Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 03.07.1990, Az.: 3 Ss 88/90

Verwendung von Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation; Singen von nationalsozialistischen Liedern "Fahne hoch" und das Lied "Es zittern die morschen Knochen"

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
03.07.1990
Aktenzeichen
3 Ss 88/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 20952
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1990:0703.3SS88.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
StA Hannover - 17.10.1989 - AZ: 12 Js 13391/88

Fundstelle

  • NJW 1991, 1497-1498 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der 1. großen Strafkammer - Jugendkammer 1 - des Landgerichts Hannover vom 17. Oktober 1989
in der Sitzung vom 3. Juli 1990,
an der teilgenommen haben:
Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht ...,
Richter am Oberlandesgericht ..., als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin ... als Beamtin der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt Dr. W. aus H., als Verteidiger,
Justizamtsinspektorin ..., als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

Gründe

1

1.

Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten H., C. und P. (als Heranwachsenden) sowie den Angeklagten B. und R. (als Erwachsenen) zur Last gelegt, im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuches Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation öffentlich verwendet zu haben, indem sie am 9. November 1987 gegen 20.45 Uhr am Kriegerdenkmal in Lehrte, OT Aligse, das Lied "Die Fahne hoch" (= Horst Wessel-Lied) und das Lied "Es zittern die morschen Knochen" sangen. Die Jugendrichterin hatte die Angeklagten von dem Vorwurf freigsprochen. Sie hatte nicht festzustellen vermocht, daß einer der Angeklagten das Lied "Die Fahne hoch" gesungen hatte, und beurteilte das Lied "Es zittern die morschen Knochen" nicht als Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation im Sinne von § 86 a StGB. Gegen diese Beurteilung wandte sich die Staatsanwaltschaft mit der Berufung, in der sie die Verurteilung der Angeklagten R., H., C. und T. wegen Singens des Liedes "Es zittern die morschen Knochen" erstrebte. Die Jugendkammer hat die Berufung verworfen. Sie hat festgestellt:

"Am Abend des 9. November 1987 begaben sich die Angeklagten zusammen mit zwei Unbekannten nach dem Genuß unbestimmter Mengen Alkohols zu dem im Orteils Aligse der Stadt Lehrte gelegenen Kriegerdenkmal. Dort wurde aus der Gruppe der Angeklagten im Fackelschein und unter der mitgeführten Fahne des Deutschen Kaiserreiches das Lied "Es zittern die morschen Knochen" gesungen. Dabei hat zumindest der Angeklagte H. einen Teil der ersten Strophe dieses Liedes mitgesungen, und zwar die ersten beiden Zeilen. Wer außerdem im einzelnen noch was gesungen hat, war nicht festzustellen. Dieses Lied ist auch in dem im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht herausgegebenen Liederbuch der deutschen Soldaten "Morgen marschieren wir", 1939 im Ludwig Doggenreiter Verlag enthalten. Die erste Strophe ist dort wie folgt niedergelegt:

"Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem großen Krieg. Wir haben den Schrecken gebrochen, für uns war's ein großer Sieg. Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt, denn heute da hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt".

Ob dieser Text so wörtlich oder mit leichten Abweichungen gesungen worden ist, ließ sich nicht feststellen. In diesem Liederbuch sind auch zahlreiche Volks- und Marschlieder abgedruckt, wie z.B. "Ännchen von Tharau" und "Wir lagen vor Madagaskar"."

2

Die Jugendkammer hat den Freispruch der Jugendrichterin bestätigt, weil sie das Lied "Es zittern die morschen Knochen" nicht für ein Kennzeichen im Sinne von § 86 a StGB gehalten hat. Sie hat ausgeführt, dem Lied fehle der Symbolcharakter. Es sei 1932 von Horst Baumann - später Referent in der Reichsjugendführung - für die katholische Jugend komponiert und später von den Nationalsozialisten übernommen worden. Es habe zum wesentlichen Liedgut der Zeit gehört. In dem Liederbuch "Morgen marschieren wir" sei es neben Volksliedern abgedruckt und als Marschlied neben z.B. "Wir lagen vor Madagaskar" in der Wehrmacht und in der Hitlerjugend gesungen worden. Es verkörpere nationalsozialistisches Gedankengut. Unter den nationalsozialistischen Machthabern sei ihm jedoch keine herausragende Bedeutung, insbesondere für die Hitlerjugend, zugedacht worden, derentwegen es heute als ihr Lied schlechthin, als ihr Symbol bezeichnet werden könne. Aus Form und Inhalt des Liedes könne nach heutigem Verständnis nicht auf seine Symbolik für eine der nationalsozialistischen Organisationen geschlossen werden. Zwar sei der Text aggressiv und kriegerisch, aus heutiger Sicht auch bedeutungsschwer und das kommende Unheil ankündigend, möglicherweise sogar kennzeichnend für den damaligen Zeitgeist, nicht aber Symbol einer verfassungswidrigen Organisation. Daran vermöchten auch die konkreten Umstände des Falles mit dem Datum des Tattages, dem Jahrestag der sog. "Reichskristallnacht", den Fackeln und der Fahne nichts zu ändern, zumal es sich bei dieser um diejenige des Kaiserreiches gehandelt habe.

3

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt und diese später, soweit sie die Angeklagten R., C. und T. betraf, zurückgenommen, so daß das Urteil nur noch hinsichtlich des Angeklagten H. angefochten ist. Die Revision rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

4

2.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

5

Das angefochtene Urteil ist, soweit es den Angeklagten H. betrifft, auf die Sachrüge hin aufzuheben, so daß es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.

6

Zutreffend geht die Jugendkammer davon aus, daß Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation im Sinne von §§ 86 a, 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB auch ein solches sein kann, das nicht nationalsozialistischen Ursprungs ist (vgl. OLG Celle, JR 1981, 381 zum Hakenkreuz), und daß es für die Kennzeichen-Eigenschaft von Bedeutung ist, ob die nationalsozialistischen Machthaber dem Kennzeichen herausragende Bedeutung beigemessen haben, was zum Beispiel darin zum Ausdruck kommen kann, daß hoheitliche Anordnungen über seine Verwendung getroffen worden sind (vgl. zum Gruß "Heil Hitler" BGH St 27, 1, 2; zum sogenannten Horst-Wessel-Lied "Die Fahne hoch" BGH MDR 1965, 923; OLG Oldenburg NJW 1988, 351). Die Ausführungen im angefochtenen Urteil lassen indessen nicht erkennen, daß die Jugendkammer sich bewußt gewesen ist, daß ein Kennzeichen sich auch ohne derartige formale Akte allein durch Übung entwickeln kann und daß es ausreicht, daß die Organisation sich dieses Kennzeichen zu sinnbildlicher propagandistischer Verwendung zugelegt hat (vgl. LK-Willms StGB 10. Aufl. § 86 a Rn. 3; AK-Sonnen StGB § 86 a Rn. 10 für das Hakenkreuz bei der Luftwaffe), und daß es dazu dient, eine bestimmte Organisation zu bezeichnen und auf die äußere Zusammengehörigkeit der Mitglieder hinzuweisen (vgl. Schönke-Schröder-Stree StGB 23. Aufl. § 86 a Rn. 4). Derartiger Symbolwert kann sowohl nach innen als auch für den Betrachter von außen durch Häufigkeit und Art des Anlasses des Gebrauchs des Kennzeichens geschaffen werden. So ist zum Beispiel das Kopfbild Adolf Hitlers durch Art und Umfang seines Gebrauchs nach heute einhelliger Auffassung ein nationalsozialistisches Kennzeichen im Sinne von § 86 a StGB (vgl. BGH MDR 1965, 923; OLG Schleswig MDR 1978, 333; AK-Sonnen a.a.O. Rn. 11). Nichts anderes gilt für andere Kennzeichen wie z.B. Lieder. Wurden sie von bestimmten nationalsozialistischen Organisationen häufig und insbesondere z.B. stets bei offiziellen oder repräsentativen Anlässen, als Eingangs- oder Schlußlied oder auf ähnliche Weise herausgehoben, gesungen, können sie dadurch die Eigenschaft eines Kennzeichens im Sinne der genannten Bestimmung erlangt haben. Die Beurteilung, ob ein Kennzeichen vorliegt, hat daher auch Häufigkeit, Art und Anlaß seines Gebrauchs zu berücksichtigen. Den Feststellungen im angefochtenen Urteil, das Lied "Es zittern die morschen Knochen" habe zum wesentlichen Liedgut der Zeit gehört, in dem Liederbuch "Morgen maschieren wir" neben "Ännchen von Tharau" und anderen Volksliedern Abdruck gefunden und sei als Marschlied neben z.B. "Wir lagen vor Madagaskar" in der Wehrmacht und der Hitlerjugend gesungen worden, ist zu entnehmen, daß die Jugendkammer dem Umstand, wie oft und bei welchen Anlässen von welchen Organisationen das Lied gesungen wurde, keine entscheidende Bedeutung dafür beigemessen hat, ob es sich um ein Kennzeichen handelt, und daß sie deswegen Feststellungen insoweit nicht getroffen hat. Das ist fehlerhaft. Nur unter Berücksichtigung von Feststellungen zu diesem Punkte konnte die Jugendkammer die ihr obliegende Entscheidung treffen, ob es sich bei dem Lied um ein nationalsozialistisches Kennzeichen handelt.

7

Derartige Feststellungen erscheinen, insbesondere unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen, noch möglich.