Arbeitsgericht Lüneburg
Urt. v. 28.05.2003, Az.: 3 Ca 102/03
Deklaratorische und konstitutive Verweisungen auf das Tarifwerk in Arbeitsverträgen; Abstellen auf den Empfängerhorizont des Arbeitnehmers bei der Auslegung von arbeitsvertraglichen Klauseln; Dynamische Verweisung auf das Tarifwerk; Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Lüneburg
- Datum
- 28.05.2003
- Aktenzeichen
- 3 Ca 102/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 32639
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGLG:2003:0528.3CA102.03.0A
Fundstellen
- AUR 2004, 438 (Kurzinformation)
- AuR 2004, 438 (Kurzinformation)
Verfahrensgegenstand
Forderung
In dem Rechtsstreit
hat das Arbeitsgericht in ...
auf die mündliche Verhandlung vom 28.05.2003
durch
den Direktor des Arbeitsgerichts ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 388,80 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2003 zu zahlen.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 174,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 02.04.2003 zu zahlen.
- 3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 116,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2003 zu zahlen.
- 4.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Der Streitwert wird festgesetzt auf 678,80 EUR festgesetzt.
Die Berufung wird ausdrücklich zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 19.02.1996 als Verkäufer tätig. Er ist Mitglied der Gewerkschaft JHÜB- Die Beklagte ihrerseits ist Mietglied des ... jedoch gemäß § 3 Ziff. 2 der Satzung ohne Tarifbindung. Unter § 17 des Arbeitsvertrages vom 16.02.1996 trafen die Parteien folgende Vereinbarung:
" Bestandteil dieses Anstellungsvertrages sind die für den niedersächsischen Einzelhandel abgeschlossenen Tarifverträgen ihrer jeweils gültigen Fassung sowie eine etwa vorhandene Betriebsordnung. Der Arbeitnehmer erklärt, dass ihm diese Vereinbarungen bekannt sind. "
Der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel, der Lohn- und Gehaltstarifvertrag vom 07.08.2002 sind nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden. Der Tarifvertrag über Urlaubsgeld, Sonderzuwendung pp. vom 03.12.1997 wurde zum 31.12.1999 gekündigt. Der Kläger begehrt die Leistung nach Maßgabe des zur zeit geltenden Lohn- und Gehaltstarifvertrages unter Bezugnahme auf § 17 des Arbeitsvertrages.
1.
a)
Der Kläger erhält als Verkäufer ein Gehalt nach der Gehaltsgruppe II 7. Berufsjahr der Lohn- und Gehaltsstufe für den Einzelhandel. Es beläuft sich zurzeit auf 1857,00 EUR brutto. Der am 07.08.2002 abgeschlossene und nicht für allgemeinverbindlich erklärte Lohn- und Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel sieht eine Einmalzahlung von 180,0 0 EUR und eine monatliche Tariflohnerhöhung von 3,1 % vor. Demzufolge erhöht sich das Gehalt des Klägers rechnerisch auf monatlich auf 1915,00 EUR, die monatliche Differenz von 58,00 EUR macht er gerichtlich geltend. Für die Zeit von September bis November 2002 ergibt dieses eine Nachforderung in Höhe von 174,00 EUR zuzüglich der Einmalzahlung von 180,00 EUR, beläuft sich der Anspruch auf 354,00 EUR brutto.
b)
Der Kläger fordert weiterhin einen Betrag von 34,80 EUR brutto als Differenz aus dem Anspruch auf Gewährung einer Sonderzahlung.
Gemäß § 9 des Tarifvertrages über Urlaubsgeld, Sonderzuwendung, ähnliche Fortzahlung beläuft sich die Sonderzahlung auf 60 % des Tarifgehalts gemäß dem Gehalt- und Lohntarifvertrag. Ausgehend von dem erhöhten Gehalt von 1915,00 EUR ergibt dieses eine Sonderzuwendung in Höhe von 1149,00 EUR brutto hierauf hat die Beklagte lediglich 1114,20 EUR gezahlt, so dass eine Differenz von 34,80 EUR verbleibt. Insgesamt macht der Kläger mit der Klagschrift den Betrag von 388,80 EUR brutto geltend.
Er vertritt die Ansicht, dass der § 17 keine detaratorische sondern eine konstitutive Verweisung auf das Tarifwerk des Einzelhandels Niedersachsen darstellt.
2.
Mit Schriftsatz vom 28.03.2003 hat der Kläger die Forderung erhöht um 174,00 EUR brutto für die Monate. Dezember 2002 bis Februar 2003.
3.
Desgleichen mit Schriftsatz vom 19.05.2003 auf weitere 116,00 EUR brutto für die Monate März und April 2003.
Der Kläger beantragt,
- 1.
Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 388,80 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
- 2.
Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 174,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagerweiterung zu zahlen.
- 3.
Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 116,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagerweiterung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, dass der Kläger lediglich ein Gehalt nach Maßgabe des Gehalts- und Lohntarifvertrages für den Niedersächsische Einzelhandel vom 19.07.2001 zustehe, da der neue Tarifvertrag vom 07.08.2002 nicht für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Eine Tarifbindung folge nach ihrer Auffassung nicht aus § 17 des Arbeitsvertrages, es handle sich um eine typische Gleichstellungsabrede, da zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine Tarifbindung der Arbeitgeberin vorgelegen habe. Da unklar gewesen sei, ob alle Arbeitnehmer tarifgebunden seien sollte hiermit erreicht werden, dass alle Mitarbeiter finanziell gleichbehandelt würden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Tarifbindung der Parteien folgt nicht aus der Mitgliedschaft, da die Beklagte den Nachwies erbracht hat, dass sie seit dem 01.07.2001 Mitglied des Niedersächsischen Einzelhandels ohne Tarifbindung im Sinne des § 3 der Satzung ist.
Vielmehr folgt die Tarifbindung aus § 17 des Arbeitsvertrages. Das Gericht ist der Auffassung, dass es sich um eine konstitutive Vereinbarung handelt.
Diese ergibt sich einmal aus dem Wortlaut des Vertrages, wobei abgestellt werden muss auf dem Empfängerhorizont des Arbeitnehmers, hier des Klägers. Die Verweisung bezieht sich auf das gesamte Tarifwerk des Einzelhandels und zwar in jeweils gültigen Fassung. Es handelt sich also hiernach um eine dynamische Verweisung, weil die Beklagte hiermit zum Ausdruck bringen will, dass im Zweifelsfalle jede tarifvertragliche Veränderung für die Parteien des Individualarbeitsvertrages verbindlich sein sollten. Es kann der Kläger dem Wortlaut des Textes nicht entnehmen, dass die dynamische Verweisung nicht für den Fall mehr gelten sollte in dem die Arbeitgeberin die Mitgliedschaft im Einzelhandelsverband ohne Tarifbindung weiter betreiben sollte und damit ein sogenanntes Einfrieren der finanziellen Ansprüche eintreten würde, wenn die Allgemeinverbindlichkeit beendet wäre und die neuen Tarifverträge nicht ihrerseits allgemeinverbindlich erklärt würden.
Das Argument der Beklagten, Grund der Vereinbarung sei gewesen, an die finanzielle Gleichstellung auch jene Arbeitnehmer zu erreichen, die nicht gewerkschaftlich organisiert seien, überzeugt nicht.
Dieser Grund war überflüssig, da der Manteltarifvertrag und das Vergütungstarifwerk jahrelang und zwar auch bei Vertragsabschluss mit dem Kläger allgemeinverbindlich erklärt worden war und damit sowieso das Tarifwerk für alle Mitarbeiter im Einzelhandel galt. Im Übrigen ergibt sich auch aus dem Wortlaut des § 17 keine Einschränkung in dem von der Beklagten behaupteten Sinne. Wenn im Übrigen die angestrebte Gleichbehandlung das Motiv jener Regelung gewesen sein sollte, so folgt aus der Formulierung:
" in ihrer jeweils gültigen Fassung ",
dass nicht nur auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlüsse abgestellt wird, sondern auch die zukünftige Entwicklung des Tarifwerks einbezogen werden sollte. Das Motiv der Gleichbehandlung - wenn es denn vorhanden gewesen sein sollte - ist durch die dynaisierende Verweisung nicht entfallen. Für den Adressaten dieser Erklärung folgt hieraus, dass auch zukünftig alle eventuell nicht der Gewerkschaft ver.di angehörenden Mitarbeiter gleichbehandelt werden sollten.
Hieraus folgt, dass der Anspruch des Klägers dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Die Beklagte hat zwar den Anspruch in dem ersten Satz der Klagerwiderung vom 02.04.2003 auch der Höhe nach bestritten. Dieser Sachvortrag ist jedoch unsubstanziiert.
Der Kläger hat seine Forderung detailliert berechnet. Es wäre nun Aufgabe der Beklagten gewesen darzulegen, in wie weit der Sachvortrag des Klägers - die Richtigkeit unterstellt - rechnerisch falsch sei. Die Beklagte kann daher mit ihrer Einrede nicht gehört werden. Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
Die Zinsen folgen aus § 291 BGB.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 ZPO.
Die Berufung musste gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG zugelassen werden.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird festgesetzt auf 678,80 EUR festgesetzt.
Der Streitwert war nach § 61 ArbGG in Verbindung mit den §§ 3 ff. ZPO festzusetzen.