Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 26.08.2005, Az.: 6 A 370/05
Gewährung von Abschiebungsschutz für Vietnamesen; Voraussetzungen zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeverfahren); Zulässigkeit der Feststellung neu entstandener Nachfluchttatbestände nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags; Gefahr einer asylrelevanten Bestrafung oder Verfolgung in Vietnam wegen exilpolitischer Betätigungen oder ungenehmigter Ausreise
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 26.08.2005
- Aktenzeichen
- 6 A 370/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 21680
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2005:0826.6A370.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 28 Abs. 2 AsylVfG
- § 71 Abs. 1 AsylVfG
- § 60 Abs. 1 AufenthG
- § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG
- § 51 Abs. 2 VwVfG
- § 51 Abs. 3 VwVfG
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht F. - 6. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 26. August 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Gärtner als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage hinsichtlich des Asylanerkennungsbegehrens zurückgenommen hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben am 28. August 1965 geboren und vietnamesischer Staatsangehöriger.
Der Kläger meldete sich am 6. April 1992 in D. als Asylsuchender und stellte am 15. April 1992 in E. einen Asylantrag. Zur Begründung gab er an: Er gehöre keiner politischen Partei/Organisation an. Der Direktor seines Betriebes "G.", einer Zuckerfabrik, sei bestechlich. Dagegen habe der Kläger protestiert. Dass der Chef bestechlich sei, habe der Kläger gehört und auch selbst gesehen. Danach sei er unterdrückt worden, obwohl es sein Recht gewesen sei zu protestieren. Ihm sei gekündigt worden. Weil er keine Arbeit mehr habe, sei er nach Deutschland gekommen. Vorher habe er am 28. Februar 1992 sein Haus verkauft. Auf Nachfragen bekundete der Kläger: Er vermute, dass er vielleicht verhaftet werde, da er seinen Chef angezeigt habe. Er habe Angst vor einer Verhaftung gehabt und deshalb so schnell wie möglich das Land verlassen. Ihm sei am 16. Januar 1992 gekündigt worden. Er habe seinen Chef am 28. November 1991 angezeigt. Außer der Kündigung sei nichts geschehen. Er denke aber, dass er im April verhaftet werden würde. Er habe von der Verhaftung durch Gerüchte kurz vor der Ausreise erfahren. Sein Haus habe er bereits früher verkauft und auch die Ausreise schon früher geplant, da er mit dieser Verhaftung gerechnet habe. Die Ausreise sei ihm durch Bestechungsgelder seiner Familie gelungen. Außerdem gab der Kläger an, er habe Vietnam am 4. April 1992 verlassen und sei von Hanoi nach Prag geflogen. Am 6. April 1992 sei er zu Fuß in die Bundesrepublik Deutschland gelangt. Er habe keine Papiere. Seine Papiere und die Tasche habe er am 6. April 1992 bei dem Grenzübertritt "wegen Polizeiverfolgung" weggeworfen.
Zu einer Anhörung des Klägers durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge kam es in der Folgezeit nicht. Erst auf Grund einer Nachfrage der Ausländerbehörde des Landkreises F. vom 24. Mai 2000 führte das Bundesamt das Asylverfahren weiter. Am 28. Juni 2000 wurde der Kläger vom Bundesamt in E. angehört. Wegen des Ergebnisses dieser Anhörung wird auf die Anhörungsniederschrift vom gleichen Tage verwiesen.
Der damalige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers äußerte sich für diesen mit Schriftsatz vom 14. August 2000 ergänzend. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 14. August 2000 verwiesen.
Mit Bescheid vom 29. August 2000, mittels Einschreiben zur Post aufgegeben am 30. August 2000, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass bei ihm weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Zugleich forderte das Bundesamt den Kläger unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise auf.
Daraufhin hat der Kläger am 18. September 2000, einem Montag, Klage - 6 A 1407/00 - erhoben. Diese Klage hat das Gericht mit Urteil vom 4. Mai 2001 - 6 A 1407/00 - abgewiesen. Auf die Gründe dieses Urteils, das seit dem 7. Juni 2001 rechtskräftig ist, wird verwiesen.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 6. September 2004 stellte der Kläger, der seit dem negativen Abschluss seines Asylerstverfahrens geduldet wird, erneut einen Asylantrag, verbunden mit dem Antrag, das Verfahren zu § 53 AuslG - jetzt § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes -AufenthG - wieder aufzugreifen. Zur Begründung ließ er im Wesentlichen vortragen:
Er sei seit dem 10. Oktober 2000 Mitglied im "Verein der vietnamesischen Flüchtlinge in C. e.V.". Der Verein sei in vielen Ländern der Welt aktiv. Die Vereinsmitglieder träfen sich regelmäßig zu Besprechungen und Sitzungen, in denen sie sich sehr kritisch mit Vietnam und dem dort herrschenden kommunistischen System auseinander setzten. Sie veröffentlichten ihre Ansichten und ihre Kritik am kommunistischen Vietnam regelmäßig in einer eigenen Zeitschrift, die in vielen Ländern der Welt vertrieben werde. Die Zeitungsartikel fänden wegen des kritischen politischen Inhalts im kommunistischen Vietnam keinen Zuspruch. Es seien gegen vereinzelte Mitglieder Bedrohungen und Bestrafungen ausgesprochen worden. Die Bewegung werde von den staatlichen Organen Vietnams beobachtet. Der Verein dürfe in Vietnam nicht tätig sein. Denn in Vietnam dürfe nur die kommunistische Bewegung tätig sein. Sie sei allein für den Staat vertretungsberechtigt. Die Vereinsmitglieder würden in Vietnam verfolgt. Auch Personen, die mit Bewegungsmitgliedern Kontakt gehabt haben oder hätten, seien geschlagen und gefoltert worden und säßen in Gefängnissen ein.
Der Kläger befürchte daher, bei Ankunft in ganz Vietnam verfolgt und inhaftiert zu werden. Er sei aktiv gegen den vietnamesischen Staat tätig gewesen. Er habe Aktionen wie Demonstrationen und Veranstaltungen gegen Vietnam koordiniert. Hierfür werde auf die vorgelegten Teilnahmebescheinigungen des Vereins vom 20. Mai 2001 (Diskussionsrunde "Die Exilvietnamesen in der Welt" am 19. Mai 2001 im I. in C.), 20. Mai 2002 (Podiumsdiskussion "Über den möglichen Verrat am Vaterland von der vietnamesischen kommunistischen Partei durch die beiden Abkommen mit der Volksrepublik China" am 11. Mai 2002 im J.-Haus in C.), 15. Oktober 2002 ("Fest der Nationen" im J.-Haus am 12. Oktober 2002), 30. Mai 2003 ("Gedenktag zur Gründung der vietnamesischen Nation" mit Vorträgen über das Thema "Die Verletzungen der Religionsfreiheit in Vietnam" am 24. Mai 2003 im I. in C.), 30. November 2003 ("Informationstag für Religionsfreiheit in Vietnam" am 15. November 2003 auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz in C.) und 20. Mai 2004 ("Gedenktag zur Gründung der vietnamesischen Nation" mit einer Diskussionsrunde über das Thema "Der Handel mit vietnamesischen Frauen und Kindern" am 8. Mai 2004 im Haus der Jugend K. in C.) verwiesen. Das Verfolgungs- und Bestrafungsrisiko bei einer Rückkehr nach Vietnam sei sehr schwer einzuschätzen, weil die Reaktionsweise vietnamesischer Behörden "ständiger, zum Teil sehr irrationalen Veränderung" - so die Stellungnahme des Sachverständigen Dr. Will vom 14. September 2000 - unterworfen sei. Eine Prognose, Bestrafungen würden in Vietnam nur ausschließlich bei "exponierter" Betätigung im Ausland vorgenommen, sei nicht möglich und gehe an der Irrationalität und der dem Zufall verhafteten Willkürlichkeit des vietnamesischen "Rechtssystems" vorbei. Deshalb halte der Sachverständige Dr. Will daran fest, dass Regimekritiker (gleichgültig mit welcher Intensität Kritik geübt worden sei) bei ihrer Rückkehr nach Vietnam mit einer Verfolgung rechnen müssten. Anknüpfungspunkt für Maßnahmen gegen den Kläger sei u.a. die Tatsache, dass es in Vietnam sog. "administrative Haftstrafen" auf der Grundlage der Regierungsverordnung Nr. 31 - CP vom 14. April 1997 gebe. Weder das Reintegrationsabkommen vom 9. Juli 1990 noch das im Juli 1995 geschlossene Rückwanderungsabkommen enthielten eine genügende Straffreiheitsgarantie. Auch sei zu berücksichtigen, dass offenbar alle Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Hanoi entweder in ein Polizeigebäude im Stadtteil Tu Ngiehm oder in ein Aufnahmelager im Stadtteil Tu Liem verbracht und dort zunächst einmal festgehalten und kontrolliert würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den schriftsätzlichen Asylfolgeantrag vom 6. September 2004 nebst Anlagen verwiesen.
Mit Bescheid vom 10. Februar 2005, als Einschreiben am gleichen Tag zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowohl den Antrag des Klägers auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als auch eine Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheides vom 29. August 2000 bezüglich der Feststelllungen zu § 53 AuslG ab. Wegen der Begründung wird auf den Bescheid verwiesen.
Daraufhin hat der Kläger am 25. Februar 2005 die vorliegende Klage - 6 A 370/05 - erhoben, die schriftsätzlich begründet worden ist.
Mit seiner Klage hat der Kläger zunächst auch einen Asylanerkennungsbegehren verfolgt. Dieses Begehren hat er in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrecht erhalten.
Mit der Klageerhebung hat der Kläger bei Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Diesen Antrag hat das Gericht mit Beschluss vom 8. März 2005 - 6 B 371/05 - abgelehnt. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Februar 2005 aufzuheben, soweit dieser entgegensteht, und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 6 A 370/05 - 6 B 371/05 und 6 A 1407/00 sowie auf die beigezogenen Bundesamtsakten und Ausländerakten des Landkreises F. Bezug genommen.
II.
Soweit der Kläger seine Klage hinsichtlich des Asylanerkennungsbegehren zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Die aufrecht erhaltene Klage hat keinen Erfolg.
Das angerufene Verwaltungsgericht F. ist für die zu treffende Entscheidung örtlich zuständig.
Nach § 52 Nr. 2 S. 3 Halbsatz 1 VwGO ist in Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylverfahrensgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat. Dies ist hier das Verwaltungsgericht F.. Ausweislich der Ausländerakten war der Kläger zwar in seinem Asylerstverfahren zunächst mit Bescheid vom 13. April 1992 dem Landkreis H. zugewiesen worden, der im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts Lüneburg liegt. Der Kläger ist jedoch im weiteren Verlauf seines Asylerstverfahrens bereits mit Bescheid des Landkreises H. vom 07. Dezember 1992 dem Landkreis F. - Stadt L. - zugewiesen worden. Diese Zuweisung hat für die Dauer des Asylerstverfahrens Bestand gehabt. Sie begründet damit auch die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für das vom Kläger anhängig gemachte Folgeverfahren. Denn nach § 71 Abs. 7 S. 1 AsylVfG gilt, wenn der Aufenthalt des Ausländers - wie hier - während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt war, die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht.
Die Klage ist, soweit sie aufrecht erhalten worden ist, unbegründet.
1.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder - wie hier - unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG - ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - vorliegen. Danach setzt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens materiell-rechtlich voraus, dass sich die der ablehnenden Entscheidung im Asylerstverfahren zu Grunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Asylbewerber günstigere Entscheidung im Asylerstverfahren herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG).
Ferner ist zu prüfen, ob der Folgeantragsteller ohne grobes Verschulden im Sinne von § 51 Abs. 2 VwVfG außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch einen Rechtsbehelf, geltend zu machen.
Verfahrensrechtlich ist ein Folgeantrag zudem nur zulässig, wenn der Asylbewerber ihn innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis von dem Grund des Wiederaufgreifens gestellt hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG). Bei mehreren Wiederaufgreifensgründen hat der Betroffene die Drei-Monats-Frist für jeden einzelnen Grund zu wahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 C 12.92 - BVerwGE 95, 86 ff). Dies gilt auch, wenn im gerichtlichen Verfahren (erstmals) weitere Wiederaufgreifensgründe nachgeschoben werden.
Soweit das Wiederaufgreifensvorbringen des Folgeantragstellers in dem den Folgeantrag betreffenden Klageverfahren die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt, ist das Verwaltungsgericht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -) gehalten, die Sache nicht zur Entscheidung über das Asyl- bzw. Abschiebungsschutzbegehren an das Bundesamt "zurückzuverweisen", sondern es muss hierüber auch selbst entscheiden ("durchentscheiden").
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG liegen bei dem Kläger im Hinblick auf die - nach der teilweisen Klagerücknahme hinsichtlich des Asylanerkennungsbegehrens noch streitige - Gewährung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG - vormals § 51 Abs. 1 AuslG - nicht vor.
Neue Beweismittel, die eine dem Kläger günstigere Entscheidung in seinem vorangegangenen Asylverfahren bezüglich des asylrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG - jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG - herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), liegen nicht vor. Ebenso wenig sind Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG gegeben. Auch eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Klägers im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG in Bezug auf den asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG - vormals: 51 Abs. 1 AuslG - hat der Kläger mit seinem Vorbringen im Folgeverfahren nicht dargetan.
Soweit der Kläger auf seine Mitgliedschaft im "Verein der vietnamesischen Flüchtlinge in C. e.V." verweist, ist dieses Vorbringen bereits gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG unbeachtlich. Nach der vorgelegten Bescheinigung vom 12. Oktober 2000 ist der Kläger schon seit dem 10. Oktober 2000 Vereinsmitglied. Der Kläger hätte deshalb die Vereinsmitgliedschaft bereits in seinem Asylerstverfahren geltend machen können. Denn das Asylerstverfahren des Klägers ist erst durch das Urteil des erkennenden Gerichts vom 4. Mai 2001 abgeschlossen worden. Der Kläger hat jedoch in seinem Asylerstverfahren nicht auf eine Vereinsmitgliedschaft hingewiesen und ebenso wenig die Bescheinigung vom 12. Oktober 2000 vorgelegt.
Was die vom Kläger geltend gemachten Aktivitäten als Vereinsmitglied anlangt, hat er mit sämtlichen Bescheinigungen (vom 20. Mai 2001, 20. Mai 2002, 15. Oktober 2002, 30. Mai 2003, 30. November 2003 und 20 Mai 2004) die 3-Monatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG nicht gewahrt. Denn der schriftsätzliche Asylfolgeantrag datiert erst vom 6. September 2004 und ist dem Bundesamt per Telefax an diesem Tag übermittelt worden.
Außerdem sind die vom Kläger vorgetragenen Betätigungen innerhalb des "Vereins für vietnamesische Flüchtlinge in C. e.V." ohnehin nicht geeignet, eine ernst zu nehmende Verfolgungsgefahr bei Rückkehr nach Vietnam zu belegen.
Wegen exilpolitischer Betätigungen in der Bundesrepublik Deutschland muss ein vietnamesischer Asylbewerber bei einer Rückkehr in sein Heimatland nur dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer asyl- bzw. abschiebungsschutzrelevanten Bestrafung nach Bestimmungen des vietnamesischen Strafgesetzbuches rechnen, wenn die oppositionellen Aktivitäten besonders hervorgetreten sind, ihre Wirkung im Wesentlichen nicht auf das Ausland begrenzt geblieben ist und sie als Ausdruck ernst zu nehmender, nicht bloß asyltaktisch motivierter Opposition von Seiten vietnamesischer Behörden gewertet werden (ständige Rechtsprechung des beschließenden Gerichts und des Nds. OVG, vgl. etwa den Beschluss vom 22. August 2001 - 9 LA 2720/01 -; siehe ferner die insoweit weitgehend übereinstimmende obergerichtliche Rechtsprechung, zitiert auf S. 3 des angefochtenen Bundesamtsbescheides; .a.A. offenbar der Einzelrichter der 1. Kammer des VG Lüneburg, vgl. etwa das Urteil vom 29. Juni 2005 - 1 A 212/02 -). Danach ist im Regelfall davon auszugehen, dass exilpolitische Aktivitäten in Vietnam nicht strafrechtlich verfolgt werden (Nds. OVG, a.a.O.; siehe auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes - a.A. - vom 3. Juli 2002 und 20. August 2002 an das VG Darmstadt, vom 25. November 2002, 7. März 2003 und vom 11. März 2004 an das VG Frankfurt (Oder) sowie vom 21. Oktober 2003 an das VG Magdeburg und die Lageberichte des a.A. vom 1. April 2003, 4. März 2004 und 12. Februar 2005).
Das Auswärtige Amt hebt in seinen Lageberichten vom 1. April 2003, 4. März 2004 und 12. Februar 2005 sowie in den genannten Auskünften (etwa vom 11. März 2004) hervor, dass eine oppositionelle Betätigung im Ausland grundsätzlich zu keinen asylrelevanten Konsequenzen im Falle einer Rückkehr nach Vietnam führt. Dem Auswärtigen Amt seien bislang keine Fälle bekannt geworden, in denen Rückkehrer wegen exilpolitischer Aktivitäten Repressalien der vietnamesischen Behörden ausgesetzt gewesen seien. Es seien weiterhin auch keine Fälle bekannt, in denen in Vietnam lebende Angehörige exilpolitisch tätiger Vietnamesen durch die dortigen Behörden unter Druck gesetzt worden seien. Unter den über 10.000 Personen, die seit dem 15. Mai 1996 auf der Grundlage des deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommens nach Vietnam zurückgekehrt seien, hätten sich auch Personen befunden, die in Deutschland exilpolitisch aktiv gewesen seien. Die in Vietnam tätigen Nicht-Regierungs-Organisationen und andere Beobachter der Menschenrechtslage gingen davon aus, dass die vietnamesische Regierung der Auffassung sei, Auslandsaktivitäten berührten die vietnamesische Gesellschaft nur begrenzt. Die Auslandsaktivitäten der Opposition und ihre zum Teil unversöhnliche Kritik an der Politik der Regierung würden - so das Auswärtige Amt - von der breiten vietnamesischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. In Einzelfällen berichteten vietnamesische Presseorgane allgemein über "Straftaten" vietnamesischer Exilanten im Ausland. Rückkehrern könne allerdings im Einzelfall eine Bestrafung wegen Propaganda gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung drohen. Dies hänge vom Inhalt der jeweiligen politischen Aktivitäten ab. Sollte der Betreffende auf Grund seiner Tätigkeit im Ausland Bekanntheit in Vietnam erlangt haben, sei allerdings eine Einreiseverweigerung wahrscheinlicher als eine strafrechtliche Verfolgung nach Rückkehr. Im Jahr 2001 sei dem Auswärtigen Amt ein Fall bekannt geworden, in dem die vietnamesische Botschaft in Berlin einem Vietnamesen schriftlich bescheinigt habe, wegen seiner exilpolitischen Betätigung werde ihm die Einreise nach Vietnam verweigert. Dies sei allerdings ein Einzelfall.
Es ist daher davon auszugehen, dass eine beachtliche Gefahr, wegen einer in Deutschland ausgeübten exilpolitischen Betätigung nach den geltenden Staatsschutzbestimmungen des vietnamesischen Strafgesetzbuches bestraft oder in anderer asylrechtlich bedeutsamen Weise belangt zu werden, nur dann besteht, wenn es sich bei dieser Tätigkeit um eine nachhaltig und öffentlich ausgeübte besonders hervorgehobene oppositionelle Betätigung handelt, die einen nennenswerten Einfluss auf die vietnamesische Öffentlichkeit auszuüben vermag und die deshalb geeignet ist, den vietnamesischen Staat aus dortiger Sicht öffentlich herabzuwürdigen.
Die bloße Mitgliedschaft in Exilorganisationen und die Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisationen begründet indessen die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus politischen Gründen in Vietnam ebenso wenig wie die Ausübung von Funktionen in örtlichen und regionalen Exilgruppen und Unterorganisationen größerer Exilorganisationen sowie die bloße Veröffentlichung regimekritischer Beiträge in Zeitschriften oder anderen Medien ( VGH Kassel, Urteil vom 3. September 2003 - 11 UE 1011/01.A -, m.w.N.). Dass solche eher untergeordnete exilpolitische Tätigkeiten die betreffenden Personen keiner ernsthaften Verfolgungsgefährdung aussetzen, ergibt sich schon daraus, dass es wegen der großen Anzahl der im Ausland aktiven Exilgruppen und ihrer Mitglieder und Sympathisanten bereits aus Kapazitätsgründen nicht möglich ist, jedwede durch die intensive Beobachtung bekannt werdende oppositionelle Tätigkeit zu verfolgen. Wegen der geringen Resonanz der Auslandsorganisationen in der vietnamesischen Öffentlichkeit ist auch ein gesteigertes Interesse der vietnamesischen Behörden an der Ahndung dieses Verhaltens nicht ersichtlich.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine für den Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr, wegen seiner Mitgliedschaft im "Verein für vietnamesische Flüchtlinge in C. e.V." und wegen der geltend gemachten Beteiligung an den in vorgelegten Bescheinigungen genannten Veranstaltungen in C. im Falle einer Rückkehr nach Vietnam bestraft oder in anderer Weise verfolgt zu werden, nicht erkennbar.
Es ist nicht einmal ansatzweise ersichtlich, dass die geltend gemachte Beteiligung des Klägers an den genannten Veranstaltungen Wirkungen nach Vietnam gezeigt hätte, die das dortige Regime im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischen Verfolgungsmaßnahmen veranlassen könnten.
Im Übrigen scheidet die Gewährung von asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG im Zusammenhang mit der vom Kläger im Folgeverfahren geltend gemachten Beteiligung an den genannten Veranstaltungen in C. gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG auch dann aus, wenn man zu seinen Gunsten davon ausgeht, dass insoweit die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens vorliegen. Nach dieser am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Vorschrift, die mangels einer anders lautenden Übergangsvorschrift auch auf Folgeanträge Anwendung findet, die vor dem 1. Januar 2005 gestellt worden sind, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Feststellung, dass dem Ausländer die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen, nicht mehr getroffen werden, wenn der Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und sein Vorbringen auf Umstände im Sinne des Absatzes 1 - also auf die dort genannten Nachfluchttatbestände - stützt, die nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages entstanden sind.
Dem Kläger droht eine abschiebungsschutzrelevante politische Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG - vormals: § 51 Abs. 1 AuslG - nach wie vor weder wegen seiner Asylantragstellung noch wegen seines Auslandsaufenthalts. Auch insoweit hat der Kläger mit seinem Vorbringen im Folgeverfahren eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zu seinen Gunsten im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht schlüssig und substantiiert dargetan.
Es liegen keine Referenzfälle vor, die eine ernst zu nehmende Bestrafungsgefahr bei einer Rückkehr für Vietnamesen belegen, die sich im Ausland nicht öffentlich und nicht nachhaltig in besonders exponierter Weise betätigt haben. Zwar stehen die ungenehmigte Ausreise aus Vietnam und der unerlaubte Verbleib im Ausland grundsätzlich auch nach dem neuen vietnamesischen Strafgesetzbuch unter Strafe (Art. 274 StGB). Die vietnamesischen Behörden wenden jedoch bei vietnamesischen Staatsangehörigen, die auf der Grundlage des am 21. Juli 1995 unterzeichneten "Deutsch-Vietnamesischen Rückübernahmeabkommens" nach Vietnam zurückkehren, diesen Strafrechtsparagraphen nicht mehr an (vgl. hierzu und zum Folgenden die Lageberichte des a.A. vom 1. April 2003, 4. März 2004 und 12. Februar 2005). Dazu haben sie sich auch vertraglich verpflichtet. Mit dem Abkommen erkennt Vietnam seine völkerrechtliche Verpflichtung zur Rückübernahme aller seiner Staatsangehörigen, die sich ohne gültigen Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, an. Abkommen und Durchführungsprotokoll regeln die Modalitäten des Verfahrens. Im Briefwechsel zum deutsch-vietnamesischen Rücknahmeabkommen hat Vietnam ausdrücklich zugesichert, auf eine Strafverfolgung von Rückkehrern, wegen unerlaubter Ausreise und unerlaubten Aufenthalts in Deutschland zu verzichten. Dem Auswärtigen Amt und dem UNHCR sind keinerlei Strafverfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern wegen ungenehmigter Ausreise bekannt (AA, wie vor).
2.
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Bundesamt das Verfahren wegen der Feststellung von Abschiebungsverboten i.S.d. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht wieder aufgegriffen hat.
Insoweit liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor. Zwar darf das Bundesamt das Verfahren wegen der Feststellung von Abschiebungshindernissen i.S.d. § 53 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) außerhalb des Rahmens des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nach Ermessen wieder aufgreifen (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. September 1999 - BVerwG 1 C 6.99 - und vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 -). Dies hilft dem Kläger jedoch nicht weiter. Denn Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen bei dem Kläger nicht vor. Die diesbezügliche Feststellung in dem klagabweisenden Urteil vom 4. Mai 2001 - 6 A 1407/00 - (seinerzeit zu § 53 AuslG) hat nach wie vor Bestand.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 83 b AsylVfG; 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.