Landgericht Lüneburg
Urt. v. 24.02.2017, Az.: 4 S 29/16

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
24.02.2017
Aktenzeichen
4 S 29/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54341
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Uelzen - 07.06.2016 - AZ: 16 C 9080/16

In dem Rechtsstreit
XY
Beklagte und Berufungsklägerin
Prozessbevollmächtigte: XY
gegen
XY
Kläger und Berufungsbeklagter
Prozessbevollmächtigte: XY
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 ZPO mit einer Erklärungsfrist bis zum 03.02.2017 am 24.02.2017 durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht XY,
den Richter am Landgericht XY und
die Richterin am Landgericht XY
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Berufung der Beklagten gegen das am 07.06.2016 verkündete Urteil des Amtsgerichts Uelzen wird zurückgewiesen.

  2. 2.)

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Urteil des Amtsgerichts Uelzen- Az.: 16 C 9080/16- wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.

  4. 4.)

    Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

(abgekürzt gem. § 540 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 313 a Abs. 1 ZPO).

Das Amtsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung von 1.300,- Euro nebst Zinsen verurteilt.

Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung wird zunächst Bezug genommen.

In der Schadensabrechnung (die 100 % ige Haftung der Beklagten als Kfz- Haftpflichtversicherer ist unstreitig) ist der tatsächlich erzielte Restwert in Höhe von 4.700,- Euro und nicht, wie die Beklagte meint, ein Restwert in Höhe von 6.000,- Euro zu berücksichtigen. Dem Kläger steht daher gegen die Beklagte über den bereits gezahlten Betrag hinaus ein weiterer Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.300,- Euro zu.

Der Kläger hat bei der Veräußerung des Fahrzeuges am 17.02.2016 zu einem Preis von 4.700,- Euro nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen oder treuwidrig gehandelt.

Der Kläger durfte bei der Veräußerung das von ihm eingeholte Gutachten des TÜV S. vom 12.02.2016 zugrunde legen, in dem ein Restwert in Höhe von 4.700,- Euro ermittelt worden ist und das Fahrzeug zu dem genannten Restwert veräußern.

Der Geschädigte leistet dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt (vgl. BGH NJW 2010, 2722 [BGH 01.06.2010 - VI ZR 316/09], Rn. 7 m.w.N.; BGH Urteil vom 27.09.2016, Az.: VI ZR 673/15).

Der Kläger durfte auf die Richtigkeit des Gutachtens des TÜV S. vertrauen.

Soweit die Beklagte meint, dass das Gutachten für den Kläger erkennbar keine korrekte Wertermittlung erkennen ließ, kann dem nicht gefolgt werden.

Dass das Gutachten nicht von dem Kläger in Auftrag gegeben worden ist, ist nicht ersichtlich. Die von der Beklagten insoweit geäußerten Zweifel hinsichtlich der Auftragserteilung sind insoweit nicht ausreichend, zumal in dem Gutachten der Kläger als Auftraggeber genannt wird.

Unschädlich ist auch, dass die in dem Gutachten vom 12.02.2016 aufgeführten 3 Restwertangebote nicht für den örtlichen Bereich der Unfallstelle (B.) oder des Wohnsitzes des Klägers (R.) eingeholt wurden.

Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes als Bezugspunkt für die Ermittlung des Restwertes auf den vom Geschädigten aus gesehen "allgemeinen regionalen Markt" abgestellt wird, ist aus der Begründung erkennbar, dass diese Einschränkung allein zugunsten des Geschädigten entwickelt worden ist.

In dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 27.09.2016 - VI ZR 673/15 wird insoweit u.a. ausgeführt:

"Vorrangiger Grund für die Annahme, bei der Ermittlung des Restwerts sei grundsätzlich entscheidend auf den regionalen Markt abzustellen, war für den Senat die Überlegung, dass es einem Geschädigten- unabhängig davon, ob er im Einzelfall nach Einholung des Gutachtens dann auch entsprechend verfährt- möglich sein muss, das Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb des Ersatzwagens in Zahlung zu geben. Das für den Kauf eines Ersatzfahrzeugs unter Inzahlunggabe des Unfallwagens notwendige persönliche Vertrauen wird der Geschädigte ohne Nachforschungen, zu denen er nicht verpflichtet ist, aber typischerweise nur ortsansässigen Vertragswerkstätten und Gebrauchtwagenhändlern, die er kennt oder über die er gegebenenfalls unschwer Erkundigungen einholen kann, entgegenbringen, nicht aber erst über das Internet gefundenen, jedenfalls ohne weitere Nachforschungen häufig nicht ausschließbar unseriösen Händlern und Aufkäufern. Dass- wie die Revision behauptet- der Fahrzeughandel über Online-Gebrauchtwagenbörsen üblicher geworden ist, ändert daran nichts. Die Befürchtung der Revision, im Falle einer Inzahlungnahme des beschädigten Fahrzeugs würden in der Praxis eher niedrigere Restwerte angesetzt, greift ebenfalls nicht durch. Denn der im Gutachten zu ermittelnde Restwert ist losgelöst von dem Fall der Inzahlungnahme bei Kauf eines Ersatzfahrzeugs zu ermitteln."

Dem Kläger kann danach nicht vorgeworfen werden, der Restwert sei erkennbar außerhalb des von ihm aus gesehen regionalen Marktes ermittelt worden.

Zudem ist - hierauf hat das Amtsgericht zu Recht hingewiesen- nicht ersichtlich, dass auf dem regionalen Markt bezogen auf den Wohnort des Klägers höhere Restwerte erzielbar gewesen wären bzw. dass auf dem von dem TÜV S. zugrunde gelegten Markt besonders geringe Restwerte erzielt werden.

Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht oder eine Treuwidrigkeit ergibt sich auch nicht im Hinblick auf das unstreitig am 16.02.2016 geführte Telefonat zwischen der Beklagten und dem Prozessbevollmächtigen des Klägers, in dem die Beklagte angekündigt hatte, dass höhere Restwertangebote übermittelt werden. Unerheblich ist auch, dass die Beklagte die angekündigten Restwertangebote (unstreitig) mit Schreiben vom 18.02.2016 übersandt hat und die Annahme der im Prüfbericht (Anlage B 2) enthaltenen verbindlichen Restwertangebote (Das Höchstgebot betrug 6.000,- Euro) lediglich einer telefonischen Kontaktaufnahme unter der im Angebot angegebenen Telefonnummer bedurft hätte und das Fahrzeug kostenfrei gegen Bezahlung des Restwertes vom Abstellort abgeholt worden wäre.

Zwar können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben, günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen, um seiner sich aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebenden Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens zu genügen. Unter diesem Blickpunkt kann er gehalten sein, von einer grundsätzlich zulässigen Verwertung des Unfallfahrzeugs Abstand zu nehme und im Rahmen des Zumutbaren andere sich ihm darbietende Verwertungsmöglichkeiten zu ergreifen. Derartige Ausnahmen müssen allerdings in engen Grenzen gehalten werden und dürfen insbesondere nicht dazu führen, dass dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von dem Schädiger bzw. dessen Versicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden (vgl. BGH, NJW 2010, 2722 [BGH 01.06.2010 - VI ZR 316/09] Rn. 9).

Ein günstigeres (höheres) annahmefähiges Restwertangebot lag dem Kläger zum Zeitpunkt der Veräußerung des Fahrzeuges - anders als in der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes (NJW 2010, 2722 [BGH 01.06.2010 - VI ZR 316/09])- noch nicht vor.

Der Kläger war nicht verpflichtet, vor der Veräußerung auf die angekündigten Restwertangebote zu warten und der Beklagten damit aktiv Gelegenheit zu geben, den ermittelten Restwert zu überbieten. Dies auch unter Berücksichtigung des oben geschilderten zeitlichen Ablaufs (Telefonat am 16.02.2016, Verkauf am 17.02.2016, Übersendung der höheren Restwertangebote mit Schreiben vom 18.02.2016).

Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung vom 27.09.2016 klargestellt, dass der Geschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nicht gehalten ist abzuwarten, um dem Haftpflichtpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertangebote vorzulegen.

Der Gesetzgeber hat dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 Satz 2 Satz 1 BGB die Möglichkeit eingeräumt, die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung würde unterlaufen, sähe man den Geschädigten schadenrechtlich grundsätzlich für verpflichtet an, vor der von ihm beabsichtigten Schadensbehebung Alternativvorschläge des Schädigers einzuholen und diesen dann gegebenenfalls zu folgen. Der Schädigerseite bleibt es im Übrigen unbenommen, im Rahmen einer möglichst frühzeitigen Kontaktaufnahme etwa durch wirtschaftliche Anreize darauf hinzuwirken, dass der Geschädigte die Verwertung des beschädigten Fahrzeugs freiwillig in die Hände des Haftpflichtversicherers legt, oder zu versuchen, dem Geschädigten auch ohne dessen Mitwirkung rechtzeitig eine günstigere Verwertungsmöglichkeit zu unterbreiten, die dieser ohne weiteres wahrnehmen kann und die ihm zumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 27.09.2016 - VI ZR 673/15).

Die Beklagte hatte in dem Telefonat mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16.02.2016 lediglich angekündigt, dem Kläger Restwertangebote zukommen zu lassen. Weder stand der genaue Zeitpunkt des Zugangs fest, noch war vor dem Verkauf der Inhalt der Restwertangebote hinreichend konkret. Aus dem Schreiben der Beklagten vom 02.03.2016 (Bl. 24 d.A.) geht hervor, dass zum Zeitpunkt des Telefonats die Restwertangebote erst noch eingeholt wurden. Danach stand noch nicht einmal fest, dass tatsächlich der im Gutachten vom 12.02.2016 angegeben Restwert überboten werden könnte.

Auch in der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 27.09.2016 hatte der Versicherer sich nach Übersendung des von dem Geschädigten eingeholten Gutachtens bereits vor der Veräußerung des Fahrzeuges bei dem Geschädigten gemeldet und mit bereits 2 Tage später verfasstem Schreiben höhere verbindliche Angebote an diesen abgesandt.

Der von dem Bundesgerichtshof zu entscheidende Fall ist also mit dem vorliegenden Fall vergleichbar.

Der Umstand, dass vorliegend die Beklagte vor der Veräußerung bereits höhere Restwertangebote angekündigt hatte, in der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes der Versicherer vor der Veräußerung lediglich den Eingang des Gutachtens bestätigt und mitgeteilt hatte, dass die Schadensunterlagen überprüft würden, führt nicht zu einer anderen Beurteilung.

In beiden Fällen lag vor der Veräußerung ein hinreichend konkretes Angebot, das lediglich noch angenommen werden musste, nicht vor und war ein weiteres Abwarten des Geschädigten erforderlich, zu dem er nicht verpflichtet ist. Die dem Geschädigten durch das Gesetz gegebene Möglichkeit der Schadensbehebung "in eigener Regie" kann nicht aufgrund einer "Handlungsanweisung" des Versicherers ausgehebelt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.