Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.05.2010, Az.: L 14 U 203/08

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.05.2010
Aktenzeichen
L 14 U 203/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 47909
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 22.10.2008 - AZ: S 7 U 125/06

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen an die Klägerin.

Die Klägerin ist die Witwe des 1941 geborenen Reiner J. (im Folgenden: Versicherter). Dieser war von Oktober 1968 bis zu seinem Tode am 6. August 1981 im Marinearsenal K. als Elektromechaniker an Radarleitsystemen beschäftigt. Todesursache waren die Folgen eines im Sommer 1981 diagnostizierten metastasierenden primär-modularen malignen Melanoms der Haut.

Im Januar 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Beklagte trat in ein Prüfverfahren über die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2402 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - Erkrankungen durch ionisierende Strahlen - ein und veranlasste nach Befragung eines Kollegen des Versicherten eine am 23. Dezember 2004 von der Wehrbereichsverwaltung (WBV) L. erstellte Arbeitsplatzanalyse. Hiernach habe der Versicherte bis weit in die 1970er Jahre hinein Belastungen durch Röntgenstrahlung durch Feuerleitsender erfahren, die der Phase 1 im Sinne des Berichts vom 2. Juli 2003 der sog. Radarkommission, einer vom Bundesverteidigungsministerium (BMVg) eingesetzten Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Einrichtungen der Bundeswehr und der NVA (im Folgenden: BdR), zuzuordnen seien. Über die genaue Höhe der Strahlendosis könne keine Aussage mehr gemacht werden. Zeitweise Belastungen durch hochfrequente (HF-) Strahlung seien wahrscheinlich. Es könnten aber auch hier keine genauen Aussagen zur Höhe und Zeit gemacht werden.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2006 lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf den BdR und eine Sachverständigenexpertise des Arbeitsmediziners M. vom 5. Mai 2004, laut dem es keine Hinweise für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen ionisierender Strahlung mit Melanomen gebe, die Feststellung der Erkrankung des Versicherten als entschädigungspflichtige BK nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV oder wie eine BK nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) und die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab. Zur Begründung führte sie aus, weder der herrschenden medizinischen Wissenschaft noch der unfallmedizinischen Erfahrungsliteratur lägen derzeit Belege für einen Ursachenzusammenhang zwischen malignen Melanomen und ionisierender oder HF-Strahlung vor. Maßgebend seien nicht nur die Kriterien des BdR in Verbindung mit dem Erlass des BMVg vom 4. März 2004, sondern auch ihr Schreiben vom 6. Februar 2004, womit die Anerkennung von malignen Melanomen als BK aus den dargelegten Gründen ausgeschlossen worden sei.

Die Klägerin hat am 7. Juni 2006 beim Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben, gerichtet auf die Feststellung, dass der Versicherte an den Folgen einer BK nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV verstorben ist. Zur Begründung hat sie vorgetragen, nach dem BdR und einer ergänzenden Stellungnahme der Radarkommission auf ein Schreiben des BMVg vom 19. Juli 2003 seien unabhängig von der epidemiologischen Datenlage alle malignen (bösartigen) Erkrankungen mit Ausnahme der Chronisch Lymphatischen Leukämie (CLL), also auch maligne Melanome durch ionisierende Strahlen induzierbar. Hiervon gingen auch das Bundesgesundheitsministerium (BMGS) sowie die Bundeswehr und die Versorgungsverwaltung aus. Sie hat sich des Weiteren auf eine Stellungnahme des Prof. Dr. N. vom 19. März 2004 bezogen, laut dem die Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlen bei „Radararbeit“ in niedriger Dosierung für die Entstehung von Hauttumoren als eine „Schädigung dem Grunde nach“ gewertet werden könne. Verteidigungsausschuss, BMVg und BMGS hätten sich verpflichtet, die Vorgaben der Radarkommission "eins zu eins" umzusetzen. Angestellte der Bundeswehr seien Soldaten, deren vergleichbare Gesundheitsschädigungen als Folgen der Radarstrahlen (nach dem Soldatenversorgungsgesetz - SVG -) anerkannt würden, gleich zu behandeln. Sofern in der medizinischen Wissenschaft kein Konsens hinsichtlich der Wertung einer Verursachung von malignen Melanomen herrsche, sei eine Anerkennung über die „Kann-Versorgung" gegeben.

Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide verteidigt. Der Versicherte erfülle zwar die Voraussetzungen des BdR für eine gefährdende Exposition gegenüber Radarstrahlen. Die Anerkennung einer BK scheitere jedoch an den medizinischen Voraussetzungen. Nach dem BdR sei auch Hautkrebs in Form des malignen Melanoms von der Anerkennung als Strahlenspätschaden ausgenommen. Es sei zwar richtig, dass in Einzelfällen bei Soldaten ein kausaler Zusammenhang bei derartigen ausgenommenen Erkrankungen angenommen worden sei. Dies habe aber lediglich zu Heilbehandlungen und Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz - BVG - mit den dortigen erleichterten Kausalitätsvoraussetzungen geführt.

Die Beklagte hat ein von ihr veranlasstes - ihrer Ansicht nach nicht der herrschenden medizinischen Ansicht entsprechendes - Gutachten des Prof. Dr. O. - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum P. - vom 14. Februar 2008 vorgelegt, der einen Ursachenzusammenhang zwischen der Hautkrebserkrankung des Versicherten und dessen Tätigkeit im Marinearsenal für hinreichend wahrscheinlich erachtet hat. Des Weiteren hat sie dem SG ein Gutachten des Prof. Dr. Q. - Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum R. - vom 29. Mai 2008 vorgelegt, der zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen ist und laut dem das maligne Melanom bei stochastischer (zufallsbedingter) Strahleneinwirkung, der der Versicherte an seinem Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen sei, als nicht hinreichend belegt strahleninduziert gelte. Aufgrund der Aktenlage sei für die Erkrankung des Versicherten nach bestverfügbaren wissenschaftlichen Daten bzw. Messmethoden und einer chronischen, hypothetischen Maximalexposition eine hinreichende Verursachungswahrscheinlichkeit von 50 % nicht erreicht worden, um die Entstehung des malignen Melanoms zu begründen.

Mit Urteil vom 22. Oktober 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV seien im Fall des Versicherten mangels zuverlässiger Dosisberechnung zweifelhaft. Darüber hinaus lägen auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen nicht vor. Auch wenn im BdR auf Seite 135 jeder maligne Tumor auch bei niedriger Dosis als qualifizierende Krankheit bezeichnet werde, bestehe hinsichtlich des malignen Melanoms wissenschaftlicher Streit, was eine Entschädigung nach der gesetzlichen Unfallversicherung - anders als im Soldatenversorgungsrecht - ausschließe.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 4. November 2008 zugestellte Urteil am 26. November 2008 Berufung eingelegt. Sie macht eine Verletzung des Art. 3 Grundgesetz (GG) bei der Anwendung der Empfehlungen des BdR geltend. Des Weiteren vertritt sie die Auffassung, dass etwaige Beweisschwierigkeiten hinsichtlich der Strahlenexposition des Versicherten im Verantwortungsbereich des Dienstherrn lägen und nicht zu ihren Lasten gehen könnten. Auch nach den Berechnungen des Prof. Dr. Q., demzufolge der Versicherte jährlich einer Strahlendosis von 50 mSv ausgesetzt gewesen sei, sei bei 13 Berufsjahren die zur Anerkennung eines malignen Melanoms geforderte Dosis von 20 mSv um mehr als das 30fache überschritten. Eine Studie von Preston et al. (Cancer incidence in atomic bomb survivors) weise ebenfalls auf vermehrte Fälle von Melanomen bei Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki hin.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2006 aufzuheben,

2. festzustellen, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin Reiner J. an den Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2402 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung verstorben ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt ergänzend zu den angefochtenen Entscheidungen und dem erstinstanzlichen Urteil aus, dass die vom BMVg geschaffenen erleichterten Anerkennungsvoraussetzungen von Strahlenspätschäden für Soldaten bei zivilen Angestellten nicht gälten. Da sie den Empfehlungen des BdR bei malignen Melanomen nicht folge, sei auf den Einzelfall abzustellen. Prof. Dr. N. beschreibe lediglich den Zusammenhang zwischen Basalzellkarzinomen und ionisierender Strahlung. Überzeugender seien die Ausführungen von Prof. Dr. Q..

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. Q. vom 14. August 2009 eingeholt und von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines nach Aktenlage erstellten Gutachtens des Strahlenbiologen Prof. Dr. rer. nat. S. vom 18. Januar 2010. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft maligne Melanome weder durch ionisierende noch durch HF-Strahlung induziert werden könnten.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG). Sie ist insbesondere wirksam durch den T. (U.) als den Prozessvertreter der Klägerin eingelegt worden. Bei diesem Verein handelt es sich um eine Vereinigung, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenberatung, die Beratung und Vertretung von Radargeschädigten und deren Angehörigen als Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht wesentlich umfassen und die daher gem. § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 SGG vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt ist. Angesichts von Art und Umfang der Tätigkeiten des Vereins sowie der Zahl seiner Mitglieder (ca. 350) ist von der Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung auszugehen. Zwar beansprucht die Klägerin vorliegend keine Ansprüche nach dem sozialen Entschädigungsrecht. Dies wirkt sich jedoch auf die grundsätzlich gegebene Vertretungsbefugnis nicht aus. Bevollmächtigte nach § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 SGG sind in allen sozialgerichtlichen Streitigkeiten zur Prozessvertretung befugt, soweit nicht im Einzelfall der Satzung der Vereinigung eine Beschränkung zu entnehmen ist (Leitherer in Meyer-LadewigKeller/Leitherer, SGG, Komm., 9. Aufl., 2008, § 73 Rn. 29 mit Hinweis auf BT-Drs.16/3655, S. 95). Von letzterem ist vorliegend nicht auszugehen. Die Satzung des U. führt in § 1 (Zweck des Vereins) ohne Einschränkung die Verwirklichung des Satzungszwecks (Förderung der Gesundheitspflege durch die selbstlose und mildtätige Unterstützung von direkt oder indirekt durch Strahlung geschädigter Personen) u. a. durch die "Vertretung vor Gerichten" auf.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die gem. §§ 54, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässige Anfechtungs- und Feststellungsklage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, dass der Versicherte an den Folgen einer BK nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV verstorben ist.

Im vorliegenden Fall ist die Reichsversicherungsordnung (RVO) und nicht das am 1. Januar 1997 in Kraft getretene SGB VII anzuwenden. Der von der Klägerin behauptete Versicherungsfall, d. h. eine bei dem Versicherten bestehende BK, wäre angesichts der erstmaligen Diagnose eines malignen Melanoms bei dem Versicherten im Jahr 1981 vor dem 1. Januar 1997 eingetreten. Ansprüche auf hieran anknüpfenden Leistungen, z. B. in Form einer nach § 589 Abs. 1 Nr. 3 RVO vom Todestag an zu zahlenden Hinterbliebenenrente, wären vor dem 1. Januar 1997 entstanden (§§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII, § 40 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -, SGB I; vgl. BSG Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 21/08 -). Da der Tod des Versicherten vor dem 1. Januar 1986 eingetreten ist, sind außerdem gem. § 217 Abs. 2 SGB VII die §§ 590 bis 593, 598 und 600 Abs. 3 i. V. m. §§ 602 und 514 RVO weiter anzuwenden.

Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 589 Abs. 1 RVO sind zu gewähren, wenn der Tod des Versicherten durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde. Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall ferner eine BK. Dies sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei den in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (Satz 2). Die Bundesregierung ist ermächtigt worden, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (Satz 3). Das Vorliegen einer derartigen, den Tatbestand des § 551 Abs. 1 RVO erfüllenden Erkrankung nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV kommt vorliegend nicht in Betracht.

Der Senat vermag sich nicht von einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen den beruflichen Tätigkeiten des Versicherten als Techniker im Marinearsenal K. und seiner 1981 ausgebrochenen Krebserkrankung zu überzeugen. Für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht gilt die auch sonst im Sozialrecht anzuwendende Lehre von der wesentlichen Bedingung, wofür grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit, ausreicht (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 31. Mai 2005 – B 2 U 12/04 R – zur BK 2108; im Einzelnen ausführlich BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R = SozR 4-2700, § 8 Nr. 17; vgl. Rn. 13 ff. des juris-Umbruchs). Für die Feststellung des Vorliegens einer „wesentlichen Bedingung“ ist Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. Von den insoweit festgestellten Ursachen werden in der praktischen Rechtsanwendung als kausal und rechtserheblich jedoch nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Hierfür ist keine Gleichwertigkeit der Ursachen erforderlich, so lange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O., mit weiteren Nachweisen). Diese Bedingung muss für den eingetretenen Gesundheitsschaden ursächlich geworden sein. Grundlage der Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge ist der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O.).

Im Falle der Gesundheitsstörung des Versicherten, die letztlich zu dessen Tode führte, ist die zu fordernde hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verursachung durch Auswirkungen von ionisierenden Strahlen bei der beruflichen Tätigkeiten nicht gegeben. Die Möglichkeit der beruflichen Verursachung, die im Falle des Versicherten durchaus anzunehmen ist, genügt nicht für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV. Nach den vorliegenden Sachverständigengutachten ist unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes davon auszugehen, dass ernste Zweifel an der Kausalität der beruflichen Einwirkungen für das maligne Melanom des Versicherten bestehen, was einer Anerkennung des Gesundheitsschadens als BK entgegensteht.

Der Senat folgt hierbei dem Gutachten von Prof. Dr. S. vom 18. Januar 2010, der in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Prof. Dr. Q. vom 29. Mai 2008 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 14. August 2009 überzeugend dargelegt hat, dass das maligne Melanom, an dem der Versicherte verstarb, unabhängig von der tatsächlich erreichten, vorliegend der Höhe nach nicht mehr genauer ermittelbaren Dosis ionisierender Strahlen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch derartige Strahlen verursacht wurde. Der Sachverständige führt unter Darlegung des derzeitigen Standes der Wissenschaft plausibel aus, dass zwar verschiedene Krebserkrankungen und auch Hauttumore wie z. B. Basalzellkarzinome durch ionisierende Strahlen induziert werden können, nicht jedoch maligne Melanome. Maßgebend für die Überzeugungskraft des Gutachtens ist dabei auch der Umstand, dass seine Auffassung in Übereinstimmung mit dem aktuellen unfallmedizinischen Schrifttum steht (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin: Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 1181; Mehrtens/Brandenburg: Die Berufskrankheiten-Verordnung, M 2402, S. 13 - Bearbeitungsstand 2008 -).

Eine von den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. abweichende Beurteilung der Sachlage gebietet auch nicht die im BdR vom 2. Juli 2003 enthaltene Empfehlung, bei vorangegangener Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung, wie sie vorliegend von der Klägerin geltend gemacht wird, auch das maligne Melanom als qualifizierende (d. h. durch die Strahlung verursachte) Krankheit anzuerkennen (vgl. hierzu Gliederungspunkt 9.3.1, S. 135 des Berichts). Diese Empfehlung ist a. a. O. zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen. Sie ergibt sich jedoch im Umkehrschluss aus der Formulierung, als qualifizierende Krankheiten seien alle malignen Tumore - mit Ausnahme der CLL - anzusehen. Der Senat sieht keinen Anlass darüber zu entscheiden, ob dem BdR jedenfalls für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insgesamt die Eignung für seine Zugrundelegung als Zusammenstellung allgemeiner Erfahrungssätze im Sinne eines sog. antizipierten Sachverständigengutachtens fehlt. Nach der Rechtsprechung des BSG über die Anerkennung von Empfehlungen zur MdE-Bewertung als allgemeine Erfahrungssätze ist es erforderlich, dass diese auf wissenschaftlicher Grundlage von Fachgremien ausschließlich aufgrund der zusammengefassten Sachkunde und Erfahrung ihrer sachverständigen Mitglieder erstellt worden sind und dass sie immer wiederkehrend angewendet und von Gutachtern, Verwaltungsbehörden, Versicherungsträgern, Gerichten sowie Betroffenen anerkannt und akzeptiert werden (vgl. BSG vom 2. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 8). Jedenfalls vermag der Senat von einem Erfahrungssatz, dass die Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung zu einen im Vergleich zur unbelasteten Allgemeinbevölkerung erheblich höheren Risiko für den Erwerb eines malignen Melanoms führt, nicht auszugehen. Denn es gibt erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass die diesbezüglich im BdR enthaltene Empfehlung in der medizinischen Wissenschaft und bei den Gutachtern keine hinreichende Akzeptanz gefunden hat. Zwar mag es zweifelhaft sein, ob schon die Auffassung eines Wissenschaftlers, wie im vorliegenden Fall des Sachverständigen Prof. Dr. S., der sich ausführlich mit dem Bericht befasst hat, die Annahme eines Konsenses in Frage stellen könnte. Maßgeblich ist jedoch, dass die bereits vorstehend zitierte Begutachtungsliteratur, die entsprechend dem mitgeteilten Überarbeitungszeitpunkt bzw. dem Zeitpunkt der Neuauflage in den Jahren 2008 bzw. 2010 und damit deutlich später als der BdR erschienen ist, eine abweichende Auffassung vertritt. Darüber hinaus reicht auch die Argumentation der Autoren des BdR, auf die sie ihre vorgenannte Empfehlung gegründet haben, nicht aus, um für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung und einem später aufgetretenen malignen Melanom als wahrscheinlich anzunehmen. Zutreffend hat hierzu bereits der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 18. Januar 2010 ausgeführt, dass die im BdR auf S. 76 wiedergegebene Tabelle 6-3 das maligne Melanom ausdrücklich den Tumoren zugeordnet hat, die mit ionisierender Strahlung nicht oder nur sporadisch assoziiert werden. Dies wird auch im nachfolgenden Text des Berichts wiederholt, denn dort heißt es, die Studien zum malignen Melanom zeigten insgesamt nur vereinzelte und insgesamt unzureichende Hinweise für eine Assoziation mit ionisierender Strahlung (vgl. hierzu S. 80 des BdR). Die fehlende Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs wird aber auch noch aus weiteren Darlegungen des BdR deutlich. So wird auf S. 128 des Berichts unter Gliederungspunkt 8.3 unter Bezugnahme auf ein später durch eine Neufassung ersetztes Rundschreiben des BMAS vom 13. Mai 2002, in dem sich der Hinweis fand, trotz der generellen Kanzerogenität ionisierender Strahlungen komme die Verursachung u. a. für das maligne Melanom nicht in Betracht, die Auffassung vertreten, dass wegen epidemiologischer Unsicherheiten, der Auffassung der Vereinten Nationen (UNSCEAR 2000) und der Vorgehensweise in den Vereinigten Staaten auf generelle Malignomausschlüsse außer bei der CLL verzichtet werden sollte. Grund für die Empfehlung der Autoren des BdR in Bezug auf das maligne Melanom waren also gerade keine statistischen Erkenntnisse, die auf eine Verursachung durch ionisierende Strahlung hinweisen, sondern im Vergleich zum Krankheitsbild CLL nur eine unsichere epidemiologische Datenlage und eine großzügigere Vorgehensweise in den Vereinigten Staaten. Ohne entsprechende positive wissenschaftliche Erkenntnisse lässt sich indes in der gesetzlichen Unfallversicherung ein ursächlicher Zusammenhang nicht begründen. Im Übrigen sind die Ausführungen der Autoren des BdR auch nicht auf den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung bezogen. Aus den Ausführungen auf S. 128 wird vielmehr deutlich, dass diese auf die sog. "Kann-Versorgung" des Versorgungsrechts (§ 1 Abs. 3 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -; § 81 Abs. 6 Satz 2 des Soldatenversorgungsgesetzes - SVG -) abzielten. Danach kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eine Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung/Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden, wenn die zu ihrer Anerkennung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Eine vergleichbare Regelung findet sich im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch nicht.

Nicht zu folgen vermag der Senat Prof. Dr. N., der in seiner Stellungnahme vom 19. März 2004 zur Begründung einen Kausalität zwischen Radarstrahlung und nicht weiter ausdifferenziertem Hautkrebs u. a. auf eine Studien von Ron et al. (Skin tumor risk among atomic-bomb survivors in Japan) und von Pukala et al. (Incidence of cancer among Norwegian airline pilots...) hingewiesen hat. Hier werden Fälle von Erkrankungen an Basalzellkarzinomen bei Atombombenüberlebenden und bei fliegendem Personal von Luftfahrtgesellschaften in Bezug genommen, sodass Rückschlüsse auf die Verursachung von Erkrankungen am malignen Melanom hieraus nur eingeschränkt gezogen werden können. Sofern es in der Stellungnahme heißt, auch für das Hautmelanom habe sich ein statistisch signifikanter Trend der Zunahme von Erkrankungsfällen in den Gruppen mit höherer Belastung ergeben, und sodann darauf hingewiesen wird, dass die Autoren der letztgenannten Studie einen Einfluss der kosmischen Strahlung auf die Entstehung von Hautkrebs nicht ausgeschlossen hätten, so reicht diese Aussage für die Begründung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht aus. Darauf, dass maligne Melanome, anders als Basalzell- und Plattenepithelkarzinome nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nicht durch ionisierende Strahlung induziert werden können, hat nicht nur Prof. Dr. S. in seinem o. g. Gutachten, sondern auch der Arbeitsmediziner M. in seiner Stellungnahme vom 5. Mai 2004 hingewiesen. Letzterer hat dies plausibel damit begründet, dass sich nach sehr langen Expositionszeiten entwickelnde Plattenepithelkarzinome und Basaliome fast ausnahmslos auf dem Boden vorangegangener Hautläsionen auf Körperpartien entwickeln, welche der Einwirkung des krebserzeugenden Schadfaktors direkt, lange und intensiv ausgesetzt waren. Für beide Tumorformen seien sowohl ungesättigte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (Teerkrebse) als auch ultraviolette Strahlung (Lichtkrebse), aber auch einige Formen der ionisierenden Strahlung (Röntgen-, Gamma- oder Neutronenstrahlung) als Ursachen bekannt. Anders sei dies bei malignen Melanomen, für die es keine Hinweise für einen ursächlichen Zusammenhang mit ionisierender Strahlung gebe. Prof. Dr. S. hat im Übrigen auch die von der Klägerin angeführte Studie von Preston et al., die der Klägerin zufolge auf vermehrte Fälle von Melanomen bei Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki hinweise, zutreffend als nicht weiterführend bezeichnet, da hier eine fehlerhafte Übersetzung des Wortes „myeloma“ mit Melanom und nicht, wie es richtig wäre, mit dem in der Tat strahleninduzierbaren Myelom (Krebserkrankung des Knochenmarks) vorliegt.

Der von der Beklagten veranlassten Stellungnahme des Prof. Dr. O. vom 14. Februar 2008 fehlt es ebenfalls an einer tragfähigen Begründung für einen hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang zwischen der Erkrankung des Versicherten am malignen Melanom und dessen beruflichen Tätigkeiten im Marinearsenal. Die Schlussfolgerungen des Gutachters, der sowohl biologische Argumente als auch die epidemiologischen Befunde anführt, beruhen letztlich auf Vermutungen. Zum Ausdruck kommt dies in den weiteren Ausführungen in der Stellungnahme, wenn es dort sehr vage heißt, die Exposition des Versicherten sei grundsätzlich geeignet, ein malignes Melanom zu induzieren und die verfügbare epidemiologische Evaluation spräche trotz eingeschränkter Datenlage "eher für als gegen" eine Assoziation des malignen Melanoms mit ionisierender Strahlung.

Da sich nach alledem ein kausaler Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition und der eingetretenen Krebserkrankung des Versicherten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht herstellen lässt sich, ist dessen Erkrankung nicht als BK nach § 551 Abs. 1 RVO anzuerkennen.

Soweit die Klägerin sich zur Begründung ihrer Ansprüche unter Verweis auf ein Schreiben der seinerzeitigen Bundesministerin für Gesundheit und soziale Sicherung Schmidt vom 28. April 2004 auf eine Selbstbindung der Beklagten stützt, folgt der Senat dem nicht. Die Beklagte hat ausweislich des genannten Schreibens lediglich zugesagt, bei der Frage der Anerkennung u. a. der hier in Rede stehenden Erkrankung diese nicht von vornherein abzulehnen, sondern durch die Feststellung der Expositionsmöglichkeit in Bezug auf die betroffenen Organe und Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens in jedem Einzelfall eine Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Hierin kann keine Verpflichtung gesehen werden, jeweils auch eine Anerkennung auszusprechen.

Die unterbliebene Anerkennung des beim Versicherten vorgelegenen malignen Melanoms als Folge einer Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung verstößt auch nicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Gemäß Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Das hieraus erwachsende Gleichbehandlungsgebot ist vorliegend nicht verletzt. Wie bereits zuvor ausgeführt, gibt es keine positiven Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, dass die (im Fall des Versicherten unterstellte) Röntgenstörstrahlung zur Ausbildung eines solchen Leidens führt. Es mag sein, dass im Bereich der Soldatenversorgung aufgrund des Rundschreibens des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherheit (BMGS) vom 20. Oktober 2003 von den dort zur Entscheidung berufenen Behörden in gleichgelagerten Fällen ein ursächlicher Zusammenhang anerkannt wird. Wie jedoch aus dem Schreiben der damaligen Bundesministerin Frau Schmidt an den Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28. April 2004 hervorgeht, unterliegt die Beklagte nicht deren Weisungen. Sie hat demgemäß erhobene Ansprüche nach Maßgabe von Recht und Gesetz selbstständig zuprüfen. Eine Entscheidung, die mit der Rechtslage nicht in Übereinstimmung steht, kann die Klägerin nicht verlangen. Eine Gleichbehandlung im Unrecht gibt es nicht.

Des Weiteren ist unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die dem Versorgungsrecht zuzurechnenden Vorschriften des § 1 Abs. 3 BVG sowie des § 81 Abs. 6 SVG nicht entsprechend anwendet. Das für Soldaten und Kriegsopfer gesetzlich geregelte Sonderversorgungssystem ist nicht Bestandteil der gesetzlichen Sozialversicherung. Das Soldatenversorgungsrecht gilt für solche Personen, die entweder durch Einberufung zum Wehrdienst (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 des Soldatengesetzes - SG -) oder durch Ernennung (§ 4 Abs. 1 SG) in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis eintreten, in dem sie als Soldaten spezifischen Pflichten unterliegen ( z. B. Pflicht zur tapferen Verteidigung des Rechts und der Freiheit des deutschen Volkes gemäß § 7 SG, Gehorsamspflicht gemäß § 11 SG und Kameradschaftspflicht gemäß § 12 SG). Dies schließt die analoge Heranziehung der für diesen Personenkreis geltenden Regelungen für einen abhängig Beschäftigten wie den Versicherten, der derartigen Pflichten nicht unterlag, aus.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 SGG liegen nicht vor.