Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 28.06.2017, Az.: 3 A 4969/16
Dohuk; Fluchtalternative; Gruppenverfolgung; Irak; Ninive; Yezide
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 28.06.2017
- Aktenzeichen
- 3 A 4969/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 53917
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Yeziden aus der Region Sindjar waren im Sommer 2014 einer Gruppenverfolgung ausgesetzt. Im Einzelfall kann eine inländische Fluchtalternative in die Autonome Region Kurdistan angenommen werden (hier verneint).
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. September 2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand:
Die Kläger sind irakische Staatsangehörige kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Sie reisten nach eigenen Angaben am 26. August 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 12. Februar 2016 Asylanträge.
Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 17. August 2016 trugen die Kläger zu 1.) und 2.) im Wesentlichen vor, aufgrund der Bedrohungslage durch die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) den Irak verlassen zu haben. Sie hätten im Dorf Ghubal im Kreis Sindjar gelebt. Ghubal sei am 3. August 2014 vom IS angegriffen worden und kurz zuvor seien sie aus ihrem Heimatort geflohen. Sie hätten sich etwa einen Tag in den Bergen aufgehalten und seien dann über Syrien in die Autonome Region Kurdistan geflohen. Dort hätten sie etwa zwei Monate bei ihren - der Klägerin zu 2.) - Eltern in Khanik gelebt und sich anschließend für ca. 10 Monate im Flüchtlingslager in Khanik aufgehalten. Die Eltern besäßen dort ein Haus, ihre Geschwister seien ebenfalls dort wohnhaft. Im Falle einer Rückkehr befürchteten sie eine Verfolgung durch den IS.
Mit Bescheid vom 14. September 2016 erkannte das Bundesamt den Klägern die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Die Kläger wurden unter Erlass einer Abschiebungsandrohung zur Ausreise in den Irak (Region Kurdistan) aufgefordert. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, die Kläger seien keine Flüchtlinge. Zwar sei im Zentralirak, unter anderem in der Provinz Ninive, grundsätzlich von einer Gruppenverfolgung religiöser Minderheiten durch nichtstaatliche Akteure auszugehen. Die irakische Regierung könne auch keinen ausreichenden Schutz vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure bieten. Allerdings seien die Kläger auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Provinz Kurdistan zu verweisen. Da ihre Staatsangehörigkeitsurkunden in der kurdischen Autonomieregion erstellt worden seien, seien sie nachweislich dort registriert und könnten sich deswegen jederzeit legal und ohne Nachteile gegenüber anderen Bewohnern der Region dort aufhalten, leben und arbeiten. Weiterhin seien die Kläger alle in der Provinz Dohuk geboren. Ein Umzug in die sicheren kurdischen Gebiete könne den Klägern auch vor dem Hintergrund zugemutet werden, dass die Eltern und Geschwister der Klägerin zu 2.) dort lebten und sie unterstützen könnten. Dort hätten sie bereits nach der Flucht aus Ghubal für zwei Monate gelebt. Auch hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes seien die Kläger auf die innerstaatliche Fluchtalternative in die kurdische Autonomieregion zu verweisen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Der Kläger zu 1.) sei vor seiner Flucht als Kraftfahrer tätig gewesen und es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er im Falle einer Rückkehr nicht im Stande sein würde, sich zumindest in der Region Kurdistan eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Kläger sei kein Abschiebungsverbot zuzuerkennen.
Die Kläger haben am 26. September 2016 Klage erhoben. Sie tragen ergänzend vor: Sie stammten aus der Ortschaft Ghubal. Die Familie von ihr, der Klägerin zu 2.), habe zunächst in Babire/Al-Kosh gelebt und sei auch nach den Übergriffen des IS in den Norden geflüchtet. Dort hätten sie für kurze Zeit eine Wohnung angemietet. Inzwischen könnten sie diese nicht weiter finanzieren, sodass auch sie nunmehr in einem Flüchtlingscamp wohnten. Ihr Aufenthalt dort vor der Flucht habe unter katastrophalen Umständen stattgefunden. Die Begründung der Beklagten, dass ein Existenzminimum in einem Flüchtlingslager während der Flucht gesichert werden könne, sei nicht nachvollziehbar. Sie stammten unstreitig aus einer Ortschaft, die von den IS-Truppen überrannt worden sei. Damit seien sie vorverfolgt. Die kurdische Autonomieregierung sei sehr darauf bedacht, dass die aus der Provinz Mosul stammenden Yeziden nicht in das kurdische Gebiet übersiedelten. Derzeit finde ein Völkermord an den Yeziden im Irak statt. Auch im kurdischen Autonomiegebiet komme es immer wieder zu Übergriffen auf Yeziden. Unabhängig vom Vorliegen einer individuellen Verfolgung sei in jedem Fall eine Gruppenverfolgung anzunehmen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. September 2016 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihnen subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,
weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Irak vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerakte der Stadt Delmenhorst verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 14. September 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Sie haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - GFK - (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 gelten nach § 3 a AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgungsgründe sind nach § 3 b AsylG zu berücksichtigen die Rasse, die Religion, die Nationalität einschließlich der Zugehörigkeit zu einer kulturellen und ethnischen Gruppe, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, worunter auch die Zugehörigkeit aufgrund des Geschlechts gehört sowie die politische Überzeugung. Eine Verfolgung kann nach § 3 c AsylG ausgehen von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Der Prüfung der Bedrohung i.S.v. § 3 AsylG ist unabhängig von der Frage, ob der Schutz suchende Ausländer seinen Herkunftsstaat bereits vorverfolgt, also auf der Flucht vor eingetretener bzw. unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat, oder ob er unverfolgt ausgereist ist, der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 - juris, Rn. 22). Dabei setzt die unmittelbar - d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - drohende Verfolgung eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 - 10 C 24.08 - juris, Rn. 14). Soweit eine Vorverfolgung eines Schutzsuchenden im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie - festzustellen ist, kommt ihm die Beweiserleichterung gemäß dieser Vorschrift zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009, a.a.O., Rn. 18). Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Antragsteller "erneut von einem solchen Schaden bedroht wird", setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - juris, Rn. 31). Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 - Rn. 21 - juris). Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie erstreckt. Zu beachten ist, dass eine Vorverfolgung nicht mehr wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Fluchtalternative in einem anderen Teil des Herkunftsstaates verneint werden kann. Folglich greift im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung die Beweiserleichterung auch dann, wenn im Zeitpunkt der Ausreise keine landesweit ausweglose Lage bestand (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009, a.a.O., Rn. 18).
Ist der Schutzsuchende dagegen unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
Ob die Voraussetzungen des § 3 AsylG erfüllt sind oder nicht, richtet sich nach den Umständen im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung, siehe § 77 Abs. 1 AsylG.
Nach Maßgabe dessen haben die Kläger glaubhaft gemacht, dass ihnen vor ihrer Ausreise aus dem Irak eine Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG gedroht hat.
Zwar haben die Kläger keine individuelle Vorverfolgung glaubhaft gemacht, da sie keinerlei zielgerichtet gegen sie persönlich vorgenommene Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 a AsylG vorgetragen haben.
Die Kläger waren jedoch vor ihrer Ausreise aus dem Irak aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Yeziden von einer Gruppenverfolgung bedroht.
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 21. April 2009 - 10 C 11.08 - juris) setzt die Feststellung einer Gruppenverfolgung Folgendes voraus:
„Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <204>) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 a.a.O. <204 f.>). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
Diese ursprünglich für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie nunmehr durch § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG (entsprechend Art. 6 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie ) ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 21 f.).
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 24).
An den für die Gruppenverfolgung entwickelten Maßstäben ist auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert. Auch dem - allerdings in anderem Zusammenhang ergangenen - Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 17. Februar 2009 (Rechtssache C 465/07 - Elgafaji - Rn. 37 ff., InfAuslR 2009, 138) dürften im Ansatz vergleichbare Erwägungen zugrunde liegen, wenn dort im Rahmen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie der Grad der Bedrohung für die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe eines Landes zur individuellen Bedrohung der einzelnen Person in Beziehung gesetzt wird.“
Die Geschehnisse im Nordirak in der Provinz Ninive im Sommer 2014, bei welchen der IS unter anderem die von den Yeziden bewohnten Ortschaften in der Region um Sindjar, zu welcher der Wohnort Ghubal der Kläger gehört, unter seine Kontrolle gebracht und die überwiegende Mehrheit der Einwohner vertrieben und eine erhebliche Anzahl an Yeziden getötet oder entführt hat, entsprechen zur Überzeugung des Gerichts den Anforderungen an eine Gruppenverfolgung (so auch VG Hannover, Urteil vom 15. August 2014 - 6 A 9853/14 - juris). Im Rahmen einer Offensive am 3. August 2014 hat der IS die Stadt Sindjar und das nördlich anschließende Gebirge erobert. Da die Yeziden den Angriffen durch den IS nach dem Rückzug der dort stationierten Peschmerga schutzlos ausgeliefert waren, flohen etwa 300.000 bis 400.000 Yeziden aus der Region (die Zahlen schwanken je nach Quelle, vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, Seite 12 sowie ACCORD, Anfragebeantwortung: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen vom 2. Februar 2017). Etwa 40.000 - 60.000 Yeziden begaben sich ins Sindjar-Gebirge, wo sie vom IS umzingelt wurden und erst durch das Eingreifen von PKK-Kämpfern und einen von diesen geschaffenen Korridor über Syrien in die Autonome Region Kurdistan fliehen konnten. Im Verlauf der Angriffe durch den IS wurden in Sindjar und den yezidischen Dörfern der Region zwischen 5000 und 7000 Yeziden vom IS ermordet, tausende junge Yezidinnen wurden entführt und befinden sich teilweise heute noch in den Händen des IS. Das Europäische Parlament hat die Übergriffe des IS auf die religiösen Minderheiten im Irak als Genozid bewertet (vgl. ausführlich Oehring, Christen und Jesiden im Irak: Aktuelle Lage und Perspektiven vom 14. Juni 2017, Seite 20 ff.; Zeit online vom 13. Juni 2016, abrufbar unter http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-06/jesiden-nordirak-islamischer-staat; Lagebericht, Seite 12 sowie ACCORD vom 2. Februar 2017). Angesichts der Tatsache, dass von den ursprünglich etwa 450.000 bis 500.000 in Ninive und Dohuk lebenden Yeziden etwa 75 % - also etwa 375.000 Personen - im traditionellen Siedlungsgebiet Sindjar (inkl. des Subdistrikts al-Khataniya) zwischen Mosul und der syrischen Grenze lebten (vgl. hierzu ausführlich Urteil vom 3. Juni 2014 - 3 A 4590/13 - V.n.b.) und sich nach dem Einmarsch des IS lediglich noch etwa 40.000 Yeziden und damit nur ca. 10,7 % der ursprünglichen Bevölkerung in der Region Sindjar aufhalten sollen (so Zeit online vom 13. Juni 2016) und die weit überwiegende Mehrheit der yezidischen Bevölkerung vertrieben, getötet oder entführt worden ist, ist von einer hinreichenden Verfolgungsdichte auszugehen. Eine Gruppenverfolgung der Yeziden aus Sindjar ist damit jedenfalls für den Zeitpunkt der Flucht der Kläger aus Ghubal im August 2014 mithin anzunehmen.
Das Gericht ist, ebenso wie das Bundesamt, das an dem Vortrag der Kläger keine Zweifel geäußert hat, davon überzeugt, dass diese tatsächlich Yeziden sind, die sich im Zeitpunkt des Einmarsches des IS im Bezirk Sindjar aufgehalten haben und vor der heranrückenden Terrororganisation geflohen sind. Auch wenn die Kläger zu 1.) und 2.) übereinstimmend geäußert haben, sie hätten fliehen können, bevor der IS konkret ihr Dorf eingenommen habe und sie hätten die Truppen des IS auch nicht selbst gesehen, stimmen ihre zeitlichen Angaben mit den Vorfällen im August 2014 überein und es ist daher davon auszugehen, dass ihnen eine Gefahr durch die Angehörigen des IS unmittelbar bevorgestanden hat, bevor sie ihr Heimatdorf verlassen haben. Für diesen überstürzten Aufbruch spricht auch, dass die Kläger ausgeführt haben, sie hätten sich ohne jegliches Gepäck in die Berge geflüchtet, als die Peschmerga geflohen seien und alle anderen Einwohner auch die Gegend verlassen hätten. Tatsächlich haben wie bereits ausgeführt die in Sindjar stationierten Peschmerga ihren Standort während des Vormarsches des IS verlassen, so dass die Einwohner der umliegenden Dörfer schutzlos zurückgeblieben sind (vgl. Oehring, Seite 20). Es war den Klägern daher nicht zumutbar, noch länger in ihrem Heimatort zu verbleiben. Die Gefahr durch den IS hatte sich mithin bereits soweit konkretisiert, dass ihnen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit zu den Yeziden Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 a AsylG - die Gräueltaten des IS sind ohne weiteres als Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG einzustufen - unmittelbar bevor gestanden haben und sie somit als vorverfolgt anzusehen sind.
Die Tatsache, dass die Kläger bereits verfolgt wurden, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass sie tatsächlich Gefahr laufen, im Falle einer Rückkehr einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Denn es sprechen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass die Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009, a. a. O., Rn. 18).
Aufgrund der derzeitigen politischen Lage im Irak kann vielmehr nicht davon ausgegangen werden, dass Yeziden in der Provinz Ninive keine Gefahr mehr durch den IS droht. Die Stadt Sindjar und das Gebirge sind zwar seit November 2015 unter Kontrolle der Peschmerga und der PKK, allerdings verläuft die Front weiterhin unmittelbar südlich von Sindjar, so dass erneute Übergriffe auf die religiösen Minderheiten in der Region und damit auch die Yeziden nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können. Noch Ende Oktober 2016 fanden Kampfhandlungen zwischen dem IS und den in Sindjar stationierten Peschmerga statt (vgl. Oehring, Seite 22).
Allerdings ist bei einer Schädigung durch nichtstaatliche Akteure Voraussetzung, dass der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des § 3 d AsylG zu bieten. Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehend sein.
Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass die Kläger vor der Gefahr durch den IS, welcher bis heute in Teilen des Nordirak gewaltsam gegen die Bevölkerung vorgeht, in angemessener Weise wirksam und nicht nur vorübergehend durch die irakischen Sicherheitsbehörden in der Region Sindjar geschützt werden könnten. Davon geht auch das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid (Seite 3) aus.
Es besteht auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung für die Kläger keine zumutbare inländische Fluchtalternative (§ 3 e AsylG).
Nach § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und 2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Eine Fluchtalternative für Yeziden in Bagdad hält das Gericht für nicht gegeben (siehe allgemein zur Lage der Binnenvertriebenen und Rückkehrer UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14. November 2016).
Hier kann von den Klägern vernünftigerweise auch nicht erwartet werden, sich in die unter kurdischer Kontrolle stehenden Gebiete zu begeben.
Nach Auswertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel ist zwar nicht davon auszugehen, dass derzeit die Gefahr einer Gruppenverfolgung für die Angehörigen der Yeziden in den kurdisch verwalteten Provinzen des Irak, hier insbesondere in der Provinz Dohuk, anzunehmen ist.
Die Yeziden waren in ihren traditionellen Siedlungsgebieten des Nordirak seit Sommer 2014 wie bereits ausgeführt durch den Vormarsch der Terrororganisation IS systematischer Verfolgung ausgesetzt und ihnen drohten Zwangskonversion, Massenvertreibungen und Hinrichtungen sowie Verschleppungen und sexuelle Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Kinder (vgl. etwa ACCORD vom 2. Februar 2017). Viele Angehörige der Yeziden haben in den kurdischen Autonomiegebieten Zuflucht gefunden (Lagebericht, S. 12 und 18; ACCORD vom 2. Februar 2017), der größte Teil in der Stadt Dohuk und im Distrikt Zakho. Die meisten von ihnen sind in Flüchtlingslagern untergebracht (ACCORD vom 2. Februar 2017). Yezidische Binnenvertriebene können auch weiterhin in die Autonome Region Kurdistan einreisen und haben dort generell weniger Probleme als arabische oder turkmenische Binnenvertriebene. Sie benötigen keine Aufenthaltsgenehmigung und dürfen ihre Ausweisdokumente behalten (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Anfragebeantwortung vom 5. Oktober 2016, S. 5 f). Die unter kurdischer Kontrolle stehenden Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniyya sind zumindest derzeit nicht von Einheiten des IS unmittelbar bedroht bzw. besetzt, sodass eine Verfolgung der Yeziden durch Angehörige dieser Terrororganisation gegenwärtig dort nicht erfolgt. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Yeziden in Dohuk eine systematische Verfolgung durch die kurdische Regionalregierung bzw. nichtstaatliche Kräfte droht. In den Gebieten, die unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten vielmehr weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt (Lagebericht, S. 12). Dass derartig viele Angehörige der Yeziden sich in die Provinz Dohuk geflüchtet haben, spricht überdies schon für sich genommen dafür, dass eine Verfolgungsgefahr allein aufgrund der Gruppenzugehörigkeit speziell für Dohuk nicht angenommen werden kann (ebenso Bay. VGH, Beschluss vom 9. Januar 2017 - 13a ZB 16.30689 -; VG Köln, Urteil vom 17. Februar 2017 - 18 K 9773/16.A - ; VG München, Urteil vom 13. Januar 2017 - M 4 K 16.32298 - ; VG Augsburg, Urteil vom 3. April 2017 - Au 5 K 17.30512 - alle juris).
Der Auffassung des VG Gelsenkirchen (Urteil vom 8. März 2017 - 15a K 9307/16.A - juris), welches eine regionale Gruppenverfolgung der Yeziden im südlichen Teil der Provinz Dohuk annimmt, vermag sich das Gericht nicht anzuschließen, weil keine hinreichende Verfolgungsdichte nach den Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts für die Provinz Dohuk hinsichtlich der dort lebenden Yeziden erkennbar ist. Vielmehr ergibt sich aus den Berichten von Iraq Body Count, dass im gesamten Jahr 2016 in der Provinz Dohuk fünf getötete Zivilisten als Opfer des Konflikts im Irak zu verzeichnen waren und im Jahr 2017 noch keine zivilen Opfer zu beklagen sind (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung: Sicherheitslage in der autonomen Region Kurdistan-Irak: Kampfhandlungen, Anschläge und Zielgruppen vom 10. Mai 2017, unter Verweis auf die Datenbank Iraq Body Count, abrufbar unter https://www.iraqbodycount.org/database/). Selbst wenn sämtliche fünf Opfer im Jahr 2016 Yeziden gewesen sein sollten und überdies zu den Zahlen von Iraq Body Count eine gewisse Dunkelziffer hinzugerechnet wird, weil eine Verfolgung aus religiösen Gründen ggf. nicht im Rahmen der Konfliktopferstatistik erfasst worden ist, wären die Opferzahlen angesichts der allein als Binnenvertriebene in der Autonomen Region Kurdistan lebenden etwa 400.000 Yeziden (so ACCORD vom 2. Februar 2017) weit von der Schwelle entfernt, bei welcher von einer hinreichenden Verfolgungsdichte ausgegangen werden könnte (vgl. ausführlich zum Maßstab der Verfolgungsdichte bei einer Gruppenverfolgung VG Oldenburg, Urteil vom 4. Juni 2014 - 3 A 4590/13 - V.n.b.).
Allerdings ist nicht mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass es den Klägern gelingen würde, sich in der Autonomen Region Kurdistan eine Existenzgrundlage zu schaffen und ein menschenwürdiges Dasein zu sichern.
Zwar leben die Eltern der Klägerin zu 2.) noch in Khanik und besitzen dort ein Haus. Dieses ist allerdings mit zwei Zimmern recht klein und neben den Eltern leben noch zwei Brüder und eine Schwester der Klägerin dort. Es erscheint nicht zumutbar, von den Klägern zu fordern, sich zusätzlich zu den fünf bereits im Haushalt lebenden Personen mit ihrer vierköpfigen Familie, darunter zwei Kleinkindern, zurück in das Elternhaus der Klägerin zu begeben. Dass ihnen ein dauerhafter Aufenthalt im Haus der Eltern nicht möglich gewesen ist, zeigt bereits die Tatsache, dass die Kläger es vor ihrer Ausreise sogar vorgezogen haben, in einem Flüchtlingslager in einem Zelt zu leben. Mangels vorhandenen Vermögens wären die Kläger im Falle einer Rückkehr aller Voraussicht nach gezwungen, erneut in einem Flüchtlingslager um Aufnahme nachzusuchen. Die Rückkehr in ein Flüchtlingslager stellt jedoch zur Überzeugung des Gerichts keine zumutbare Unterbringungsalternative dar (vgl. zur Lage in den Flüchtlingslagern ACCORD, Anfragebeantwortung vom 17. November 2016: Lage von Binnenflüchtlingen, insbesondere in der Region Kurdistan).
Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich, dass die humanitäre Lage auch in der Autonomen Region Kurdistan, hier in der Region Dohuk, teilweise schwierig ist. Die Region leidet zusätzlich zur herrschenden Wirtschaftskrise unter der großen Anzahl an aufgenommenen Binnenvertriebenen, welche sich überwiegend in einer schlechten ökonomischen Lage befinden (BFA vom 5. Oktober 2016, S. 2). Es halten sich derzeit über 11,3 Millionen Binnenvertriebene in der Region auf (vgl. Lagebericht, S. 6). Die Kläger sind zwar in Dohuk geboren und dort auch registriert und würden daher nicht als Binnenflüchtlinge angesehen werden, sondern im Falle einer Rückkehr als Bewohner. Die teilweise geltenden Einreisebeschränkungen für Binnenflüchtlinge dürften für sie daher nicht greifen (vgl. hierzu BFA vom 5. Oktober 2016, Seite 4 f.). Auch soll es für freiwillige Rückkehrer Reintegrationshilfen geben, zudem besteht auch ein Subventionssystem der Regierung. Dies befindet sich jedoch seit einigen Jahren in Schwierigkeiten (ACCORD, Anfragebeantwortung vom 10. Mai 2017: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen). Es kann daher, auch wenn die Kläger freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren würden, nicht hinreichend sicher davon ausgegangen werden, dass sie staatliche Unterstützungsleistungen erhalten würden. Zwar leben wie ausgeführt die Eltern und Geschwister der Klägerin zu 2.) noch in Khanik und auch die Eltern des Klägers zu 1.) leben im dortigen Flüchtlingslager. Allerdings hält es das Gericht für nahezu ausgeschlossen, dass die Angehörigen der Kläger, welche sich mit Tierhaltung bzw. Gelegenheitsarbeiten ihr Auskommen sichern, die vierköpfige Klägerfamilie in einer Weise unterstützten könnten, dass ihnen ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht würde. Es ist auch nicht hinreichend sicher, dass es dem Kläger zu 1.) während seines Aufenthalts im Flüchtlingslager gelingen würde, aus eigener Kraft den Lebensunterhalt für seine Familie zu sichern. Vor der Flucht aus Ghubal war er in der Landwirtschaft tätig. Dass er seine solche Tätigkeit in der Provinz Dohuk angesichts der Vielzahl an ebenfalls arbeitsuchenden Binnenflüchtlingen zeitnah finden könnte, ist nicht wahrscheinlich. Es kann daher von den Klägern vernünftigerweise nicht erwartet werden, sich in Dohuk, speziell in Khanik, mangels anderweitig verfügbaren Wohnraums, für welchen den Klägern die Mittel fehlen würden, in einem Flüchtlingslager niederzulassen. Das Gericht folgt hierbei der Einschätzung des UNHCR (UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14. November 2016, S. 25f.), wonach es angesichts der massenhaften Binnenvertreibungen, der tiefgreifenden humanitären Krise und der zunehmenden Spannungen unter den Volksgruppen für Personen ohne tatsächlich mögliche Unterstützung durch Angehörige im angedachten Aufnahmegebiet nicht zumutbar erscheint, diese auf eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative zu verweisen.
Die Voraussetzungen des § 3 AsylG liegen damit für die Kläger vor.
Über die Hilfsanträge war nicht zu entscheiden, weil dem Hauptantrag der Kläger entsprochen wurde.
Die im angefochtenen Bescheid vom 14. September 2016 getroffenen Feststellungen, dass der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wird (Ziffer 2) und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 3), sind im Übrigen gegenstandslos. Nach der Rechtsprechung des BVerwG wurde die Feststellung in einem Bescheid des Bundesamtes, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Ausländergesetz nicht vorliegen, regelmäßig gegenstandslos, wenn die Asylklage Erfolg hatte. Das gilt in gleicher Weise für die Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, der an die Stelle des § 53 AuslG getreten ist (vgl. VG Bremen, Urteil vom 7. Januar 2010 - 2 K 92/08.A - juris) und die Ablehnung des subsidiären Schutzes in Ziffer 3 des Bescheides.
Schließlich kann auch die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung unter Ziffer 4 des Bescheides vom 14. September 2016 keinen Bestand haben. Dies folgt bereits aus § 34 Abs. 1 AsylG, wonach das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung erlässt, wenn u.a. dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass für eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach dem Willen des Gesetzgebers dann kein Raum ist, wenn die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird oder - wie hier aufgrund des vorliegenden Urteils - zuzuerkennen ist. Zur Klarstellung ist in der Folge auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 5 des Bescheides aufzuheben.