Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 23.06.2004, Az.: 3 A 214/02

Amtsangemessene Alimentation; Antrag vor Geburt

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
23.06.2004
Aktenzeichen
3 A 214/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50733
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Geltendmachung eines Anspruchs im Sinne des Art. 9 § 1 BBesVAnpG 1999 setzt nicht voraus, dass für den Orts-/Familienzuschlag des Beamten bei Einlegung des Widerspruchs mehr als zwei Kinder zu berücksichtigen waren.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist seit 1981 Beamter des Landes Niedersachsen. Für seine in den Jahren 1986, 1989 und 1994 geborenen Kinder stand ihm (auch) in den Jahren 1991 bis 1996 Kindergeld zu. Mit Antrag vom 17.01.1991 machte er bei der seinerzeit für Besoldungsangelegenheiten zuständigen Bezirksregierung Weser-Ems unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts in den Verfahren 1 BvL 20/84, 26/84 und 4/86 ein höheres Kindergeld und eine Erhöhung des Ortszuschlages geltend. Seinem Wunsch entsprechend, das Verfahren „bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bzw. bis zur Entscheidung des laufenden Verfahrens 1 BvR 1022/88 auszusetzen“, entschied die Besoldungsstelle darüber zunächst nicht. Im Januar 1997 beantragte der Kläger „aufgrund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.06.96“ angemessene Alimentation. Die Besoldungsstelle bestätigte den Eingang dieses Antrages.

2

In den Akten des Beklagten über die Besoldung des Klägers findet sich die Ablichtung eines an „H. L. PK L.“ gerichteten Bescheides vom 18.08.1998 und Absendevermerk vom selben Tag, wodurch die Zahlung eines höheren Ortszuschlages mit folgender Begründung abgelehnt wird: Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.03.1990 - 2 BvL 1/86 - zufolge seien die familienbezogenen Gehaltsbestandteile lediglich vom dritten Kind an hinter den verfassungsrechtlichen Erfordernissen zurückgeblieben; die Einkommensverhältnisse der Beamtenfamilien mit einem oder zwei Kindern seien in allen Stufen der Besoldungsordnung amtsangemessen gewesen. Dies gelte weiterhin. Mit dem Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vom 24.02.1997 (BGBl. I S. 322) habe der Gesetzgeber den Familienzuschlag - bis 30.06.1997: Ortszuschlag - für das dritte und jedes weitere Kind deutlich erhöht. Für die Zeit vom 01.01.1990 bis zum 30.06.1997 habe der Gesetzgeber die Kinderanteile im Ortszuschlag für dritte und weitere Kinder jedoch nicht erhöht. Der Ortszuschlag sei nach den geltenden Vorschriften zutreffend gezahlt worden.

3

Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.06.2001 (- 2 C 48/00 -, BVerwGE 114, 350) bat der Kläger den Beklagten bezüglich seines Antrages auf höheren Ortszuschlag um Nachzahlung der Bezüge oder Sachstandsmitteilung. Der Beklagte teilte ihm unter dem 24.02.2002 folgendes mit: „Sie haben im Hinblick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.06.2001 - 2 C 48/00 - mit Schreiben vom 18.04.2002 erneut eine Zahlung von erhöhtem Familienzuschlag für die Zeit vor dem 01.01.1999 begehrt. Ich weise darauf hin, dass Sie bereits am 17.01.1991 einen entsprechenden Antrag gestellt hatten. Mit Bescheid vom 18.08.1998 habe ich Ihren Antrag abgelehnt. ....“ Dagegen wandte der Kläger ein, er habe einen solchen Bescheid nicht erhalten. Er habe im Übrigen zu keiner Zeit dem PK L., der in der Anschrift des Bescheides bezeichneten Dienststelle, angehört. Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 07.10.2002 trug der Kläger dem Beklagten seinen Standpunkt erneut vor und machte eine Nachzahlung an Bezügen (Orts- und Familienzuschlag) in Höhe von 5.306,19 € für die Jahre 1994 bis 1998 geltend. Darin sah der Beklagte einen Widerspruch gegen die Höhe der Bezüge in den Jahren 1991 bis 1998, den er mit Bescheid vom 23.10.2002 im Wesentlichen mit der Begründung zurückwies, er habe das Begehren des Klägers bereits durch den nicht mehr anfechtbaren Bescheid vom 18.08.1998 abgelehnt.

4

Der Kläger hat am 13.11.2002 Klage erhoben. Mit Bescheid vom 17.05.2004 anerkannte der Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Nachzahlung der Erhöhungsbeträge nach Art. 9 § 1 Abs. 1 Satz 4 BBVAnpG 99 für den Zeitraum vom 01.01.1997 bis 31.12.1998 in Höhen von insgesamt 2.168,82 € und führte zur Begründung aus: Der Anspruch des Klägers gehe auf dessen Antrag vom Januar 1997 zurück. Der als Widerspruch gegen die Bezüge zu verstehende Antrag vom 17.01.1991 habe sich nur auf den kinderbezogenen Anteil im Ortszuschlag für zwei Kinder gerichtet, weil das dritte Kind des Klägers erst im Jahr 1994 geboren sei. Selbst wenn der Kläger den Widerspruch auch auf zukünftig eintretende Sachverhalte habe bezogen wissen wollen, so wäre der Widerspruch unzulässig gewesen. Deshalb habe der Kläger durch seinen Antrag vom Januar 1991 für die Zeit vom 01.01.1991 bis zum 31.12.1998 nicht die Stellung eines Widerspruchsführers im Sinne des Art. 9 § 1 BBVAnpG 99 erlangt. Der Widerspruch des Klägers vom Januar 1991 sei daher mangels einer gegenwärtigen Beschwer unzulässig. Eine stillschweigende Ausdehnung des Widerspruchs gegen eine spätere behördliche Entscheidung sei aus Gründen der Rechtsklarheit nicht möglich (OVG LG B. v. 07.10.2003 - 2 LB 317/03 -).

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 23.10.2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die Erhöhungsbeiträge nach Art. 9 § 1 BBVAnpG 99 für die Zeit vom 01.01.1994 bis zum 31.12.1996 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Auf die Klageforderung hat der Beklagte eine Nachzahlung in Höhe von 2.168,82 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 231,21 € festgesetzt und an den Kläger ausgezahlt. Insoweit haben die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt. Diesen Teil der Klageforderung betreffend war das Verfahren einzustellen.

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Die Klage ist zulässig und begründet, soweit der Kläger sie aufrecht erhalten hat. Dem Kläger stehen die auf der Grundlage des Art. 9 § 1 BBVAnpG 99 vom Bundesministerium des Innern bekannt gemachten Erhöhungsbeträge für die Jahre 1994 bis 1996 zu.

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Gemäß Art. 9 § 1 BBVAnpG 99 erhalten die Kläger der Ausgangsverfahren der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.11.1998 - 2 BvL 26/91 u. a. - (BVerfGE 99, 300) für den Zeitraum vom 01.01.1998 bis 31.12.1998 für das dritte und jedes weitere in ihrem Ortszuschlag bzw. Familienzuschlag zu berücksichtigende Kind einen monatlichen Erhöhungsbetrag, dessen Höhe auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.11.1998 vom Bundesministerium des Innern mit Durchführungshinweisen vom 22.12.1999 (Anhang A) bekannt gegeben worden ist. Dies gilt auch für Kläger und Widerspruchsführer, die ihren Anspruch innerhalb des genannten Zeitraums geltend gemacht haben, ohne dass über ihren Anspruch entschieden worden ist.

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Der Kläger hat im Jahr 1991 Widerspruch gegen die Höhe der kinderbezogenen Bestandteile seiner Bezüge eingelegt. Er hat mit seinem Schreiben vom 17.01.1991 zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, dass er mit der Höhe seiner Bezüge, soweit für ihre Bemessung nach § 40 des Bundesbesoldungsgesetzes Kinder berücksichtigt werden, nicht einverstanden sei. Über diesen Widerspruch hatte der Beklagte bis zum Inkrafttreten des BBVAnpG 99 nicht unanfechtbar entschieden. Davon geht der Beklagte selbst aus, wenngleich er in den Gründen des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2002 noch den gegenteiligen Standpunkt eingenommen hat. Denn er hat mit Bescheid vom 17.05.2004 einen Nachzahlungsanspruch des Klägers für die Jahre 1997 und 1998 anerkannt und sich nicht mehr darauf berufen, den für die Jahre 1991 bis 1998 erhobenen Anspruch bereits mit Bescheid vom 23.10.2002 unanfechtbar abgelehnt zu haben. Seine Mitteilung an das Verwaltungsgericht vom 17.05.2004 rechtfertigt auch nicht die Annahme, er habe über ein unanfechtbar beschiedenes Begehren nur zu einem Teil eine neue Sachentscheidung getroffen und halte im Übrigen an der Bestandskraft der Entscheidung vom 23.10.2002 fest. Vielmehr vertritt der Beklagte nunmehr unter Hinweis auf den Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 28.08.2003 - 2 LA 101/03 - die Ansicht, bei dem Widerspruch des Kläger vom 17.01.1991 handele es sich nicht um einen solchen im Sinne des Art. 9 § 1 BBVAnpG 99. Im Übrigen wäre, wenn der Beklagte jedenfalls hilfsweise an dem Einwand der Unanfechtbarkeit seiner Entscheidung vom 23.10.2004 festhielte, keine andere rechtliche Beurteilung angezeigt. Der Beklagte hat eine Bekanntgabe dieses Bescheides nicht nachgewiesen. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass der Bescheid wirksam geworden ist.

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Der Rechtsansicht des Beklagten, bei dem Widerspruch des Klägers vom 17.01.1991 handele es sich nicht um einen Widerspruch im Sinne des Art. 9 § 1 BBVAnpG 99, ist nicht beizupflichten. Diese Rechtsansicht wird darauf gestützt, dass der Widerspruch eines Beamten mit (nur) zwei Kindern sich „nach seinem objektiven Erklärungsinhalt nur gegen eine Besoldung, insbesondere einen Ortszuschlag“ richten könne, der für zwei Kinder gewährt werde, nicht aber gewissermaßen vorsorglich gegen ein Besoldung, die zukünftig bei einer Vergrößerung der Familie nach einer höheren Kinderzahl zu berechnen ist (Nds. OVG, B. v. 28.08.2003). Andernfalls handele es sich um einen „Rechtsbehelf auf Vorrat“, wie er vom Bundesverwaltungsgericht (U. v. 06.02.1985 - 8 C 53 u. 54/83 - Buchholz 310 § 70 VwGO Nr. 20) als unzulässig angesehen worden sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Gegenstand eines Begehren zu unterscheiden ist von dem Sachverhalt, welcher der rechtlichen Würdigung des Begehrens zu Grunde zu legen ist. Der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt oder auf dem Gebiet des Beamtenrechts gegen eine tatsächliche Maßnahme des Dienstherrn ist nicht etwa deshalb unzulässig, weil die dem Widerspruch zum Erfolg verhelfenden tatsächlichen Umstände bei Einlegung des Widerspruchs noch nicht vorliegen. Der Widerspruch ist dann bis zum Eintreten dieser Umstände unbegründet. Die Widerspruchsbehörde hat, soweit materielles Recht den Anspruch nicht temporär begrenzt, ihrer Entscheidung den Sachverhalt zu Grunde zu legen, wie er sich im Zeitpunkt ihrer Entscheidung darstellt. Dass für die Anwendung des Art. 9 § 1 BBVAnpG 99 etwas anderes zu gelten habe, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Das vom Nds. Oberverwaltungsgericht (B. v. 28.08.2003) zur Bekräftigung seines gegenteiligen Standpunktes angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.02.1985 (a.a.O.) betrifft die Frage, ob der Widerspruch gegen eine Verfügbarkeitsentscheidung im gestuften Verfahren zur Heranziehung eines Wehrpflichtigen zum Wehrdienst auch den Einberufungsbescheid erfasst, und ist deshalb einem verfahrensrechtlichen Vergleich mit dem vorliegenden Fall nicht zugänglich. Es gibt keinen rechtlich tragfähigen Grund, der Verfahrenshandlung „Widerspruch“ bei der Anwendung des Art. 9 § 1 BBVAnpG 99 die Bedeutung beizumessen, dass ein zulässiger Widerspruch nur dann vorliege, wenn zugleich ein das Begehren begründender Sachverhalt vorliegt. Andernfalls müsste die von dem Beklagten nicht ernsthaft verfolgte Konsequenz gezogen werden, dass auch der Widerspruch eines Beamten mit drei Kindern nach „seinem objektiven Erklärungsinhalt“ nur die nach diesem Familienstand berechnete Besoldung zum Gegenstand habe und die Gehaltsbestandteile für alle im Laufe des (Widerspruchs- und Klage-)Verfahrens nachgeborenen Kinder nicht „erfasse“. Der Widerspruch des Klägers vom Januar 1991 machte für den Beklagten zweifelsfrei erkennbar, wogegen er eingelegt und was mit ihm begehrt war, nämlich höhere kinderbezogene Anteile im Ortszuschlag. Dass der Widerspruch seinerzeit im Lichte der vorangegangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Angemessenheit der Besoldung von Beamtenfamilien mit zwei Kindern unbegründet war und von der Besoldungsstelle hätte zurückgewiesen werden können, ändert nichts daran, dass der Kläger mit einem zulässigen Widerspruch von seinem Dienstherrn eine verbesserte Alimentation mit Rücksicht auf den Kindesunterhalt forderte. Bei seinem Antrag vom 17.01.1991 handelte sich nicht um einen Widerspruch „auf Vorrat“ gegen eine zukünftig an eine noch ungewisse Geburt eines weiteren Kindes anschließende Besoldung, sondern um das Verlangen einer höheren kinderbezogenen Besoldung an sich, also auch nach den gegenwärtigen Verhältnissen und unabhängig davon, ob zwei, drei oder mehr Kinder beim Ortszuschlag bzw. Familienzuschlag zu berücksichtigen sind. Wenn er mit Rücksicht darauf, dass der Widerspruch unbeschieden geblieben ist, durch Geburt eines weiteren Kindes in den Kreis der materiell Anspruchsberechtigten „hineingewachsen“ ist, so kommt darin nur der allgemeine Grundsatz zum Ausdruck, dass die Begründetheit des Widerspruchs nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Sachverhalt zu beurteilen ist.