Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.11.2011, Az.: 8 W 62/11
Absehen des Gerichts von der Klärung aller für den hypothetischen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen Verteilung der Kosten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 28.11.2011
- Aktenzeichen
- 8 W 62/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 32710
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2011:1128.8W62.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 28.07.2011 - AZ: 8 O 91/11
Rechtsgrundlagen
- § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO
- § 648a BGB
Fundstellen
- BauR 2012, 545
- IBR 2012, 239
In dem Rechtsstreit der B. P.- & V. V. mbH, vertreten durch den Geschäftsführer Clemens R., W.straße 7, 3 Uslar, Beklagten und Beschwerdeführerin, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dres. K., B., K., R., G. 1, 3 Rosdorf, Geschäftszeichen: gegen die B. N. A. GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer Alexander R., Asnat D., Gerrit H., Friedrich S., W. 2-4, 3 Bielefeld, Klägerin und Beschwerdegegnerin, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte G., K. & Partner, N.straße 14, 3 Bielefeld, Geschäftszeichen: hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. K.-D., die Richterin am Oberlandesgericht H. und den Richter am Oberlandesgericht W. am 28. November 2011 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 28. 07. 2011 - 8 O 91/11 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Nach Rücknahme der Klage werden die Kosten des Rechtsstreits vor dem Landgericht Göttingen - 8 O 91/11 -gegeneinander aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Beschwerdewert wird auf die Wertstufe bis 6.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten nach Rücknahme der Klage darüber, ob abweichend vom Grundsatz, dass der klagenden Partei die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sind, hier die Beklagte die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu tragen hat, weil der Anlass zur Erhebung der Klage nach Anhängigkeit aber vor Rechtshängigkeit weggefallen ist.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts Göttingen vom 28. 07. 2011 (Bl. 36 ff. d.A.) Bezug genommen. Gegen diesen der Beklagten am 01. 08. 2011 zugestellten Beschluss hat sie mit Schriftsatz vom 15. 08. 2011, eingegangen beim Landgericht Göttingen am selben Tage, sofortige Beschwerde eingelegt und diese auch begründet. Mit Beschluss vom 03. 11. 2011 (Bl. 52 ff. d.A.) hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 15. 11. 2011 hat die Beklagte ergänzend zur Nichtabhilfeentscheidung Stellung genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 269 Abs. 5, 567 ff. ZPO). Sie hat auch teilweise Erfolg.
Nachdem die Beklagte vor Zustellung aber nach Anhängigkeit der Klage die begehrte Sicherheit in Form einer Bürgschaftsurkunde geleistet hat, war über die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden, § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Dies führt hier zur gegenseitigen Aufhebung der Kosten.
1.
Bei der Entscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ist in Anlehnung an die Kostenentscheidung bei übereinstimmender Erledigung nach § 91 a ZPO (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 269, Rz. 18 c; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hart-mann, ZPO, 68. Aufl., § 269 Rz. 41) auf Grund des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen entsprechend dem hypothetischen Ausgang des Rechtsstreits zu entscheiden (vgl. Knauer/Wolf, NJW 2004,2857). Dabei hat das Gericht lediglich eine summarische Prüfung vorzunehmen (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 269 Rz. 18 e). Bei einer derartigen summarischen Prüfung kann das Gericht grundsätzlich davon absehen, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verteilung der Kosten alle für den hypothetischen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu klären (vgl. BGH, Beschluss vom 28. 10. 2008 - VIII ZB 28/08 - NZBau 2009, 312).
2.
Ob sich die Beklagte mit der Hergabe einer Bauhandwerkersicherheitsleistung bei Klageerhebung in Verzug befunden hat, so dass ihr die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen wären, bedarf im Hinblick auf die ungeklärten und schwierigen Rechtsfragen im Rahmen einer summarischen Prüfung keiner Entscheidung. Dies führt hier dazu, die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben. Im Einzelnen:
a.
Die Klägerin hat im Rahmen eines zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrages über die Errichtung eines Bauwerkes grundsätzlich einen Anspruch auf Leistung einer Bauhandwerkersicherung gem. § 648 a BGB (in der Fassung vom 23. 10. 2008). Danach kann der Unternehmer eines Bauwerks vom Besteller Sicherheit für die auch in Zusatzaufträgen vereinbarte und noch nicht gezahlte Vergütung einschließlich der zugehörigen Nebenforderungen verlangen, die mit 10% des zu sichernden Vergütungsanspruchs anzusetzen sind.
b.
Ob die von der Klägerin geltend gemachte restliche Werklohnforderung absicherbar ist, ist streitig und bedarf im Rahmen einer summarischen Prüfung keiner Entscheidung.
aa.
Absicherbar ist zunächst die ursprünglich vereinbarte Vergütung. Auszugehen ist bei einem Pauschalvertrag von dem vereinbarten Pauschalpreis, während sich beim Einheitspreisvertrag die abzusichernde Vergütung erst aus den tatsächlich ausgeführten Massen (multipliziert mit dem Einheitspreis der Positionen) ermitteln lässt (vgl. Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB, 17. Aufl., Anh. 1 Rz. 163). Dabei bestimmt § 648 a Abs. 1 S. 1 BGB weiter, dass auch die in Zusatzaufträgen vereinbarte Vergütung in die Höhe des Sicherungsanspruchs einzubeziehen ist. Dies gilt insbesondere auch in Fällen, in denen aufgrund des Leistungsbestimmungsrechtes eine zusätzliche Vergütung gem. § 2 Abs. 5 oder Abs. 6 VOB/B zwischen den Parteien des Werkvertrages vereinbart wird (vgl. Kniffka/Schmitz, IBR-Online-Kommentar, Bauvertragsrecht 2011, § 648 a Rz. 49; Motzke in Englert/Motzke/Wirth, Baukommentar, 2. Aufl., BGB § 648 a Rz. 53; Joussen, a.a.O., Rz. 166; Joussen, Jahrbuch Baurecht 2010, 39, 47).
Dabei besteht in der Literatur Streit, ob eine Einigung über Grund und Höhe derartiger Mehrforderungen erforderlich ist oder ob auch ohne eine solche Einigung der Anspruch auf Zahlung für Zusatzaufträge absicherbar ist. Eine veröffentliche Rechtsprechung ist dem Senat nicht bekannt. So ist Joussen (a.a.O.) der Auffassung, dass für die Absicherung eine tatsächlich schon getroffene Vergütungsvereinbarung zwingend erforderlich ist, während § 2 Nr. 5 und 6 VOB/B dagegen lediglich einen Anspruch auf Abschluss einer derartigen Vereinbarung bestimmen. Dagegen sind Schmitz (vgl. a.a.O., Rz. 49) und Motzke (vgl. a.a.O., Rz. 67) der Auffassung, dass bereits mit Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts der Anspruch auf Vergütung i.S.d. § 648 a Abs. 1 S. 1 BGB "vereinbart" ist. Es bedürfe daher keiner nochmaligen Einigung über diesen Vergütungsanspruch, um den Anspruch auf Sicherheit zu begründen.
Diese divergierenden Auffassungen gelten aber nicht nur für Zusatzaufträge bei Einheitspreisverträgen nach § 2 Nr. 5 und Nr. 6 VOB/B, sondern auch für Zusatzaufträge bei Pauschalpreisverträgen nach § 2 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B (vgl. Motzke a.a.O., Rz. 67). Weiter sind diese Auffassungen auch übertragbar auf die Fälle, in denen es abweichend vom ursprünglichen Vertrag nicht zu Mehr-, sondern zu Minderleistungen entsprechend § 2 Nr. 5 VOB/B oder § 2 Nr. 7 Abs. 2 i.V.m. § 2 Nr. 5 VOB/B kommt.
bb.
Gehen - wie hier - beide Parteien in ihrer Schlussrechnung bzw. Rechnungskontrolle davon aus, dass Mehr- und Minderkosten entsprechend § 2 Nr. 7 Abs. 2, Nr. 5 VOB/B zu berücksichtigen sind, und ist weiter unstreitig, dass eine Einigung zwischen den Parteien über Mehr- und Minderkosten nicht erfolgt ist, kommt es auf die Entscheidung der zuvor beschriebenen Rechtsfrage an.
(1)
Folgt man der teilweise von der Literatur vertretenen Ansicht, dass eine tatsächlich getroffene Vergütungsvereinbarung vorliegen müsse, so kommt es auf Mehr- und Minderleistungen nicht an. Vielmehr hätte die Klägerin ihren Anspruch hinreichend dargetan. Unstreitig ist zwischen den Parteien ein Pauschalpreis in Höhe von 1.035.000,00 EUR netto abzgl. 14.000,00 EUR netto für die Genehmigungsplanung (vgl. Bl. 2 des Verhandlungsprotokolls vom 12. 06. 2009 - Anlage B 3) vereinbart worden. Unter Berücksichtigung der Zahlungen und unter Außerachtlassung der geltend gemachten Mehrkosten für den Betonbau ist von einer noch offenen Werklohnforderung in Höhe von 68.519,30 EUR auszugehen, wobei die Klägerin bereits Minderkosten in Höhe von 612,00 EUR in Abzug gebracht hat, so dass jedenfalls eine Zuvielforderung ausscheidet. Insofern steht es der Klägerin frei, auch lediglich für einen Teil ihres noch offenen Werklohnes eine Sicherheit zu verlangen. Die Beklagte würde sich daher mit der Stellung der Bauhandwerkersicherung in Verzug befinden. Soweit die Klägerin mit Schreiben vom 09. 03. 2011 einen überhöhten Betrag als Sicherheit gefordert hat, führt dieses Begehren nicht zur Unwirksamkeit des Sicherungsverlangens (vgl. Joussen in Ingenstau/Korbion, a.a.O. Rz. 164; Motzke, a.a.O., Rz. 55).
(2)
Folgt man der Gegenauffassung, bedürfte es einer näheren Darlegung der Mehr- und Minderkosten seitens der Klägerin, um die abzusichernde Vergütung der Höhe nach bestimmen zu können. Dies hat sie aber bis zur Anhängigmachung der Klage unterlassen. Der Anspruch auf Stellung von Sicherheiten wäre mangels Darlegung der Höhe des zu sichernden Anspruchs daher unbegründet, so dass sich die Beklagte mit der Hergabe einer Bauhandwerkersicherheitsleistung nicht im Verzug befinden würde.
(3)
Welcher dieser beiden Auffassungen zu folgen ist, bedarf, wie bereits oben ausgeführt, keiner Entscheidung, weil es sich hier um ein summarisches Verfahren handelt, in dem derartige Rechtsfragen nicht abschließend zu klären sind.
c.
Zutreffend hat das Landgericht im angefochtenen Beschluss ausgeführt, dass die zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche beim Anspruch auf Bauhandwerkersicherung nach § 648 a Abs. 1 S. 4 BGB nicht zu berücksichtigen sind. Weiter hat das Landgericht im Nichtabhilfebeschluss vom 03.11.2011 die zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche zu Recht als streitig angesehen, so dass sie nicht bei der Höhe des Sicherungsverlangens zu berücksichtigen sind.
3.
Da nach alledem die Kostenentscheidung von einer grundsätzlichen Rechtsfrage abhängt, sind mangels anderer Verteilungskriterien die Kosten gegeneinander aufzuheben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.
Die Bestimmung des Beschwerdewerts richtet sich nach den Kosten, von denen die Beklagte begehrt, befreit zu werden.