Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 19.06.1991, Az.: 10 A 10029/91
Rechtmäßigkeit der Versagung von Extensivierungsbeihilfe; Gewährung von Zuwendungen für die Förderung der Extensivierung der landwirtschaftlichen Erzeugung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 19.06.1991
- Aktenzeichen
- 10 A 10029/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 21160
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1991:0619.10A10029.91.0A
Rechtsgrundlage
- Art. 3 GG
Fundstelle
- NVwZ 1992, 400 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Extensivierungsbeihilfe
Die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juni 1991
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Hirschmann,
die Richter am Verwaltungsgericht Stubben und von Krosigk sowie
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Ablehnungsbescheid des beklagten Amtes vom 14.08.1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 15.10.1990 wird aufgehoben.
Das beklagte Amt wird verpflichtet, den Antrag des Klägers vom 09.07.1990 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Das beklagte Amt trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Das beklagte Amt kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Versagung von Extensivierungsbeihilfe.
Der Kläger ist Landwirt. Er beabsichtigte erstmals 1990, einen Antrag auf Extensivierungsbeihilfe zu stellen. Als er deshalb im Mai 1990 aufgrund von Gerüchten, daß möglicherweise ein neues Extensivierungsprogramm aufgelegt werden sollte, bei dem beklagten Amt anrief, wurde ihm mitgeteilt, eine Antragstellung sei zur Zeit - Mai 1990 - noch nicht möglich, da das neue Programm noch gar nicht veröffentlicht worden sei. Dann teilte der Niedersächsische Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unter dem 28.5.1990 unter anderem der Bezirksregierung Braunschweig und der Landwirtschaftskammer Hannover mit, daß in Ergänzung des Runderlasses vom 6.7.1989 ab sofort bis vorerst 30.6.1990 entsprechende Anträge angenommen werden können. Diesem Schreiben fügte er den Entwurf eines vorläufigen Extensivierungsprogrammes bei, wobei in diesen vorläufigen Richtlinien unter Ziffer 7.2.2 keine Frist für die Stellung der Anträge angegeben worden ist. Ausweislich Ziffer 8. sollten die vorläufigen Richtlinien mit Wirkung vom 15.5.1990 in Kraft treten. Mit Schreiben vom 11.6.1990 übersandte die Landwirtschaftskammer Hannover den Richtlinienentwurf an die Außenstellen der Landwirtschaftskammern. Dieses Schreiben ging am 18.6.1990 bei der Außenstelle Northeim ein, wobei in dem entsprechenden Anschreiben von einer Frist bis zum 30.6.1990 keine Rede ist. Die übersandten vorläufigen Richtlinien enthielten weiterhin keine Fristangabe. Am 1.7.1990 erschien dann in der Landvolk-Zeitung eine entsprechende Veröffentlichung über die Extensivierungsbeihilfe. Am 3.7.1990 ging schließlich das Schreiben der Landwirtschaftskammer Hannover vom 11.6.1990 bei der Landberatung ein. Die Richtlinien wurden im Nds. MBl. v. 6.9.1990 veröffentlicht. Der Runderlaß datiert vom 26.7.1990. Aus Ziffer 7.2.2 der Richtlinien ergibt sich, daß die Antragsfrist am 30.6.1990 endete.
Am 10.7.1990 ging der Antrag des Klägers vom 9.7.1990 auf Extensivierungsbeihilfe durch Aufgabe der Bullenmast bei dem Beklagten ein. Dieser Antrag ging am 10.7.1990 bei der Beklagten ein. Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 14.8.1990 mit der Begründung ab, daß er zu spät eingegangen sei. Die Antragsfrist sei am 30.6.1990 abgelaufen. Den dagegen erhobenen Widerspruch begründet der Kläger wie folgt: Eine Fristversäumnis könne ihm nicht angelastet werden. Eine Veröffentlichung der Frist sei weder durch die Beklagte noch durch die Landwirtschaftskammer Hannover veröffentlicht oder anderweitig bekanntgemacht worden. Deshalb seien weder er noch die Landberatung Bad Gandersheim, die er mit der Stellung des Antrags wegen eines Sanatoriumsaufenthaltes in der Zeit vom 7.6.1990 bis zum 19.7.1990 beauftragt hatte, darüber informiert gewesen, daß die Antragsfrist mit dem 30.6.1990 enden sollte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.1990 (abgesandt am 22.10.1990) wies die Bezirksregierung Braunschweig den Widerspruch des Klägers kostenpflichtig zurück. Zur Begründung führt sie an: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Fristversäumung könne nicht gewährt werden. Zum einen sei der dafür erforderliche Antrag nicht in der vorgeschriebenen Frist gestellt worden. Zum anderen habe auch ein Wiedereinsetzungsverfahren von Amts wegen keine Erfolgsaussicht, da der Kläger nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Antragsfrist gehindert gewesen sei. Der Antragstermin sei der Landwirtschaftskammer Hannover und dem Landesverband des Niedersächsischen Landvolkes e.V. bekannt gewesen und in den einschlägigen Publikationen veröffentlicht worden. Darüber hinaus hätten die Ämter für Agrarstruktur in der öffentlichen Fach- und Tagespresse auf die Antragsfrist hingewiesen.
Mit seiner am 22.11.1990 eingelegten Klage macht der Kläger geltend: Ihm hätte Wiedereinsetzung wegen der angeblichen Versäumung seiner Antragsfrist von Amts wegen gewährt werden müssen, da er von der Versäumung der Frist keine Kenntnis gehabt habe.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des beklagten Amtes vom 14.8.1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung vom 15.10.1990 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf die Gründe im Widerspruchsbescheid. Ergänzend führt er aus, daß der Richtlinienentwurf an den Landesverband des Niedersächsischen Landvolkes übersandt worden sei. Von dort erfolge normalerweise eine Information der Kreisverbände, bei denen eine Einsichtnahme möglich sei. Veröffentlichungen über die Presse seien von ihr aus nicht erfolgt. Sie könne die Bekanntgabe vor dem 30.6.1990 nicht bestätigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
II.
Die Klage ist begründet. Die Klage hat in der Sache Erfolg.
Der Beklagte ist zu einer erneuten Bescheidung des Klägers zu verpflichten. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 14.8.1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung vom 15.10.1990 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zu Unrecht ist der Beklagte davon ausgegangen, daß der Antrag des Klägers vom 9.7.1990 abgelehnt werden müsse, weil dieser zu spät bei ihr eingegangen sei. Zwar ergibt sich aus Ziffer 7.2.2 der Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen für die Förderung der Extensivierung der landwirtschaftlichen Erzeugung vom 26.7.1990, daß die Antragsfrist am 30.6.1990 endete. Aber die in dem RdErl.d.ML v. 26.7.1990 rückwirkend gesetzte Ausschlußfrist ist eklatant rechtswidrig. Denn sie verstößt in besonderer Weise gegen das Rechtsstaatsprinzip und dem daraus resultierenden Vertrauensgrundsatz. Der Bürger muß danach grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, daß er gerade von Ausschlußfristen, die er einhalten muß, um seine Rechte in vollem Unfang ausschöpfen zu können, rechtzeitig Kenntnis erlangt. Denn bei Ausschlußfristen ist eine Wiedereinsetzung wegen Fristversäumnis grundsätzlich nicht möglich. Dagegen ist verstoßen, wenn - wie im vorliegenen Fall - offiziell erst am 6.9.1990 ein Erlaß vom 26.7.1990 veröffentlicht wird aus dem sich ergibt, daß die Antragsfrist bereits am 30.6.1990 endete. Eine rechtzeitige Kenntniserlangung ist in diesem Falle nicht möglich. Aus dem insoweit unstreitigen Sachvortrag der Parteien ergibt sich, daß der Kläger erst nach dem 1.7.1990 von dem Ablauf der Frist überhaupt Kenntnis erlangen konnte. Wäre im übrigen die rückwirkende Setzung einer Ausschlußfrist möglich, würden diejenigen Antragsteller ohne Grund bevorzugt, die auf Verdacht, Gerücht, besondere Beziehungen hin, vor Fristende einen Antrag stellen. Dagegen wären diejenigen, die auf eine ordnungsgemäße Verfahrensabwicklung, Veröffentlichung o. offizielle-übliche-Unterrichtung warten, ohne Grund benachteiligt. Dies führt zu einer willkürlichen Förderung und somit einen Verstoß gegen Art. 3 GG, da gleiches ohne Grund ungleich behandelt wird.
Soweit die Bezirksregierung Braunschweig im Widerspruchsbescheid ausführt, daß der Kläger aufgrund der entsprechenden Veröffentlichungen hätte informiert sein müssen, wird dieser Vortrag von dem Beklagten nicht mehr aufrecht erhalten. Denn er trägt selbst vor, daß von ihm entsprechende Veröffentlichungen nicht vorgenommen worden seien. Außerdem werden von ihm auch keine Nachweise entsprechender Veröffentlichungen trotz Aufforderung seitens der Kammer vorgelegt. Im übrigen ergibt sich aus dem Vortrag der Beteiligten, daß eine entsprechende Veröffentlichung erst am 1.7.1990 vorlag.
Da somit die rückwirkende Fristsetzung rechtswidrig ist, konnte der Kläger am 9.7.1990 noch einen Antrag auf Extensivierungsbeihilfe stellen. Die Ablehnung seines Antrags wegen Fristversäumnis ist daher rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Das Amt war antragsgemäß zu verurteilen. Nicht entgegenhalten kann es nun dem Kläger, sein Antrag hätte bei Antragstellung vollständig sein müssen. Einer ordnungsgemäß arbeitenden Verwaltung obliegt es, fehlende Angaben im Rahmen des Hinnehmbaren zu erforschen (§24 VwVerfG). Da das - vorangehende - Betriebsjahr gerade abgelaufen war, hätte der Kläger um Angabe der Daten für das davor liegende Jahr angehalten werden müssen. Jetzt liegen die Angaben vor, so daß einer Entscheidung insoweit nichts im Wege steht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §167 Abs. 2 VwGO i.V.m. den §§708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft.
...
Stubben
von Krosigk