Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 02.09.2014, Az.: 2 A 854/13

Ereignis, rückwirkendes; Gewerbesteuer: Verzinsung; Investitionsabsicht: Aufgabe der

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
02.09.2014
Aktenzeichen
2 A 854/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42420
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Der Beklagte veranlagt die Klägerin zur Gewerbesteuer. Mit Bescheid vom 5. September 2013 setzte der Beklagte die von der Klägerin zu entrichtende Gewerbesteuer für das Jahr 2010 auf 980,10 Euro fest, nachdem diese zuvor mit Bescheid vom 12. Oktober 2012 auf 207,90 Euro festgesetzt worden war. Dem lag eine Erhöhung des Gewerbesteuermessbetrages von 63,00 Euro auf 297,00 Euro mit Gewerbesteuermessbescheid vom 23. August 2013 zugrunde. Ursache hierfür war eine Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb infolge der Aufgabe einer Investitionsabsicht nach § 7 g Abs. 4 EStG und des damit verbundenen Wegfalls der begünstigten Abschreibungsmöglichkeit nach Abs. 1 der Vorschrift. Den (neu) festgesetzten Gewerbesteuerbetrag verzinste die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid mit einem nachzuzahlenden Zinsbetrag in Höhe von 63,75 Euro. Dabei setzte sie den Beginn des Zinslaufs auf den 1. April 2012 und das Ende auf den 9. September 2013 fest.

Hiergegen hat die Klägerin am 8. Oktober 2013 Klage erhoben.

Unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 11. Juli 2013 (Az.: IV R 9/12) trägt sie zur Begründung vor, die Gewinnerhöhung habe auf einem nachträglichen Ereignis, nämlich der Aufgabe ihrer Investitionsabsicht beruht. Die Beklagte habe den Zinslauf falsch berechnet. Er habe erst 15 Monat nach Aufgabe der Investitionsabsicht beginnen dürfen; damit seien in ihrem Fall keine Zinsen zu berechnen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten über Zinsen zur Gewerbesteuer 2010 vom 5. September 2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sieht sich an den Gewerbesteuermessbescheid vom 23. August 2013 gebunden, der Aussagen dazu, ob die Gewinnerhöhung auf einem nachträglichen Ereignis beruhe, nicht enthalte. Solange hierzu keine Aussage im Grundlagenbescheid getroffen worden sei, könne sie von einem nachträglichen Ereignis bei der Zinsfestsetzung nicht ausgehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 5. September 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Die streitbefangene Zinsfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlage in § 233 a Abs. 1, 2 Abgabenordnung (AO). Führt u.a. die Festsetzung der Gewerbesteuer zu einem Unterschiedsbetrag, ist dieser gemäß § 233 a Abs. 1 AO zu verzinsen. Gemäß § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO beginnt der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Dies ist hier das Jahr 2010, so dass der Beginn des Zinslaufs von der Beklagten zutreffend auf den 1. April 2012 festgelegt worden ist; die Höhe der Zinsen im Übrigen steht nicht in Streit.

Auf § 233 a Abs. 2 a AO kann sich die Klägerin nicht berufen. Dabei ist die gesetzliche Neuregelung des § 7 g Abs. 4 Satz 4 EStG (BGBl 2013 I S. 1809), mit der die Anwendung von § 233 a Abs. 2 a AO ausgeschlossen wird, hier noch nicht anzuwenden. Die Vorschrift ist erst seit dem 30. Juni 2013 in Kraft, betrifft das hier streitbefangene Veranlagungsjahr 2010 also noch nicht. Nach § 233 a Abs. 2 a a.F. beginnt der Zinslauf abweichend von Absatz 2 Satz 1 AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. Zwar hat der Bundesfinanzhof mit seinem von der Klägerin zitierten Urteil vom 11. Juli 2013 –IV R 9/12- (eine vorangegangene Entscheidung des Nds. FG (Az. 1 K 266/10) betätigend) ausgeführt, dass es sich um ein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift handelt, wenn die Investitionsabsicht nach § 7 g EStG aufgegeben wird; und es dürfte unstreitig sein, dass die Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb bei der Klägerin im Jahr 2010 allein auf der Aufgabe einer solchen Absicht beruht Dennoch kann die Klägerin gegenüber der Beklagten mit dieser Argumentation nicht durchdringen. Die Beklagte ist aus rechtssystematischen Gründen gehindert, § 233 a Abs. 2 AO zur Anwendung zu bringen.

Nach der zitierten Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist die Frage, ob die Gewinnerhöhung auf einem nachträglichen Ereignis beruht ebenso wie der Gewinn selbst gemäß § 179 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO gesondert und einheitlich festzustellen. Insoweit wird diese Feststellung Teil des für den Folgebescheid bindenden Grundlagenbescheides (§§ 175 Abs. 1 Nr. 1, 171 Abs. 10 AO). Ist die Feststellung bisher unterblieben, so hat ein Ergänzungsbescheid im Sinne von § 179 Abs. 3 AO zu ergehen. Der Bundesfinanzhof hat seine Ansicht im Wesentlichen damit begründet, dass Gegenstand der gesonderten und einheitlichen Feststellung auch die mit den einkommensteuer- und körperschaftsteuerpflichtigen Einkünften in Zusammenhang stehenden anderen Besteuerungsgrundlagen sind; hierzu zähle die Frage, ob die Gewinnerhöhung auf einem rückwirkenden Ereignis beruht. Zwar lässt sich diese Argumentation nicht ohne weiteres auf das Gewerbesteuerfestsetzungsverfahren übertragen, weil es den einschlägigen Vorschriften an einem Verweis auf die mit den Einkünften in Zusammenhang stehenden Besteuerungsgrundlagen fehlt (ohne Problembewusstsein insoweit VG Gelsenkirchen, Urteil v. 24.01.2014 -2 K 2205/12-, zitiert nach juris); aus systematischen Gründen ist es jedoch auch hier erforderlich, dass die Feststellung, ob eine Gewinnerhöhung auf einem nachträglichen Ereignis im Sinne von § 233 a Abs. 2 AO beruht im Grundlagenbescheid getroffen wird und erst dann für die Steuer erhebende Kommune Bedeutung erlangt, wenn dies geschehen ist.

Die Kammer, die in der Vergangenheit schon entsprechend entschieden hat (vgl. Beschluss vom 3. Mai 2012 -2 B 418/12-) folgt insoweit dem OVG für das Land Mecklenburg-Vorpommern, das in seinem Beschluss vom 6. November 2013 (1 M 173/13) ausgeführt hat:

„Die Steuermessbeträge, die nach den Steuergesetzen zu ermitteln sind, werden durch Steuermessbescheide festgesetzt (vgl. § 184 Abs. 1 Satz 1 AO und § 11 Abs. 1, § 14 GewStG), die das staatliche Finanzamt erlässt (vgl. § 22 AO). Mit der Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge wird auch über die persönliche und sachliche Steuerpflicht entschieden (vgl. § 184 Abs. 1 Satz 2 AO). Diese Feststellungsbescheide der Finanzverwaltung sind für die Steuerbescheide des Antragsgegners bindend, soweit die in den Feststellungsbescheiden getroffenen Feststellungen für die Folgebescheide der Beklagten von Bedeutung sind (vgl. § 184 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Entscheidung des Finanzamtes über die sachliche Steuerpflicht i. S. d. § 184 Abs. 1 Satz 2 AO erfasst als Steuergegenstand sowohl die Frage des festzusetzenden Gewerbesteuermessbetrags als solchen als auch die Frage, ob Nachforderungszinsen wie im Regelfall nach § 233a Abs. 2 AO oder unter Zugrundelegung eines rückwirkenden Ereignisses gemäß § 233a Abs. 2a AO zu berechnen sind. Zinsen stellen zwar keine Steuern dar, sie teilen aber deren rechtliches Schicksal, wenn die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags geändert wird. Auf die Zinsen sind die für die Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden (vgl. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO), also auch § 184 AO bei Hinterziehungszinsen auf Steuern, für die Steuermessbescheide zu erlassen sind (vgl. Ratschow, in: Klein, AO, § 184 Rn. 4). Die Berechnungs- bzw. Besteuerungsgrundlagen für die Hinterziehungszinsen werden daher vom Finanzamt nach § 184 AO festgestellt; dieser Messbescheid ist Grundlagenbescheid für den vom Antragsgegner zu erlassenden Zinsbescheid (vgl. Ratschow, in: Klein, AO, § 184 Rn. 4; Fritsch, in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 184 Rn. 4; Stepputat, Die Zinsen zur Gewerbesteuer und die angesichts § 7g EStG aktuelle Rechtsschutzfrage, StBW 2012, 799, 800). Dies folgt zwanglos auch daraus, dass nach § 184 Abs. 1 Satz 2 AO mit der Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge auch über die persönliche und sachliche Steuerpflicht entschieden wird, also der Inhalt des Steuermessbescheides nicht abschließend vorgegeben ist (vgl. Ratschow, in: Klein, AO, § 184 Rn. 4). Ebenso wie bei den mit einkommenssteuerpflichtigen Einkünften in Zusammenhang stehenden Besteuerungsgrundlagen (vgl. insoweit BFH, Urt. v. 11.07.2013 – IV R 9/12 –, juris) gehört auch die Feststellung, ob die Änderung eines Gewerbesteuermessbescheides auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruht, zu den vom Finanzamt festzustellenden Besteuerungsgrundlagen (vgl. Stepputat, a. a. O.). Das Finanzamt entscheidet zudem über die Fragen des materiellen Gewerbesteuerrechts; das Finanzamt und nicht der Antragsgegner verfügt über die erforderliche Kenntnis, ob, wann und in welchem Umfang ein rückwirkendes Ereignis eine Gewerbesteuernachforderung auslöst (vgl. Stepputat, a. a. O.). Auch aus dem Zweck des Feststellungsverfahrens, die Gleichmäßigkeit der Abgabenerhebung sicherzustellen und etwaige Streitfragen in einem Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren zu bündeln, folgt, dass die Regelung hierüber einheitlich im Grundlagenbescheid zu erfolgen hat (vgl. zum Ganzen VG Dresden, Urt. v. 21.05.2013 – 2 K 624/12 –, juris; BFH, Urt. v. 19.03.2009 – IV R 20/08 –, juris).

Dagegen lässt sich – anders als die Antragstellerin meint – nicht einwenden, die vorstehend zitierte Entscheidung des Bundesfinanzhofes habe sich nur auf das Feststellungsverfahren nach den §§ 179 bis 183 AO bezogen, nicht hingegen auf die Festsetzung von Gewerbesteuermessbeträgen. Denn Steuermessbetragsbescheide sind jedenfalls auch Grundlagenbescheide für die von ihnen abhängigen Steuerbescheide; bei ihnen handelt es sich um eine besondere Form der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (vgl. Brockmeyer, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 184 Rn. 1; Stepputat, Die Zinsen zur Gewerbesteuer und die angesichts § 7g EStG aktuelle Rechtsschutzfrage, StBW 2012, 799, 800). Damit harmoniert der Umstand, dass § 184 Abs. 1 Satz 4 ausdrücklich den § 182 Abs. 1 AO für sinngemäß anwendbar erklärt.

Schließlich geht auch der Anwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen davon aus, dass im Gewerbesteuermessbescheid als Grundlagenbescheid Feststellungen über die Auswirkungen eines erstmals berücksichtigten rückwirkenden Ereignisses auf die festgestellten Besteuerungsgrundlagen und den Zeitpunkt des Eintritts desselben zu treffen sind (vgl. AEAO zu § 233a Rn. 74 – juris).

Fehlt diese Feststellung und entfaltet infolgedessen der Messbescheid eine negative Bindungswirkung (vgl. Stepputat, a. a. O., S. 801) dahingehend, dass kein rückwirkendes Ereignis vorliegt, muss sich ein Rechtsschutzbegehren darauf richten, den Gewerbesteuermessbescheid um die Feststellung zu ergänzen, dass die Änderung des Bescheids auf einem rückwirkenden Ereignis i. S. des § 233a Abs. 2a AO beruht (vgl. BFH, Urt. vom 11.07.2013 – IV R 9/12 –, juris). Es muss um Rechtsschutz gegen den Gewerbesteuermessbescheid nachgesucht werden, weil die Frage, ob im Fall der aufgegebenen Investitionsabsicht ein rückwirkendes Ereignis vorliegt, keine unselbständige Besteuerungsgrundlage des Bescheids über die Gewerbesteuerzinsen betrifft, sondern den ihm als Basis dienenden Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag (vgl. Stepputat, a. a. O., S. 801). Soweit aus Sicht der Steuerschuldnerin Unsicherheit bestanden haben sollte, ob ein Einspruch gegen den Gewerbesteuermessbescheid oder ein Widerspruch gegen den Zinsbescheid statthaft ist, hätten zur Vermeidung von Rechtsverlusten beide Wege parallel beschritten werden können.

Die Bindung an den Feststellungsbescheid schließt es danach aus, über einen Sachverhalt, über den im Feststellungsverfahren entschieden worden ist, im Folgeverfahren in einem damit unvereinbaren Sinne anders zu entscheiden (vgl. BFH, Beschl. v. 30.08.2012 – X B 97/11 –, juris). Diese Bindungswirkung entfaltet auch ein rechtwidriger Feststellungs- bzw. Grundlagenbescheid (vgl. BFH, Urt. v. 16.06.2011 – IV R 11/08 –, juris; vgl. auch Ratschow, in: Klein, AO, § 182 Rn. 4).“

Diese Ausführungen sind um die aktuelle Erlasslage zu ergänzen. Mit Erlass vom 15. August 2014 Dok. Nr. 2014/0694271 hat das Bundesfinanzministerium seine Auffassung bekräftigt, dass über die Frage, ob die Änderung eines Gewerbesteuermessbescheides auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233 a Abs. 2 a AO beruht in den Gewerbesteuermessbescheid aufzunehmen ist. Hierfür spricht von den vom OVG Mecklenburg Vorpommern zutreffend herangezogenen rechtlichen Gesichtspunkten vor allem der Umstand, dass die steuererhebende Kommune weder über ausreichende Tatsachenkenntnis noch auch über ausreichende Fachkenntnis verfügt, um beurteilen zu können, ob ein Fall des § 7 g EStG vorliegt. Die Beantwortung derartiger Tatsachen- und Fachfragen ist vom Gesetzgeber bewusst den Finanzbehörden im Rahmen des Veranlagungs- und Messbetragsverfahrens zugewiesen worden. Da das Finanzamt eine bindende Feststellung zum rückwirkenden Ereignis nicht getroffen hat, kann die Beklagte nicht verpflichtet werden, bei der Zinsberechnung hiervon auszugehen. Die Klägerin ist daher gehalten, zunächst eine Änderung des Gewerbesteuermessbescheides für das Veranlagungsjahr 2010 herbeizuführen; erst wenn dies durch die Ergänzung der Aussage zu einem rückwirkenden Ereignis geschehen ist, wird die Beklagte den angefochtenen Zinsfestsetzungsbescheid zu ändern haben. Wie im Falle bestandskräftiger Gewerbesteuermessbescheide zu verfahren ist, braucht das Gericht nicht zu entscheiden; es ließe sich jedoch infolge der geänderten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs an eine Rücknahme nach § 130 AO oder eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist für den Gewerbesteuermessbescheid denken.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.