Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 24.04.2002, Az.: 2 A 2344/00

Anzeige; dauerndes Getrenntleben; Eheschließung; Fahrlässigkeit; Rückforderung; Unterhaltsvorschuss

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
24.04.2002
Aktenzeichen
2 A 2344/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41840
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ehegatten leben dauernd getrennt i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG, wenn sie die eheliche Lebensgemeinschaft deswegen nicht herstellen können, weil einer von ihnen aus ausländerrechtlichen Gründen nicht vor Ablauf von 6 Monaten nach erfolgter Eheschließung nach Deutschland einreisen darf.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 12.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 29.11.2000 wird aufgehoben.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem diese von ihr Ersatz geleisteter Zahlungen nach dem Unterhalsvorschussgesetz (UVG) fordert.

2

Die Klägerin ist die Mutter der Kinder S. A., geb. am 07.04.1991, A. Jamela A., geb. am 23.05.1989 und A. I. A., geb. am 21.04.1998. Sie war früher verheiratet mit Herrn N. A.; diese Ehe wurde mit Urteil des Amtsgerichts Göttingen - Familiengericht - vom ...1998 geschieden. Aus ihr entstammen die Kinder A. u. S., für die der Kindesvater zwischen dem 17.12.1996 und dem 15.04.1997 lediglich in geringer Höhe Unterhalt zahlte (aufgrund übergegangenen Rechts z. Hd. der Beklagten). Der Vater des dritten Kindes der Klägerin, A., ist der nigerianische Staatsangehörige A. O., der vor dem Notar A. in G. am 19.05.1998 (Urkundenrolle ...) die Vaterschaft anerkannte. Unterhaltszahlungen für das Kind A. erfolgten zu keinem Zeitpunkt.

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Für A. und S. gewährte die Beklagte aufgrund entsprechender Anträge der Klägerin vom 14.12.1993 ab diesem Zeitpunkt Unterhaltsleistungen nach dem UVG, für A. erfolgte dies aufgrund Antrages der Klägerin vom 29.04.1998 ab seiner Geburt.

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Herr O. hatte sich seit dem 14.08.1996 als Asylbewerber in Deutschland aufgehalten und sich im Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fälschlicherweise als liberianischer Staatsangehöriger ausgegeben. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid vom 12.09.1996 abgelehnt; die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Anfang 1997 lernte Herr O. die Klägerin kennen und zog - ohne die erforderliche Zuweisung - im Sommer 1997 in ihre Wohnung nach G. Nachdem Herr O. im Februar 2000 zwecks Abschiebung verhaftet worden war, wiesen er und die Klägerin auf ihre Absicht der Eheschließung hin, ein entsprechender Antrag beim Standesamt war indessen nicht gestellt. Herr O. wurde sodann am 23.02.2000 nach Nigeria abgeschoben. Die Klägerin bat hiernach die Ausländerstelle der Beklagten im Hinblick auf die Einreisesperre des § 8 Abs.2 Ausländergesetz wegen der geplanten Eheschließung um eine möglichst kurze Befristung der Wirkungen der Abschiebung und erklärte sich bereit, die Abschiebekosten zu übernehmen. Sie heiratete Herrn O. standesamtlich in B. (Nigeria) am 22.03.2000. Mit Schreiben vom 05.04.2000 beantragte Rechtsanwalt L. aus H. für Herrn O. bei der Ausländerstelle der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie die Befristung der Wirkung der Abschiebung; er wies auf die anerkannte Vaterschaft bezüglich des Kindes A. und die erfolgte Eheschließung mit der Klägerin unter Vorlage einer Fotokopie der nigerianischen Heiratsurkunde hin. Zugleich bat Rechtsanwalt L. die Deutsche Botschaft Lagos um Vorabzustimmung. Diese bestätigte der Klägerin mit Schreiben vom 07.08.2000, dass die vorgelegte Heiratsurkunde und das Affidavit zum Alter des Herrn O. überprüft und formal sowie inhaltlich richtig seien; sie wies die Klägerin darauf hin, dass dieses Schreiben zugleich als Nachweis für die erfolgte Überprüfung der nigerianischen Personenstandsurkunden den deutschen Behörden vorgelegt werden könne; über die Entscheidung hinsichtlich des beantragten Visums werde Herr O. mit gesonderten Schreiben unterrichtet. Unter dem 17.08.2000 überreichte Rechtsanwalt L. die vorgenannten Unterlagen dem Landratsamt in P., der für Herrn O. zuständigen Ausländerbehörde. Auf Anfrage der Botschaft Lagos mit Schreiben vom 02.10.2000 bei der Ausländerstelle der Beklagten teilte die Beklagte mit Schreiben vom 09.10.2000 mit, dass die Wirkungen der Abschiebung durch das Landratsamt P. "scheinbar konkludent aufgehoben" seien, jedenfalls habe die dortige Ausländerbehörde die Abschiebung aus dem Ausländerzentralregister getilgt, zudem seien die Kosten der Abschiebung beglichen worden. Mit weiterem Schreiben vom 25.09.2000 an die Deutsche Botschaft Lagos stimmte die Beklagte der Erteilung des Visums für Herrn O. für vorerst drei Monate zu, worauf ihm unter dem 13.10.2000 ein Visum ausgestellt wurde, mit dem Herr O. am 18.10.2000 nach Deutschland einreiste. Er wohnt seitdem bei der Klägerin und ist ab dem 24.10.2000 im Besitz einer bis zum 18.10.2001 befristeten Aufenthaltserlaubnis.

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Über Ihre am 22.03.2000 erfolgte Eheschließung informierte die Klägerin das Jugendamt der Beklagten erst mit Rücksendung des (jährlich abzugebenden) Prüfungsantrages für die Gewährung von Leistungen nach dem UVG. In diesem auf den 30.08.2000 datierten und am 06.09.2000 bei dem Jugendamt der Beklagten eingegangenen Formblatt hatte die Klägerin auf die Frage, "Haben Sie geheiratet"? das Kontrollkästchen "Ja" angekreuzt und das Datum der Eheschließung daneben geschrieben. Auf die weitere Frage: "Leben Sie mit dem anderen Elternteil ...... zusammen"? kreuzte sie das Kontrollkästchen "Nein" an.

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Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 12.09.2000 die UVG Leistungen für alle drei Kinder der Klägerin mit Ablauf des 30.09.2000 ein und forderte die für die Monate April 2000 - September 2000 gewährten Leistungen in Höhe von insgesamt 4.872,00 DM gemäß § 5 UVG zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Verheiratete keinen Anspruch nach dem UVG hätten; die Klägerin habe am 22.03.2000 geheiratet, ein Anspruch auf UVG Leistungen sei demnach ab diesem Tag nicht mehr gegeben. Zwar blieben der Klägerin die für den Monat März 2000 nach dem Tag der Heirat gewährten Leistungen belassen, die Leistungen für die Zeit danach seien aber zurückzuzahlen. Vom Rückforderungsbetrag entfielen auf S. und A. monatlich je 296,00 DM x 6 Monate = 3.552,00 DM, auf A. monatlich je 220,00 DM x 6 Monate = 1.320,00 DM.

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Der dagegen eingelegte Widerspruch hatte keinen Erfolg und wurde mit Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 29.11.2000 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass das Vorbringen der Klägerin, ihr Ehemann habe aus ausländerrechtlichen Gründen "aufgrund fehlender Papiere" nicht nach Deutschland einreisen dürfen, keine andere Entscheidung rechtfertige. Der in § 1 Abs. 1 Nr.2 UVG angenommene Ausnahmefall des dauernden Getrenntlebens der Ehegatten liege hier nicht vor, weil die Tatbestandsvoraussetzung, dass mindestens ein Ehepartner die häusliche Gemeinschaft nicht herstellen wolle, nicht vorliege. Die mangelnde Herstellung der häuslichen Gemeinschaft der Eheleute beruhe vielmehr auf der fehlenden "Ausreisegenehmigung", ein Trennungswille habe demgegenüber nicht vorgelegen. Nichts anderes gelte auch im Hinblick auf die Regelung des § 1 Abs.2 UVG, da die dort genannten Tatbestände nicht vorlägen und diese Norm abschließend sei. Die Klägerin habe eine Anzeige ihrer Eheschließung nach § 6 UVG zumindest fahrlässig unterlassen, weil sie mit entsprechendem Merkblatt zum UVG darüber belehrt worden sei, dass sie eine Heirat der Unterhaltsvorschussstelle der Beklagten unverzüglich mitzuteilen habe. Nur weil sie eine solche Mitteilung unterlassen habe, seien entsprechende UVG-Leistungen bis zum 30.09.2000 gewährt worden.

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Hiergegen hat die Klägerin am 19.12.2000 Klage erhoben. Zu ihrer Begründung trägt sie vor, die Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 2 UVG sei nicht abschließend. Dies habe das Nds. OVG in seinem Urteil vom 10.03.1999 (- 4 L 5154/99 - , NdsRechtspflege 1999, 327 f.) festgestellt. Immer dann, wenn voraussichtlich wenigstens sechs Monate ein Ehegatte als Miterzieher aufgrund höherer Gewalt ausfalle, bleibe also ein Anspruch auf UVG-Leistungen bestehen; ein solcher Fall liege hier vor. Die Klägerin habe die Beklagte im Übrigen nicht erst anlässlich der regelmäßigen jährlichen Überprüfung über ihre Eheschließung informiert, sondern sogleich, nachdem die Botschaft Lagos die Urkunden zur Legalisierung der Ehe im August 2000 ihr übersandt habe. Sie habe zudem unmittelbar nach ihrer Rückkehr nach Deutschland die Stadtverwaltung aufgesucht, um dort im Sozialamt die Eheschließung bekannt zu geben und sich beim Einwohnermeldeamt als verheiratet zu melden. Der Sachbearbeiter H. habe ihr im Sozialamt indessen erklärt, dass die in Nigeria erfolgte Eheschließung irrelevant sei, sie, die Klägerin, würde für die Beklagte solange nicht als verheiratet gelten, wie die Eheschließung durch die Botschaft Lagos nicht legalisiert worden sei. Diese Auskunft des Sachbearbeiters H. sei der Grund dafür gewesen, dass sie nicht auch sogleich das Jugendamt der Beklagten aufgesucht habe. Bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung habe seinerzeit festgestanden, dass die nötigen Formalitäten für die Wiedereinreise des Herrn O. wenigstens 8 bis 12 Monate in Anspruch nehmen würden, dies habe ihr der Mitarbeiter Herr S. von der Ausländerstelle der Beklagten erklärt. Die Bearbeitung der Dinge sei dann zwar etwas schneller erfolgt, doch habe ihr Ehemann erst am 19.10.2000, also etwa sieben Monate nach der Eheschließung nach Deutschland einreisen können. Somit habe im Zeitpunkt der Eheschließung bereits festgestanden, dass die Trennung der Eheleute länger als 6 Monate dauern werde. Ob und inwieweit ihr Ehemann seine Abschiebung nach Nigeria wegen der im Asylverfahren gemachten falschen Angaben zu verantworten habe, sei für die Frage der Leistungsgewährung nach dem UVG rechtlich unerheblich.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 12.09.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 29.11.2000 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und ist der Meinung, dass es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Ehemann der Klägerin im Anschluss an die Eheschließung im März 2000 nicht hätte unverzüglich nach Deutschland einreisen können. Im Übrigen stelle sich die Frage, ob bei einer länger andauernden Trennung die häusliche Gemeinschaft nicht erst von dem Zeitpunkt an als fortbestehend zu gelten habe, in dem feststehe, dass die Trennung länger als sechs Monate dauern werde; eine Betrachtung ex post sei demgegenüber nicht zulässig. Die Klägerin könne nicht mit Erfolg auf das Urteil des Nds. OVG vom 10.03.1999 verweisen, da der dort entschiedene Fall anders gelagert sei. Während dort der Miterzieher aufgrund höherer Gewalt und mangels Besitzes der deutschen Staatsangehörigkeit die Einreiseerlaubnis nicht erhalten hätte, habe der Ehemann der Klägerin im hier zu entscheidenden Verfahren unter Angabe falscher Personalien erfolglos ein Asylverfahren betrieben, was zu seiner Abschiebung geführt habe. Herr O. habe sich zumindest zwischen dem 14.07.1998 und Februar 2000 ohne Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung im Bundesgebiet aufgehalten, während dieser Zeit hätten die Klägerin und Herr O. ihre Eheschließung nicht mit hinreichender Vehemenz betrieben. Die Klägerin hätte Herrn O. aber bereits vor der Abschiebung nach Nigeria heiraten können, wenn er die Behörden nicht langjährig über seine Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht und auch seinen Nationalpass pflichtgemäß vorgelegt hätte.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten B-D) und der Bezirksregierung Hannover (Beiakten A) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 29.11.2000 ist rechtswidrig und aufzuheben, da die Klägerin durch ihn in ihren Rechten verletzt wird (§113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

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Nach § 5 Abs. 5 UVG hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, den geleisteten Betrag unter bestimmten - in Nr. 1 und Nr. 2 der Vorschrift - genannten Bedingungen zu ersetzen, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung im jeweiligen Kalendermonat, für den sie gewährt worden ist, nicht vorgelegen haben.

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Hiervon ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid irrtümlicherweise ausgegangen. Zwar trifft es zu, dass die Klägerin seit dem 22.03.2000 mit dem nigerianischen Staatsangehörigen A. O. verheiratet ist. Dies führt indessen hier nicht zum sofortigen Ausschluss der Leistungsberechtigung. Vielmehr ist die Kammer im Anschluss an die Rechtsprechung des Nds. OVG (Urteil vom 10.03.1999, s.o.) der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG erfüllt ist, also die anspruchsberechtigten Kinder bei einem Elternteil (ihrer Mutter) gelebt haben, der von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebte. Denn Herrn O. war es auf Grund seines ausländerrechtlichen Status zunächst verwehrt, in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren. Als abgeschobenem abgelehnten Asylbewerber stand einer Rückkehr nämlich zunächst § 8 Abs. 2 AuslG entgegen. Hiernach darf ein Ausländer, der abgeschoben worden ist, nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Nach Satz 3 dieser Vorschrift wird diese Rechtswirkung auf Antrag in der Regel befristet, die Frist beginnt mit der Ausreise (Satz 4). Ein derartiger Antrag auf Befristung war zwar bereits im Zeitpunkt der Eheschließung gestellt, doch war - auch nach der Auffassung der Ausländerstelle der Beklagten infolge in gleichgelagerten Fällen gemachter Erfahrungen - nicht damit zu rechnen, dass über die Befristung der Wirkungen der Abschiebung und im Anschluss daran über eine Sichtvermerkserteilung vor Ablauf von 7 oder 8 Monaten nach Antragstellung abschließend befunden würde. Eine derartige Entscheidung erfolgte dann auch erst ca. 7 Monate nach Antragstellung. Deshalb gelten die vom Nds. OVG im Urteil vom 10.03.1999 aufgestellten - und nachfolgend auszugsweise dargestellten - Rechtsgrundsätze, denen die Kammer beitritt, ungeschmälert auch im vorliegenden Fall.

19

In diesem Urteil heißt es u.a.:

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-Der Klägerin, die mit ihrer Mutter als Kontingentflüchtling Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland gefunden hat und über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügt, steht auch für den noch streitigen Zeitraum ein Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 19. Januar 1994 (BGBl. I, 165) - UVG - zu. Sie hat schon in diesem Zeitraum - neben den anderen Anspruchsvoraussetzungen, die sie unstreitig erfüllt hat - auch die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG erfüllt und bei einem Elternteil (ihrer Mutter) gelebt, der von seinem Ehegatten dauernd getrennt gelebt hat. Zwar knüpft dieser Begriff des "Getrenntlebens" an den des § 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB an. Danach leben Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. § 1 Abs. 2 UVG erweitert diesen Begriff aber, um den Belangen betroffener Kinder, denen die Leistungen nach diesem Gesetz zugute kommen sollen, besser gerecht werden zu können. Danach gilt ein Elternteil, bei dem das Kind lebt, auch dann als dauernd getrennt lebend im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG, wenn sein Ehegatte wegen Krankheit oder Behinderung oder aufgrund gerichtlicher Anordnung für voraussichtlich wenigstens sechs Monate in einer Anstalt untergebracht ist. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass diese Aufzählung der Fallgruppen nicht abschließend ist, sondern die Regelung auf andere, gleichgelagerte Fälle auszudehnen ist, in denen für voraussichtlich wenigstens sechs Monate der Ehegatte des Elternteils aufgrund "höherer Gewalt" als Miterzieher ausfällt, das Kind also in einer "nicht vollständigen" Familie lebt. Jedenfalls ist die Regelung auf solche Fälle auszudehnen, in denen - wie hier - der alleinerziehende Elternteil und sein Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft noch nicht erstmals haben herstellen können, weil der Ehegatte die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzt, im Ausland lebt und die Einreiseerlaubnis noch nicht erhalten hat. Diese Auslegung entspricht dem Willen des Gesetzgebers und dem von ihm mit dem UVG verfolgten Zweck: Die Schaffung des Unterhaltsvorschussgesetzes sollte dazu dienen, die zusätzliche Belastung eines alleinerziehenden Elternteils durch die Einführung einer neuen öffentlich-rechtlichen Unterhaltsleistung für nichteheliche Kinder, Halbwaisen und eheliche Kinder von geschiedenen oder von dauernd Getrenntlebenden aufzuheben oder wenigstens zu mildern, wenn die Kinder bei einem Elternteil leben und ein bestimmtes Lebensalter noch nicht vollendet haben (BT-Drucks. 8/1952 S. 6; BT-Drucks. 8/2774 S. 12). Eine Leistungsberechtigung von Kindern in Stiefelternfamilien erschien dem Gesetzgeber nicht erforderlich, weil der heiratende alleinerziehende Elternteil seinem Kind einen Stiefelternteil verschafft und sich dadurch zwar nicht die unterhaltsrechtliche, wohl aber die faktische Gesamtlage der Stiefelternfamilie ändert. Das Kind ist dann in eine vollständige Familie eingebettet und nimmt im allgemeinen auch an deren sozialem Standard teil; der bisher alleinerziehende Elternteil ist insgesamt freier gestellt, was auch dem Kind zugute kommt (BT-Drucks. 8/1952 S. 6 f.). Der Gesetzgeber wollte damit nicht maßgeblich auf die unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkte und besonderen Belastungen des Alleinerziehenden abstellen, sondern auf die Situation des Kindes, das tatsächlich auf die Betreuung und Pflege von zwei Erwachsenen zurückgreifen kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass als getrennt lebend nicht nur der Elternteil anzusehen ist, der aus einer sich auflösenden ehelichen Gemeinschaft als Erzieher bleibt, sondern auch der, der zwar rechtlich, aber nicht tatsächlich eine neue Gemeinschaft des Kindes mit einem Stiefelternteil herstellt und deshalb trotz der familienrechtlichen Änderung weiterhin die mit der Alleinerziehung verbundenen Belastungen zu tragen hat. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der zunächst nur rechtlich hinzutretende Stiefelternteil die materielle Situation des Kindes tatsächlich noch nicht verbessern kann. Die Gleichstellung in § 1 Abs. 2 UVG sollte sich nämlich über die aufgezählten Beispielsfälle hinaus auch auf solche Fälle erstrecken, in denen ein Ehegatte auch ohne Zerrüttung der Ehe durch "höhere Gewalt" für längere Zeit als Miterzieher ausfällt (BT-Drucks. 8/2774 S. 12). Dass die Aufzählung der Umstände, die zum Ausfall als Erzieher führen können, nicht abschließend sein soll, folgt auch daraus, dass in der Begründung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zu dieser von ihm vorgeschlagenen Vorschrift die drei Fallgruppen mit dem Zusatz "z. B." genannt werden.!

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Die Kammer teilt demgegenüber nicht die Rechtsansicht der Beklagten, die seinerzeitige Täuschung des Herrn O. über seine wahre Identität und seine Angabe, er sei liberianischer Staatsangehöriger, hätten die Wiedereinreise verzögert und müssten demzufolge zu Lasten der Klägerin Berücksichtigung finden, da kein Fall der "höheren Gewalt" vorliege. Denn diese Falschangaben waren in keiner Weise ausschlaggebend für die Zeitdauer der Sichtvermerkserteilung. Dieses Verfahren hätte vielmehr eben so lange gedauert, wenn sich Herr O. sogleich als nigerianischer Staatsangehöriger zu erkennen gegeben hätte. In diesem Falle wäre sein Asylanspruch nämlich ebenfalls abgelehnt und er bei Nichterfüllung seiner Ausreisepflicht gleichfalls abgeschoben worden. Darüber hinaus kommt es bei der Beurteilung, ob der Fall eines dauernden Getrenntlebens i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UVG vorliegt, schon von Gesetzes wegen einzig und allein auf die Zeit nach Eingehung der Ehe ein, denn ein "dauernd getrennt leben" im Sinne von § 1567 Abs. 1 S. 2 BGB setzt eine geschlossene Ehe voraus.

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Unabhängig von dem Vorstehenden und selbständig die Entscheidung tragend ist die Klage aber auch deshalb begründet, weil die Klägerin weder vorsätzlich noch fahrlässig unvollständige Angaben gegenüber dem Jugendamt der Beklagten gemacht hatte. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG ist der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, dann zum Ersatz der zu Unrecht erhaltenen UVG-Leistung verpflichtet, wenn er die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 UVG unterlassen hat. Nach § 6 Abs. 4 UVG ist der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, verpflichtet, der zuständigen Stelle die Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Diese Pflicht hätte die Klägerin, wenn man den obigen Rechtsausführungen nicht beitreten würde, zwar dadurch verletzt, dass sie das Jugendamt der Beklagten als zuständige Stelle nicht unverzüglich nach ihrer Rückkehr aus Nigeria im Frühjahr 2000 unterrichtete. Jedoch geschah dieses Unterlassen der Klägerin weder vorsätzlich noch fahrlässig. Für vorsätzliches Verhalten gibt es keine Anhaltspunkte, ein solches wird von der Beklagten im Übrigen nicht behauptet. Aber auch Fahrlässigkeit, also die Außerachtlassung der im Rechtsverkehr erforderlichen Sorgfalt, scheidet aus, da die Klägerin nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag sofort nach Rückkehr aus Nigeria beim Sozialamt der Beklagten vorgesprochen und ihre Eheschließung mitgeteilt hat. Da sie dort die Auskunft bekam, die Eheschließung mit Herrn O. sei erst nach ihrer Legalisierung durch die deutschen Behörden wirksam, ist es nicht als sorgfaltswidrig zu bewerten, wenn sie darauf hin als Rechtsunkundige ein weiteres Vorsprechen beim Jugendamt unterlassen hatte. Denn es hätte sich der Klägerin nicht aufdrängen müssen, dass entweder die Rechtsauskunft des Sachbearbeiters im Sozialamt unrichtig oder die Rechtslage im Hinblick auf die bezogenen UVG-Leistungen eine andere sein könnte. In ihrer Einschätzung der Sach- und Rechtslage wurde die Klägerin schließlich noch dadurch bestärkt, dass ihr bedeutet wurde, auch einwohnermelderechtlich weiterhin als nicht verheiratet zu gelten, solange eine "Legalisierung" der Eheschließung nicht erfolgt sei.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO; ihre vorläufige Vollstreckbarkeit erfolgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.