Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 17.10.2023, Az.: 2 ORbs 278/23
Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung im Rahmen der Verhängung einer Gelbuße wegen Nichtbefolgung der Verpflichtung zum Tragen der Maske
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.10.2023
- Aktenzeichen
- 2 ORbs 278/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 39902
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Stadthagen - AZ: 11 OWi 330/22
Rechtsgrundlage
- § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Zur Glaubhaftmachung der Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung nach § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 bedarf es nicht der Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests.
- 2.
Die Glaubhaftmachung durch ein ärztliches Attest oder eine vergleichbare amtliche Bescheinigung hat schon zur Gewährleistung eines effektiven Gesundheitsschutzes bereits zum Zeitpunkt der behördlichen Kontrolle an Ort und Stelle des Vorfalls zu erfolgen und nicht erst in einer späteren Hauptverhandlung in dem nachgelagerten Bußgeldverfahren.
- 3.
Die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes waren aufgrund des im Februar und März 2022 besonders hohen und stagnierenden Infektionsgeschehens mit einem Höchststand an Neuinfektionen während der gesamten COVID-19-Pandemie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der Fassung vom 23. Februar 2022 noch deutlich reduziert, sodass § 21 der Verordnung trotz seiner Ausgestaltung als Blankettvorschrift noch als materiell rechtmäßig anzusehen ist.
In der Bußgeldsache
gegen H. H. G .,
geboren am ...,
wohnhaft ...,
d. Staatsangehöriger,
- Verteidiger: Rechtsanwalt L., F./A.-
wegen einer Ordnungswidrigkeit
hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Stadthagen vom 30.06.2023 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX - diese zu 1. und 2. als Einzelrichterin -, den Richter am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Landgericht XXX am 17. Oktober 2023 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
- 2.
Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
- 3.
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
- 4.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Stadthagen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Stadthagen hat den Betroffenen mit der angefochtenen Entscheidung vom 30.06.2023 wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen eine vollziehbare Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (hier: Maskenpflicht bei öffentlichen Veranstaltungen) zu einer Geldbuße von 100,- € verurteilt.
Nach den Feststellungen des Urteils nahm der Betroffene am 28.02.2022 in B. an einer angemeldeten Versammlung zum Thema "Spaziergang für das Ende aller Corona-Maßnahmen, Freiheit und Selbstbestimmung " unter freiem Himmel teil, zu deren Beginn die Demonstrationsteilnehmer einschließlich des Betroffenen von den eingesetzten Polizeikräften auf die bestehende Maskenpflicht hingewiesen worden seien. Sodann habe der Betroffene während der gesamten Versammlung bewusst auf das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verzichtet und mehrfach eine Trillerpfeife verwendet. Ein von dem Betroffenen in der Hauptverhandlung vorgelegtes ärztliches Attest vom 14.01.2022 mit dem Inhalt "Aus psychischen Gründen kann o.g. Person keinen MNB tragen" erfüllte aus Sicht des Amtsgerichts nicht die an ein ärztliches Attest zu stellenden Mindestanforderungen, sodass der Betroffene nicht nach § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung von der Maskenpflicht befreit gewesen sei, weil eine als Ausnahme geltende Beeinträchtigung oder Vorerkrankung weder am Vorfallstag noch in der Hauptverhandlung glaubhaft gemacht worden sei. Das vorgelegte Dokument enthalte weder eine Diagnose, noch gebe es andere Hinweise auf die Art der Erkrankung und auf den Grund, warum diese dem Tragen einer Schutzmaske entgegenstehen soll.
Zum Tatzeitpunkt galt die Niedersächsische Verordnung über Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 und dessen Varianten (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 23. Februar 2022. Die Verordnung enthielt in in den §§ 4 Abs. 5, 7 b und 21 folgende Regelungen:
§ 4 - Mund-Nasen-Bedeckung - dort Abs. 5
(5) Personen, für die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigung oder einer Vorerkrankung, zum Beispiel einer schweren Herz- oder Lungenerkrankung, das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht zumutbar ist und die dies durch ein ärztliches Attest oder eine vergleichbare amtliche Bescheinigung glaubhaft machen können, und Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres sind von den Verpflichtungen nach den Absätzen 1, 2 und 4 ausgenommen.
§ 7 b - Versammlungen unter freiem Himmel
1Unbeschadet des § 5 Abs. 4 hat die Veranstalterin oder der Veranstalter einer Versammlung unter freiem Himmel nach Artikel 8 des Grundgesetzes durch geeignete Maßnahmen den Schutz vor Infektionen mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 sicherzustellen. 2Teilnehmende Personen haben eine Atemschutzmaske mindestens des Schutzniveaus FFP2, KN 95 oder eines gleichwertigen Schutzniveaus zu tragen; für Kinder zwischen dem vollendeten
6. Lebensjahr und dem vollendeten 14. Lebensjahr gilt § 4 Abs. 1 Satz 4 entsprechend, für Personen mit medizinischer Kontraindikation und Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres gilt § 4 Abs. 5 entsprechend. 3Die zuständige Versammlungsbehörde kann zum Schutz vor Infektionen mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 die Versammlung auf der Grundlage des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes beschränken und dabei auch von Satz 2 abweichende Regelungen treffen.
§ 21 - Ordnungswidrigkeiten
Verstöße gegen die §§ 4 bis 13 und die §§ 17 bis 20 stellen Ordnungswidrigkeiten nach 73 Abs. 1 a Nr. 24 IfSG dar und können mit Geldbuße bis zu 25 000 Euro geahndet werden.
Gegen das oben genannte Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner mit einem Antrag auf deren Zulassung verbundenen Rechtsbeschwerde. Er rügt dabei im Wege der Verfahrensrüge die Verletzung rechtlichen Gehörs und erhebt zudem die Sachrüge zur Fortbildung des materiellen Rechts. Auf die Ausführungen in dem Zulassungsantrag wird Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Stadthagen vom 30.06.2023 zuzulassen, als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des sachlichen Rechts zu ermöglichen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Unter der Fortbildung des Rechts ist die Aufstellung von Leitsätzen für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts zu verstehen (vgl. KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, OWiG § 80 Rn. 37). Der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung ist auch im Rahmen der Anwendung und Auslegung von Verordnungen auf Landesebene angezeigt (vgl. Krenberger/Krumm, 7. Aufl. 2022, OWiG § 80 Rn. 13). Demnach war die Rechtsbeschwerde im Hinblick auf die vorzunehmende Auslegung von § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 zuzulassen. Zudem ist - soweit ersichtlich - bislang keine obergerichtliche Entscheidung über die Verfassungsgemäßheit des § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 ergangen. Die Erfordernisse der Entscheidungserheblichkeit, Klärungsbedürftigkeit und Abstraktionsfähigkeit dieser Rechtsfrage liegen vor (vgl. Seitz in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 80 Rn. 3 mwN).
Aus den vorgenannten Gründen ist die Sache gemäß § 80a Abs. 3 OWiG von der Einzelrichterin auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen.
III.
Die aufgrund der Zulassung gem. § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der erhobenen Sachrüge zumindest vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Die vom Amtsgericht und der Generalstaatsanwaltschaft im Wege der Auslegung zugrunde gelegten Anforderungen an ein ärztliches Attest zur Bescheinigung der Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung erweisen sich als zu eng. Der Begriff des ärztlichen Attests bzw. der vergleichbaren amtlichen Bescheinigung in § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der Fassung vom 23. Februar 2022 kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass das Dokument Angaben zur Diagnose, zur Art der Erkrankung und zu der daraus resultierenden Kontraindikation des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung enthalten muss, mithin die Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests erforderlich wäre.
1.
Das Amtsgericht hat als Grundlage der möglichen Ordnungswidrigkeit zutreffend § 21 in Verbindung mit § 7 b Satz 2 der Niedersächsischen Corona Verordnung in der Fassung vom 23. Februar 2022 angewandt, wonach es zum Zeitpunkt der Gültigkeit der Verordnung eine Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG darstellte, wenn teilnehmende Personen bei Versammlungen unter freiem Himmel keine Atemschutzmaske mindestens des Schutzniveaus FFP2, KN 95 oder eines gleichwertigen Schutzniveaus getragen haben.
Soweit die Niedersächsische Corona Verordnung in der Fassung vom 23. Februar 2022 nach § 22 der Verordnung mit Ablauf des 19. März 2022 außer Kraft getreten ist, steht das einer späteren Sanktionierung von im Gültigkeitszeitraum begangenen Ordnungswidrigkeiten nicht entgegen. Gemäß § 4 Abs. 4 OWiG ist ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, auf Handlungen, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Der weit zu fassende Gesetzesbegriff umfasst dabei nicht nur Gesetze im formellen, sondern auch im materiellen Sinne und somit auch Rechtsverordnungen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2021 - 2 Ss (OWi) 261/21 -, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 24. Juni 2021 - 202 ObOWi 660/21 -, Rn. 15, juris; KK-Rogall, OWiG, 5. Auflage 2018, § 4 Rn. 37, 38).
2.
Die in § 32 Satz 1 i.V.m. §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG normierte Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen, auf der die tatbestandliche Ausgestaltung der Bußgeldbestimmung in § 21 der Niedersächsischen Corona-Verordnung beruht, ist mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Eine Verfassungswidrigkeit dieser Rechtsgrundlagen, insbesondere mit Blick auf die Bestimmtheit der getroffenen Regelungen und deren Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes, ist nicht gegeben (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 11. November 2020 - 13 MN 436/20 -, juris; vom 5. Oktober 2021 - 13 MN 415/21; vom 7. März 2022 - 14 MN 173/22; OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 11. Januar 2021 - 2 Ss (OWi) 3/21 -, juris; OLG Celle, Beschluss vom 15. September 2021, 3 Ss (OWi) 188/21).
3.
Darüber hinaus hegt der Senat keine Bedenken, dass die Regelungen der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022, die - wie dargelegt - in § 32 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG eine tragfähige Rechtsgrundlage finden, formell nicht rechtmäßig sein könnten (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 11. März 2022 - 14 MN 171/22 -, juris; vom 11. März 2021 - 13 MN 70/21 -, juris; vom 11. November 2020 - 13 MN 485/20 -, juris).
4.
Ferner sind die Regelungen der §§ 4 Abs. 5, 7 b, 21 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 auch materiell rechtmäßig und genügen in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1, 28a Abs. 1 Nr. 2, 32 S. 1, 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG und des § 3 OWiG.
a)
Bezüglich der Bußgeldvorschrift des § 21 der Verordnung gilt dies auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Norm um eine Blankettvorschrift handelt, bei der der Verordnungsgeber die Beschreibung des Ordnungswidrigkeitentatbestandes durch die Verweisung auf eine Ergänzung in derselben Verordnung ersetzt. Solche Vorschriften erfordern zwar für den Normadressaten den zusätzlichen Blick in die jeweils in Bezug genommenen Vorschriften, sodass bei derartigen Blankettnormen grundsätzlich Bedenken hinsichtlich deren Bestimmtheit bestehen können. Als spezielles Willkürverbot des Grundgesetztes für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG, der auch für Bußgeldbestände gilt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.1989 - 2 BvR 1491, 1492/87, NJW 1990, 1103; Beschluss vom 08.12.2015 - 1 BvR 1864/14, NJW 2016, 1229) und in § 3 OWiG einfachgesetzlich normiert ist, den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass sich Tragweite und Anwendungsbereich des jeweiligen Ordnungswidrigkeitentatbestandes aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 3 Rn 1). Blankettvorschriften sind jedenfalls dann verfassungsrechtlich unbedenklich und genügen den sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen, wenn sie hinreichend klar erkennen lassen, worauf sich die Verweisung bezieht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.05.1987 - 2 BvL 11/85, NJW 1987, 3175). Maßgeblich ist dabei die Sicht des Normadressaten selbst (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.02.2022 - 2 BvL 1/20, Rn. 97, m.w.N.; BeckOK GG/Radtke, 56. Ed. 15.8.2023, GG Art. 103 Rn. 26 m.w.N.). Dabei sind die Anforderungen für die Schaffung von Strafbarkeitsvoraussetzungen an den Gesetzgeber abhängig vom Schweregrad der angedrohten Sanktion unterschiedlich hoch (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 -, BVerfGE 126, 170-233, Rn. 74). Hierzu hat der Senat hat bereits mit seiner Entscheidung vom 24. November 2021 (OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2021 - 2 Ss (OWi) 261/21 -, juris) dargelegt, dass die Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot bei Bußgeldtatbeständen allgemein reduziert sind und speziell während der COVID-19-Pandemie aufgrund der dynamischen und schwer vorhersehbaren Entwicklung des Pandemiegeschehens - jedenfalls bezüglich der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 - noch einmal stärker reduziert waren.
Diese Einschätzung gilt auch für die Niedersächsische Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 fort. Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 24. November 2021 nicht zu entscheiden hatte, ob die Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot an einen Bußgeldtatbestand in einer Niedersächsischen Corona-Verordnung auch nach etwa zwei Jahren COVID-19-Pandemie in Niedersachsen noch als deutlich reduziert anzusehen sind (vgl. OLG Celle, 2 Ss (OWi) 261/21, Rn. 39, juris), war jedenfalls zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung vom 23. Februar 2022 aufgrund des zu diesem Zeitpunkt besonders hohen und stagnierenden Infektionsgeschehens (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. März 2022 - 14 MN 171/22 -, Rn. 13, juris) weiterhin von einer unveränderten Ausgangslage für den Verordnungsgeber in einem dynamischen Pandemieverlauf auszugehen. Im Februar und März 2022 befand sich die Zahl der Neuinfektionen bundesweit auf dem Höchststand während der gesamten COVID-19-Pandemie mit einer 7-Tage-Inzidenz von zum Teil deutlich mehr als 1.300 COVID-19-Fällen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner (vgl. Bundesministerium für Gesundheit, https://corona-pandemieradar.de/inzidenz, Abruf am 12. Oktober 2023). Eine deutliche Zunahme der Infektionen war bereits ab Oktober 2021 zu verzeichnen, womit auch der Handlungsdruck für den Verordnungsgeber wieder stark zunahm und ein fortwährender Änderungsbedarf bestand. Allein zwischen dem 1. November 2021 und dem 28. Februar 2022 galten zehn verschiedene Fassungen der Corona-Verordnung. Über das ganze Jahr 2021 waren 27 verschiedene Fassungen der Corona-Verordnung gültig. Trotz der - auch durch die Organisation der im Januar 2021 gestarteten Impfungen noch einmal erhöhten - Arbeitsbelastung und dem fortbestehenden Zeitdruck sind dem Verordnungsgeber die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots an einen Bußgeldtatbestand sowie die allgemeinen Erfordernisse bei der Verordnungsgebung nicht aus dem Blick geraten. So hat die Landesregierung, die in früheren Fassungen der Corona-Verordnung angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und der sich ständig ändernden Entwicklung keine aussagekräftige Begründung habe formulieren können (vgl. Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Beschluss vom 19. Juni 2020 - 2/20 -, Rn. 7, juris), bereits die Niedersächsische Corona-Verordnung in der Fassung vom 27. November 2020 mit einer ausführlichen Begründung versehen. Darüber hinaus hat sie mit der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 1. April 2022 in der geänderten Fassung vom 28. April 2022 mit dem dortigen § 13 die Ordnungswidrigkeitentatbestände vollständig neu geregelt und anstelle einer Blankettvorschrift bußgeldbewehrte Handlungen konkret beschrieben. Im Hinblick auf dieses Vorgehen war demnach vor dem Hintergrund des besonders starken Pandemiegeschehens im Frühjahr 2022 bezüglich der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 noch weiterhin von reduzierten Anforderungen auszugehen, denen die Vorschrift des § 21 der Verordnung gerecht wird.
b)
Gleiches gilt auch für die Vorschrift des § 7 b der Verordnung, dem in dem hier relevanten Satz 2 mit hinreichender Klarheit zu entnehmen ist, dass teilnehmende Personen bei Versammlungen unter freiem Himmel eine Atemschutzmaske mindestens des Schutzniveaus FFP2, KN 95 oder eines gleichwertigen Schutzniveaus zu tragen haben und dass unter anderem für Personen mit medizinischer Kontraindikation der Befreiungstatbestand des § 4 Abs. 5 der Verordnung entsprechend zur Anwendung kommen kann.
c)
Schließlich wird auch die Vorschrift des § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 den reduzierten Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot gerecht.
Diese Anforderungen gelten in gleicher Weise für den Befreiungstatbestand des § 4 Abs. 5 der Corona-Verordnung, weil er infolge der Verweisung in § 7 b Satz 2 der Verordnung zur Ausfüllung der bußgeldrechtlichen Blankettnorm des § 19 herangezogen und damit selbst zum Teil der Bußgeldnorm wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.04.2006 - 1 BvR 2780/04 -, juris). Soweit die in der Vorschrift des 4 Abs. 5 der Verordnungen enthaltenen Begriffe des ärztlichen Attests und der vergleichbaren amtlichen Bescheinigung sowie die daran zu stellenden inhaltlichen Anforderungen nicht näher erläutert werden, ist dies zunächst unschädlich. Bei der Ausgestaltung von Sanktionsvorschriften ist es dem Gesetzgeber mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot nicht verwehrt, auf unbestimmte, konkretisierungsbedürftige Begriffe bis hin zu Generalklauseln zurückzugreifen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2012 - 2 BvR 1048/11 -, NJW 2012, 3357). Gegen die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bestehen allerdings nur dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.1992 - 2 BvR 1041/88 u. 78/89, NJW 1992, 2947, Beschluss vom 20.06.2012 - 2 BvR 1048/11, NJW 2012, 3357). Dabei lässt sich der Grad der für eine Norm jeweils erforderlichen Bestimmtheit nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestands einschließlich der Umstände ab, die zu der gesetzlichen Regelung geführt haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11, 2 BvR 1279/12 -, NJW 2013, 3151, Rn. 112). In jedem Fall aber muss der Normadressat anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder in Grenzfällen wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar ist (vgl. BVerfGE 41, 314 [BVerfG 11.02.1976 - 2 BvL 2/73], juris, Rn. 20 f.). Zugleich soll Art. 103 Abs. 2 GG gewährleisten, dass die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten im Voraus vom Gesetzgeber und nicht erst nachträglich von der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt gefällt wird (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. April 2022 - 2 Rb 37 Ss 25/22 -, Rn. 20, juris). Eindeutige Klarheit, die keine Auslegungszweifel entstehen lässt, kann hingegen nicht verlangt werden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2021, a.a.O.).
Soweit die Vorschrift des § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 - anders als die Corona-Verordnungen anderer Bundesländer (z.B. Bayern: vgl. BayVGH, Beschluss vom 26.04.2021 - 20 CE 21.1141 - juris) - offenlässt, welchen Inhalt das für die Glaubhaftmachung erforderliche ärztliche Attest oder die vergleichbare amtliche Bescheinigung haben muss, steht dies demnach der Bestimmtheit der Vorschrift nicht grundsätzlich entgegen. Denn die Norm ist grundsätzlich einer Auslegung zugänglich.
5.
Das angefochtene Urteil unterliegt indes der Aufhebung, weil es die Anforderungen an ein ärztliches Attest zur Bescheinigung der Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung im Sinne der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 überspannt. Die seitens des Amtsgerichts zugrunde gelegte Wertung, wonach das vorgelegte Dokument nicht die an ein ärztliches Attest zu stellenden Mindestanforderungen erfülle, weil es weder eine Diagnose, noch andere Hinweise auf die Art der Erkrankung und auf den Grund, warum diese dem Tragen einer Schutzmaske entgegenstehen, enthalte, ergibt sich weder aus dem Wortlaut, noch aus der Systematik, der Verordnungsgeschichte oder dem Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift § 4 Abs. 5, sodass die Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests nicht erforderlich ist.
a)
Soweit die Begriffe des ärztlichen Attests oder der vergleichbaren amtlichen Bescheinigung zur Bestimmung der konkreten Anforderungen an den Inhalt der Dokumente mangels entsprechender Vorgaben der Vorschrift einer Auslegung bedürfen, ist hierfür ist in erster Linie der für den Adressaten erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes maßgeblich (vgl. BVerfG, NJW 2010, 754 [BVerfG 17.11.2009 - 1 BvR 2717/08]; BVerfG, NJW 1978, 933). Es kann nicht zu Lasten des Bürgers gehen, wenn erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Interpretation zur Feststellung der Straf- bzw. Ordnungswidrigkeit eines Verhaltens führt (vgl. BVerfG, NJW 1987, 3175 [BVerfG 06.05.1987 - 2 BvL 11/85], NJW 1978, 933 [BVerfG 17.01.1978 - 1 BvL 13/76] und NJW 1984, 225 [BVerfG 05.07.1983 - 2 BvR 200/81]).
Aus dem unmittelbaren Wortlaut des Befreiungstatbestands in § 4 Abs. 5 der Corona-Verordnung selbst sind die vom Amtsgericht Stadthagen zugrunde gelegten Anforderungen an den Begriff des ärztlichen Attests oder der vergleichbaren amtlichen Bescheinigung nicht zu entnehmen. Die Anforderungen können zudem auch nicht auf Grund anderer zu berücksichtigender Umstände im Wege einer Auslegung der Vorschrift zur Anwendung kommen.
b)
So ist der Begriff des ärztlichen Attests oder der vergleichbaren amtlichen Bescheinigung insbesondere nicht aufgrund einer allgemeingültigen Definition aus anderen Rechtsgebieten dahingehend zu verstehen, dass über die Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Beeinträchtigung der in § 4 Abs. 5 der Corona-Verordnung genannten Art hinaus noch weitere Ausführungen zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen in dem Attest bzw. der Bescheinigung dargelegt sein müssten. Die systematische Auslegung des Begriffs ergibt vielmehr Folgendes:
Ein Arzt stellt für seinen Patienten ein Attest aus, damit dieser die schriftliche Bescheinigung zur Vorlage gegenüber Dritten zum Beleg der attestierten Tatsachen verwenden kann. Mit dem Attest werden daher je nach Adressat der Vorlage bestimmte Krankheitszustände, Vorgänge oder Behandlungssituationen bescheinigt, wobei die inhaltlichen Anforderungen an ein ärztliches Attest oder eine ärztliche Bescheinigung sich unterscheiden, je nachdem in welchem Zusammenhang sie gefordert sind (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. April 2022 - 2 Rb 37 Ss 25/22 -, Rn. 23, juris). Dabei stellt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die sicherlich bekannteste Form des ärztlichen Attests dar. Darüber hinaus werden Atteste für eine Vielzahl weiterer Umstände ausgestellt, wobei sich deren Inhalt je nach Adressat der Bescheinigung unterscheidet.
Dies spiegelt sich in der Verwendung der Begriffe des ärztlichen Attests oder der ärztlichen Bescheinigung durch den Gesetzgeber sowie den jeweils damit verbundenen Anforderungen wieder. So muss etwa ein zur Vorlage beim Arbeitgeber bestimmtes Attest gem.
§ 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG lediglich mitteilen, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist und seine vertraglich geschuldete Tätigkeit infolge einer Erkrankung nicht erbringen kann, die Mitteilung eines Krankheitsbefundes oder der Ursachen der Erkrankung brauchen dagegen nicht zum Inhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemacht werden (vgl. BeckOK ArbR/Ricken, 69. Ed. 1.9.2023, EFZG § 5 Rn. 16). Weitergehende Anforderungen enthält bereits die ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 48c BNotO, wonach im Falle einer Amtsniederlegung eines Notars aus gesundheitlichen Gründen zumindest Soll-Anforderungen an die inhaltliche Qualität der ärztlichen Bescheinigung gestellt werden (vgl. BeckOK BNotO/Regler, 8. Ed. 1.8.2023, BNotO § 48c Rn. 10). Deutlich darüber hinausgehend erfordert das Aufenthaltsgesetz für Fälle, in denen eine der Abschiebung entgegenstehende Erkrankung glaubhaft gemacht werden soll, die Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung mit ausdrücklich formulierten inhaltlichen Anforderungen (u.a. Diagnose und Schweregrad der Erkrankung), was auch auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers im Zusammenhang mit den in diesem Verfahren erforderlichen Maßstäben zurückgeht (vgl. BeckOK AuslR/Kluth/Breidenbach, 38. Ed. 1.1.2023, AufenthG § 60a, Rn. 38).
Bereits aus diesen Beispielen ist ersichtlich, dass allein der Begriff einer ärztlichen Bescheinigung oder eines ärztlichen Attests nicht mit einem eindeutig zugrunde zu legenden Verständnis und festen Inhaltsanforderungen einhergeht. Vielmehr liegt nahe, dass die konkreten Anforderungen entweder - wie etwa in § 60a Abs. 2c AufenthG - konkret mit der Vorschrift selbst benannt sein müssen, oder sich sonst aus einer gefestigten Rechtsprechung bzw. einem für den Normadressaten erkennbaren Kontext ergeben müssen. Das ist bezüglich der Vorschrift des § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 hingegen nicht der Fall.
Dies wird bestätigt durch einen Blick auf die Formulierungen der Befreiungstatbestände anderer Bundesländer. So hat die Zehnte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 8. Dezember 2020 in ihrem § 2 Nr. 2 als Anforderung an das vorzulegende Attest erfordert, dass darin die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), der lateinische Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie den Grund, warum sich hieraus eine Befreiung der Tragepflicht ergibt, enthalten ist (BayMBl. 2020, Nr. 711, https://www.verkuendung-bayern.de/baymbl/2020-711/, Abruf am 12. Oktober 2023).
Demnach lässt sich die Norm auch im Wege der systematischen Auslegung gerade nicht dahingehend verstehen, dass ein qualifiziertes Attest zu verlangen ist.
c)
Die Verordnungsbegründung bietet ebenfalls keine Grundlage dafür, den Befreiungstatbestand dahingehend zu interpretieren, dass ein qualifiziertes Attest erforderlich ist. Die Begründung der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der Fassung vom 23. Februar 2022, die in erster Linie als Hilfsmittel zum Verständnis des Willens des Verordnungsgebers herangezogen werden kann, nimmt hinsichtlich dieser Vorschrift keine nähere Erläuterung vor. Sie verweist in den Ausführungen zu § 4 hinsichtlich des Absatzes 5 allein auf die Regelungen, wie sie bereits seit der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. November 2021 (Nds. GVBl. S. 770) erlassen worden seien und der sie weitgehend entsprechen würden. Indes erhalten sowohl diese als auch die Begründungen früherer Verordnungen, auf die sodann weiter verwiesen wird, keine konkreten Informationen zu den inhaltlichen Anforderungen der jeweils enthaltenen Ausnahmevorschrift für eine Maskenpflicht. In der Begründung der Verordnung vom 27. November 2020 wird zu dem damals in § 3 Abs. 6 geregelten Befreiungstatbestand (Nds. GVBl. 2020, 417) als Hintergrund lediglich ausgeführt, dass Glaubhaftmachung durch ein Attest vorausgesetzt sei, um Missbräuchen entgegen zu wirken. Anforderungen an den Inhalt der Bescheinigungen werden nicht dargelegt.
d)
Allerdings spricht dafür, dass der Verordnungsgeber den Befreiungstatbestand in dem Sinne verstanden wissen wollte, dass ein einfaches Attest ausreicht, sein Vorgehen anlässlich einer früheren Fassung der Corona-Verordnung. Bereits in der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 in der Fassung vom 22. Dezember 2020 war im dortigen § 3 Abs. 6 eine wortgleiche Regelung im Vergleich zu § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 enthalten. Gleichwohl sah sich das Niedersächsische Kultusministerium veranlasst, in dem Niedersächsischen Rahmen-Hygieneplan Corona Schule vom 8. Januar 2021 mit der dortigen Ziffer 6.4.2 Abs. 2 des Hygieneplans für die Befreiung von der Maskenpflicht vorauszusetzen, dass sich aus dem der Schule vorzulegenden aktuellen ärztlichen Attest oder einer aktuellen vergleichbaren amtlichen Bescheinigung nachvollziehbar ergeben müsse, welche konkret zu benennende gesundheitliche Beeinträchtigung auf Grund des Tragens der Mund-Nasen-Bedeckung alsbald zu erwarten sei und woraus diese im Einzelnen resultiere, zudem seien relevante Vorerkrankungen konkret zu benennen und es müsse im Regelfall erkennbar sein, auf welcher Grundlage diese Einschätzung beruhe (https://www.mk.niedersachsen.de/download/161260/Rahmen-Hygieneplan_Schulen_4.2_vom_08.01.2021.pdf; Abruf am 12. Oktober 2023). Diese Regelung galt vorrangig gegenüber der damaligen Corona-Verordnung für die Befreiung von der Maskenpflicht in Schulen und machte demnach die Vorlage eines qualifizierten Attests zur Glaubhaftmachung der gesundheitsbedingten Befreiung von der Maskenpflicht erforderlich (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 5. Mai 2021 - 2 ME 75/21 -, juris). Für eine derartige Vorschrift hätte es indes keine Veranlassung gegeben, wenn bereits der Verordnungsgeber davon ausgegangen wäre, dass die damals geltende Regelung des § 3 Abs. 6 der Corona-Verordnung selbst derartige inhaltliche Anforderungen an ein Attest stellt. Stattdessen ging er offenbar davon aus, dass die damalige (wortgleiche) Regelung kein qualifiziertes Attest zur Glaubhaftmachung vorausgesetzt hat, dies für den Bereich der Schulen aber in dieser Form geregelt wissen wollte.
e)
Schließlich kann auch der von der Ausnahmevorschrift verfolgte Zweck die Notwendigkeit der Vorlage eines qualifizierten Attests nicht begründen. Das Erfordernis der Glaubhaftmachung durch ein ärztliches Attest soll der Verhinderung eines Missbrauchs des Befreiungstatbestands dienen. Dieser Zweck wird bei Vorlage eines einfachen Attests über die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes auch gewahrt. Ein solches Attest enthält die konkludente Erklärung des Arztes, dass eine körperliche Untersuchung der genannten Person stattgefunden hat (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 27. Juni 2022 - 2 Ss 58/22 -, juris). Demnach kommt auch einem einfachen Attest eine innere Erklärung über das Zustandekommen des Inhalts zu. Im Hinblick auf die drohende Strafbarkeit des Arztes nach § 278 StGB bei der Ausstellung von Gefälligkeitsattesten ist demnach dem Zweck der Vermeidung von Missbräuchen auch mit einem einfachen Attest Rechnung getragen.
Der Einwand, dass die Corona-Verordnung einen größtmöglichen Gesundheitsschutz gewährleisten soll und die Notwendigkeit zur Vorlage eines qualifizierten Attestes einen größeren Gesundheitsschutz gewährleiste als die Notwendigkeit zur Vorlage eines einfachen Attestes, greift nicht durch. Einen größeren Gesundheitsschutz würde die Notwendigkeit zur Vorlage eines qualifizierten Attestes nur dann gewährleisten, wenn man unterstellt, dass Gefälligkeitsatteste - also unrichtige Atteste - eher einfache Atteste sind als qualifizierte Atteste. Dies lässt sich jedoch nicht behaupten. Bereits unabhängig von dessen Inhalt setzt die Ausstellung eines Gefälligkeitsattestes für den Arzt, dem die weitreichenden Konsequenzen seines Handelns, nämlich die Möglichkeit der strafrechtlichen Sanktion und des Approbationsverlusts, bewusst sind, die Überschreitung einer enorm hohen Hemmschwelle voraus. Hat er in Kenntnis dieser Gefahr dennoch eine solch gravierende Entscheidung getroffen, erscheint die Hemmschwelle, das unrichtige Attest auch mit einer falschen Diagnose und ggf. weiteren unzutreffenden Inhalten zu versehen, weit weniger hoch.
Im Übrigen ist durch die Vorlage eines qualifizierten Attestes gerade im vorliegenden Kontext - bei Demonstrationen - kein Erkenntnisgewinn verbunden. Anders als etwa bei der Frage, ob jemandem die Anwesenheit bei einer gerichtlichen Hauptverhandlung zuzumuten ist, die das Gericht in Ruhe und unter Heranziehung medizinischer Erläuterungen prüfen kann, muss bei Demonstrationen durch die Polizeibeamten vor Ort eine schnelle Entscheidung getroffen werden. In diesem Zusammenhang ist die Angabe einer ICD-10-Diagnose wenig hilfreich.
f)
Im Ergebnis ist § 4 Abs. 5 der Corona-Verordnung daher so auszulegen, dass die Vorlage eines einfachen Attests ausreichend ist und ein qualifiziertes Attest nicht erforderlich ist, um die Anforderungen zur Glaubhaftmachung entsprechend § 4 Abs. 5 der Corona-Verordnung zu erfüllen. Demnach genügt das nach den Urteilsgründen vorgelegte Attest des Betroffenen vom 14.01.2022, das im Wesentlichen dem Wortlaut der Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 5 der gültigen Corona-Verordnung entspricht, diesen Anforderungen.
IV.
Trotz des aufgezeigten Rechtsfehlers kam ein Freispruch des Betroffenen durch eine eigene Entscheidung des Senats nicht in Betracht. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Amtsgericht in einer neuen Verhandlung die für eine Ordnungswidrigkeit gem. § 21 in Verbindung mit § 7 b Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der Fassung vom 23. Februar 2022 erforderlichen Feststellungen treffen kann (vgl. KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, OWiG § 79 Rn. 161).
1.
In der neuen Verhandlung wird das Amtsgericht dafür unter Zugrundelegung der oben dargestellten Anforderungen an ein ärztliches Attest insbesondere den maßgeblichen Zeitpunkt für dessen Vorlage zu berücksichtigen haben. Die Glaubhaftmachung der Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung im Sinne von § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der Fassung vom 23. Februar 2022 kann nicht erst in einer späteren Hauptverhandlung erfolgen. Es kommt vielmehr schon zur Gewährleistung eines effektiven Gesundheitsschutzes allein darauf an, ob der Betroffene zum Zeitpunkt der behördlichen Kontrolle an Ort und Stelle des Vorfalls durch ein ärztliches Attest oder eine vergleichbare amtliche Bescheinigung solche Umstände glaubhaft gemacht hat, die eine Befreiung von der Maskenpflicht bei Versammlungen unter freiem Himmel zu begründen geeignet sind (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 23. August 2021 - 201 ObOWi 907/21 -, Rn. 9, juris). Dagegen würde das Abstellen auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung neben den gehemmten Möglichkeiten der Ordnungsbehörden zur Durchsetzung der Verordnung dazu führen, dass man dem Betroffenen eine dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit widersprechende Darlegungslast für die Hauptverhandlung überbürden würde (vgl. BayOLG, a.a.O., Rn. 13). Faktisch könnte sich ein Betroffener dann am Ort der Kontrolle zunächst ohne Vorlage eines Attests darauf berufen, aufgrund einer Beeinträchtigung von der Maskenpflicht befreit zu sein, ohne dass die Ordnungsbehörden vor Ort Maßnahmen zur Durchsetzung der Maskenpflicht treffen könnten, was dem verfolgten Zweck des Schutzes der Volksgesundheit erkennbar zuwiderliefe. Zugleich obläge es dann aber in einem späteren Bußgeldverfahren entgegen der bestehenden Verfahrensgrundsätze allein dem Betroffenen, die ihn entlastenden Tatsachen selbst beizubringen.
Demnach wird das Amtsgericht in der neuen Verhandlung unter anderem aufzuklären haben, ob der Betroffene bereits am Vorfallstag anlässlich der Ansprache durch die Polizeibeamten eine den Anforderungen genügende Bescheinigung zur Glaubhaftmachung der Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung vorgelegt hat. Entsprechende Feststellungen ergeben sich aus den zugrundeliegenden Urteilsgründen und deren Gesamtzusammenhang nicht.
2.
Sollte bereits am Vorfallstag ein Attest vorgelegt worden sein, aber im Hinblick auf § 279 StGB, § 81 OWiG weiterer Aufklärungsbedarf bestehen, wird das Amtsgericht im Übrigen nicht gehindert sein, durch Nachfragen bei dem ausstellenden Arzt oder durch ähnliche Nachforschungen den Sachverhalt aufzuklären (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 4 Rb 25 Ss 786/21 -, Rn. 23, juris).
3.
Soweit aufgrund der in einer neuen Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 7 b Satz 2 der Corona-Verordnung vom 23. Februar 2023 in Betracht kommt, wird das Amtsgericht bei der Abfassung des Urteilstenors zu beachten haben, dass die Regelung des § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO auch für die Abfassung der Urteile in Bußgeldsachen gilt. Dementsprechend muss die Urteilsformel auch hier die rechtliche Bezeichnung der Tat enthalten (vgl. KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, OWiG § 71 Rn. 97 m.w.N.). Fehlt eine gesetzliche Überschrift des jeweiligen Tatbestandes, ist die abgeurteilte Tat in geeigneter Weise begrifflich - nicht durch die Beschreibung des tatsächlichen Tatverhaltens - präzise und für die Prozessbeteiligten und die Öffentlichkeit griffig und verständlich zu bezeichnen (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. September 2010 - 1 Ss Bs 17/11 -, Rn. 9, juris). Demnach würde im vorliegenden Fall eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen die Maskenpflicht bei Versammlungen unter freiem Himmel in Betracht kommen.
4.
Aus den vorstehenden Gründen hat der Senat das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG)