Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.08.1992, Az.: 11 L 3003/92

Verhältnismäßigkeit der Ausweisung eines mit einer deutschen Ehefrau verheirateten Ausländers; Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BTMG) durch Handeltreiben mit Heroin; Abwägung der Generalprävention und des Grundrechts auf Schutz der Ehe und Familie als besonderem Abschiebungsschutz; Gefahr der Doppelbestrafung als Abschiebungshindernis; Regelausweisung ; Wiederholungsgefahr und Abschreckung als Rechtfertigung für die Ausweisung; Voraussetzung des schwerwiegenden Grundes für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.08.1992
Aktenzeichen
11 L 3003/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 13362
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1992:0818.11L3003.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 10.04.1992 - AZ: 4 A 228/91

Fundstelle

  • InfAuslR 1993, 21-24 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Aufenthaltserlaubnis, Ausweisung und Abschiebungsandrohung.

Prozessführer

des türkischen Staatsangehörigen ...

Prozessgegner

den Landkreis ...

In der Verwaltungsrechtssache
hat der 11. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. August 1992
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Stelling,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Willikonsky und Ballhausen sowie
die ehrenamtliche Richterin Kreutzmann und
den ehrenamtlichen Richter Leopold
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer Stade - vom 10. April 1992 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der am 1. Januar 1960 in Palu (Türkei/Ostanatolien) geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im Jahre 1979 in die Bundesrepublik Deutschland und beantragte die Gewährung politischen Asyls. Diesen Asylantrag nahm er später wieder zurück und hielt sich anschließend illegal im Bundesgebiet auf. Nachdem er aufgegriffen worden war, wurde er mit Verfügung des Beklagten vom 15. Juli 1980 unbefristet aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Am 2. August 1980 wurde er schließlich in die Türkei abgeschoben.

2

Im April 1985 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte wiederum die Gewährung politischen Asyls. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 10. Juli 1986 als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Im Januar 1987 kehrte der Kläger freiwillig in die Türkei zurück.

3

Seit dem 25. Juni 1988 hält sich der Kläger wiederum im Bundesgebiet auf. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27. Juni 1988 stellte er erneut einen Asylantrag, der durch Bescheid der Freien und Hansestadt ... vom 6. Januar 1989 als unbeachtlich gewertet wurde. Ein vom Kläger dagegen eingeleitetes Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb erfolglos (Beschl. d. Hamb. OVG v. 04.04.1989 - OVG Bs V 107/89 -). Am 9. Juni 1989 suchte der Kläger daraufhin um Verlängerung der ihm gesetzten Ausreisefrist um vier Wochen nach und erklärte sich mit der freiwilligen Ausreise einverstanden. Am 27. April 1989 bestellte er dann zusammen mit seiner jetzigen Ehefrau, der deutschen Staatsangehörigen ... das Aufgebot. Die Eheschließung erfolgte am 2. Februar 1990.

4

Am 8. Februar 1990 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Das noch anhängige Klageverfahren gegen den Bescheid vom 6. Januar 1989 wurde nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten mit Beschluß des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 22. Februar 1990 - 18 VG A 296/89 - eingestellt.

5

Durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 2. Juli 1990 (Az.: 132b 60/90; 132b Ds 121 Js 150/90; rechtskräftig seit dem 02.07.1990) wurde der Kläger wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Heroin zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30,00 DM verurteilt. Diesem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Nachdem der Kläger am 12. Dezember 1988 von einem unbekannten mutmaßlichen Iraner in ... eine Tüte mit 18 Briefchen Heroin (Einzelgewichte zwischen 55 und 88 mg) erhalten hatte, versuchte er diese mit Gewinn zu verkaufen. Betäubungsmittelrechtliche Genehmigungen besaß der Kläger nicht. Gegen 10.15 Uhr desselben Tages bot der unbekannte mutmaßliche Iraner zivilgekleideten Polizeibeamten, die er nicht als solche erkannte, Heroin zum Kauf an. Die Polizeibeamten gingen zum Schein auf das Angebot ein und verlangten Heroin für insgesamt 200,00 DM. Der mutmaßliche Iraner begab sich daraufhin zu dem Kläger und wies diesen darauf hin, daß zwei Deutsche interessiert seien, zum Preis von 200,00 DM vier Heroinbriefchen zu kaufen. In Begleitung des Iraners und einer weiteren Person begab sich der Kläger daraufhin zu den Polizeibeamten, um diesen das Heroin zu verkaufen. Diese gaben sich daraufhin jedoch zu erkennen, überwältigten den Kläger und nahmen ihn vorläufig fest. Wäre das Geschäft zustandegekommen, hätte der Kläger einen Gewinn von 50,00 DM erzielen können.

6

Bei der Strafzumessung wertete das Amtsgericht als strafmildernd, daß der Kläger ein weitgehendes Geständnis abgelegt hatte. Dabei berücksichtigte das Gericht, daß das Geständnis um so schwerer wiege, als türkische Betäubungsmittelhändler aus dem Bereich ... auch bei eindeutiger Beweislage mentalitätsbedingt hartnäckig jede Tatbeteiligung zu bestreiten pflegten. Darüber hinaus sei die Hemmschwelle zur Tatbegehung aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten herabgesetzt gewesen. Zudem sei es nicht zu einer Übergabe der Heroinbriefchen gekommen, und eine konkrete Gefahr für die Volksgesundheit habe nicht bestanden, da die Polizeibeamten lediglich einen dienstlich veranlaßten Scheinkauf hätten durchführen wollen. Strafverschärfend berücksichtigte das Gericht, daß der Angeklagte mit dem Handeltreiben eine besonders gefährliche und verwerfliche Modalität des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BTMG verwirklicht habe, dessen Strafdrohung auch bei bloßem Erwerb zwecks Eigenkonsums Anwendung finde. Außerdem sei Heroin eine harte Droge. Unter Abwägung aller Umstände erscheine aber im Hinblick auf die Unbestraftheit des Angeklagten und sein weitreichendes Geständnis die verhängte Geldstrafe als ausreichend.

7

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 28. November 1990 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 2 AuslG in der damals geltenden Fassung (AuslG 65) ab und wies den Kläger gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 2 und § 11 AuslG 65 für die Dauer von fünf Jahren, gerechnet vom Zeitpunkt des Verlassen des Bundesgebietes an, aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus. Gleichzeitig wurde der Kläger gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 AuslG 65 darauf hingewiesen, daß er verpflichtet sei, unverzüglich die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, und ihm wurde eine Ausreisefrist von zwei Wochen nach Empfang des Bescheides gesetzt. Darüber hinaus wurde ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht und die sofortige Vollziehbarkeit der Verfügung angeordnet.

8

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger fristgerecht Widerspruch ein. Auf seinen Antrag hin ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschluß vom 30. Januar 1991 - 4 B 169/90 - die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs an mit der Begründung, daß dem Kläger aufgrund der mit Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes (AuslG 90) am 1. Januar 1991 eingetretenen neuen Rechtslage wegen seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen der besondere Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 1 AuslG 90 zustehe.

9

Mit Bescheid vom 16. Oktober 1991 wies die Bezirksregierung ... den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten als unbegründet zurück. Hinsichtlich der Ausweisung führte sie aus: Der Beklagte habe den Kläger zu Recht ausgewiesen, da dieser den Tatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 90 erfüllt habe, weil er durch strafgerichtliches Urteil wegen vorsätzlichen Handeltreibens mit Heroin zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Da der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei und mit ihr in häuslicher Lebensgemeinschaft lebe, genieße er jedoch den Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 1 Ziff. 4 AuslG 90, so daß gemäß § 47 Abs. 3 AuslG 90 die Entscheidung über die Ausweisung in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt sei. Folge des besonderen Ausweisungsschutzes sei, daß der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden dürfe. Im Rahmen der Ermessensausübung bei der Entscheidung über die Ausweisung habe die Ausländerbehörde eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Interessen des Ausländers am Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland und dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung vorzunehmen.

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Weiter heißt es, die Ausweisung diene als ordnungsrechtliche Maßnahme dazu, eine künftige Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder einer Beeinträchtigung sonstiger Belange der Bundesrepublik Deutschland vorzubeugen. Generalpräventive Erwägungen könnten daher dann zu einer Ausweisung führen, wenn andere Ausländer diese zum Anlaß nähmen, sich ordnungsgemäß zu verhalten. Auch verheiratete Ausländer dürften ausgewiesen werden, insbesondere wenn sie gegen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen hätten, da der illegale Rauschgifthandel eine erhebliche Gefährdung der Volksgesundheit zur Folge habe und der Rauschgiftmißbrauch einen Nährboden für die Kriminalität junger Menschen darstelle. Angesichts dieser Maßstäbe sei die Ausweisung des Klägers nicht zu beanstanden. Zwar habe das Strafgericht strafmildernd berücksichtigt, daß der Kläger ein volles Geständnis abgelegt habe und es zu einer wirklichen Übergabe des Rauschgiftes nicht gekommen sei, dennoch sei der Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz als besonders gefährlich und verwerflich eingestuft worden, was unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention eine spürbare Ahndung der Tat erforderlich mache. Zwar sei das Strafmaß relativ gering ausgefallen. Da das Amtsgericht die Tat des Klägers aber als besonders gefährlich und verwerflich eingestuft habe, überwiege das generalpräventive Interesse an der Ausweisung das ansonsten überwiegende Interesse des Klägers am Erhalt der Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen (Art. 6 Abs. 1 GG). Auch der Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 GG könne keinen schrankenlosen Ausweisungsschutz gewähren. Da die Ausweisung als generalpräventive Maßnahme der Abschreckung anderer Ausländer dienen solle und der zur Ausweisung führende Grund so schwer wiege, daß er die Ausweisung eines mit einer Deutschen verheirateten Ausländers rechtfertige, sei es dem deutschen Ehepartner zuzumuten, entweder dem Ausländer zu folgen oder sich von seinem Ehegatten zu trennen. Weitere schützenswerte Bindungen des Klägers von persönlicher oder wirtschaftlicher Art bestünden nicht. Insbesondere bestehe nicht die Gefahr einer möglichen Doppelbestrafung in der Türkei. Auch seien keine Abschiebungshindernisse des § 43 Abs. 1 bis 4 AuslG 90 ersichtlich, zumal die Türkei die Todesstrafe für Rauschgiftdelikte seit 1984 nicht mehr vollstreckt habe. Da eine unbefristete Ausweisung des Klägers im Hinblick auf den Schutzbereich des Art. 6 GG unverhältnismäßig wäre, werde die Ausweisung auf fünf Jahre befristet, um so das angestrebte Ziel, die Abschreckung anderer Ausländer zu erreichen und dem öffentlichen Interesse an der Ausweisung gerecht zu werden.

11

Zur Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis wurde ausgeführt, diese sei zu Recht versagt worden, da der Kläger die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. AuslG 90 infolge seiner Ausweisung erfülle.

12

Gegen diese Bescheide richtet sich die Klage des Klägers. Er meint, daß die Verwaltungsbehörde die Rechtsvorschriften des AuslG 90 fehlerhaft angewendet und das ihr eingeräumte Ermessen falsch ausgeübt habe. Im übrigen lebe er seit dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 2. Juli 1990 unbescholten. Er habe einen Arbeitsplatz und unterhalte mit dem erzielten Verdienst seine Ehefrau und das am 17. März 1992 geborene gemeinsame Kind.

13

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28. November 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 1991 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

14

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

15

Mit Urteil vom 10. April 1992 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Beklagten vom 28. November 1990 und den Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1991 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 90 einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis. Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 17 Abs. 1 AuslG 90 sei dem ausländischen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen zum Zwecke des nach Art. 6 GG gebotenen Schutzes von Ehe und Familie eine Aufenthaltserlaubnis für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft zu erteilen. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis könne gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. AuslG 90 nur dann verweigert werden, wenn der Ausländer ausgewiesen oder abgeschoben worden sei. Zwar habe der Beklagte den Kläger mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 28. November 1990 (in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1991) aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Diese Ausweisung sei jedoch fehlerhaft und aufzuheben.

16

Gemäß § 45 Abs. 1 AuslG 90 könne ein Ausländer aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt. Das in dieser Vorschrift der Ausländerbehörde eingeräumte Ermessen werde durch § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 90 dahingehend eingeschränkt, daß wegen der besonderen Gefährlichkeit des Ausländers "in der Regel" die Ausweisung auszusprechen ist, wenn der Ausländer "den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zuwider ohne Erlaubnis Betäubungsmittel anbaut, herstellt, einführt, durchführt oder ausführt, veräußert, an einen anderen abgibt oder in sonstiger Weise in Verkehr bringt oder mit ihnen handelt oder wenn er zu einer solchen Handlung anstiftet oder Beihilfe leistet". Diesen Regelausweisungstatbestand erfülle der Kläger zwar gemäß der strafgerichtlichen Verurteilung. Eine Regelausweisung finde jedoch dann nicht statt, wenn der Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt. In einem solchen Fall dürfe er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (besonderer Ausweisungsschutz gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 4 AuslG 90). Für diese Fälle stelle § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG 90 die Ausweisungsentscheidung in das Ermessen der Ausländerbehörde, die, sofern ein schwerwiegender Grund im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG 90 vorliege, unter Beachtung der in § 45 Abs. 2 AuslG 90 festgelegten Abwägungskriterien zu entscheiden habe. Eine solche Ermessensentscheidung sei im vorliegenden Fall zu treffen. Der Kläger sei seit Februar 1990 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und habe seit Anfang des Jahres 1992 mit ihr ein Kind. Zumindest seit der Eheschließung lebe der Kläger mit seiner Familie in familiärer Lebensgemeinschaft und gehe einer regelmäßigen Berufstätigkeit nach, um seine Familie zu unterhalten.

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Die hier ausgesprochene Ausweisung des Klägers sei ermessensfehlerhaft, weil schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG 90, die allein die Ausweisung eines unter dem besonderen Ausweisungsschutz der Vorschrift stehenden Ausländers aus generalpräventiven Gründen rechtfertigen könnten, nicht vorlägen. Nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die in der Neufassung der Ausweisungsbestimmungen in dem AuslG 90 ihren Niederschlag gefunden hätten, komme die Ausweisung eines einen besonderen Ausweisungsschutz genießenden Ausländers nur in Betracht, wenn die begangene Straftat besonders schwer wiege und deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür bestehe, sie über die strafrechtliche Sanktion hinaus zum Anlaß für eine Ausweisung zu nehmen, um - im Fall der Generalprävention - andere ausländische Staatsangehörige von der Begehung von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuschrecken. Bei nicht mit Deutschen verheirateten Ausländern ergebe sich aus der Systematik der Abs. 1 und 2 des § 47 AuslG 90, daß selbst bei strafrechtlichen Verurteilungen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz es zunächst bei der Regelausweisung des Abs. 2 Ziff. 2 verbleibe, und zwar auch dann, wenn die Freiheitsstrafe mit Bewährung (dann Abs. 2 Ziff. 2) oder ohne Bewährung (dann Abs. 2 Ziff. 1) verhängt worden sei. Erst wenn die Strafrahmengrenzen des Abs. 1 überschritten worden seien, ordne das Gesetz die Ausweisung ohne Ermessensrahmen für die Ausländerbehörde zwingend an. Daraus ergebe sich, daß der Gesetzgeber nicht bei jeder Verurteilung wegen eines Betäubungsmitteldeliktes zwingend die Ausweisung habe vorschreiben wollen, sondern wesentliches Gewicht auf Art und Höhe der Strafe gelegt habe. Dieser Gesichtspunkt müsse auch bei der Ausfüllung des Begriffes "schwerwiegender Grund" im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG 90 herangezogen werden. Im vorliegenden Fall besitze die Verurteilung des Klägers zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30,00 DM nicht das vom Gesetz geforderte Übergewicht gegenüber dem grundgesetzlich garantierten Schutz von Ehe und Familie. Zwar hätten sowohl der Beklagte als auch die Bezirksregierung in ihren Bescheiden zu Recht auf die besondere Gefährlichkeit von Rauschgiftdelikten hingewiesne. Die Verurteilung des Klägers zu einer Geldstrafe allein könne jedoch die von Art. 6 Abs. 1 GG vorgegebene Gewichtung nicht zu seinen Lasten verschieben, zumal keine weiteren in der Person des Klägers liegenden, die Ausweisung rechtfertigenden Gründe (Spezialprävention) herangezogen worden seien. Aus den Verwaltungsvorgängen und den ergangenen Bescheiden lasse sich nichts entnehmen, woraus auf eine besondere Rückfallgefährdung des Klägers zu schließen wäre. Auch hätten weder der Beklagte noch die Bezirksregierung ... bei der Begründung der Ausweisung spezialpräventive Gründe angeführt. Vielmehr werde die Ausweisung allein und ausschließlich auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Diese könnten aufgrund der inzwischen stabilisierten Lebensverhältnisse des Klägers die Ausweisung nicht tragen. Die bloße Befristung der Ausweisung auf fünf Jahre könne dieses Abwägungsdefizit, welches bereits im Vorfeld, nämlich bei der Entscheidung, ob eine Ausweisung durchzuführen sei oder nicht, bestehe, nicht ausgleichen. Da die Ausweisungsverfügung auf ermessensfehlerhaften Erwägungen beruhe, sei sie rechtswidrig und damit aufzuheben. Aufzuheben sei ebenfalls die mit der Klage angefochtene Abschiebungsandrohung, da die zwangsweise Durchsetzung einer rechtswidrigen Ausweisungsverfügung mittels Abschiebung nicht in Betracht komme.

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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten. Er trägt vor: Der Kläger erfülle wegen des unerlaubten vorsätzlichen Handeltreibens mit Heroin den Regelausweisungstatbestand des § 47 Abs. 2 Ziff. 2 AuslG 90. Aufgrund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen genieße er jedoch gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 4 AuslG 90 erhöhten Abschiebungsschutz. Er könne nur aus "schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" ausgewiesen werden, und über seine Ausweisung sei dann gemäß § 47 Abs. 3 AuslG 90 nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Kriterien des § 45 Abs. 2 AuslG 90 - besondere persönliche Verhältnisse des Ausländers - zu entscheiden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne im vorliegenden Fall ein "schwerwiegender Grund" im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG 90, der die Möglichkeit der Ausweisung eröffne, nicht verneint werden. Bei der Feststellung des Vorliegens eines "schwerwiegenden Grundes" könne nicht allein auf das in der strafgerichtlichen Verurteilung enthaltene Strafmaß abgestellt werden. Vielmehr komme es bei der generalpräventiv motivierten Ausweisung darauf an, ob die Straftat selbst besonders schwer wiege und deshalb ein dringendes Bedürfnis für eine Ausweisung über die strafrechtliche Sanktion hinaus bestehe, um andere Ausländer von der Begehung ähnlicher Straftaten abzuhalten. So sei hier zu berücksichtigen gewesen, daß der Kläger nicht nur mit sog. Einstiegsdrogen wie Haschisch gehandelt habe, sondern mit einer zur sofortigen Abhängigkeit führenden Droge, nämlich Heroin. Diesem für eine Ausweisung sprechenden Umstand stehe das Recht des Klägers aus Art. 6 GG - Schutz von Ehe und Familie - gegenüber. Diesem gerecht zu werden, habe die Befristung der Ausweisung auf fünf Jahre gedient. Die Ausweisungsverfügung habe daher nicht auf ermessensfehlerhaften Erwägungen beruht. Auch völkerrechtliche Vereinbarungen oder europarechtliche Bestimmungen stünden im Fall des Klägers einer Ausweisung nicht entgegen. Eine Aufenthaltserlaubnis sei dementsprechend auch nicht zu erteilen.

19

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

20

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

21

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

22

Er verteidigt das angegriffene Urteil.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, deren Inhalt soweit erforderlich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24

Die Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die angegriffenen Verfügungen zu Recht aufgehoben.

25

Nach § 45 Abs. 1 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz - AuslG 90 -) vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354) kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 90 wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zuwider ohne Erlaubnis Betäubungsmittel anbaut, herstellt, einführt, durchführt oder ausführt, veräußert, an einen anderen abgibt oder in sonstiger Weise in Verkehr bringt oder mit ihnen handelt oder wenn er zu einer solchen Handlung anstiftet oder Beihilfe leistet. Der Kläger wurde durch das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 2. Juli 1990 wegen unerlaubten vorsätzlichen Handeltreibens mit Heroin für schuldig befunden und hat damit den Tatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 90 erfüllt.

26

Eine "Regelausweisung" kommt jedoch gemäß § 47 Abs. 3 AuslG 90 dann nicht in Betracht, wenn ein Ausländer nach § 48 Abs. 1 AuslG 90 erhöhten Abschiebungsschutz genießt. Nach § 48 Abs. 1 Nr. 4 AuslG 90 kann ein Ausländer, der mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Für einen solchen Fall stellt § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG 90 die Ausweisungsentscheidung in das Ermessen der Ausländerbehörde.

27

Mit dieser gesetzlichen Regelung ist, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat, die frühere Rechtsprechung zu den Ausweisungstatbeständen des früheren § 10 AuslG 65 in das Gesetz aufgenommen worden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 18. Juli 1979 (1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 ff [BVerfG 18.07.1979 - 1 BvR 650/77]) ausgeführt, daß Art. 6 Abs. 1 GG zwar den ausländischen Ehepartner eines deutschen Staatsangehörigen nicht schlechthin vor Abschiebung schütze. Das Interesse des deutschen Ehepartners daran, seine Ehe als Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner im Bundesgebiet fortzusetzen, sei aber bei jeder Ermessensentscheidung über die Ausweisung eines Ausländers von Amts wegen zu berücksichtigen. Verurteilungen wegen strafbarer Handlungen könnten grundsätzlich noch keine eine Ehe gefährdende Ausweisung rechtfertigen. Bestehe jedoch Wiederholungsgefahr oder solle die Ausweisung der Abschreckung anderer Ausländer dienen, dann sei abzuwägen, ob dennoch der weitere Aufenthalt des Ausländers hingenommen oder ob dem deutschen Ehepartner zugemutet werden könne, sich entweder von seinem Ehegatten zu trennen oder ihm zu folgen und damit seine Heimat aufzugeben. Bei generalpräventiv motivierten Ausweisungen müsse im Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG von einem grundsätzlichen Übergewicht des verfassungsrechtlich abgesicherten Interesses am Erhalt der Ehe mit einem deutschen Staatsbürger gegenüber dem Abschreckungsinteresse ausgegangen werden. Nur wenn die Straftat besonders schwer wiege und deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür bestehe, sie über die strafrechtliche Sanktion hinaus zum Anlaß für eine Ausweisung zu nehmen, um andere Ausländer von der Begehung von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuschrecken, könne die staatliche Schutzpflicht zugunsten des Fortbestandes der Ehe eines deutschen Staatsangehörigen zurückstehen. Da Art. 6 Abs. 1 GG nicht nur die Ehe, sondern die Familie mit Kindern als geschlossenen Lebensbereich erfasse, könne zwar die Existenz eines ehelichen Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit den ausländischen Elternteil nicht in jedem Fall vor einer Ausweisung bewahren, verstärke aber den ohnehin mit Rücksicht auf die Ehe mit einem deutschen Partner bestehenden Schutz gegen die Ausweisung.

28

Der Kläger lebt entsprechend § 48 Abs. 1 Nr. 4 AuslG 90 mit einer deutschen Staatsangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft. In seinem Fall ist deshalb nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß § 48 Abs. 1, letzter Halbsatz, überhaupt eine Ausweisung möglich, über die gemäß § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG 90 nach Ermessen der Ausländerbehörde zu entscheiden ist. Derartige schwerwiegende Gründe sind auch bei Betäubungsmitteldelikten nicht schlechthin gegeben. Das ergibt sich daraus, daß § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG 90 die Ermessensentscheidung bei Vorliegen erhöhten Ausweisungsschutzes "in den, Fällen des Absatzes 2", also nicht nur bei Verurteilung zu Freiheitsstrafe wegen begangener Straftaten (§ 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG 90), sondern auch bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (§ 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 90) vorsieht. Führen aber entsprechend § 48 Abs. 1 AuslG 90 bei Vorliegen eines besonderen Ausweisungsschutzes nur schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu der Möglichkeit einer Ermessensentscheidung, muß es nach der gesetzlichen Systematik auch bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz minderschwere, den Weg zu einer Ermessensentscheidung nicht eröffnende Fälle geben. Andernfalls würde bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz die tatbestandliche Voraussetzung des "schwerwiegenden Grundes" für die Eröffnung der Ermessensentscheidung über die Ausweisung gegenstandslos.

29

Wann bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz ein "schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" gemäß § 48 Abs. 1 AuslG 90 für eine Ausweisung gegeben ist, läßt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes nicht allein daraus entnehmen, welche Strafe das Strafgericht für diesen Verstoß verhängt hat. Denn das Vorliegen eines "schwerwiegenden Grundes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" ist nicht nach strafrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, sondern aus der Sicht des Polizei- und Ordnungsrechts. Eine Straftat, die etwa aus besonderen Gründen in der Person des Täters - z.B. bei Vorliegen von Schuldausschließungsgründen im Zeitpunkt der Tat - nicht zu einer strafgerichtlichen Verurteilung führt, kann dennoch, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellen (vgl. Kanein/Renner, AuslR, Komm., 5. Aufl. 1992, § 45 AuslG Anm. 7 und § 48 AuslG Anm. 6 f.). Regelmäßig wird ein begangenes Rauschgiftdelikt besonders schwerwiegend sein, wenn der Ausländer wegen Beteiligung am illegalen Heroinhandel zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist (BVerwG, Beschl. v. 02.03.1987 - BVerwG 1 B 4.87 -, InfAuslR 1987 S. 145 [BVerwG 16.02.1987 - BVerwG 1 A 80.86]). Im vorliegenden Fall ist trotz der gegen den Kläger verhängten relativ geringen Strafe der von ihm begangene Verstoß gegen das Betäubungsmittelrecht als schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anzusehen. Denn der Kläger hat versucht, mit dem Rauschgift zu handeln und damit die Verbreitung des Rauschgiftes zu fördern. Außerdem betraf der versuchte Handel das zu den "harten" Drogen rechnende und sehr schnell süchtig machende Rauschgift Heroin. Der Heroinhandel gehört zu den besonders gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten. Er erfüllt damit unabhängig von dem individuellen Verschulden des Ausländers den Tatbestand des grundsätzlich auch bei Vorliegen eines besonderen Ausweisungsschutzes die Möglichkeit der Ausweisung eröffnenden "schwerwiegenden Grundes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im Sinne von § 48 Abs. 1 AuslG 90.

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Über die Ausweisung des Klägers war deshalb entsprechend § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG 90 eine Ermessensentscheidung zu treffen. Dem ist jedenfalls mit dem Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1991 auf der Grundlage des AuslG 90 Rechnung getragen worden. Eine solche Ermessensentscheidung unterliegt nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Das Verwaltungsgericht hat sich darauf zu beschränken zu überprüfen, ob die Behörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgangen ist, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 VwGO). Danach erweist sich die hier getroffene Ausweisungsverfügung als rechtswidrig. Denn die ausgesprochene Ausweisung verletzt den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

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Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf die Ausweisung aufgrund des Ergebnisses einer Abwägung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles nicht außer Verhältnis zu dem bezweckten Erfolg stehen, was einschließt, daß bei einer auf eine strafgerichtliche Verurteilung gestützten Ausweisung kein Mißverhältnis zwischen dem strafrechtlichen abgeurteilten Tatgeschehen und den durch die Ausweisung für den Ausländer eintretenden Folgen bestehen darf (BVerwG, Beschl. v. 14.12.1989 - BVerwG 1 B 172.89 -, Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 121). Die Behörde ist hier von dem Grundsatz ausgegangen, daß Rauschgiftdelikte zu den gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten gehören. Die Ausweisungsverfügung in der hier maßgeblichen Fassung des Widerspruchsbescheides enthält allerdings keine Feststellungen dazu, daß im Fall des Klägers eine Wiederholungsgefahr bestünde. Auch das Strafgericht ist in seinem Urteil nicht von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen. Die Behörde - hat deshalb die Ausweisungsverfügung auch nur mit dem Gesichtspunkt der Abschreckung anderer Ausländer vor der Begehung vergleichbarer Straftaten (Generalprävention) begründet. Sie hat dabei jedoch verkannt, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerade bei generalpräventiv motivierten Ausweisungen im Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG von einem grundsätzlichen Übergewicht des verfassungsrechtlich abgesicherten Interesses des Ausländers am Erhalt einer Ehe mit einem deutschen Staatsbürger gegenüber dem Abschreckungsinteresse ausgegangen werden muß (BVerfG, Beschl. v. 18.07.1979 a.a.O.). Im Rahmen der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung eines straffällig gewordenen Ausländers aus dem Bundesgebiet und dessen Interesse an einem Verbleib sind auch die besonderen täterbezogenen Umstände des Einzelfalles der Straftat zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist hier von Bedeutung, daß das Strafgericht den Verstoß des Klägers gegen das Betäubungsmittelrecht als nicht schwerwiegend angesehen und ausnahmsweise nur mit einer Geldstrafe geahndet hat. Angesichts dieses ausnahmsweise geringen Gewichts der Straftat rechtfertigt es der Gedanke der Abschreckung andern Ausländern gegenüber nicht, den Kläger aus dem Bundesgebiet auszuweisen, da damit sein verfassungsrechtlich geschütztes Interesse am Erhalt der Ehe mit seiner deutschen Ehefrau in unangemessen schwerer Weise beeinträchtigt wird. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, daß der Kläger mit seiner Ehefrau (und dem im März 1992 geborenen gemeinsamen Kind) ein intaktes Familienleben führt. Er hat und hatte unstreitig auch im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides eine Arbeitsstelle und unterhält mit dem Arbeitsverdienst die Familie. Diese Familieneinheit würde bei einer Ausweisung des Klägers zerstört. Die Ehefrau und das Kind wären dann entweder auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe angewiesen oder das Kind müßte anderweitig untergebracht werden, wenn die Ehefrau eine Arbeit aufnähme. Denn daß der Kläger von der Türkei aus die Familie weiterhin unterhalten könnte, ist nicht ohne weiteres anzunehmen. Die persönlichen Bindungen des Klägers zu Ehefrau und Kind würden unterbrochen. Ob sich diese Bindungen nach Ablauf von fünf Jahren, d.h. nach Ablauf der Befristung der Ausweisung wieder herstellen lassen, erscheint angesichts der Länge der vorgegebenen Trennungszeit als eher unwahrscheinlich. Allein durch telefonische oder briefliche Kontakte läßt sich in einem so langen Zeitraum eine Entfremdung der Familie nicht verhindern. Diese Nachteile rechtfertigen unter Beachtung des von dem Strafgericht festgestellten und für ein Rauschgiftdelikt ungewöhnlich geringen Schuldvorwurfs eine nur zu Abschreckungszwecken verfügte Ausweisung des Klägers nicht. Die im Lauf des Verfahrens weiter angesprochene Frage, ob Staatsangehörige der mit der Europäischen Gemeinschaft assoziierten Türkei überhaupt aus generalpräventiven Erwägungen ausgewiesen werden dürfen oder ob dem europarechtliche Bestimmungen entgegenstehen, kann deshalb hier offenbleiben.

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Das Verwaltungsgericht hat nach alledem die Ausweisungsverfügung im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Es hat den Beklagten ebenfalls zutreffend zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verpflichtet. Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 90 ist dem ausländischen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis zu dem Zweck zu erteilen, die familiäre Lebensgemeinschaft herzustellen oder zu wahren (entsprechend § 17 Abs. 1 AuslG 90). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Ein Ermessen hinsichtlich der Frage, ob dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis bei Erfüllung der Voraussetzungen zu erteilen ist, steht dem Beklagten nicht zu. Zwar wird nach § 8 Abs. 2 AuslG 90 einem Ausländer, der ausgewiesen worden ist, auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem AuslG 90 keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Da die gegen den Kläger verfügte Ausweisung aus den o.g. Gründen keinen Bestand haben kann, ist dieser Ausschlußtatbestand nicht erfüllt. Darauf, ob der Beklagte den Kläger mit einer anderen Begründung erneut ausweisen könnte, kommt es nicht an. Denn § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 90 stellt ausdrücklich darauf ab, daß der Ausländer ausgewiesen oder abgeschoben worden ist.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich des Kostenausspruchs beruht auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 11 ZPO.

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Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Stelling
Willikonsky
Richter am Oberverwaltungsgericht Ballhausen ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben Stelling