Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 27.07.2017, Az.: 1 E 5687/17

fiktive Terminsgebühr; Gerichtsbescheid

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
27.07.2017
Aktenzeichen
1 E 5687/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53952
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Auch ein unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung kann nicht analog §§ 125 Abs. 2, 144 Abs. 1 VwGO durch Beschluss verworfen werden, sondern macht eine mündliche Verhandlung erforderlich.

2. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG soll die fiktive Terminsgebühr in allen Fällen entstehen, in denen eine mündliche Verhandlung erzwungen werden kann. Das sind im Verwaltungsprozess die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 2, 4 und 5 VwGO. Dagegen ist das Entstehen einer Terminsgebühr nunmehr ausgeschlossen, wenn ein Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO vorliegt.

Tenor:

Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Juli 2017 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 26. Juni 2017 abgeändert.

Die von der Erinnerungsgegnerin an den Erinnerungsführer zu erstattenden Kosten werden statt bisher auf 492,54 € nunmehr festgesetzt auf 925,23 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab dem 1. Juni 2017.

Die Kosten des Erinnerungsverfahrens trägt die Erinnerungsgegnerin.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über den Antrag auf Entscheidung des Gerichts (Erinnerung), mit welchem sich der Erinnerungsführer gegen den im Tenor genannten Kostenfestsetzungsbeschluss wendet, entscheidet die Einzelrichterin, da diese auch die der Kostenfestsetzung zugrunde liegende Kostenentscheidung getroffen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 22. Aufl. 2016, § 165 Rn 3).

Der Antrag, der gemäß §§ 165, 151 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist auch begründet. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat in dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. Juni 2017 zu Unrecht keine Terminsgebühr gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. Ziffer 3104 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - VV RVG - festgesetzt. Der Kostenfestsetzungsbeschluss war daher entsprechend abzuändern und dem Kostenfestsetzungsantrag des Erinnerungsführers auch hinsichtlich der geltend gemachten Terminsgebühr stattzugeben.

Gemäß Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht die Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann (sog. fiktive Terminsgebühr). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Denn die Einzelrichterin hat mit Gerichtsbescheid vom 10. Mai 2017 über die Klage entschieden. Gegen den Gerichtsbescheid konnte gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auch mündliche Verhandlung beantragt werden.

Soweit in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, dass in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der anwaltlich vertretene Kläger im Gerichtsbescheid vollständig obsiegt hat, durch den Kläger kein zulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden könne und daher auch die fiktive Terminsgebühr nicht anfalle (so Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 6. Juli 2017, 12 A 945/16 und Beschluss vom 13. November 2015, 12 A 30/15 - beide in juris veröffentlicht und VG Potsdam, Beschluss vom 31. Januar 2017, 11 KE 3/17 - juris), vermag dies nicht zu überzeugen. Zwar dient die fiktive Terminsgebühr ausweislich der Gesetzesbegründung zur Neufassung von Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG (BT-Drucks. 17/11471, S. 275) tatsächlich dazu, mündliche Verhandlungen, die andernfalls womöglich ausschließlich im Gebühreninteresse erfolgen würden, zu vermeiden und so die Gerichte zu entlasten („Steuerungswirkung“). Die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr soll daher auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Verhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann. Nach Auffassung der Einzelrichterin kann eine mündliche Verhandlung durch den Kläger aber auch erzwungen werden, wenn er - wie vorliegend - im Gerichtsbescheid vollständig obsiegt hat. Insofern kann dahinstehen, ob ein solcher Antrag auf mündliche Verhandlung im Ergebnis mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig abzuweisen wäre. Denn auch ein (mangels Rechtsschutzbedürfnis) unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung kann nicht analog §§ 125 Abs. 2, 144 Abs. 1 VwGO durch Beschluss verworfen werden, sondern macht eine mündliche Verhandlung erforderlich (Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 32. EL Oktober 2016, § 84 Rn 43; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 84 Rn 39; a. A.: Eyermann, VwGO, § 84 Rn 21; Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, § 84 Rn 13; Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 6. Juli 2017, 12 A 945/16, - juris - m. w. N.). Eine Analogie zu der in § 125 Abs. 2 und § 144 Abs. 1 VwGO vorgesehenen Rechtsmittelverwerfung kommt nicht in Betracht, da es bereits an einer Regelungslücke fehlt. Der Gesetzgeber hätte problemlos in § 84 VwGO einen Verweis auf § 125 Abs. 2 VwGO aufnehmen können. Dies hat er offenkundig bewusst nicht getan. Vielmehr bestimmt § 84 Abs. 3 VwGO, dass ein Gerichtsbescheid als nicht ergangen gilt, wenn rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt wird. Somit vermittelt der vom Gesetz vorgesehene Rechtsbehelf „Antrag auf mündliche Verhandlung“ einen uneingeschränkten Anspruch darauf, dass eine Verhandlung auch stattfindet (vgl. Schoch/Schneider/Bier, a. a. O.). Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig ist. Könnte man einen Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss verwerfen, würde dies schließlich in vielen Fällen auch zu einer - ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung - nicht hinnehmbaren Rechtsmittelverkürzung führen, da Beschlüsse häufig unanfechtbar sind, während gegen ein Urteil regelmäßig ein Antrag auf Rechtsmittelzulassung gestellt werden kann (vgl. Schoch/Schneider/Bier, a. a. O.).

Die fiktive Terminsgebühr entfällt auch nicht deshalb, weil der Kläger anstelle eines Antrags auf mündliche Verhandlung auch einen Antrag auf Zulassung der Berufung hätte stellen können (§ 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die in der Rechtsprechung teilweise vertretene Auffassung, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des Halbsatzes „und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“ (Art. 8 Abs. 2 Nr. 27 des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 23. Juli 2013, BGBl. I S. 2586) das Anfallen einer Terminsgebühr auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, in denen kein anderes Rechtsmittel als der Antrag auf mündliche Verhandlung gegeben ist, beschränken wollte (so VG Regensburg, Beschluss vom 27. Juni 2016, RO 9 M 16.929, - juris - und VG Potsdam, Beschluss vom 31. Januar 2017, 11 KE 3/17 - juris), überzeugt nicht. Hiergegen spricht bereits der Wortlaut von Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG, der sich auf Fälle des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO (und damit zunächst auf alle Gerichtsbescheide) und nicht ausschließlich auf Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO bezieht. Auch der oben ausgeführte Sinn und Zweck des Gesetzes, nämlich die Vermeidung von mündlichen Verhandlungen, die ausschließlich im Gebühreninteresse erfolgen, spricht dagegen, das Anfallen einer Terminsgebühr auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu beschränken. Denn eine mündliche Verhandlung kann auch in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 2 und 4 VwGO erzwungen werden.

Nach Auffassung der Einzelrichterin war durch die Einfügung des Halbsatzes „und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“ in Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG nicht bezweckt, die Entstehung der Terminsgebühr auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu beschränken. Vielmehr soll die fiktive Terminsgebühr nach dem ausdrücklichen Wortlaut in Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG in allen Fällen, in denen eine mündliche Verhandlung erzwungen werden kann, entstehen. Das sind im Verwaltungsprozess die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 2, 4 und 5 VwGO. Dagegen ist das Entstehen einer Terminsgebühr nunmehr ausgeschlossen, wenn ein Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO vorliegt, wenn also Berufung oder Revision zugelassen worden ist. Dieses Verständnis steht auch im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Gesetzesänderung, da ein Bedürfnis für die beabsichtigte Steuerungswirkung nur in den Fällen besteht, in denen die Beteiligten mündliche Verhandlung beantragen können. Es ist daher konsequent, dass der Gesetzgeber durch Einfügung des Halbsatzes „und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“ die Entstehung der Terminsgebühr in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO ausgeschlossen hat.

Nach alledem war der Erinnerung stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich bereits aus § 83 b AsylG. Zudem sieht das Kostenverzeichnis (Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz) einen Kostentatbestand für eine gerichtliche Entscheidung im vorliegenden Erinnerungsverfahren nicht vor.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).