Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 18.02.2004, Az.: 3 A 9/02; 3 A 10/02

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
18.02.2004
Aktenzeichen
3 A 9/02; 3 A 10/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 43481
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOSNAB:2004:0218.3A9.02.0A

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Verwaltungsgericht Osnabrück auf die mündliche Verhandlung vom 14.1.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Essig, den Richter am Verwaltungsgericht Specht, die Richterin Meyer sowie die ehrenamtliche Richterin Mersmann und den ehrenamtlichen Richter Kiesler für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klagen werden abgewiesen.

    Die Kläger tragen die Kosten der Verfahren.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

1

Ein Sohn der Kläger zu 1) und 2) sowie die zwei Töchter der Kläger zu 3) und 4) besuchten im Schuljahr 2000/2001 die in Emmen in den Niederlanden gelegene Waldorfschule "V.-Schule". Wohnhaft sind beide Familien im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Eine zustimmende Entscheidung der zuständigen Schulbehörde zu diesem Schulbesuch ist nicht ergangen.

2

Mit Anträgen vom 25.6.2001 beantragten die Kläger zu 1) und 2) die Erstattung von 9734,16 DM, die Kläger zu 3) und 4) die Erstattung von 4 926 DM ihnen für die Beförderung ihrer Kinder zur Schule entstandener Kosten. Mit Bescheiden vom 8.10.2001 wies der Beklagte diese Anträge, mit Widerspruchsbescheiden vom 19.12.2001 die hiergegen erhobenen Widersprüche zurück; auf die Anträge und Widersprüche sowie die ergangenen Bescheide wird Bezug genommen.

3

Am 16.1.2002 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter Vorlage eines Rechtsgutachtens geltend machen, Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Beträge als Schülerbeförderungskosten nach dem niedersächsischen Schulgesetz zu haben. Dies folge unmittelbar aus den einschlägigen Regelungen dieses Gesetzes über die Pflicht des Beklagten, die Kosten der Schülerbeförderung zu tragen. Die Bestimmungen über die Schulpflicht stünden dem nicht entgegen. Jedenfalls wegen der Pflicht zur Gestattung des Schulbesuchs aus pädagogischen Gründen sei der Anspruch auf Kostenerstattung begründet. Dieser sei auch aus Gründen der Gleichbehandlung und des Diskriminierungsverbots nach deutschem und europäischem Recht sowie aufgrund weiterer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuerkennen.

4

Die Kläger zu 1) und 2) beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung seines Bescheides vom 8.10.2001 und seines Widerspruchsbescheides vom 19.12.2001 ihnen die Fahrtkosten ihres Kindes für den Besuch der V.-Schule in Emmen (NL) zu erstatten.

5

Die Kläger zu 3) und 4) beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung seines Bescheides vom 8.10.2001 und seines Widerspruchsbescheides vom 19.12.2001 ihnen die Fahrtkosten ihrer Kinder für den Besuch der V.-Schule in Emmen (NL) zu erstatten.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

7

Der Beklagte macht im Wesentlichen geltend, aus gesetzlichen Regelungen und verfassungsrechtlichen Vorgaben folge, dass die Schulpflicht nur an einer deutschen Schule erfüllt werden könne. Die in den Niederlanden besuchte Schule liege außerhalb des deutschen Einflussbereichs und unterstehe nicht der deutschen Aufsicht. Die für eine Schule in freier Trägerschaft gemäß § 143 NSchG erforderliche Genehmigung als Ersatzschule liege dementsprechend nicht vor. Eine Ausnahmegenehmigung für eine anderweitige Erfüllung der Schulpflicht sei nicht erteilt. Ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht sei nicht erkennbar.

8

Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

9

Die Klagen sind zulässig, aber unbegründet. Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung von Schülerbeförderungskosten nicht zu.

10

Ein Anspruch aus § 141 Abs. 3 NSchG i.V.m. § 114 NSchG i.V.m. der Satzung des Beklagten vom 23.4.1999 ist nicht gegeben, weil es sich bei der "V.-Schule" zwar möglicherweise um eine Schule in freier Trägerschaft, aber weder um eine Ersatzschule noch um eine Ergänzungsschule i.S.d. §§ 160, 161 NSchG handelt. Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Ersatzschule gemäß § 142 NSchG gegeben sind, kann dahinstehen, denn jedenfalls fehlt es an der gemäß § 143 Abs. 1 NSchG erforderlichen Genehmigung. Vergleichbares hindert die Annahme der Eigenschaft einer Ergänzungsschule i.S.d. §§ 160, 161 NSchG. Weder hat die Schulbehörde durch an den Schulträger gerichteten schriftlichen Feststellungsbescheid die Voraussetzungen des § 160 NSchG geschaffen, noch ist der "V.-Schule" die schriftliche Anerkennung i.S.d. § 161 Abs. 1 NSchG erteilt worden.

11

Auch ein Anspruch aus § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG i.V.m. § 114 Abs. 3 Satz 3 NSchG i.V.m. der Satzung des Beklagten vom 23.4.1999 kommt nicht in Betracht, denn die Kläger haben eine derartige Genehmigung der zuständigen Schulbehörde nicht erhalten; diese ist vielmehr der Auffassung, die Kinder der Kläger könnten durch den Besuch der "V.-Schule" ihre Schulpflicht nicht erfüllen und seien grundsätzlich verpflichtet, die für sie zuständige öffentliche niedersächsische Schule zu besuchen. Solange eine derartige Genehmigung jedoch weder seitens der Schulbehörde erteilt noch im Verwaltungsrechtsweg zugesprochen worden ist, kommt ein auf diesen Gesichtspunkt gestützter Anspruch auf Erstattung von Kosten der Schülerbeförderung nicht in Betracht: Eine inzidente Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen vermag den erforderlichen Genehmigungsakt nicht zu ersetzen und ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob die Genehmigungsvoraussetzungen überhaupt vorliegen und ob bezüglich des Besuchs einer den Anwendungsbereichen der §§ 141, 143, 160, 161 NSchG nicht unterfallenden Schule eine derartige Genehmigung möglich wäre. Im Übrigen trifft die Annahme der Kläger nicht zu, dass ihr Anspruch auf Kostenerstattung begründet sei, sofern durch den Besuch der "V-Schule" der Schulbesuchspflicht genügt wäre. Die Schülerbeförderungs- und Kostenerstattungspflicht des Beklagten ist nicht in diesem Sinne "akzessorisch" wie die Kläger meinen, vielmehr ist die Erfüllung der Schulbesuchspflicht durch den Schulbesuch eine notwendige, aber nicht bereits hinreichende Voraussetzung für die Verpflichtung des Beklagten aus § 114 NSchG.

12

So scheidet ein Anspruch unmittelbar aus § 114 NSchG i.V.m. der Satzung des Beklagten vom 23.4.1999 ebenfalls aus. Aus dem systematischen Aufbau des Schulgesetzes, der Normierung des § 114 NSchG im Kontext der Aufbringung der Kosten der öffentlichen Schulen sowie des Umstands, dass es anderenfalls der Anwendbarkeitsregelungen der §§ 141 Abs. 3, 156 Abs. 3 NSchG nicht bedürfte/ergibt sich, dass "Schule" i.S.d. Tatbestands des § 114 Abs. 1 Satz 2 NSchG nur die öffentliche Schule ist. Aus dem in § 1 Abs. 1 NSchG normierten Anwendungsbereich des NSchG sowie den Bestimmungen über die Schulpflicht (Art..4 Abs. 2 NdsVerfassung i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 NSchG) folgt zudem, dass diese Pflicht grundsätzlich an einer öffentlichen Schule im Land Niedersachsen zu erfüllen und Schule i.S.d. Tatbestandsmerkmals des § 114 Abs. 1 Satz 2 NSchG daher eine niedersächsische öffentliche Schule ist. So setzen Schulpflicht wie Schülerbeförderungspflicht einschließlich der Schulbezirksregelungen aufgrund der territorial begrenzten Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers wie der Bestimmungen des NSchG (§1 Abs. 1 NSchG) voraus, dass diese öffentliche Schule im Gebiet des Landes Niedersachsen liegt. Eine anderweitige Erfüllung der Schulpflicht setzt eine Gestattung der Schulbehörde voraus, deren es den Klägern bzw. deren Kindern mangelt. Ob jedwede Gestattung eines anderweitigen Schulbesuchs seitens der Schulbehörde deshalb die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährleistung des Schülertransports i.S.d. § 114 Abs. 1 NSchG auszulösen vermöchte, ist angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Normierung der Reichweite und Grenzen der Schülerbeförderungspflicht durch das NSchG keineswegs gesicherte Erkenntnis.

13

Ein Anspruch der Kläger lässt sich auch nicht unmittelbar aus der Satzung des Beklagten vom 23.4.1999 ableiten. Diese gewährt keine weitergehenden Rechte als die von ihr in Bezug genommenen gesetzlichen Regelungen. Ob und inwieweit benachbarte kommunale Gebietskörperschaften generell oder in Einzelfällen anders verfahren, ist nicht entscheidungsrelevant. Dies sind autonome Entscheidungen anderer Kommunen, die den Beklagten auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu binden vermögen.

14

Weder das Gleichbehandlungsverbot des Art. 3 GG noch das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV vermitteln den Klägern einen Anspruch auf Erfüllung der Schulpflicht durch Besuch der "V.-Schule" oder auf Erstattung von mit diesem Schulbesuch verbundenen Schülerbeförderungskosten. Das durch das von den Klägern vorgelegte Rechtsgutachten (S. 31) als sachlicher Differenzierungsgrund für die Gestattung des Schulbesuchs von niederländischen Schulen durch Kinder niederländischer Staatsangehöriger, die in Niedersachsen ihren Wohnsitz haben, anerkannte Merkmal der Staatsangehörigkeit der Eltern bzw. der "Aufrechterhaltung der Bindungen an das Heimatland" stellt zugleich die sachliche Rechtfertigung dar, deutschen Staatsangehörigen, die ihren Wohnsitz ebenfalls in Niedersachsen haben, eben dieses Recht zu verweigern. Dies anerkennt der Gutachter ebenfalls, wenn er nachfolgend lediglich davon spricht, dass dies "faktisch", also eben nicht im rechtlichen Sinne zu einer "Inländerdiskriminierung" führe.

15

Im Übrigen wird bezüglich des Diskriminierungsverbots des Art. 12 EGV ergänzend auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (13.10.2000, 9 S 2236/00, NVwZ-RR 2001, 104 ff) Bezug genommen. Auch die Art. 43, 49 EGV (Niederlassungsfreiheit, freier Dienstleistungsverkehr) vermitteln den Klägern kein ihnen zustehendes subjektives Recht darauf, dass ihren Kindern der Schulbesuch in den Niederlanden gestattet wird. Ob die "V.-Schule" begriffen als Anbieter von Dienstleistungen am Niederlassungsort Emmen aus den genannten Regelungen Rechtspositionen welcher Art auch immer abzuleiten vermag, ist im vorliegenden Rechtsstreit unerheblich. Erst recht lässt sich aus diesen Bestimmungen kein - nur sozialstaatlich zu begründender - Anspruch der Kläger auf geldwerte Zuwendungen der öffentlichen Hand in Form der Erstattung von Schülerbeförderungskosten begründen. Vergleichbares gilt für ein "Recht auf Bildung" bezüglich dessen Art. 14 Charta der Grundrechte der EU bzw. Art. F Abs. 2 EUV i.V.m. Art. 2 Zusatzprotokoll EMRK angeführt werden könnten. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ein Mitgliedsstaat der EG den Bildungsanspruch seiner Staatsangehörigen durch Duldung bzw. Gestattung des Schulbesuchs einer ausländischen Schule erfüllen und darüber hinaus die mit einem solchen Schulbesuch verbundenen besonderen Aufwendungen für die Beförderung zwischen Elternhaus und Schule aus öffentlichen Mitteln tragen müsste.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§708 Nr. 11, 711 ZPO. Ein Berufungszulassungsgrund i.S.d. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist nicht gegeben.

17

Essig

18

Specht Meyer

19

BESCHLUSS

20

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren 3 A 9/02 auf 4977.- € (9734,16 DM), für das Verfahren 3 A 10/02 auf 2518,62 € (4926.-DM) festgesetzt.

Streitwertbeschluss:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 2 GKG.