Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.04.2002, Az.: 1 A 1143/00
Analogie; Anwendbarkeit; Asylbewerberleistungen; Ausbildung; Ausbildungsförderung; Besserstellung; Bundessozialhilfegesetz; Grundleistungen; Regelungslücke; Sozialhilfeleistungen
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.04.2002
- Aktenzeichen
- 1 A 1143/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41838
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs 1 AsylbLG
- § 26 Abs 1 S 1 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die leistungseinschränkende Vorschrift des § 26 Abs. 1 BSHG findet auf die Gewährung von Grundleistungen nach §§ 1, 3 ff. AsylbLG weder unmittelbar noch analog Anwendung
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen wurde.
Der Bescheid der Beklagten vom 08. November 1999 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 20 Juni 2000 werden aufgehoben, soweit mit ihnen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für die Zeit vom 01. April 1999 bis 30. September 1999 eingestellt, entsprechende Leistungsbescheide aufgehoben und von der Kläger ein Betrag von 6.376,20 DM zurück gefordert wurden.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin ist ukrainische Staatsangehörige, jüdischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 15. Juli 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt hier seit Anfang August 1996 Duldungen.
Seit dem 15. Juli 1998 bezog die Klägerin von der Beklagten Grundleistungen nach dem AsylbLG in Anwendung der Vorschriften der §§ 1, 3 ff. AsylbLG.
Seit dem 1. April 1999 ist die Klägerin an der Georg-August-Universität Göttingen im Studienfach Deutsch für ausländische Studenten immatrikuliert. Sie erhielt zum Sommersemester 1999 die Zulassung zum Studium der Sportwissenschaften, die unter der Bedingung ausgesprochen worden war, dass die Klägerin über eine an der Universität Göttingen anerkannte Hochschulzugangsberechtigung und über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge. Seit dem Wintersemester 1999/2000 studiert die Klägerin Sozialwissenschaften.
Anfang Oktober 1999 erfuhr die Beklagte anlässlich einer Vorsprache der Klägerin von dem von dieser aufgenommenen Studium. Daraufhin erließ die Beklagte am 8. November 1999 einen Bescheid, mit dem sie ihre Leistungen nach dem AsylbLG zum 31. März 1999 einstellte. Zu Unrecht erbrachte Leistungen in Höhe von 7.776,20 DM für die Monate April bis September 1999 zurückforderte und ihre bisher erteilten Bescheide aufhob.
Der hiergegen von der Klägerin eingelegte Widerspruch bleibt im wesentlichen erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 20. Juni 2000 wurde der Rückforderungsbetrag auf 6.376, 20 DM reduziert, der Widerspruch im übrigen aber zurückgewiesen. Die Klägerin habe zu Unrecht Asylbewerberleistungen erhalten. Da sie ein Studium aufgenommen habe, hätten ihr gemäß § 26 Abs. 1 BSHG ab Beginn des Studiums keine Leistungen nach dem AsylbLG mehr zugestanden. Über den Umstand des Studienbeginns habe die Klägerin unrichtige Angaben gemacht. Bis zum 1. Oktober 1999 habe sie bei Vorsprachen im Sozialamt der Beklagten lediglich von leistungsrechtlich unerheblichen Deutschkursen an der Volkshochschule Göttingen gesprochen. Ihr hätte aber aus der Belehrung im Leistungsantrag sowie aus mehreren Gesprächen mit der zuständigen Sachbearbeiterin der Beklagten bekannt sein können und müssen, dass das Studium leistungsrechtliche Auswirkungen habe. Folglich habe die Klägerin die bereits erbrachten Leistungen mit Ausnahme des pauschalierten Wohngeldes zurückzuzahlen. Für die Zukunft stünden ihr wegen der Regelung in § 26 Abs. 1 BSHG keine Leistungen nach dem AsylbLG zu. Es reiche dass ihre Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig sei, so dass der Umstand, dass sie nicht zum begünstigten Personenkreis des Bundesausbildungsförderungsgesetzes gehöre, unerheblich sei. Schließlich liege im Fall der Klägerin kein besonderer Härtefall vor, weil ihre Ausreise in die Ukraine möglich und zumutbar sei. Hiergegen hat die Klägerin rechtzeitig Klage erhoben. Zu deren Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, sie habe keine falschen Angaben über die Aufnahme eines Deutschkurses an der Georg-August-Universität Göttingen gemacht. Sie habe dies vielmehr der Mitarbeiterin des Sozialamtes mitgeteilt.
Nachdem die Klägerin ihr Begehren, die Beklagte zu verpflichten, ihr ab dem 01. April 2000 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat, beantragt sie nunmehr noch,
den Bescheid der Beklagten vom 8. November 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 20. Juni 2000 aufzuheben, soweit er den nicht zurückgenommen Teil betrifft.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, die Klägerin habe ihrem Sozialamt erstmals am 1. Oktober 1999 mitgeteilt, dass sie studiere. Eine vorhergehende Mitteilung gegenüber ihrer Ausländerbehörde im April 1999 über diesen Umstand sei unerheblich, da, wie die Klägerin sehr wohl gewusst habe, dieses Amt unzuständig gewesen sei. Die Klägerin habe ein viertel Jahr vor Beginn des Studiums, nämlich am 20. Januar 1999, gegenüber ihrem Sozialamt versichert, Änderungen betreffend den Besuch eines Sprachkurses bei der Volkshochschule mitzuteilen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem wie auch in dem Verfahren 4 A 4078/99 sowie die jeweiligen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Klage zurück genommen wurde, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Soweit die Klage aufrecht erhalten worden ist, ist sie zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 08. November 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 20. Juni 2000 ist rechtswidrig, soweit mit ihm Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für die Zeit vom 01. April 1999 bis 30. September 1999 eingestellt, entsprechende Leistungsbescheide aufgehoben und von der Klägerin ein Betrag von 6.376,20 DM zurück gefordert worden ist.
Die Beklagte stützt ihren angefochtenen Bescheid zu Unrecht auf §§ 45, 50 SGB X, denn die Bescheide, mit denen der Klägerin Grundleistungen nach §§ 1, 3 ff. AsylbLG gewährt hat, sind nicht rechtswidrig. Ein Anspruch der Klägerin auf diese Leistungen scheitert nicht an der Regelung in § 26 Abs. 1 BSHG, nach der u.a. Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt haben. Diese Vorschrift findet entgegen der dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Annahme der Beklagten auf Leistungen nach §§ 1, 3 ff. AsylbLG keine Anwendung.
Das Bundessozialhilfegesetz, und hier speziell § 26 BSHG findet keine generelle Anwendung auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das Asylbewerberleistungsgesetz enthält weder ausdrücklich noch inzidenter einen generellen Verweis auf das BSHG. Vorschriften des BSHG finden vielmehr nur dort im Rahmen dieses Gesetzes Anwendung, wo dies ausdrücklich vorgesehen ist. So enthält z.B. § 2 Abs. 1 AsylbLG die Regelung, dass abweichend von den §§ 3 bis 7 das BSHG unter den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend anzuwenden ist. Im Umkehrschluss heißt dies, dass auf die von der Klägerin bezogenen Grundleistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG das BSHG gerade nicht anwendbar ist. Dieses Ergebnis wird durch weitere Vorschriften des AsylbLG bestätigt. So erklärt § 7 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 25. August 1998 (BGBl I 2505) ausdrücklich § 122 BSHG für anwendbar und ergibt sich ein Überleitungsanspruch eines Leistungsberechtigten gegen einen anderen gemäß § 7 Abs. 3 AsylbLG daraus, dass § 90 BSHG für entsprechend anwendbar erklärt wird. Weiter besagt § 9 Abs. 1 AsylbLG, dass Leistungsberechtigte nach diesem Gesetz keine Leistungen nach dem BSHG erhalten. Dies stellt nicht nur einen Leistungsausschluss dar, sondern bedeutet, zugleich, dass Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz keine Sozialhilfeleistungen sind (so auch OVG Berlin, Beschl. v. 08.12.1995 -6 S 220/95- NVwZ-Beil. 1996, 20). Schließlich hat der Gesetzgeber mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes in § 1a Nr. 1 und § 5 Abs. 4 AsylbLG Regelungen getroffen, die inhaltlich mit den Bestimmungen der §§ 120 Abs. 3 und 25 Abs. 1 BSHG übereinstimmen. Dies wäre nicht erforderlich gewesen, wenn der Gesetzgeber von einer generellen Anwendbarkeit des BSHG auf das AsylbLG ausgegangen wäre.
§ 26 BSHG lässt sich auf die Leistungsgewährung nach §§ 1, 3 ff. AsylbLG auch nicht analog anwenden. Nach dem eben Dargelegten fehlt es schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat durch die zitierten Vorschriften des AsylbLG zum Ausdruck gebracht, dass er die entsprechende Anwendung des BSHG auf ausdrücklich genannte Fälle beschränkt wissen wollte. Dies wiegt umso schwerer als es sich bei § 26 BSHG, ebenso wie bei §§ 120 Abs. 3 und 25 Abs. 1 BSHG um leistungseinschränkende Regelungen handelt, die einer analogen Anwendung nur dann zugänglich sind, wenn die vorhandene Lücke zu einem für die Rechtsordnung unerträglichen Zustand führen würde. Hierfür ist nichts ersichtlich. Vielmehr kann den Gesetzesmaterialien zum Erlass des Asylbewerberleistungsgesetzes entnommen werden, dass bewusst ein eigenständiges Leistungsrecht für Asylbewerber und ihnen gleichgestellt Personen geschaffen werden sollte, dass aus dem Recht der Sozialhilfe herausgelöst werden sollte. Diesen Materialien kann darüber hinaus entnommen werden, dass es sich bei dem Asylbewerberleistungsgesetz im Kern nicht um Sozialverwaltungsrecht, sondern um eine Gesetzesmaterie handelt, die das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht von Ausländern regeln will, wobei fürsorgerische, also soziale Gesichtspunkte auch berücksichtigt werden. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist damit Teil des Asyl- und Ausländerrechts, nicht aber des Sozialhilferechts (vgl. OVG Lüneburg, Urteil v. 25.02.1999 -12 L 4133/98- zur Frage der Kostenfreiheit im Widerspruchsverfahren, abgedruckt bei GK-AsylbLG VII § 9 Abs. 1 (OVG-Nr. 1).
Der Umstand allein, dass es durch diese Auslegung zu einer -möglicherweise ungewollten- Besserstellung von Beziehern von Grundleistungen nach §§ 1, 3 ff. AsylbLG gegenüber Beziehern von erhöhten Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG kommt, rechtfertigt keine analoge Anwendung des § 26 Abs. 1 BSHG (im Ergebnis ebenso: GK-AsylbLG, § 2 Rdnr. 137; Birk in: LPK-BSHG vor § 1Rdnr. 6; VG Frankfurt a.M., Beschl. v. 18.02.2000
-7 G 533/00 (3)-; VG Aachen, Beschl. v. 28.04.2000 -2 L 1428/99-, beide Entscheidungen abgedruckt bei GK-AsylbLG VII zu § 2 Abs. 1 (VG-Nr. 6 und 7).
Der dieser Rechtslage entgegenstehende Erlass des Nds. MI vom 14.08.1995 -41-12235-8.4-, auf den sich die Beklagte für ihre Rechtsansicht beruft ist daher unbeachtlich und nicht geeignet, die Rechtsansicht der Beklagten zu stützen.
Ist danach die Rücknahme der Bewilligungsbescheide rechtswidrig, entbehrt auch die Rückforderung von gezahlten Beträgen nach § 50 SGB X der Rechtsgrundlage.