Arbeitsgericht Lüneburg
Urt. v. 05.11.2003, Az.: 1 Ca 350/03

Zulässigkeit der Befristung eines Arbeitsverhältnisses; Darlegungspflicht und Beweispflicht des Arbeitgebers für die die Befristung rechtfertigenden Tatsachen; Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse zu Beginn der Befristung; Rechtsgrundlose Befristung gem. § 14 Abs. 2 Teilzeitbefristungsgesetz (TZBfG); Bestandskräftige Zuweisung eines Arbeitnehmers im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als Sachgrund für eine auf Dauer der Zusage vereinbarte Befristung; Deckungsgleichheit zwischen der im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme vorgesehenen Aufgaben und der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit

Bibliographie

Gericht
ArbG Lüneburg
Datum
05.11.2003
Aktenzeichen
1 Ca 350/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 32640
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGLG:2003:1105.1CA350.03.0A

Fundstellen

  • AUR 2004, 433 (Kurzinformation)
  • AuR 2004, 433 (Kurzinformation)

Verfahrensgegenstand

Feststellung

In dem Rechtsstreit
hat das Arbeitsgericht in Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 05.11.2003
durch
den Richter am Arbeitsgericht ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... und als Beisitzer
für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Befristung vom 01.06.2003 nicht beendet worden ist und über den 31.05.2003 unbefristet fortbesteht.

Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Bedingungen als wissenschaftlichen Mitarbeiter weiterzubeschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Der Streitwert wird auf 12.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit eines befristeten Arbeitsverhältnisses und um die Frage, ob das Arbeitsverhältnis unbefristet fortbesteht sowie um vorläufige Weiterbeschäftigung.

2

Der Kläger wurde aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages mit Wirkung zum 01.06.2002 von dem Beklagten beschäftigt. In § 1 heißt es wörtlich: " Der Arbeitsvertrag wird befristet ist zum 31.05.2003 geschlossen". Demgegenüber heißt es in § 2 : " Der Arbeitnehmer ist im Rahmen des ABM-Projektes zur Zusammenfassung verschiedener regionaler Archivarbeiten etc. bis zum 31.05.2004 beschäftigt. Die Maßnahme soll es ermöglichen, dass die bereits angelaufenen Arbeiten der archivarischen Aufbereitung zu Ende geführt werden ." § 8 regelt, dass das zeitlich befristete Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, an dem in § 1 genannten Tag.

3

Vor Abschluss des befristeten Arbeitsverhältnisses war der Kläger mehrmals Arbeitnehmer des Beklagten.

4

Die BfA bewilligte eine ABM zwecks "Zusammenführung verschiedener regionaler Archive über EDV" für die Dauer eines Jahres beginnend ab dem 01.05.2002. Der entsprechende Bescheid der BfA ist bestandskräftig geworden.

5

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis unbefristet fortbesteht sowie die vorläufige Weiterbeschäftigung. Er behauptet, von Anfang an nicht mit Archivarbeiten betraut gewesen zu sein. Vielmehr sei er als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig gewesen und habe wissenschaftliche Projekte geleitet. Schließlich beruft er sich darauf, dass der Beklagte immer verbindlich die Fortsetzung des befristeten Arbeitsvertrages in Aussicht gestellt habe, hiervon habe der Beklagte erst Abstand genommen, als er sich im April 2003 in den Betriebsrat hat wählen lassen.

6

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund der Befristung vom 01.06.2002 nicht beendet ist und über den 31.05.2003 unbefristet fortbesteht,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter weiterzubeschäftigen,

  3. 3.

    hilfsweise festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum 31.05.2004, mindestens jedoch bis zum 31.12.2003 fortbesteht,

  4. 4.

    hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, mit dem Klägereinen unbefristeten Arbeitsvertrag, mindestens jedoch einen befristeten Arbeitsvertrag bis zum 31.05.2004, hilfsweise zum 31.12.2003 abzuschließen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er tritt dem Vorbringen des Klägers nach Maßgabe seiner Klagerwiderung vom 11.07.2003 entgegen. Insbesondere sei der Kläger auch tatsächlich mit Archivierungsarbeiten betraut worden. Schließlich habe man ihm gegenüber niemals verbindlich die Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages in Aussicht gestellt und man habe darüberhinaus vor Abschluss des Arbeitsvertrages erläutert, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2003 sein Ende finden müsse.

9

Wegen sämtlicher weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

10

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen wegen der genauen Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 05.11.2003, Blatt 99-102 der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Klage hat im vollen Umfang Erfolg.

12

I.

Die Befristung des Arbeitsverhältnisses war unzulässig, mit der Folge des Fortbestandes eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Insbesondere stand dem Beklagten keinerlei rechtfertigender Grund für die Befristung zur Seite.

13

1.

Durch die Neuregelung des Befristungsrechtes in §§ 14 ff TZBfG hat der Gesetzgeber das Befristungsrecht vom Kündigungsrecht abgekoppelt. Eine Befristungskontrolle durch die Gerichte für Arbeitssachen findet nach § 14 TZBfG bei allen befristeten Arbeitsverträgen statt.

14

Aufgrund der Gesetzesänderung ist nach zutreffender und wohl überwiegender Auffassung der Arbeitgeber im vollem Umfang darlegungs- und beweispflichtig für die Tatsachen, die eine Befristung rechtfertigen. Dies lässt sich unmittelbar an dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 TZBfG erkennen. Mit der Neufassung dieses Gesetzeswortlautes ist der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, derzufolge der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig für die Rechtsunwirksamkeit der Befristung ist (so grundlegend BAG vom 12.10.1960 - GS 1/59-AP BGB § 620 befristeter Arbeitsvertrag Nr. 16), die Grundlage entzogen worden. Das Gericht folgt dieser modernen und unmittelbar aus dem Gesetz erkennbaren Darlegungs- und Beweislastregelung zu Lasten des Arbeitgebers.

15

Allgemein anerkannt ist auch, dass zur Überprüfung der Befristung die tatsächlichen Verhältnisse zu Beginn eines befristeten Arbeitsvertrages maßgebend sind, ändert sich im nachhinein die Sachlage, dann führt dies nicht automatisch zu einer Unwirksamkeit der Befristung.

16

2.

Dem Beklagten steht keinerlei rechtfertigender Grund für die Zulässigkeit der Befristung zur Seite. Er kann sich nicht auf eine rechtsgrundlose Befristung gemäß § 14 Abs. 2 TZBfG berufen, da der Kläger zuvor Arbeitnehmer gewesen ist. Auch kann sich der Beklagte nicht auf die bestandskräftige Zuweisung des Klägers im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme berufen.

17

Nach ständiger Rechtssprechung des BAG stellt die bestandskräftige Zuweisung eines Arbeitnehmers in den Betrieb oder die Dienststelle des Arbeitgebers im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme einen Sachgrund für eine auf Dauer der Zusage vereinbarte Befristung dar, weil der Arbeitgeber die Einstellung des von ihm von der Arbeitsverwaltung zugewiesenen Arbeitnehmers im Vertrauen auf die zeitlich begrenzte Förderungszusage vorgenommen hat (BAG 7 AZR 508/97 -BGB § 625 Nr. 8). Diesbezüglich ist es unerheblich, ob man hier einen Befristungsgrund außerhalb des Kataloges des § 14 Abs. 1 Nr. 1 - 8 anerkennen will oder aber diesen Befristungstatbestand unter Nr. 6) des Kataloges subsumiert (KR-Lipke 6. Auflage, § 14 TZBfG Rd.Nr. 185).

18

Zur Überzeugung des Gerichtes bedarf es allerdings einer Deckungsgleichheit zwischen der im Rahmen der ABM vorgesehenen Aufgabe und den tatsächlich durchgeführten Arbeitsaufgaben. Wird ein Arbeitnehmer von Anfang an mit anderen Aufgaben betraut, als denen, die Grundlage der ABM-Bewilligung gewesen sind und die im Übrigen als Arbeitsaufgaben in dem Arbeitsvertrag im Rahmen der Befristung genannt werden, dann fehlt es an einer rechtswirksamen Befristung. Diese Rechtsauffassung findet in der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichtes seine Stütze. Es sei insoweit auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 20.12.1995 (BAG 7 AZR 194/95 - AP Nr. 177 zu § 620 BGB befristeter Arbeitvertrag) verwiesen. Dort wurde eine rechtswirksame Befristung verneint, wenn ein Arbeitnehmer der zuvor in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden hat in einer ABM befristet weiterbeschäftigt wurde und dabei weiterhin seine Daueraufgaben erledigte. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Grundsätze dieses Falles sich auf den vorliegenden Streitfall übertragen lassen. Der anerkannte Sachgrund einer zeitlich befristeten ABM muss sich in den tatsächlichen Verhältnissen der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers von Anfang an widerspiegeln. Wird ein Arbeitnehmer mit anderen Aufgaben betraut, die eine ABM nicht gerechtfertigt hätten, dann liegt dieser Sachgrund nicht vor. Mit anderen Worten: Die ABM und die darin vorgesehene Arbeitsaufgabe sind miteinander untrennbar verbunden.

19

Demgegenüber lässt sich auch nicht einwenden, dass der Arbeitgeber auf die Rechtswirksamkeit einer ABM vertrauen müsse. Soweit der Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des BAG vom 14.09.1994 (BAG 7 AZR 186/94) meint, dieser Umstand stehe einer Überprüfung der Befristung entgegen, kann dem nicht gefolgt werden. Denn die Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils machen deutlich, dass der Arbeitgeber im Vertrauen auf eine zeitlich begrenzte Förderungszusage und Zuweisung schutzwürdig ist. Dieser Grundsatz kann natürlich nicht für einen Arbeitgeber gelten, der genau weiß, dass er den Arbeitnehmer anderweitig als im Rahmen der ABM vorgesehen von Anfang an beschäftigt. Dieser Arbeitgeber, in dessen Sphäre der Fehler liegt, ist nicht schutzwürdig.

20

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur vollen Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Kläger von Anfang an nicht mit Archivierungsarbeiten betraut gewesen ist. Diese Arbeitsaufgabe stand nur auf dem Papier (dem Arbeitsvertrag der Parteien) und ist von Anfang an so weder von dem Beklagten gewollt noch durchgeführt worden. Der Kläger war vielmehr damit betraut, wissenschaftliche Projekte zu leiten. Dies ist das Ergebnis der Beweisaufnahme. Alle vom Gericht vernommenen Zeugenhaben letztendlich bestätigt, dass der Kläger wissenschaftliche Projekte geleitet hat. Insbesondere der Zeuge hat sehr anschaulich bekundet, dass er selbstverantwortlich für sämtliche Archive beider Beklagten gewesen ist. Damit konnte er sicher ausschließen, dass dem Kläger eine eigenständige Archivtätigkeit übertragen worden ist.

21

Wenn auch demgegenüber der Zeuge bekundet hat, der Kläger habe in einem deutlichen Umfang Archivarbeiten durchgeführt, dann wird auch aufgrund seiner weiteren Ausführungen klar, dass diese Archivierungsarbeiten nicht das Arbeitsziel des Klägers gewesen sind, sondern allenfalls unselbstständige Zusammenhangstätigkeiten zu seiner Hauptaufgabe, der wissenschaftlichen Betreuung von Projekten.

22

Bei der Bewertung der von dem Kläger durchgeführten Tätigkeiten greift das Gericht auf den im öffentlichen Dienst bekannten "Arbeitsvorgang" zurück. Entscheidend ist nicht die Frage, in welchem zeitlichen Umfang welche Tätigkeiten durchgeführt worden sind, sondern was das Ziel der Arbeit gewesen ist.

23

Unter Würdigung sämtlicher Aussagen der vernommenen Zeugen konnte und musste das Gericht nur zu der Überzeugung kommen, dass der Kläger wissenschaftliche Projekte geleitet hat und wissenschaftliche Forschungen betrieben hat und im Rahmen dessen auch Dokumente und andere Archivalien gesichtet und zusammengestellt hat. Seine Hauptaufgabe ist dies nicht gewesen.

24

Aus den oben genannten Gründen ist die Befristung rechtsunwirksam und das Arbeitsverhältnis besteht fort.

25

II.

Der Kläger hat auch einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

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Die Beklagte war auch antragsgemäß zur Weiterbeschäftigung gemäß §§ 611 ff, 242 BGB in Verbindung mit Artikel 1 und Artikel 2 GG zu verurteilen. Die Kammer folgt insoweit der bekannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, derzufolge der gekündigte Arbeitnehmer einen vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch hat, sofern er in der ersten Instanz mit seinem Kündigungsschutzanspruch obsiegt. Denn diese Rechtsprechung führt dazu, dass der Arbeitnehmer nicht während der langen Dauer eines Kündigungsschutzprozesses in erster und zweiter Instanz praktisch aus dem Betrieb ausgegliedert wird und so vollendete Tatsachen geschaffen werden. Diese Rechtsprechung nimmt eine zutreffende Risikoverteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor. Sie trägt den Wertentscheidungen unserer Verfassung, namentlich den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes, Rechnung. Von daher ist diese Entscheidung keine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung, wie einige Landesarbeitsgerichte immer noch meinen, sondern eine zulässige.

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Diese Rechtsprechung ist auch auf andere Bestandsschutzstreitigkeiten übertragbar.

28

III.

Der Beklagte hat als unterlegene Partei vollständig die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 12.000,00 EUR festgesetzt.

Gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG war der Streitwert festzusetzen. Er beläuft sich auf 4 Bruttomonatsvergütungen (3 Bruttomonatsvergütungen für den Feststellungsantrag gemäß § 12 Abs. 7 ArbGG, ein weiteres Bruttomonatsgehalt für den Weiterbeschäftigungsantrag), mithin auf 12.000,00 Euro.