen Zufahrt nicht zugenommen, sondern sich vielmehr verringert habe. Denn der Voreigentümer habe die Zufahrt nicht nur für Wohnzwecke, sondern auch für landwirtschaftlichen Verkehr genutzt. Die landwirtschaftliche Nutzung sei nunmehr weggefallen. Die fragliche Zufahrt werde nur noch von den Bewohnern des Wohngebäudes und deren Besuchern genutzt. Außerdem verstoße die Festsetzung einer Sondernutzungsgebühr gegen den Bestandsschutz. Das ursprüngliche Wohngebäude und die Zufahrt seien mit Bauschein des Landkreises Lüneburg vom 14. Mai 1968 genehmigt worden, ohne daß für die Zufahrt eine Sondernutzungsgebühr festgesetzt worden sei. Darüber hinaus sei die Sondernutzungsgebühr zu hoch festgesetzt worden, da sie nicht berücksichtigte, daß vorher bereits eine Wohneinheit vorhanden gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide des Beklagten vom 15. Dezember 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Niedersächsischen Landesamtes für Strassenbau vom 31. Oktober 1995 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Bescheide des Beklagten vom 15. Dezember 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Niedersächsischen Landesamtes für Straßenbau vom 31. Oktober 1995 sind rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die mit den angefochtenen Bescheiden festgesetzten Sondernutzungsgebühren ist die Verordnung über die Erhebung von Gebühren für Sondernutzungen an Bundesfernstraßen und an Landesstraßen vom 15. Juni 1983 (Nds. GVBl. S. 137), zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. November 1993 (Nds. GVBl. S. 584), die aufgrund von § 8 Abs. 3 Bundesfernstraßengesetz (FStrG) und § 21 S. 3 Nds. Straßengesetz (NStrG) erlassen worden ist. Nach § 1 der genannten Verordnung werden für Sondernutzungen an Bundesfernstraßen und an Landesstraßen außerhalb der Ortsdurchfahrten Sondernutzungsgebühren nach dem dieser Verordnung als Anlage beigefügten Gebührentarif erhoben.
Daß der Kläger im Hinblick auf die Zufahrt von seinem Grundstück zur Landesstraße ... eine Sondernutzung im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1 NStrG ausübt, folgt aus § 20 Abs. 2 Satz 1 NStrG. Danach gelten Zufahrten und Zugänge zu Landes- und Kreisstraßen außerhalb der Ortsdurchfahrten als Sondernutzung im Sinne des § 18, wenn sie neu angelegt oder geändert werden. Der Kläger hat die Zufahrt von seinem Grundstück zur Landesstrasse, die außerhalb einer Ortsdurchfahrt liegt, geändert. Denn sie dient gegenüber dem bisherigen Zustand sowohl einem erheblich größeren als auch einem andersartigen Verkehr.
Wie sich aus § 20 Abs. 2 NStrG ergibt, gelten nur die Errichtung neuer oder die Änderung bestehender Zufahrten als Sondernutzung. Für die mit Inkrafttreten des NStrG am 1. Januar 1963 vorhandenen und danach unverändert gebliebenen Altzufahrten muß daraus im Wege des Umkehrschlusses gefolgert werden, daß sie keine Sondernutzungen darstellen, sondern im Wege des Bestandschutzes zu den Straßennutzungen im Rahmen des erlaubnisfreien Gemeinbrauchs zu rechnen sind (vgl. § 20 Abs. 2 NStrG vom 14.12.1962, Nds.GVBl. 1962, 251; OVG Lüneburg, Urteil v. 10.03.1988 - 12 OVG A 317/85 -, Nds. Rpfl. 1988, 172). Die Zufahrt zu dem Grundstück des Klägers ist eine solche von alters her bestehende Zufahrt, die bis zu der vom Kläger beantragten und mit Baugenehmigung des Landkreises Lüneburg vom 26. November 1993 genehmigten Baumaßnahme unverändert bestehen geblieben ist. Insbesondere ist durch den mit Bauschein des Landkreises Lüneburg vom 14. Mai 1968 genehmigten Umbau des vorhandenen Einfamilienwohnhauses keine Änderung der Zufahrt eingetreten, so daß für diese zunächst weiterhin Bestandsschutz galt.
Der Umbau des Einfamilienhauses in ein Wohnhaus mit zwei Wohneinheiten hat jedoch zu einer Änderung der Zufahrt zu der Landesstraße und damit nach der Definition in § 20 Abs. 2 NStrG zu einer Sondernutzung geführt. Die Änderung einer Zufahrt setzt keine bauliche Veränderung voraus. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 NStrG liegt vielmehr auch dann eine Änderung vor, wenn eine Zufahrt gegenüber dem bisherigen Zustand einem erheblich größeren oder einem andersartigen Verkehr als bisher dienen soll. Wie das Merkmal "dienen soll" erkennen läßt, ist ein objektiver Zustand maßgebend; denn mit dem Begriff "dienen" wird ein Zustand von Dauer beschrieben, der nicht von ständig wechselnden Verhältnissen und nicht von den subjektiven Vorstellungen der Betroffenen abhängig ist. Das Hinzutreten einer weiteren Wohneinheit auf einem Grundstück verursacht nach dem anzulegenden objektiven Maßstab einen erheblich größeren Kraftfahrzeugverkehr. Da erfahrungsgemäß die Bewohner jeder Wohneinheit mindestens ein Kraftfahrzeug haben und einen auf die jeweilige Wohneinheit bezogenen weiteren Kraftfahrzeugverkehr auslösen, wird durch eine zweite Wohneinheit der zu erwartende Verkehr verdoppelt (Nds. OVG, Urteil v. 04.02.1997 - 12 L 6580/96 -).
Auch im Hinblick darauf, daß die Zufahrt früher landwirtschaftlichen Zwecken gedient haben soll, liegt eine Änderung vor. Denn nunmehr wird die bisher landwirtschaftlich und für Wohnzwecke genutzte Zufahrt für den Zugang zu zwei Wohneinheiten und damit für anderen Verkehr als vorher genutzt. Ob dieser Verkehr größer ist als früher, ist unerheblich (vgl. Nds. OVG, Urteil v. 04.11.1993 - 12 L 1137/92 - und Urteil v. 04.02.1997 - 12 L 6580/96 -).
Daß dem Kläger mit Bauschein des Landkreises Lüneburg vom 14. Mai 1968 die Erlaubnis für die Zufahrt zur freien Strecke der Landesstraße erteilt worden ist, ohne daß dafür Gebühren erhoben worden sind, steht der Festsetzung von Sondernutzungsgebühren für die Zeit ab 1994 nicht entgegen. Denn mit dem vom Landkreis Lüneburg erteilten Bauschein ist die Zufahrt lediglich baurechtlich genehmigt, aber keine Sondernutzungserlaubnis erteilt worden. Da damals das Wohnhaus nur umgebaut worden ist, änderte sich, wie bereits ausgeführt worden ist, nicht die Nutzung der Zufahrt, so daß der Bestandsschutz für die Zufahrt fortwirkte und diese keine Sondernutzung darstellte.
Der Erhebung von Sondernutzungsgebühren steht auch nicht entgegen, daß dem Kläger keine Sondernutzungserlaubnis erteilt worden ist. Nach § 20 Abs. 3 Ziff. 1 NStrG bedarf es einer Erlaubnis nach § 18 Abs. 1 NStrG nicht für die Anlage neuer oder die Änderung bestehender Zufahrten oder Zugänge im Zusammenhang mit der Errichtung oder erheblichen Änderung baulicher Anlagen, wenn die Straßenbaubehörde nach § 24 Abs. 2 NStrG zustimmt oder nach § 24 Abs. 7 NStrG eine Ausnahme zugelassen hat. Hier hat der Beklagte gem. § 24 Abs. 7 NStrG eine solche Ausnahme vom Bauverbot zugelassen, so daß im Interesse der Verfahrenskonzentration eine besondere Erlaubnis entbehrlich ist. Die Gebührenpflicht entsteht nicht für die erteilte Sondernutzungserlaubnis, sondern allein für die Tatsache der Sondernutzung. Die der Gebührenpflicht gegenüberstehende Leistung der Verwaltung ist die mit der Duldung der Sondernutzung in Kauf genommene Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs auf der Straße, die selbst dann erbracht wird, wenn eine formelle Erlaubnis nicht erteilt worden ist (vgl. BVerwG, Urteil v. 21.10.1970 - IV C 38/69 -, DÖV 1971, 103).
Gegen die Höhe der gegenüber dem Kläger ab 1994 jährlich festgesetzten Gebühr von 90,00 DM bestehen keine Bedenken. Nach Ziff. 1.1 des Gebührentarifs (Anlage zur Gebührenverordnung vom 18. November 1993) werden von bebauten Grundstücken je Wohneinheit 45,00 DM erhoben. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, daß der Beklagte die Gebühr für zwei Wohneinheiten berechnet hat. Denn durch die Änderung der Zufahrt ist der Bestandsschutz für diese entfallen, so daß der Kläger für die gesamte Zufahrt und nicht nur für eine Wohneinheit einer Sondernutzungserlaubnis bedarf. Insofern ist auch gebührenrechtlich die Gesamtnutzung der Zufahrt zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Beschluß
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 450,00 DM festgesetzt.