Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 01.07.2010, Az.: 2 Ws 222/10
Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Verlängerung einer dreijährigen Bewährungszeit auf über fünf Jahre hinaus
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 01.07.2010
- Aktenzeichen
- 2 Ws 222/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 20499
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2010:0701.2WS222.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 167 StVK 65/10 (167 BRs 7/06) - 9.6.2010
Rechtsgrundlage
- § 56f Abs. 2 S. 2 StGB
Amtlicher Leitsatz
Nach § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB ist eine Verlängerung der Bewährungszeit über fünf Jahre hinaus nur möglich, wenn die Bewährungszeit in dem ursprünglichen Bewährungsbeschluss auf mehr als drei Jahre und vier Monate festgesetzt worden war. In diesen Fällen darf das Höchstmaß der Bewährungszeit das Anderthalbfache der im ursprünglichen Bewährungsbeschluss festgesetzten Bewährungszeit nicht übersteigen.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig wird der Beschluss der 7. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 09.06.2010 dahin abgeändert, dass die Verlängerung der mit Beschluss des Amtsgerichts Wolfsburg vom 21.12.2005 (24c Ds 111 Js 16990/05 1584/05) festgesetzten Bewährungszeit auf insgesamt sechs Jahre entfällt. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
Gründe
I. Am 21.12.2005 verurteilte der Strafrichter des Amtsgerichts Wolfsburg den Verurteilten wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, deren Vollstreckung er zur Bewährung aussetzte. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der damals bereits erheblich vorbestrafte Verurteilte am 25.03.2005 mit einem Blutalkoholgehalt von 2,61 g Promille im Zustand nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit bei seiner vorläufigen Festnahme einen Polizeibeamten in den Leisten-/Oberschenkelbereich getreten und auf dem Weg zur Dienststelle Polizeibeamte beleidigte hatte. Anschließend sperrte er sich gegen das Verbringen in die Gewahrsamszelle und verletzte und beleidigte auch dabei zwei Polizeibeamte.
Angesichts der positiven Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt H., in der sich der Verurteilte damals in Strafhaft befand, setzte der Strafrichter des Amtsgerichts Wolfsburg die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Aus jener Stellungnahme ergibt sich, dass der Verurteilte als Betäubungsmittelkonsument bekannt war, der häufig alkoholisiert war und in diesem Zustand aggressiv und gewaltbereit auftrat. Der Strafvollzug in anderer Sache, zu dem er sich selbst gestellt hatte, verlief hingegen ohne Beanstandungen. Sämtliche Vollzugslockerungen im offenen Vollzug absolvierte er ohne Beanstandungen. Die Haft schien ihn beeindruckt zu haben. Alle Urinkontrollen waren frei von Hinweisen auf Betäubungsmittelkonsum. Zudem wirkte seine Lebensgefährtin stabilisierend auf ihn.
Nach einem Rückfall im Februar 2007 suchte der Verurteilte den Kontakt zu seiner Bewährungshelferin und begab sich auf eigene Initiative in ambulante ärztliche Behandlung und eine Entgiftung. Eine Verurteilung wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls führte letztlich zur Verlängerung der Bewährungszeit auf vier Jahre durch den Senat und zu einer Therapieweisung. Diese Therapie beendete der Verurteilte erfolgreich Ende Mai 2008.
Einen erneuten Rückfall im September 2008 ließ der Verurteilte umgehend behandeln. Der dabei begangene Diebstahl und eine Beförderungserschleichung wurden mit einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten geahndet. Diese Verurteilung zog eine weitere Verlängerung der Bewährungszeit auf nunmehr fünf Jahre durch Beschluss der 7. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 09.02.2009 nach sich. Außerdem wurde dem Verurteilten der Nachweis seiner Drogenfreiheit mittels Urinkontrollen aufgegeben. Diese ergaben sämtlich keinen Hinweis auf die Einnahme illegaler Substanzen.
Am 19.01.2010 verurteilte das Amtsgericht Wolfsburg den Verurteilten wegen Bedrohung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten. Die Vollstreckung dieser Strafe setzte das Amtsgericht mit der Begründung zur Bewährung aus, die Tat sei als alkoholbedingtes, einmaliges Versagen zu werten, das nicht als Rückfall in die alte Kriminalitätsphase anzusehen sei. Es habe nicht im Zusammenhang mit einem Drogenkonsum gestanden.
Wegen dieser Verurteilung beantragte die Staatsanwaltschaft Braunschweig Widerruf der Bewährung. Diesen Antrag lehnte die 7. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit dem angefochtenen Beschluss ab und verlängerte stattdessen die Bewährungszeit um ein weiteres Jahr auf nunmehr sechs Jahre. Dabei folgte die Kammer der Einschätzung des Amtsgerichts Wolfsburg im Urteil vom 19.01.2010. Außerdem stützte sich die Kammer auf die positive Stellungnahme der Bewährungshelferin, die dafür eintrat, von einem Widerruf abzusehen und stattdessen die Bewährungszeit zu verlängern.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die eine weitere Verlängerung der Bewährungszeit über fünf Jahre hinaus für unzulässig hält und stattdessen den Widerruf der Strafaussetzung aus dem Urteil vom 21.12.2005 beantragt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hält das Rechtsmittel für begründet, soweit die Bewährungszeit über fünf Jahre hinaus verlängert wurde. Gegen die Ablehnung des Widerrufs wendet sie sich nicht, hält allerdings die Erteilung einer Therapieweisung zur Behandlung der Alkoholproblematik für geboten. Sie beantragt daher, den angefochtenen Beschluss abzuändern, soweit die Bewährungszeit über fünf Jahre hinaus verlängert worden ist und dem Verurteilten mit dessen Einwilligung die Teilnahme an einer ambulanten Alkoholentwöhnungstherapie aufzugeben.
II. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg, soweit sie sich gegen die Verlängerung der Bewährungszeit über fünf Jahre hinaus richtet. Die Verlängerung der ursprünglich auf drei Jahre festgesetzten Bewährungszeit konnte gemäß § 56f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB nicht über fünf Jahre hinaus verlängert werden.
1. Die Frage, bis zu welcher Höhe die ursprüngliche Bewährungszeit nach § 56f Abs. 2 Nr. 2 und Satz 2 StGB verlängert werden kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung streitig. Einigkeit besteht allerdings darin, dass § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB trotz der Formulierung, die Bewährungszeit dürfe nicht um mehr als die Hälfte der zunächst bestimmten Bewährungszeit verlängert werden, keine Einschränkung der Möglichkeit zur Verlängerung der ursprünglichen Bewährungszeit nach § 56a Abs. 2 Satz 2 StGB bis zur Höchstfrist von fünf Jahren enthält, und zwar auch nicht bei Bewährungszeiten unter drei Jahren vier Monaten (vgl. Schönke/Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl., § 56f Rn. 10a m.w.N.). Umstritten ist hingegen, inwieweit § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB eine Verlängerung der ursprünglichen Bewährungszeit über fünf Jahre hinaus zulässt.
So hat u.a. der hiesige 1. Senat in seiner Entscheidung vom 07.08.1989 (StV 1990, 117) ausgeführt, dass die Regelung des § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB nur eine Begrenzung hinsichtlich der Verlängerung der Bewährungszeit über die nach § 56a StGB festgesetzte Höchstfrist von fünf Jahren Bedeutung habe. Danach wurde im dort entschiedenen Fall die Verlängerung der ursprünglich auf drei Jahre festgesetzten Bewährungszeit auf höchstens sechs Jahre und sechs Monate für zulässig gehalten (vgl. auch Dölling, NstZ 1989, 345 [347]). Begründet wird diese Auffassung damit, dass so bei kurz vor Ende der Bewährungszeit auftretenden Widerrufsgründen ein Widerruf durch nochmalige Verlängerung der Bewährungszeit vermieden werden könne.
Das OLG Hamm hat hingegen in seinen Beschlüssen vom 07.11.1991 (12 Ws 42/91, zitiert nach juris) und 20.02.1992 (2 Ws 51/92, zitiert nach juris) § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB nur in den Fällen angewendet wissen wollen, in denen die Verlängerung zu einer Bewährungszeit von über fünf Jahren führt. Dagegen ist anzuführen, dass diese Auffassung zu zufälligen Ergebnissen führt. Wäre beispielsweise eine ursprünglich auf drei Jahre festgesetzte Bewährungszeit bereits einmal auf vier Jahre verlängert worden, so wäre eine weitere Verlängerung über ein Jahr hinaus auf maximal fünf Jahre und sechs Monate möglich. Wäre hingegen die Bewährungszeit bereits auf fünf Jahre verlängert worden, so könnte sie nunmehr auf sechs Jahre und sechs Monate verlängert werden.
Einer dritten Ansicht zufolge kann die Bewährungszeit stets auf sieben Jahre und sechs Monate verlängert werden, doch sei hinsichtlich jeder einzelnen Verlängerung das in § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB festgesetzte Höchstmaß zu beachten, weil so dem Zweck der Bewährung, einen Strafvollzug zu vermeiden, am Besten Rechnung getragen werden könne (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1996, 185; OLG Hamburg, NStZ-RR 1999, 330 [331 f.]). Gegen diese Auffassung spricht, dass der Regelung des § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB praktisch keine nach der Höhe der ursprünglichen Bewährungszeit differenzierte Begrenzungsfunktion zukommen würde. Eine solche differenzierte Begrenzungsfunktion ist aber dem Wortlaut und Sinn der Vorschrift eindeutig zu entnehmen.
Eine weitere Auffassung geht schließlich davon aus, dass § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB zumindest in den Fällen, in denen es zu einer Verlängerung der Bewährungszeit über fünf Jahre hinaus kommt, diese Verlängerung auf höchstens das anderthalbfache der ursprünglich festgesetzten Bewährungszeit zulässt (hiesiger 3. Senat, NStZ 1991, 206 [OLG Celle 22.10.1990 - 3/Ws]). Eine beispielsweise ursprünglich auf vier Jahre festgesetzte Bewährungszeit könnte damit auf längstens sechs Jahre verlängert werden. Auf diese Weise werden überlange Bewährungszeiten vermieden (so auch OLG Stuttgart, NStZ 2000, 478).
Für diese Auslegung des § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB spricht vor allem der Wille des historischen Gesetzgebers. Ausweislich der Begründung für die Einführung der Möglichkeit einer Verlängerung der Bewährungszeit über die in § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB normierte Höchstfrist hinaus durch eine Neufassung des § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB mit dem 20. StÄndG hatte der Gesetzgeber vor Augen, dass eine ursprünglich auf vier Jahre festgesetzte Bewährungszeit auf maximal sechs Jahre verlängert werden kann (s. BTDrucks. 8/3857 S. 12). Der Wortlaut dieser Norm ist zwar durch das 23. StÄndG noch einmal geändert worden. Nach der Begründung des Rechtsausschusses diente dies aber nur dem Versuch, "die Vorschrift redaktionell klarer zu fassen" (Dölling aaO. [346] mit weiteren Nachweisen und Ausführungen zum Gang des Gesetzgebungsverfahrens). Dieser Auffassung schließt sich der Senat deshalb an.
Danach war hier die weitere Verlängerung der Bewährungszeit auf sechs Jahre nicht zulässig, es hatte bei der festgesetzten Dauer von fünf Jahren zu verbleiben. Der angefochtene Beschluss war insoweit auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig abzuändern.
2. Hingegen erwies sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Braunschweig als erfolglos, soweit sie den Widerruf der Strafaussetzung begehrt. Der Widerruf wäre aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses unverhältnismäßig.
Eine Therapieweisung, wie von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt, war gleichfalls nicht auszusprechen. Eine Entwöhnungsbehandlung wäre innerhalb der noch verbleibenden Bewährungszeit bis zum 21.12.2010 nicht mehr sinnvoll umzusetzen. Von einer solchen Weisung ginge auch kein zusätzlicher Nutzen in Form einer zusätzlichen Motivation zur Durchführung einer solchen Heilbehandlung aus. Eine solche Weisung hat das Amtsgerichts Wolfsburg dem Verurteilten im Rahmen des Bewährungsbeschlusses vom 19.01.2010 bereits erteilt. Einer zusätzlichen Unterstützung der ohnehin gegebenen Motivation des Verurteilten, sich einer solchen therapeutischen Maßnahme zu unterziehen, bedurfte es hier nicht.
Weitere sinnvolle Weisungen oder Auflagen sind nicht ersichtlich.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 StPO.