Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 19.02.1996, Az.: 3 U 147/95

Anspruch auf Schadensersatzanspruch ; Entzugserscheinungen des Verletzten als adäquate Unfallfolgen; Schutzbereichs der verletzten Norm; Behandlungserschwernisse infolge einer Alkoholkrankheit des Verletzten

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
19.02.1996
Aktenzeichen
3 U 147/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 14807
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1996:0219.3U147.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 26.05.1995 - AZ: 10 O 539/94

Fundstelle

  • VersR 1996, 715 (Volltext mit red. LS)

Amtlicher Leitsatz

Erhöhte Heilbehandlungskosten und vermehrter Verdienstausfall eines alkoholkranken Unfallverletzten, die infolge des Alkoholverbots im Krankenhaus entstehen, sind zwar adäquat kausal verursacht, aber nicht zu ersetzen, weil sie nicht im Schutzbereich der verletzten Norm liegen.

Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Januar 1996
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 26.05.1995 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wert der Beschwer: 12.366,69 DM.

Tatbestand:

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

2

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

3

Unstreitig hat die Klägerin dem Grunde nach einen gemäß § 87 a BGBübergegangenen Anspruch auf Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m § 3 Nr. 1 PflVG gegen die Beklagte, Der Schadensersatzanspruch erfaßt aber nicht die im Zusammenhang mit den Entzugserscheinungen des Verletzten ... stehenden Krankenhauskosten und entgangenen Dienstbezüge in Höhe von insgesamt 12.366,69 DM.

4

Allerdings handelt es sich insoweit um adäquate Unfallfolgen. Denn es liegt nicht außerhalb aller Lebenserfahrung, daß ein Alkoholabhängiger während eines Krankenhausaufenthaltes an Entzugserscheinungen leidet, da die Krankenhausordnungen regelmäßig den Genuß von Alkoholuntersagen. Die Einlieferung ins Krankenhaus wiederum wurde adäquat kausal durch den Unfall bewirkt. Gleichwohl scheidet ein Ersatzanspruch aus, weil neben der Adäquanzprüfung auch zu fragen ist, ob die Tatfolge, für die Ersatz begehrt wird, innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm liegt (BGHZ 27, 137, 140 [BGH 22.04.1958 - VI ZR 65/57], Diese Frage ist mit dem Landgericht zu verneinen. Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin liegt darin kein Widerspruch wegen der zuvor bejahten adäquaten Ursächlichkeit. Denn die Prüfung der Adäquanz und die Prüfung des Schutzzwecks schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern bilden selbständige Prüfungspunkte (BGH NJW 1968, 2287, 2288) [BGH 07.06.1968 - VI ZR 1/67].

5

Die Bestimmung des Schutzbereichs der Norm geht vom Zweck der den konkreten Ersatzanspruch begründenden Vorschrift aus: Der Geschädigte kann nur Ersatz solcher Schäden verlangen, die in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Norm geschaffen wurde (BGH NJW 1968, 2287, 2288) [BGH 07.06.1968 - VI ZR 1/67]. Dabei handelt es sich letztlich um eine teleologische Auslegung der Anspruchsnorm.

6

Die hier maßgebliche Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB schützt u.a. die Unversehrtheit des Körpers und die Gesundheit. Sie soll durch das Verbot, diese Rechtsgüter anderer zu verletzen, und durch die Pflicht zur Wiedergutmachung, die an die schuldhafte Verletzung des Körpers und der Gesundheit geknüpft ist, gegen die Gefahren schützen, die sich aus einer Verletzung dieser Rechtsgüter ergeben. Zu diesen Gefahren gehören zweifellos die Aufwendungen des Verletzten für die Heilbehandlung und seine Einbußen infolge verietzungsbedingter Erwerbsunfähigkeit. Dagegen will das Verbot der Körperverletzung nicht davor schützen, daß Behandlungserschwernisse infolge einer Alkoholkrankheit des Verletzten auftreten.

7

Anders etwa als Behandlungserschwernisse infolge einer Bluterkrankheit (s. OLG Koblenz VRS 72, 145) waren die Komplikationen infolge der Alkoholkrankheit des Verletzten ... nicht zwangsläufige Folge des Unfalls. Der Alkoholentzug war für die Behandlung der durch den Unfall verursachten Verletzungen nicht zwingend erforderlich. Das duich den Entzug bewirkte Delirium war Folge des aus übergeordneten Gründen angeordneten Alkoholverbots. Die Notwendigkeit, das in einem Krankenhaus geltende Alkoholverbot beachten zu müssen, war für den Verletzten kein typisches Unfallrisiko, sondern die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos eines Alkoholabhängigen. Allgemeine Lebensrisiken fallen aber nicht in den Gefahrenbereich, den § 823 Abs. 1 BGB schützen will (BGH NJW 1968, 2287, 2288) [BGH 07.06.1968 - VI ZR 1/67].

8

Danach hat das Landgericht die über 77,20 DM hinaussgehende Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Wert der Beschwer: 12.366,69 DM.

Der Wert der Beschwer wurde festgesetzt gemäß § 546 Abs. 2 ZPO.