Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 03.06.1991, Az.: 9 A 9003/91
Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ; Rechtmäßigkeit einer immissionsschutzrechtlichen Stillegungsverfügung ; Betrieb von Betriebsanlagen der Deutschen Bundesbahn
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 03.06.1991
- Aktenzeichen
- 9 A 9003/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 21159
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1991:0603.9A9003.91.0A
Rechtsgrundlagen
- § 20 Abs. 2 S. 1 BImSchG
- § 38 BBahnG
- Art. 87 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgegenstand
Stillegungsverfügung gem. §20 Abs. 2 BImSchG
Die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 1991
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. van Nieuwland,
die Richterin am Verwaltungsgericht Kaiser,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Richtberg,
die ehrenamtliche Richterin ... und
den ehrenlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid des beklagten Amtes vom 14. Juni 1989 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 14. Juni 1990 wird aufgehoben.
Das beklagte Amt trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; für die Klägerin allerdings nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 DM.
Das beklagte Amt darf die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe des festgesetzten Erstattungsbetrages gegenüber der Beigeladenen abwenden, wenn nicht die Beigeladene zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Stillegungsverfügung.
Die Klägerin betreibt seit November 1977 auf dem Bahnhofsgelände der Beigeladenen in ... eine Umfüllstelle für Flüssiggas (Propan und Butan) aus Eisenbahnkesselwagen in Straßentankwagen. Für diesen Betrieb wurde der Klägerin unter dem 12. Juni 1980 seitens der Bundesbahndirektion Hannover eine entsprechende Erlaubnis erteilt, nachdem ein durch die Beigeladene bestellter Sachverständiger für Druckgasbehälter oder Füllanlagen mit Prüfbescheinigung vom 9. Juni 1980 gegen die Inbetriebnahme nach sicherheitstechnischer Überprüfung keine Bedenken erhoben hatte. Zwischen der Klägerin und der Bundesbahndirektion Hannover wurde unter Aufhebung eines Vertrages aus dem Jahr 1977 am 15. August 1980 ein Gestattungsvertrag über den Betrieb der Umfüllstelle geschlossen.
Die Umfüllstelle wird nach örtlicher Festlegung durch das zuständige Bundesbahn-Betriebsamt wie folgt betrieben:
Die Beigeladene transportiert Kesselwagen mit einem Fassungsvermögen von ca. 38 bis 45 Tonnen zu einem Nebengleis auf dem betreffenden Bahnhofsgelände, wo die Kesselwagen nach Sperrung des Gleises örtlich gesichert werden. Durch Personal der Klägerin wird dann nach Ausweisung von Sicherheitszonen mittels beweglicher Anschlußleitungen das Flüssiggas aus dem Eisenbahnkesselwagen in Straßentankwagen mit einem Fassungsvermögen von ca. 6 bis 9 Tonnen umgefüllt. Hierbei sind sicherheitstechnische Vorgaben der Beigeladenen zu beachten und einzuhalten. In der Regel wird jeweils nur ein Eisenbahnkesselwagen abgestellt. Je nach Bedarf kann es auch zur Bereitstellung von zwei Eisenbahnkesselwagen kommen (so die Ermittlungen des beklagten Amtes). Die Klägerin hat sich darauf eingerichtet, daß sich die Entladung des Kesselwagens auf bis zu fünf Tage erstreckt.
Nachdem seit Mitte 1982 die Frage der Zuständigkeit für die überwachung und eventuelle Genehmigung von Umfüllstellen der vorliegenden Art zwischen den Beteiligten unter Einschaltung des Niedersächsischen Sozialministers und des Niedersächsischen Ministers für Bundesangelegenheiten kontrovers beurteilt wurde, teilte das beklagte Amt der Klägerin im Rahmen der Anhörung (Schreiben vom 11. April 1989) mit, daß eine Stillegungsverfügung nach §20 Abs. 2 BImSchG beabsichtigt sei.
Hiergegen wandte die Klägerin ein, daß es dem beklagten Amt wegen der Sonderkompetenz der Beigeladenen nach §38 Bundesbahngesetz verwehrt sei, Maßnahmen zu ergreifen. Zudem liege bei der Umfüllstelle keine genehmigungsbedürftige Anlage nach dem BImSchG vor. Die Kesselwagen dienten nicht der Lagerung des Flüssiggases, sondern ausschließlich Transportzwecken. Die Standzeiten der Kesselwagen auf dem Gleis der Beigeladenen für den Umschlag des Flüssiggases auf Straßentankwagen würden nur wenige Tage betragen, so daß es auch an einem durch die 4. BImSchVO geforderten sechsmonatigen ortsfesten Betrieb einer Anlage fehle.
Mit Bescheid vom 14. Juni 1989 ordnete das beklagte Amt die Einstellung des klägerischen Flüssiggaslagers innerhalb eines Monats nach Vollziehung des Bescheides an, da eine nach dem BImSchG genehmigungsbedürftige Anlage ohne die erforderliche Genehmigung betrieben werde und eine Genehmigungserteilung nur beim Treffen weiterer erheblicher Sicherheitsmaßnahmen in Betracht komme. Im Vergleich zu ortsfesten Lageranlagen bestehe bei den Eisenbahnkesselwagen ein erhöhtes Gefährdungspotential (etwa überwachung nur während des Umfüllvorganges, fehlende Wasserkühlung bzw. -berieselung sowie fehlende Auffangvorrichtung beim Austritt von Flüssiggas). Außerdem müsse berücksichtigt werden, daß im Abstand von ca. 100 m zu der Anlage ein Wohngebiet liege.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1990 zurück und ordnete unter Abänderung des Bescheides vom 14. Juni 1989 an, daß die ungenehmigte klägerische Anlage zum Lagern von Flüssiggas in Eisenbahnkesselwagen innerhalb eines Monats nach Vollziehbarkeit dieser Anordnung stillzulegen sei, da der Sachverhalt des Lagerns in Abgrenzung zum Begriff des Abschlusses des Transportvorganges als gegeben anzusehen sei, wenn der jeweilige Eisenbahnkesselwagen länger als 24 Stunden oder noch am Ende des auf die Ankunft folgenden Werktages auch nur noch teilweise mit Flüssiggas gefüllt in der Abfüllstelle stehe. Zur Begründung führte die Bezirksregierung Braunschweig im wesentlichen aus, daߧ38 BBahnG nicht eingreife, weil sich der Umschlag des Flüssiggases zeitlich so weit vom Beförderungsvorgang entfernt habe, daß von einer dem Bundesbahnbetrieb dienenden Anlage nicht mehr gesprochen werden könne. Für die zeitliche Abgrenzung sei von dem in entsprechenden Regelwerken enthaltenen 24-Stundenzeitraum (bzw. dem darauffolgenden Tag) auszugehen, der den Begriff des Lagerns begründe. Die klägerische Anlage sei als Anlage zum Lagern von brennbaren Gasen nach §4 BImSchG i.V.m. §1 Abs. 1 der 4. BImSchVO und Ziff. 9.1 des Anhanges genehmigungsbedürftig, da die Eisenbahnkesselwagen länger als über den vorerwähnten Zeitraum abgestellt und entleert würden. §38 BImSchG greife nicht ein, da die abgestellten Eisenbahnkesselwagen nicht mehr im Rahmen der Teilnahme am Verkehr, sondern zum Lagern von brennbaren Flüssigkeiten eingesetzt würden. Ebensowenig sei die Umfüllstelle gemäß §3 Abs. 5 Nr. 3 BImSchG vom Anlagenbegriff ausgenommen, da unter die Ausnahmeregelung der Emissionen von öffentlichen Verkehrswegen nur typischerweise mit dem Verkehrsbetrieb anfallende zu rechnen seien (z.B. Rangiergeräusche), nicht jedoch solche im Zusammenhang mit dem Verkehr vor- und nachgelagerter Arbeiten (wie etwa das Lagern). Der Einwand, der einzelne Eisenbahnkesselwagen werde nur für einen wesentlich kürzeren Zeitraum als sechs Monate abgestellt, könne keinen Erfolg haben, da Ziff. 9.1 des Anhanges zur 4. BImSchVO gerade nicht fordere, daß die brennbaren Gase in ständig vorhandenen, ortsfesten Behältern gelagert würden. Vielmehr sei darauf abzustellen, daß der Standort der Lagerung für den sechsmonatigen Zeitraum identisch sei und während dieser Zeit eine Lagerung - auch in auswechselbaren Behältern - erfolge. Die Klägerin wechsele innerhalb kurzer Zeit einen geleerten Eisenbahnkesselwagen durch einen neuen gefüllten Wagen aus und verfahre in dieser Weise nahezu über das gesamte Jahr, so daß ein genehmigungspflichtiges Lagern vorliege. Weiterhin sei der Sinn des Genehmigungsvorbehaltes zu beachten, der insbesondere darin zu sehen sei, daß Anlagen, die ihrer Art nach in besonderem Maße schädliche Umwelteinwirkungen oder sonstige Risiken hervorrufen könnten, einer präventiven behördlichen Kontrolle in einem bestimmten Verfahren unterworfen würden. Wegen der zumindest vergleichbaren Gefährlichkeit der vorliegenden Anlage mit einer solchen, die mit stationären Flüssiggasbehältern ausgestattet sei, sei die Genehmigungsbedürftigkeit auch unter Berücksichtigung des Austausches der einzelnen Eisenbahnkesselwagen zu bejahen. Die Eingriffsbefugnis nach §20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG knüpfe ausschließlich an die formelle Illegalität an. Auf die materielle Genehmigungsfähigkeit der Anlage komme es nicht an. Diese Soll - Vorschrift räume nur ein eingeschränktes Ermessen ein, wobei nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die den Fall in einem deutlich anderen Licht als ansonsten vergleichbare Fälle erscheinen lasse, die Behörde von der Anordnung der Stillegung absehen könne. Derartige Umstände seien im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Allein die Duldung der klägerischen Anlage begründe keinen Vertrauensschutz für die Klägerin. Vielmehr würden die weit überwiegenden Gründe, wie im Bescheid vom 14. Juni 1989 dargelegt, für eine Stillegung der Anlage sprechen, so daß die Stillegungsentscheidung eher an der Grenze zum gebundenen Regelungsbereich des §20 Abs. 2 Satz 2 BImSchG liege. Nach alledem sei auch eine Duldung der Anlage für eine längere übergangszeit ausgeschlossen.
Am 28. Juni 1990 hat die Klägerin Klage erhoben und unter Vertiefung ihres vorprozessualen Vorbringens ausgeführt, daß die Tätigkeit der Klägerin sich darauf beschränke, das von der Beigeladenen in Eisenbahnkesselwagen angelieferte Flüssiggas zum Zwecke des Weitertransportes zum Endverbraucher in Straßentankfahrzeuge umzufüllen. Diese Umfülltätigkeit, die unmittelbar auf dem hierfür bestimmten Gelände der Beigeladenen erfolge und auch der Sache nach einen untrennbaren Zusammenhang zum Beförderungsvorgang aufweise, sei richtigerweise noch dem Eisenbahnverkehr zuzurechnen, so daß allein die Verwaltungszuständigkeit der Beigeladenen begründet sei. Darüber hinaus könne von einer immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Lagerung nicht gesprochen werden. Die seitens des beklagten Amtes und der Widerspruchsbehörde vorgenommene Abgrenzung bei der Umfülltätigkeit trage den Besonderheiten des Sachverhaltes nicht hinreichend Rechnung. Die Klägerin praktiziere ein an den verkehrspolitischen Vorgaben zum Gefahrguttransport orientiertes Auslieferungskonzept, in dem das Gefahrgut Flüssiggas, das soweit irgend möglich auf der Schiene transportiert werde, nach Umfüllung im Versorgungsgebiet mit Straßentankwagen zu den Endverbrauchern vor Ort gebracht werde. Dieser Umstand führe dazu, daß die in Rede stehende Umfülltätigkeit als zum Transportvorgang zugehörig anzusehen sei. Dies respektiere auch die Widerspruchsbehörde, jedoch nur soweit eine zeitliche Grenze von 24 Stunden bzw. das Ende des nachfolgenden Werktages nicht überschritten werde. Eine entsprechende zeitliche Grenze finde sich weder im BImSchG noch in der 4. BImSchVO. Daher könne allein die Überschreitung dieser 24-Stundengrenze keineswegs automatisch zur Folge haben, eine nach dem BImSchG genehmigungspflichtige Lagerung anzunehmen. Bei der allein maßgeblichen funktionalen Betrachtung wäre die Annahme des immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Lagerns allenfalls dann gerechtfertigt, wenn bei dem Aufenthalt der Eisenbahnkesselwagen auf dem Güterbahnhof der Transportzweck zugunsten eines eigenständigen Lagerzweckes aufgegeben würde. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der Klägerin könne auch nicht plötzlich die Nutzung der Umfüllstelle unter Berufung auf eine formelle Illegalität versagt werden, nachdem in der Vergangenheit auch die Niedersächsischen Landesbehörden bei im übrigen unveränderter Rechtslage ausdrücklich ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsbedürfnis verneint hätten. Insoweit sei ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der ein Abstellen allein auf die formelle Illegalität verbiete. Soweit bei der behördlichen Entscheidung auch materielle Sicherheitsdefizite beklagt würden, sei dies nicht berechtigt. Die Beigeladene habe die Umfüllstelle durch einen Sachverständigen überprüfen lassen, der keine Sicherheitsdefizite festgestellt habe. Die Klägerin wende sich auch nicht pauschal gegen Forderungen nach verstärkten Sicherheitsvorkehrungen, könne jedoch für sich beanspruchen, daß sich an den zahlreichen von ihr nach gleichem Muster betriebenen Umfüllstellen im gesamten Bundesgebiet bislang kein Unfall ereignet habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des beklagten Amtes vom 14. Juni 1989 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 14. Juni 1990 aufzuheben.
Das beklagte Amt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft es sich auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des beklagten Amtes Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet, da die Stillegungsanordnung des beklagten Amtes in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig rechtswidrig und dadurch die Klägerin in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt ist.
Die auf §20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG gestützte Stillegungsanordnung ist rechtswidrig, weil es sich bei der von der Klägerin betriebenen Umfüllstelle auf dem Bahnhofsgelände in ... um eine Eisenbahnanlage handelt und es dem beklagten Amt deshalb verwehrt ist, eigene Maßnahmen in dem durch §38 BBahnG begründeten Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu treffen.
Die Deutsche Bundesbahn ist gemäß Art. 87 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz von der Verwaltungshoheit der Länder ausgenommen. Der Umfang der von der Landeshoheit ausgenommenen Bundesbahnhoheit ergibt sich aus der ihr gestellten Aufgabe. Nach §36 BBahnG untersteht der Bau und der Betrieb von Betriebsanlagen der Deutschen Bundesbahn ausschließlich ihrer eigenen Planfeststellungskompetenz. Nach dem maßgeblichen §38 BBahnG hat die Deutsche Bundesbahn dafür einzustehen, daß ihre dem Betrieb dienenden baulichen und maschinellen Anlagen sowie die Fahrzeuge allen Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügen. Baufreigaben, Abnahmen, Prüfungen und Zulassungen durch andere Behörden finden für die Eisenbahnanlagen und Schienenfahrzeuge nicht statt.
Die danach grundlegende Frage, ob die Umfüllstelle der Klägerin zu den von der Landesverwaltungshoheit ausgenommenen Betriebsanlagen gehört, ist zu bejahen, da es sich um eine Anlage zur Abwicklung und Sicherung des äußeren Eisenbahndienstes handelt. Die der Deutschen Bundesbahn eingeräumte Hoheitsgewalt beschränkt sich nicht nur auf den eigentlichen Betrieb ihres Unternehmens, d.h. auf diejenigen Anlagen und Einrichtungen, die zur wirtschaftlichen Aufrechterhaltung des Bahnbetriebes erforderlich sind, sondern umfaßt alle Anlagen, die räumlich im Zusammenhang mit dem Bahnbetrieb stehen und diesem zu dienen bestimmt sind. Hierunter fallen also nicht nur solche Anlagen, die unmittelbar der Abwicklung des Fahrbetriebes dienen, sondern auch die Anlagen für den Verkehrsdienst (etwa die Güterabfertigung), den Baudienst, den Starkstromdienst und den Ausbesserungsdienst sowie die für diese Zwecke bestimmten Hoch- oder Kunstbauten, Grundstücke und festen technischen Anlagen wie etwa Gleise, Signalanlagen und Schranken (vgl. hierzu Finger, BBahnG, §36, Anm. 2 a). Dritten überlassene Lagerplätze in unmittelbarer Gleisnähe, die dem Güterumschlag auf die oder aus den Transportmitteln der Deutschen Bundesbahn dienen, sind ebenfalls Betriebsanlagen der Deutschen Bundesbahn (OVG Münster, OVGE Band 29 Nr. 41 S. 245, 247 f.; BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1977 - I C 21.75 -, Buchholz 406.25, Nr. 1, S. 3). Hingegen sind Anlagen Dritter auf gepachtetem Bahngelände, auf denen Schrott gesammelt, sortiert und zerkleinert wird, auch dann keine Betriebsanlagen im Sinne des §36 BBahnG, wenn der Schrott anschließend zur Abbeförderung in Eisenbahngüterwagen verladen wird und für das Gelände, in dem der Betrieb liegt, ein Planfeststellungsverfahren nach §36 BBahnG durchgeführt worden ist (BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1977 a.a.O., S. 7).
Für den Anlagenbegriff des §38 BBahnG ist folglich maßgebend, ob ein funktionaler Bezug zum Betrieb der Bundesbahn besteht, d.h. ein eisenbahnspezifisches Bedürfnis und Interesse an der betreffenden Anlage existiert (vgl. OVG Münster, NVwZ 1989, S. 576 f. [OVG Nordrhein-Westfalen 06.10.1988 - 4 A 2966/86]; VG Freiburg, NVwZ 1990, S. 594 f. [VG Freiburg 22.12.1988 - 3 K 1/88]). Die Sonderregelungen des Bundesbahngesetzes gelten nicht für Betriebe, die zwar auf Bundesbahngelände arbeiten, aber in keinem notwendigen inneren Zusammenhang mit dem Eisenbahnunternehmen stehen, d.h. die betriebliche Tätigkeit nicht in dem Sinne ortsgebunden ist, daß die jeweiligen Arbeiten technisch und wirtschaftlich sinnvoll nur auf Betriebsgelände der Deutschen Bundesbahn durchgeführt werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1977, a.a.O. S. 7).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der funktionale Bezug zwischen der klägerischen Umfüllstelle und dem Bahnbetrieb der Beigeladenen gegeben und damit der Anlagenbegriff nach §38 BBahnG erfüllt. Die Umfüllstelle ist charakterisiert dadurch, daß auf betriebseigenem Gelände der Beigeladenen ein Nebengleis samt dazugehöriger Ladestraße zum Umfüllen von in Eisenbahnkesselwagen angeliefertem Flüssiggas in Straßentankwagen genutzt und der Eisenbahnkesselwagen dort länger als einen Tag nach dem Anlieferungstag abgestellt wird. Angesichts dieses Betriebskonzeptes bestünden keine Zweifel daran, daß es sich bei einer solchen Umfüllstelle um eine Bahnanlage nach §38 BBahnG handelt, wenn das Abfüllen durch Bundesbahnbedienstete mit bundeseigenen Anschlußleitungen an private Abnehmer und deren Straßentankfahrzeuge erfolgen würde. In diesem Fall käme es auch nicht darauf an, wie lange die Eisenbahnkesselwagen auf dem Nebengleis abgestellt würden und ob insoweit gegebenenfalls von einem Lagern des Flüssiggases gesprochen werden könnte.
Eine andere Beurteilung kann vorliegend aber auch nicht aus dem einzig problematischen Umstand resultieren, daß die Klägerin aufgrund eines Gestattungsvertrages mit der Beigeladenen die Umfüllstelle mit eigenem Personal betreibt (so aber VG Schleswig, Beschluß vom 17. April 1990 - 12 B 6/90 -, GewArch 1990, 373, 374 f. [BVerwG 14.04.1989 - BVerwG 4 C 52.87]). Daß die Klägerin aufgrund des Gestattungsvertrages die Umfüllstelle in eigener Regie betreibt, führt nicht dazu, daß der Anlagenbegriff nach §38 BBahnG verneint werden kann. Die Klägerin ist nämlich im konkreten Fall nicht nur auf den Eisenbahnkesselwagen, sondern auf weitere Einrichtungen der Beigeladenen angewiesen, so etwa die Gleisanlagen und die Ladestraße. Allein diese Umstände zeigen schon vom äußeren Erscheinungsbild her, daß es vorliegend um die Abwicklung des Eisenbahnbetriebes geht. Es findet letztlich ein für den Eisenbahnbetrieb typischer Entladevorgang statt. Insoweit vermag die Kammer der Einschätzung des VG Schleswig (a.a.O., S. 375) nicht zu folgen, die Beigeladene beschränke sich darauf, den Kesselwagen bereitzustellen, die Klägerin betreibe ihre Anlage unabhängig von bahntypischen Einrichtungen und es fehle an der erforderlichen Ortsgebundenheit der Anlage. Der Betrieb der Klägerin - dies hat die jahrelange Praxis im gesamten Bundesgebiet unter Beachtung der verkehrspolitischen Zielsetzung einer Verlagerung der Gefahrguttransporte auf die Schiene gezeigt (vgl. §7 GefahrgutVO Straße - GGVS -) - erfolgt ganz bewußt auf dem Betriebsgelände der Beigeladenen unter Benutzung der dort vorhandenen Betriebsanlagen. Insoweit liegt ein typischer eisenbahnbezogener Entladevorgang vor, der technisch und wirtschaftlich sinnvoll auf dem Bundesbahngelände verrichtet wird.
Soweit das VG Schleswig darüber hinaus eine alleinige Zuständigkeit der Klägerin für die Einhaltung der notwendigen Sicherheitsbestimmungen annimmt (a.a.O., S. 375), entspricht dies nicht den Gegebenheiten. Die Beigeladene stellt im Rahmen des von ihr eingeführten und bislang praktizierten Genehmigungsverfahrens für den Betrieb von Umfüllstellen auf ihrem Betriebsgelände sicherheitstechnische Anforderungen und läßt deren Einhaltung durch Sachverständige überprüfen. Insoweit ergibt sich aus dem maßgeblichen Merkblatt zum Vertrag vom 15.8.1980 für das Füllen und Entleeren von Druckgaskesselwagen auf Bundesbahngelände, daß die Beigeladene vorrangig auf die Sicherheit ihres Bahnbetriebes, in den die Umfüllstelle integriert ist, bedacht ist. So wird dort u.a. die Einhaltung von Gleisabständen, das Erfordernis einer Bestätigung, daß die Fahrleitung des Füllgleises abgeschaltet und geerdet ist sowie die innerhalb der Schutzzone vorhandenen Gleise gesperrt sind, und eine Eingriffsbefugnis des Bahnhofes oder der Güterabfertigung aus sicherheits- und betriebstechnischen Gründen bestimmt. Daraus ergibt sich, daß die Beigeladene die Sicherung des Eisenbahnbetriebes durch vorgegebene sicherheitstechnische Anforderungen und deren Einhaltung selbst überwacht und die Beachtung der sicherheitstechnischen Anforderungen hinsichtlich der Umfüllstelle eben nicht in der Eigenverantwortung der Klägerin liegt.
Die Kammer vermag auch der seitens der Bezirksregierung Braunschweig vorgenommenen Abgrenzung zwischen Bahnanlage und genehmigungspflichtiger Lagerung des Flüssiggases nach dem BImSchG nicht zu folgen, wonach der Begriff der Bahnanlage dann nicht mehr gegeben sei, wenn die Entladung der Eisenbahnkesselwagen nicht binnen 24 Stunden bzw. am darauffolgenden Werktag erfolge und damit der erforderliche Bezug zum Beförderungsvorgang fehle. Einer solchen zeitlichen Grenzziehung, die zudem eine von der Dauer des Umfüllvorganges abhängige Zuständigkeit der Beigeladenen einerseits und des beklagten Amtes andererseits für die streitbefangene Umfüllstelle begründen würde, kann bei der Frage, ob eine Bahnanlage nach §38 BBahnG vorliegt, keine maßgebliche Bedeutung zukommen. Denn selbst wenn man bei einem über mehrere Tage dauernden Umfüllvorgang von einer Lagerung sprechen könnte, würde eine solche Lagereinrichtung aus den bereits dargelegten Gründen den typischen funktionalen Eisenbahnbezug aufweisen, der für den Bahnanlagenbegriff maßgebend ist und der sich gerade nicht an einem restriktiven zeitlichen Moment bezogen auf den Beförderungsvorgang orientiert Die Bezirksregierung Braunschweig hat insoweit in unzulässiger Weise ihre vorgenommene Definition des Lagerbegriffes nach dem BImSchG/4. BImSchVO auf die Bestimmung des Anlagenbegriffes nach §38 BBahnGübertragen. Im übrigen ist eine solche zeitliche Abgrenzung im Bereich des Eisenbahnbetriebes realitätsfremd, da Be- und Entladevorgänge sowie die Bereitstellung von Eisenbahnwagen für diese Zwecke durchaus länger als 24 Stunden bzw. bis zum Ende des darauffolgenden Werktages dauern. Die Deutsche Bundesbahn verfügt nämlich über hohe Beförderungskapazitäten, so daß sich die Arbeiten im Ladebetrieb keinesfalls auf solch kurze Zeitspannen beschränken lassen.
Nach alledem handelt es sich bei der Umfüllstelle der Klägerin um eine §38 BBahnG unterfallende Betriebsanlage der Deutschen Bundesbahn zur Abwicklung und Sicherung des äußeren Eisenbahnbetriebes. Aufgrund der Sonderzuständigkeit der Beigeladenen ist es dem beklagten Amt verwehrt, mangels Eingriffsbefugnis Maßnahmen gegenüber der Klägerin zu ergreifen. Damit brauchte die im Rahmen der mündlichen Verhandlung angesprochene Frage, ob es sich bei der streitbefangenen Umfüllstelle möglicherweise um eine Altanlage nach §67 Abs. 2 BImSchG handeln könnte, keiner endgültigen Klärung zugeführt zu werden.
Die Kammer weist jedoch, abschließend darauf hin, daß die klägerische Umfüllstelle als Bundesbahnanlage nach §38 BBahnG den gleichen sicherheitstechnischen Anforderungen genügen muß, wie dies für vergleichbare Anlagen im Geltungsbereich des BImSchG gefordert wird. Angesichts der vorliegenden Unterlagen bestehen seitens der Kammer erhebliche Zweifel, ob die Anlage gegenwärtig dem zu fordernden Sicherheitsstandard genügt. Die Absperrung durch rot-weiße Flatterbänder und die Aufstellung von zwei Feuerlöschern dürfte jedenfalls kaum ausreichend sein. Diesbezüglich wird die Beigeladene im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach §38 BBahnG nach entsprechender Prüfung das Notwendige zu veranlassen haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der notwendig Beizuladenden waren für erstattungsfähig zu erklären.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §167 VwGO i.V.m. §§709, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft.
...
Kaiser
Dr. Richtberg