Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 24.06.1991, Az.: 9 A 9014/91
Abwehransprüche der Anwohner gegen Lärmimmissionen eines Spielplatzes; Änderung der Benutzungsanordnungen bezüglich der einzuhaltenden Ruhezeiten; Baurechtliches Gebot der Rücksichtnahme
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 24.06.1991
- Aktenzeichen
- 9 A 9014/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 15435
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1991:0624.9A9014.91.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
- § 906 BGB
- § 1004 BGB
- § 4 Abs. 1 S. 2 SpielplatzG,NI in der Fassung vom 19.09.1989
- § 2 Abs. 3 S. 2 SpielplatzG,NI in der Fassung vom 19.09.1989
Fundstellen
- NJW 1992, 1188 (red. Leitsatz)
- NVwZ 1991, 1211-1212 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Lärmschutz
Benutzungsregelung für den Kinderspielplatz "Kirchwanne".
Die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig
hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juni 1991
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. van Nieuwland,
die Richterin am Verwaltungsgericht Kaiser,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Richtberg sowie
die ehrenamtlichen Richter Ahrens und Hahne
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Kläger sind (zum Teil unmittelbare) Anlieger des Spielplatzes ... der Beklagten. Sowohl die Grundstücke der Kläger als auch der ohne Baugenehmigung errichtete Spielplatz liegen im Bereich des 1961 aufgestellten und 1963 geänderten Bebauungsplanes für das Baugebiet ..., in dem reine Wohnbebauung durch Einzel- und Reihenhäuser vorgesehen ist. Der Spielplatz befindet sich am nördlichen Rand des Plangebietes und grenzt mit seiner Südseite an die Sackgasse .... Eine auf dem Bebauungsplan an dieser Seite vorgesehene Garagenzeile mit acht Garagen ist nicht erstellt worden. Hier befindet sich heute der Zugang zu dem Spielplatz. Mit seiner Ostseite grenzt der Platz direkt an drei Privatgrundstücke, darunter das der Kläger zu 7) und 8) (.... An der Westseite liegt durch einen Fußweg getrennt das Wohngrundstück der Kläger zu 3) und 4) (...). Im Norden ist der Spielplatz von der ... Straße begrenzt. Der Platz hat eine Größe von etwa 600 qm. Auf ihn befinden sich eine Sandkiste, ein Karussell, ein Kletter- und Rutschgerüst sowie ein Hangel- und Klettergerüst. Der eingezäunte Platz ist nicht begrünt, nur im nordwestlichen Bereich stehen zwei Bäume.
Die Benutzung des Spielplatzes war zunächst durch folgende Beschilderung geregelt:
"Spielplatz für Kinder unter 12 Jahren freigegeben an Werktagen von 8.00 bis 13.00 Uhr und von 15.00 bis 19.00 Uhr.
Bitte keine Hunde.
Nicht Fußballspielen.
Nicht Radfahren."
Aufgrund des Beschlusses des Verwaltungsausschusses der Beklagten vom 4. Juli 1989 wurde die Beschilderung des Spielplatzes wie folgt geändert:
"Für Kinder unter 12 Jahren Kinderspielplatz. Die Nutzung in der Zeit von 13.00 bis 15.00 Uhr an Sonn- und Feiertagen ist untersagt. Der Gemeindedirektor".
Eine Benutzungssatzung für Spielplätze hat die Beklagte nicht erlassen.
Nachdem die Kläger sowie andere Bewohner am 20. Februar 1990 gegenüber der Beklagten Vorschläge zur zukünftigen Benutzung des Spielplatzes und zur Durchführung von Lärmschutzmaßnahmen vorgelegt hatten, erhoben die Kläger am 5. März 1990 Widerspruch gegen die geänderte Benutzungsregelung. Darin vertraten sie die Auffassung, bei der angefochtenen Maßnahme handele es sich um einen Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung, so daß der Widerspruch statthaft sei. Als Anwohner des Spielplatzes seien sie in ihren Rechten aus §§ 2 Abs. 3 und 4 Abs. 1 Satz 3 des Niedersächsischen Spielplatzgesetzes verletzt. Es sei nicht einsichtig, warum sie auf ihre Mittagsruhe an Werktagen und die Nachtruhe von 20.00 Uhr bis 8.00 Uhr verzichten sollten. Das Interesse der Kinder an der Benutzung des Spielplatzes zu diesen Zeiten müsse hinter ihrem Ruhebedürfnis zurückstehen, zumal wegen der zu jedem Wohnhaus gehörenden Gärten auch dort gespielt werden könne. Ohne geeignete Schutzmaßnahmen, wie z. B. Bepflanzungen am Rande des Spielplatzes, dürfe den Anliegern die Sonntagsruhe nicht genommen werden. Der fehlende Ausschluß von Hunden, Radfahren und Fußballspielen sei ebenfalls rechtswidrig.
Nach einer Ortsbesichtigung am 31. März 1990, zu der u. a. Vertreter der zuständigen Gremien der Beklagten und die Kläger geladen waren, wies die Beklagte den Widerspruch durch Bescheid vom 30. August 1990 zurück und führte zur Begründung aus: Durch die Beschilderung des Kinderspielplatzes ... sei lediglich eine Benutzungsregelung für eine gemeindliche Einrichtung getroffen worden, durch die Rechte der Kläger nicht verletzt seien. Der Bescheid wurde durch am 31. August 1990 zur Post gegebenes Einschreiben zugestellt.
Am 2. Oktober 1990 haben die Kläger Klage erhoben. Sie verfolgen ihr Begehren insoweit weiter, als sie eine Beschilderung des Spielplatzes begehren, die die täglichen Ruhezeiten von 13.00 bis 15.00 Uhr sowie von 19.00 bis 8.00 Uhr berücksichtigt. Zur Begründung vertiefen sie ihr bisheriges Vorbringen und stützen ihr Begehren außerdem auf eine analoge Heranziehung von § 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG sowie das baurechtliche Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme. Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen habe die Beklagte nicht vorgenommen. Bei der begehrten Nutzungsbeschränkung handele es sich um die mildeste Maßnahme.
Die Kläger beantragen,
die bestehende Benutzungsregelung zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, eine Beschilderung vorzunehmen, die die täglichen Ruhezeiten von 13.00 bis 15.00 Uhr sowie von 19.30 (abends) bis 8.00 Uhr (morgens) festlegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hierzu tritt sie dem Vorbringen der Kläger entgegen. Der Kinderspielplatz ... halte sich im Rahmen des Gebietscharakters eines reinen Wohngebietes. Er sei mit dem Ruhebedürfnis der Anlieger vereinbar. Ein Benutzungsausschluß von 13.00 bis 15.00 Uhr würde dem Wesen eines Spielplatzes widersprechen. Eine abendliche Benutzungsbegrenzung sei nicht erforderlich, weil Kinder unter 12 Jahren mit Einbruch der Dunkelheit zu Hause seien. In den Sommermonaten sei eine längere Nutzung sozialadäquat. Für die Beurteilung könnten Lärmgrenzen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz nicht schematisch angewandt werden, weil es sich bei einem Spielplatz nicht um eine Gewerbeanlage handele. Die Kläger hätten im übrigen nicht dargelegt, welche konkreten Belästigungen sie abwehren wollten, ohne den Spielplatz selbst in Frage zu stellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Vorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die in subjektiver Klagenhäufung erhobene Klage ist zulässig.
Die Kläger sind als unmittelbare Anlieger des Spielplatzes bzw. der an den Spielplatz angrenzenden Sackgasse ... den von dem Spielplatz ausgehenden Geräuschen direkt ausgesetzt und damit für die von ihnen geltend gemachten Abwehransprüche klagebefugt. Es ist auch der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben, da es um Einwirkungen auf die Grundstücke der Kläger geht, deren Grundlage die Nutzung einer öffentlichen Zwecken gewidmeten kommunalen Einrichtung ist. Dabei kann dahinstehen, ob die Kläger ihr auf die Änderung der Benutzungsanordnungen der Beklagten für den Spielplatz ... im Wege der Beschilderung gerichtetes Begehren durch eine Verpflichtungsklage - wie sie selbst meinen - oder durch eine allgemeine Leistungsklage verfolgen müssen. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind im Hinblick auf beide Klagearten erfüllt. Selbst wenn die durch Beschilderung erfolgte Benutzungsordnung als Allgemeinverfügung und damit als Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 2 VwVfG zu qualifizieren wäre, wäre das für die dann richtige Verpflichtungsklage erforderliche Vorverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO durchgeführt. Anderenfalls wäre die Klage als allgemeine Leistungsklage zulässig (so VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.12.1986 - 1 S 1504/86 - BauR 1987, 414; VGH München, Urteil vom 30.11.1987 - 26 B 82 A.2088 - NVwZ 1989, 269).
Die Klage ist jedoch nicht begründet, denn die Kläger haben auf die von ihnen begehrten Maßnahmen der Beklagten keinen Anspruch.
Mit ihrem Begehren, die Nutzung des Spielplatzes in der Mittagszeit an Werktagen und generell während der Nachtzeit durch Kinder bis zu 12 Jahren zu verbieten, machen die Kläger einen in der Rechtsprechung allgemein anerkannten nachbarrechtlichen Abwehranspruch gegen die von dem öffentlichen Spielplatz ausgehenden Beeinträchtigungen geltend. Dieser Anspruch wird teilweise aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleitet und unter entsprechender Anwendung der §§ 1004, 906 BGB entwickelt oder als öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch behandelt (hierzu OVG Lüneburg, Urteil vom 04.12.1990 - 7 L 140/89 - Seite 5 f. des Umdrucks; VGH München aaO. S. 270). Die dogmatische Ableitung kann vorliegend offen bleiben, denn Voraussetzung des Abwehranspruchs ist in jedem Fall eine materielle Rechtsverletzung der Kläger. Diese liegt nicht vor.
Soweit die Kläger den Anspruch aus § 4 Abs. 1 Satz 2 des Nds. Gesetzes über Spielplätze - Nds. SpielplatzG - in der Fassung vom 19.09.1989 (GVBl S. 345) herleiten, greift die Vorschrift hier nicht ein, denn danach sind geeignete Schutzmaßnahmen erforderlich, wenn wegen der Beschaffenheit eines Spielplatzes für Kinder mit besonderen Belästigungen für die Anwohner zu rechnen ist. Diese zusätzlichen Lärmschutzmaßnahmen gelten nur für Sonderformen von Spielplätzen, wie Abenteuerspielplätzen u.ä. (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 17.11.1983 - 6 A 16/83 - NJW 1985, 217). Um einen solchen Spielplatz handelt es sich bei dem hier in Rede stehenden Spielplatz ... jedoch nicht, wie dessen Ausgestaltung zeigt.
Zwar bestimmt § 2 Abs. 3 Satz 2 Nds. SpielplatzG, daß auf das Ruhebedürfnis der Anwohner Rücksicht zu nehmen ist, soweit es die örtlichen Verhältnisse zulassen. Diese Vorschrift hat auch drittschützende Wirkung (OVG Lüneburg, aaO.), sie betrifft jedoch nur die Frage, wo der Spielplatz zu errichten ist. Das ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang dieser Regelung, die die Lage von Spielplätzen vorschreibt.
Diese Frage ist hier nicht Streitgegenstand, denn die Kläger betonen ausdrücklich, daß sie den Spielplatz dem Grunde nach nicht in Frage stellen. Ihnen gehe es nur um eine ihre Interessen berücksichtigende Benutzungsregelung.
Unter dem Aspekt, daß der Spielplatz eine bauliche Anlage ist (auch wenn er ohne Baugenehmigung errichtet worden ist, was allenfalls zur formellen Illegalität führen und eine Rechtsverletzung der Kläger nicht ergeben würde), und der Frage, ob die Nutzung des Spielplatzes in der zugelassenen Form das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme, dem drittschützende Wirkung zukommt, verletzt, besteht der von den Klägern geltend gemachte Anspruch ebenfalls nicht. Ein Eigentümer eines Grundstücks muß nämlich Immissionen, die von einem anderen Grundstück ausgehen, dann dulden, wenn diese die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen, oder wenn er die Beeinträchtigungen, weil sie ortsüblich oder nicht vermeidbar sind, hinnehmen muß.
Mit Spielplätzen für Kinder unter 12 Jahren verbundene Lärmstörungen sind regelmäßig unvermeidbar, da sie Ausdruck der üblichen Auswirkungen des familiengebundenen Wohnens sind. Öffentliche Kinderspielplätze der hier vorliegenden herkömmlichen Art gehören zum Inbegriff des Wohnens auch in einem reinen Wohngebiet. Aufgrund der Sozialbindung ihres Eigentums müssen die Kläger als Nachbarn eines solchen Kinderspielplatzes Beschränkungen hinnehmen, die üblich, adäquat und zumutbar sind. Wenn von solchen Spielplätzen im wesentlichen Geräusche als Folge der natürlichen Lebensäußerung von Kindern entstehen, halten sie sich im Rahmen des Gebietscharakters eines reinen Wohngebietes und sind mit dem Ruhebedürfnis der Anlieger regelmäßig vereinbar (hierzu: VGH Baden-Württemberg, aaO., Seite 415). Der umstrittene Spielplatz ist nach seiner Größe und Ausstattung als üblich zu bewerten. Diese Einschätzung wird auch nicht durch die von der Beklagten zugelassene Nutzung, jedenfalls nicht im Hinblick auf die von den Klägern begehrte zeitliche Beschränkung, infrage gestellt. Unabhängig davon, daß die Kläger überhaupt nicht dargelegt haben, in welcher Weise sie im einzelnen durch die nunmehr erweiterte Nutzung zusätzlichem Lärm vom Kinderspielplatz ausgesetzt sind, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte den Kindern im Einzugsbereich des Spielplatzes auch zwischen 13.00 und 15.00 Uhr sowie nach 19.30 Uhr die Benutzung des Platzes ermöglicht. Die Beklagte hat mit Recht darauf hingewiesen, daß eine abendliche Nutzung für Kinder der zugelassenen Altersstufe im wesentlichen nur in den Sommermonaten, insbesondere während der Ferienzeiten, in Betracht kommt. Eine solche abendliche Nutzung des Spielplatzes ist unter Berücksichtigung der Spielbedürfnisse der betroffenen Kinder den Anwohnern zuzumuten. Es ist im übrigen allgemein üblich, daß die Abendruhe während der Sommerzeit später eintritt. Der Ausschluß der Mittagszeit von 13.00 Uhr bis 15.00 Uhr würde für die spielwilligen Schulkinder besonders in den Wintermonaten zu Härten führen, denn dann bliebe kaum Zeit zur Nutzung des Spielplatzes zwischen Schulschluß und Eintritt der Dunkelheit. Im übrigen ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, daß die sonstigen alltäglichen Geräusche, wie z. B. Verkehrslärm, auch über die Mittagszeit entstehen.
Da nach alledem die im Rahmen der zugelassenen Nutzung von den spielenden Kindern bis zu 12 Jahren ausgehenden Lärmeinwirkungen als zumutbar angesehen werden müssen, kommt es nicht darauf an, ob grundsätzlich ein Abwehranspruch gegen Lärmeinwirkung eines Kinderspielplatzes auf Regelungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes gestützt werden könnte.
Soweit die Kläger Beeinträchtigungen von dem Spielplatz ausgesetzt sind, die durch über 12 Jahre alte Kinder/Jugendliche verursacht werden, kann diesen Störungen nicht durch die begehrten zeitlichen Beschränkungen der Benutzung begegnet werden. Für ältere als 12-jährige Kinder ist der Spielplatz ohnehin nicht zugelassen. Eine solche mißbräuchliche Spielplatzbenutzung muß die Beklagte, die für eine ordnungsgemäße Nutzung des Platzes verantwortlich ist, durch andere Schutzmaßnahmen, wie z. B. Kontrollen, ausschließen.
Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 709 ZPO.
Kaiser
Dr. Richtberg