Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 11.07.2002, Az.: 3 B 128/02
Anordnungsanspruch; Anordnungsgrund; Bedürfnisse des täglichen Lebens; Kabelanschlussgebühr; Kabelanschlusssperre; Unterkunftskosten
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 11.07.2002
- Aktenzeichen
- 3 B 128/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43479
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs 2 BSHG
- § 12 BSHG
- § 123 Abs 1 S 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ob Kabelanschlussgebühren persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens dienen und deshalb aus den Regelsatzleistungen zu decken sind oder als im Rahmen der Bedarfsberechnung zu berücksichtigende Unterkunftskosten darstellen, richtet sich danach, ob die Gebühren zur Disposition des Hilfeempfängers bzw. Mieters stehen (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 28.11.2001 - 5 C 9.01 -, info also 2002, 127 ff.)
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Antragstellerin im Rahmen der Bewilligung laufender Leistungen nach dem BSHG eine weitere Zahlung in Höhe von 158,92 € begehrt hat.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/2, der Antragsgegner zu 1/2. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Der Antragstellerin wird in Höhe eines Anspruchs von 158,92 € Prozesskostenhilfe gewährt.
Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.
Gründe
Soweit der Antragsgegner der Antragstellerin im Juli 2002 eine Summe in Höhe von 158,92 € (154,00 € seiner damaligen Ansicht nach zu Unrecht als Einkommen berücksichtigtes Kindergeld und 4,92 € Warmwasseranteile) bewilligt und ausgezahlt hat, ist das Verfahren nach den beiderseitigen Erledigungserklärungen der Beteiligten einzustellen.
Der im Übrigen zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet werden soll, der Antragstellerin eine einbehaltene Summe von 51,12 € auszuzahlen, sowie im Rahmen der Bedarfsberechnung Kosten für die Kabelnutzung in Höhe von 7,67 € monatlich anzuerkennen, ist nicht begründet.
Die Antragstellerin hat den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlichen Anordnungsanspruch, d.h. die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die materielle Berechtigung ihres Begehrens, nicht glaubhaft gemacht.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Da nach Wesen und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Erbringung von Geldleistungen - wie sie im vorliegenden Fall von der Antragstellerin begehrt wird - im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur ausgesprochen werden, wenn die Antragstellerin die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) und weiterhin glaubhaft macht, sie befinde sich wegen fehlender anderer Geldmittel in einer existentiellen Notlage und sei deswegen - mit gerichtlicher Hilfe - auf die sofortige Befriedigung ihres Anspruchs dringend angewiesen (Anordnungsgrund).
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung stehen der Antragstellerin die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.
Soweit die Antragstellerin geltend macht, ihr stünde im Rahmen der Bewilligung laufender Leistungen nach dem BSHG wegen der Rechtswidrigkeit vorgenommener Einbehaltungen eine weitere Summe in Höhe von 51,12 € monatlich zu, hat sie einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ihr steht insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis zu. Der Antragsgegner hat bereits mit Schriftsatz vom 21.06.2002 mitgeteilt, dass die Einbehaltungen mit Wirkung vom 01.06.2002 zurückgenommen worden sind. Obwohl der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin darauf aufmerksam gemacht und insoweit um Abgabe einer Erledigungserklärung gebeten wurde, ist er dem nicht nachgekommen. Dementsprechend besteht ein Rechtsschutzbedürfnis in Bezug auf dieses Begehren nicht mehr.
Hinsichtlich der Berücksichtigung der im Fall der Antragstellerin monatlich anfallenden 7,67 € Kabelnutzungsgebühr als Unterkunftsbedarf hat sie einen Anordnungsanspruch ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Kosten für den Anschluss an technische Einrichtungen, wie z.B. das Breitbandkabelnetz, die den Fernsehempfang ermöglichen, sowohl persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens dienen, welche aus den Regelsatzleistungen zu decken sind oder auch als im Rahmen der Bedarfsberechnung zu berücksichtigende Kosten der Unterkunft zu qualifizieren sein. Die rechtliche Beurteilung dieser Kosten hängt davon ab, ob die Kabelanschlussgebühren zur Disposition des Hilfeempfängers stehen oder nicht. Denn die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens sind ihrem Wesen nach solche aus freier, selbst bestimmter und selbst gestalteter Lebensführung, weshalb die Zuordnung zur Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens ihre Grenze dort findet, wo Bedürfnisse in Rede stehen, die einem Hilfeempfänger von seinem Willen unabhängig entstehen. Folgerichtig zählen Kabelanschlussgebühren dann, wenn sie nicht zur Disposition des Hilfeempfängers stehen, d.h. er sie also nicht im Einvernehmen mit dem Vermieter nach einer Kabelanschlusssperre als Mietnebenkosten ausschließen kann, zu den Kosten der Unterkunft und sind in der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen. Denn Kabelanschlussgebühren, die vom Vermieter zwingend verlangt werden, stellen einen unausweichlichen Nebenkostenfaktor der konkreten Wohnung dar und dürfen deshalb aus den sozialhilferechtlich anzuerkennenden Unterkunftskosten nicht herausgerechnet werden. Ob der Hilfebedürftige diese Wohnung anmieten darf oder sich auf eine andere Wohnung verweisen lassen muss, bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die sozialhilferechtliche Angemessenheit der Unterkunftskosten unter Berücksichtigung des Wunschrechts des Hilfebedürftigen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 und 3 BSHG (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.11.2001 - 5 C 9.01 -, info also 2002, 127 ff.; im Ergebnis ebenso schon B. d. Kammer v. 14.07.2000 - 3 B 115/00 - unter Berufung auf die Rechtsprechung des OVG Lüneburg, u.a. Urt. v. 25.02.1998 - 4 L 4261/96 -, NVwZ-RR 1999, 176 ff.). Es ist Sache des Hilfeempfängers bzw. Mieters darzulegen, dass sein Vermieter nicht bereit ist, einer Kabelanschlusssperre zuzustimmen.
Im vorliegenden Verfahren hat die Antragstellerin, obwohl ihr dazu im gerichtlichen Verfahren Gelegenheit gegeben worden ist, nicht glaubhaft gemacht, dass eine Kabelanschlusssperre im Einvernehmen mit dem Vermieter nicht möglich ist. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass mit dem Kabelanschluss ein persönliches Bedürfnis des täglichen Lebens befriedigt wird, für dessen Deckung der Antragsgegner zu Recht auf den Regelsatz verwiesen hat.
Soweit sich die Antragstellerin gegen die Kürzung ihres Regelsatzes um 25 % seitens des Antragsgegners wendet, ist dies lediglich im Widerspruchsverfahren zu prüfen. Denn da mit der vorliegenden Entscheidung lediglich die Situation für den Juli überprüft werden kann und im Juli 2002 eine Regelsatzkürzung wegen Ablaufs der 12-Wochenfrist nicht mehr erfolgt ist, hat sich diese Argumentation im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erledigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 161 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
Da sich das Verfahren in Höhe einer Summe von 158,92 € durch entsprechende Zahlung des Antragsgegners erledigt hat, sind ihm nach billigem Ermessen die Kosten insoweit aufzuerlegen (§ 161 Abs. 2 VwGO). Es liegt in der Sphäre des Antragsgegners, sich bei einer Berufung auf telefonische Aussagen des Arbeitsamtes für Juni 2002 auch für Juli 2002 über eine unveränderte Situation zu vergewissern. Da die Antragstellerin in Bezug auf die Einbehaltungen und die Kabelanschlussgebühren (eine Summe von insgesamt 58,79 €) unterlegen ist, waren die Kosten dementsprechend zu 1/2 der Antragstellerin und zu 1/2 dem Antragsgegner aufzuerlegen.
Dementsprechend ist der Antragstellerin Prozesskostenhilfe in Höhe einer Summe von 158,92 € zu bewilligen, da der Antrag in dieser Hinsicht Aussicht auf Erfolg hat. Im Übrigen ist der Antrag wegen mangelnder Erfolgsaussicht abzuweisen. Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 1 Abs. 1 GKG i.V.m. § 127 ZPO.