Landgericht Lüneburg
Urt. v. 31.05.2011, Az.: 9 S 75/10

Anbringen von Balkonen stellt eine Veränderung der Eigenart der Wohnanlage dar; Anbringen von Balkonen als eine Veränderung der Eigenart der Wohnanlage

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
31.05.2011
Aktenzeichen
9 S 75/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 20713
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:2011:0531.9S75.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 26.10.2010 - AZ: 483 C 3145/10

Fundstellen

  • NJW-Spezial 2011, 515
  • ZMR 2011, 830-832
  • ZMR 2011, 829-830

In dem Rechtsstreit
...
hat die 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 03.05.2011
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht xxx,
die Richterin am Landgericht xxx und
die Richterin am Landgericht xxx
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Hannover zum Az. 483 C 3145/10 vom 26.10.2010 geändert. Der Beschluss der Eigentümerversammlung der WEG xxx, vom 17.02.2010 zum TOP 10 "Beschlussfassung über die Zustimmung der Eigentümergemeinschaft und der direkt betroffenen Eigentümer der Wohnungen Nr. 2 (xxx), Nr. 3 (xxx), Nr. 5 (xxx), Nr. 6 (xxx), Nr. 8 (xxx), Nr. 9 (xxx), Nr. 11 (xxx), Nr. 12 (xxx), Nr. 14 (xxx) zu dem nachträglichen Setzen einer Balkonkonstruktion unter Festsetzung der Kostentragungspflicht der Baumaßnahmen." wird für ungültig erklärt.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Berufung tragen die Beklagten.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  4. 4.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

  5. 5.

    Der Streitwert wird festgesetzt auf EUR 41.750,00.

Gründe

1

I.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Beschlusses der Wohnungseigentümergemeinschaft xxx betreffend die Errichtung einer Balkonanlage.

2

Hinsichtlich des Sachverhaltes wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gemäß § 540 ZPO Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts Hannover vom 26.10.2010 (Bl. 232 ff d.A.).

3

Zu ergänzen ist Folgendes: Bei dem Gebäude xxx handelt es sich um einen aus Trümmern errichteten Nachkriegsbau mit eher schlichter Fassade und einem Innenhof. Hinsichtlich der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Fotos Bl. 158 - 161 d.A. und Bl. 165 d.A. sowie auf Bl. 208 - 215 d.A. Hinsichtlich der geplanten Balkone wird Bezug genommen auf die Gebäudeskizze Bl. 162 d.A. Bei den Nein-Stimmen betreffend den angefochtenen Beschluss handelt es sich um diejenigen des Klägers sowie seines Sohnes xxx. Letzterer hat seine Wohnung (Nr. 5) zwischenzeitlich an den Kläger veräußert.

4

Das Amtsgericht hat die Klage auf Ungültigerklärung des Beschlusses mit Urteil vom 26.10.2010 abgewiesen. Es hat insoweit für die Beschlussfassung die qualifizierte Mehrheit gemäß § 22 Abs. 2 S. 1 WEG genügen lassen. Der Kläger verfolgt sein Begehren mit der Berufung vollumfänglich weiter und wiederholt insoweit sein erstinstanzliches Vorbringen.

5

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Amtsgerichts Hannover zum Az. 483 C 3145/10 vom 26.10.2010 wird aufgehoben und

  2. 2.

    der Beschluss der Eigentümerversammlung der WEG xxx, vom 17.02.2010 zum TOP 10: "Beschlussfassung über die Zustimmung der Eigentümergemeinschaft und der direkt betroffenen Eigentümer der Wohnungen Nr. 2 (xxx), Nr. 3 (xxx), Nr. 5 (xxx), Nr. 6 (xxx), Nr. 8 (xxx), Nr. 9 (xxx), Nr. 11 (xxx), Nr. 12 (xxx), Nr. 14 (xxx) zu dem nachträglichen Setzen einer Balkonkonstruktion unter Festsetzung der Kostentragungspflicht der Baumaßnahmen." wird für ungültig erklärt.

  3. 3.

    hilfsweise die Zulassung der Revision.

6

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 26.10.2010, Az. 483 C 3145/10, zurückzuweisen,

7

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

8

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und wiederholt und vertieft insoweit ihren erstinstanzlichen Vortrag.

9

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2011 (Bl. 342 f. d.A.).

10

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

11

Der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 17.02.2010 zum TOP 10 war für ungültig zu erklären, da er sich nicht im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung hält.

12

Das Amtsgericht hat insoweit zu Unrecht das wirksame Zustandekommen des angefochtenen Beschlusses angenommen. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts war für die Beschlussfassung zu dem in Rede stehenden TOP 10 Einstimmigkeit gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 WEG erforderlich. Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 WEG können bauliche Veränderungen und Aufwendungen, die über die ordnungsgemäße Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, beschlossen oder verlangt werden, wenn jeder Wohnungseigentümer zustimmt, dessen Rechte durch die Maßnahmen über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden.

13

Bei den geplanten Baikonen handelt es sich um bauliche Veränderungen i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 1 WEG. Eine bauliche Veränderung ist jede auf Dauer angelegte nicht ganz unerhebliche gegenständliche Umgestaltung oder Veränderung des Erscheinungsbildes des gemeinschaftlichen Eigentums in Abweichung vom Zustand bei Entstehung des Wohnungseigentums (Palandt/Bassenge, 69. Aufl., § 22 WEG Nr. 1) sowohl des Gebäudes als auch des Grundstücks. Dies ist hier der Fall, da sich durch das Anbringen von Baikonen das Erscheinungsbild der bisher schlichten Fassade erheblich verändert. Derartige bauliche Veränderungen bedürfen nur dann nicht der Zustimmung aller Wohnungseigentümer, wenn sie die Rechte des bzw. der nicht Zustimmenden nicht über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigen (1.) oder wenn ein Fall des § 22 Abs. 2 WEG vorliegt (2.). Beides ist vorliegend nicht der Fall.

14

1.

Der Kläger wird durch die geplanten Veränderungen in seinen Rechten über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt. Gemäß § 14 Nr. 1 WEG ist jeder Wohnungseigentümer verpflichtet, die im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile so instand zu halten und von diesen sowie von dem gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcherweise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Das beschlossene Vorhaben geht über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus und benachteiligt den Kläger insoweit. Zum einen wird durch das Aufstellen der Ständerkonstruktion die Nutzbarkeit der im Gemeinschaftseigentum stehenden Hoffläche eingeschränkt, wobei diese Einschränkung bei einer Hoffläche von ausweislich Bl. 208 ff. d.A. rund 100 bis 120 m2 und einer Balkongrundfläche von ausweislich Bl. 162 d.A. rund 6 m2 pro Balkonstrang mit jedenfalls etwa 10 Prozent der Hoffläche mehr als unerheblich ist. Zum anderen soll ein ganz erheblicher Eingriff in das Gemeinschaftseigentum dadurch erfolgen, dass Mauerdurchbrüche für den Einbau von Balkontüren vorgenommen werden sollen. Die Tatsache, dass zusätzlich zu den Mauerdurchbrüchen weitere Arbeiten in Form des Anbaus der Balkone vorgenommen werden sollen, lässt die Eingriffe in die Bausubstanz nicht unerheblich werden, da es sich insoweit um ein Mehr, nicht ein Weniger handelt. Schließlich besteht für den Kläger die Gefahr, sich einem Minderungsbegehren seiner Mieter ausgesetzt zu sehen, die zwar von Lärm und Dreck der Baumaßnahmen betroffen werden, selbst jedoch keinen Nutzen von den Arbeiten haben, da eine im Eigentum stehende Wohnung des Klägers bereits nach der Planung der Beklagten keinen Balkon erhalten soll und hinsichtlich der anderen von seinem Sohn übernommenen Wohnung seitens des Klägers ein Balkon nicht gewünscht wird.

15

2.

Vom Grundsatz der Einstimmigkeit gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 WEG ist hier auch nicht gemäß § 22 Abs. 2 S. 1 WEG abzuweichen. Gemäß § 22 Abs. 2 S. 1 WEG können Maßnahmen gemäß Abs. 1 S. 1, die der Modernisierung entsprechend§ 559 Abs. 1 BGB oder der Anpassung des gemeinschaftlichen Eigentums an den Stand der Technik dienen, die Eigenart der Wohnanlage nicht ändern und keinen Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig beeinträchtigen, abweichend von Abs. 1 durch eine Mehrheit von 3/4 aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer i.S.d. § 25 Abs. 2 WEG und mehr als der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Bei dem Anbau der Balkone handelt es sich allerdings zunächst um Modernisierungsmaßnahmen i.S.v. § 22 Abs. 2 S. 1 WEG i.V.m. § 559 Abs. 1 BGB. Nach § 559 Abs. 1 BGB fallen unter den Begriff der Modernisierung Maßnahmen, die den Gebrauchswert der Sache nachhaltig erhöhen, die allgemeinen Wohnverhältnisse auf Dauer verbessern oder nachhaltig Einsparungen von Energie und Wasser bewirken. Dabei gibt die in § 22 Abs. 2 S. 1 WEG angeordnete entsprechende Heranziehung der mietrechtlichen Regelungen des § 559 Abs. 1 BGB Anlass zu einer großzügigen Handhabung des Modernisierungsbegriffes (BGH Urteil vom 18.02.2011, V ZR 82/10). Durch den erstmaligen Anbau von außen liegenden Baikonen wird der Gebrauchswert der betroffenen Wohnungen erheblich erhöht, da den Bewohnern die Möglichkeit eröffnet wird, direkt aus ihrer Wohnung an die frische Luft zu gelangen und sich dort unter Ausschluss der Bewohner der übrigen Wohnungen aufzuhalten. Das Anbringen der Balkonanlage stellt jedoch eine Änderung der Eigenart der Wohnanlage dar (a) und beeinträchtigt darüber hinaus auch jedenfalls einen Wohnungseigentümer gegenüber den anderen unbillig (b).

16

(a)

Zunächst bringt nach Überzeugung des Gerichts das Anbringen der Balkone eine Veränderung der Eigenart der Wohnanlage mit sich. Eine Änderung der Wohnanlage erfolgt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn ein Anbau, eine Aufstockung oder ein Abriss von Gebäudeteilen vorgenommen wird oder der optische Gesamteindruck nachteilig verändert wird, insbesondere ein uneinheitlicher Gesamteindruck entsteht (AG Konstanz ZMR 2008, S. 494 [AG Konstanz 13.03.2008 - 12 C 17/07]). Beides ist vorliegend der Fall. Das Errichten der Balkonanlage stellt einen Anbau an das Gebäude dar. Zusätzlich wird hierdurch nach Überzeugung der Kammer auch eine nachteilige Veränderung des Gesamteindruckes in Form eines uneinheitlichen Gesamteindruckes hervorgerufen. Ausweislich des Beschlusstextes sollen die darin genannten Eigentümer lediglich berechtigt, nicht jedoch verpflichtet sein, Balkone in die Ständerkonstruktion einhängen zu lassen. Jedenfalls hinsichtlich der Wohnung Nr. 5, welche bei Beschlussfassung im Eigentum des Sohnes des Klägers stand und nunmehr in seinem Eigentum steht, ist der Balkoneinbau nicht beabsichtigt. Folglich wird der Gesamteindruck lückenhaft, da sich die fragliche Wohnung im ersten Stock befindet, so dass darüber und darunter Balkone entstehen können. Um diese Lückenhaftigkeit festzustellen, bedurfte es eines Ortstermins nicht, da sich dieses hinreichend deutlich bereits aus der vorgelegten Skizze betreffend die geplanten Balkone (Bl. 162 d.A.) ergibt. Auch die Tatsache, dass die Balkone an der Hofseite des Hauses angebracht werden sollen, steht der Annahme einer nachteiligen Veränderung des Gesamteindruckes nicht entgegen, da die Hofseite zumindest von den Bewohnern des Hauses xxx sowie - aus den Fotos Bl. 208 ff d.A. ersichtlich - mehrere angrenzender Häuser einsehbar ist. Es ist dem Kläger auch nicht deshalb gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf diese Lückenhaftigkeit zu berufen, weil er selbst zu der Uneinheitlichkeit beiträgt, indem er für die erworbene Wohnung keinen Balkon wünscht. Die Beklagten haben es den einzelnen Wohnungseigentümern gerade freigestellt, sich an der Errichtung der Balkone zu beteiligen.

17

(b)

Das Anbringen der Balkonanlage benachteiligt darüber hinaus auch jedenfalls einen Wohnungseigentümer, denjenigen der Wohnung Nr. 5 unbillig gegenüber anderen Wohnungseigentümern. Ohne dass dieser einen Balkon anbringen lassen möchte, soll über den Fenstern der Wohnung ein Balkon entstehen können. Dies wird nach Überzeugung des Gerichts auch zu einer nicht unerheblichen Verdunkelung der dahinter befindlichen Räume führen. Es ist allgemeinkundig, dass bereits das Herunterdrehen einer Markise zu einer - dann allerdings gewollten - Verdunkelung im dahinter liegenden Raum führt. Darüber hinaus werden die Bewohner der fraglichen Wohnung durch Baulärm, der jedenfalls im Zuge der Verankerung des Gerüstes und der für den Einbau von Balkontüren vorzunehmenden Mauerdurchbrüche entstehen wird, gestört, was Mietminderungen jedenfalls befürchten lässt. Auf derartige Befürchtungen, nicht auf eine etwaige tatsächliche Mietminderung ist abzustellen, da die Frage der Benachteiligung für den Zeitpunkt der Beschlussfassung zu stellen ist, welche der Maßnahme vorauszugehen hat, so dass lediglich eine Prognose angestellt werden kann. Da den Bewohnern der Wohnung Nr. 5 kein Balkon zur Verfügung gestellt werden soll, werden diese sich auch nicht durch etwaige künftige Verbesserungen vertrösten lassen.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 9t ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

19

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung liegt nur dann vor, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechtes berührt (BGH NJW 2003, 2319 [BGH 08.04.2003 - XI ZR 193/02]). Die Frage, ob für die Errichtung einer Balkonanlage Einstimmigkeit erforderlich ist oder ein Mehrheitsbeschluss der WEG genügt, ist jedoch von Fall zu Fall unterschiedlich zu entscheiden, je nachdem, wie sich der Anbau auf die Eigenart der Wohnanlage auswirkt und auf welche Weise Beeinträchtigungen einzelner Wohnungseigentümer über das nach § 14 Nr. 1 WEG hinausgehende Maß in Betracht kommen. Eine Entscheidung des Revisionsgerichtes über den hiesigen Fall kann insoweit zu einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechtes folglich nicht beitragen. Aus den vorgenannten Gründen kann eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht beitragen.

20

Die Streitwertfestsetzung entspricht der nicht angegriffenen Festsetzung erster Instanz und beruht auf EUR 49a GKG.

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