Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 27.03.2008, Az.: 2 B 61/08
Zur Weitergeltung der Altfallregelung 1990; Altfallregelung; Aufenthaltserlaubnis; Feuerwehr; Libanon
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 27.03.2008
- Aktenzeichen
- 2 B 61/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 45361
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2008:0327.2B61.08.0A
Rechtsgrundlagen
- 23 I AufenthG
- 5 I Nr. 1 AufenthG
- 5 III 2 AufenthG
- 8 I AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Die Altfallregelung 1990 (Runderlass des MI vom 18.10.1990) glit nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetztes uneingeschränkt weiter.
Tatbestand:
Die 51 und 68 Jahre alten Antragsteller sind miteinander verheiratete libanesische Staatsangehörige, die seit 1985 im Bundesgebiet leben. Nach der Ablehnung ihres alsbald nach der Einreise gestellten Asylantrages durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erhielten sie ab 1986 zunächst Duldungen und ab Oktober 1990 Aufenthaltserlaubnisse bzw. ab 1991 Aufenthaltsbefugnisse, deren Geltungsdauer jeweils befristet war. Der Antragstellerin wurde letztmalig am 07.07.2005 eine bis zum 31.07.2007 befristete, dem Antragsteller wurde zuletzt am 24.08.2006 eine bis zum 05.04.2007 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Am 02.04. bzw. 05.04.2007 beantragten die Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse. Diese Anträge lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25.09.2007 ab und drohte die Abschiebung der Antragsteller in den Libanon für den Fall an, dass sie nicht binnen dreier Monate nach Bekantgabe dieses Bescheides freiwillig ausgereist seien. Der Bescheid wird im Wesentlichen wie folgt begründet: In der Vergangenheit seien den Antragstellern Aufenthaltserlaubnisse bzw. Aufenthaltsbefugnisse erteilt worden, die nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes ihre Rechtsgrundlage in § 23 dieses Gesetzes i.V.m. einem Bleiberechtserlass des Nds. Innenministeriums vom 18.10.1990 gehabt hätten; dieser Erlass sei mittlerweile aufgehoben worden mit der Folge, dass jetzt § 8 AufenthG anzuwenden sei; mithin sei gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu fordern, dass die Antragsteller ihren Lebensunterhalt mit eigenen Mitteln sicherstellen können; diese Voraussetzung würden sie jedoch nicht erfüllen, da sie seit ihrer Einreise auf Sozialhilfeleistungen angewiesen gewesen seien und jetzt Leistungen nach dem SGB II erhalten würden; da die Antragstellerin Analphabetin sei und der Antragsteller kaum deutsch sprechen könne, sei auch für die Zukunft auszuschließen, dass sie ihren Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit sicherstellen könnten; da sie weder wirtschaftlich noch in sonstiger Weise in der Bundesrepublik integriert seien, könne ihnen auch nach dem Bleiberechtserlass vom 06.12.2006 oder nach § 104a AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden; die Voraussetzungen der §§ 22 bis 25 AufenthG würden wegen der Form der Einreise und der Asylablehnung ebenfalls nicht erfüllt werden; den Antragstellern sei ohne weiteres möglich, in Zukunft im Libanon zu leben: Sie würden über libanesische Nationalpässe verfügen, alle Kinder seien volljährig und würden zum Teil im Libanon leben, sie hätten sich zwischen 2003 und 2006 selbst fünf mal zu Besuchszwecken in diesem Land aufgehalten, in dem die medizinische Versorgung relativ gut sei.
Die Antragsteller haben am 24.10.2007 Klage erhoben und am 08.02.2008 zusätzlich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Sie tragen vor: Die Antragsgegnerin habe ihre Aufenthaltserlaubnisse bzw. -befugnisse ständig verlängert, obwohl ihr bewusst gewesen sei, dass die Antragsteller auf die Gewährung von Sozialhilfe angewiesen gewesen seien; dadurch sei ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden; der Antragstellerin sei im übrigen die Erwerbstätigkeit untersagt gewesen; beide Antragsteller seien schwer krank, bei einer Abschiebung würden sie in Lebensgefahr geraten; sie seien auch erwerbsunfähig; ihr weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet könne gem. §§ 25 Abs. 3 oder 60 Abs. 7 AufenhtG gestattet werden.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihrer am 24.10.2007 erhobenen Klage (2 A 218/07) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.09.2007 anzuordnen
und ihnen Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Sie trägt vor: Den Antragstellern sei niemals signalisiert worden, dass sie auf einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet vertrauen könnten; ihre - unbezweifelbar vorhandenen - Krankheiten stünden einer Ausreise in den Libanon nicht entgegen, was sich bereits daraus ergebe, dass sie bis in die jüngste Vergangenheit hinein mehrere und längere Auslandsreisen unternommen hätten.
Das Gesundheitsamt für die Stadt und den Landkreis I. hat sich unter dem 19.02.2008 auf Anfrage der Antragsgegnerin dahingehend geäußert, dass bei der Abschiebung des Ehepaares oder auch des Antragstellers allein zu erwarten sei, dass die Antragstellerin einen Herzinfarkt erleide, und dass der Eintritt eines Herzinfarktes unter Abschiebebedingungen bei dem Antragsteller nicht ganz auszuschließen sei; bei beiden Personen sei die Weiterführung der zur Zeit durchgeführten Therapie im Heimatland erforderlich. Eine Anfrage der Antragsgegnerin an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge betreffend die medizinische Versorgung der Antragsteller im Libanon ist noch nicht beantwortet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze (auch im Verfahren 2 A 218/07) und auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Gründe
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist gem. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bzw. § 64 Abs. 4 Nds. SOG statthaft und auch sonst zulässig.
Der Antrag ist auch begründet, denn die von dem Gericht zu treffende Ermessensentscheidung, die unter Abwägung des Interesses der Antragsteller, einstweilen von dem Vollzug des angefochtenen Bescheides verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Durchsetzung zu erfolgen hat, trifft das Gericht zugunsten der Antragsteller. Der angefochtene Bescheid ist nämlich aller Voraussicht nach rechtswidrig, da die Antragsteller Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse haben.
Nach § 8 Abs. 1 AufenthG finden auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse dieselben Vorschriften Anwendung wie auf die Erteilung. Den Antragstellern sind zuletzt Aufenthaltserlaubnisse auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 S. 1 AufenthG erteilt worden. Nach dieser Bestimmung kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Da diese Vorschrift in Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes steht, kann gem. § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG ferner in derartigen Fällen von der Anwendung der Absätze 1 und 2 (also auch von der in § 5 Abs. 1 Nr. 1 normierten allgemeinen Erteilungsvoraussetzung, dass der Lebensunterhalt gesichert sein muss) abgesehen werden.
Den Antragstellern sind - worauf sie zu Recht hinweisen - in der Vergangenheit regelmäßig Aufenthaltserlaubnisse bzw. (nach dem zwischen 1991 und 2004 geltenden Ausländerrecht) Aufenthaltsbefugnisse erteilt worden, ohne dass von ihnen verlangt worden wäre, ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Sozialleistungen sicher zu stellen. Diese Handhabung beruhe zunächst auf dem Runderlass des Nds. Innenministeriums vom 18.10.1990 - 52.31-12231/1-1-1 -, in dem u.a. bestimmt ist, dass zur Vermeidung besonderer Härten u.a. bei Flüchtlingen aus dem Libanon, die libanesische Staatsangehörige sind, auf Dauer von der Durchsetzung der Ausreisepflicht abzusehen ist, und dass die diesen Personen erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnisse, die nach dem 01.01.1991 als Aufenthaltsbefugnisse fortgelten würden, gem. § 99 Abs. 1 AuslG abweichend von § 34 Abs. 2 AuslG (n.F.), ohne dass daran weitere Bedingungen geknüpft wurden, zu verlängern seien. Diese Anweisung der obersten Landesbehörde, die jetzt ihre Rechtsgrundlage in § 23 Abs. 1 AufenthG findet, ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nach wie vor zu beachten, so dass sie auch jetzt und in Zukunft die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse an die Antragsteller nicht davon abhängig machen darf, dass diese ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen sicherstellen können. Dadurch wird auch das an sie in § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG eröffnete Ermessen auf Dauer gebunden.
Die Antragsgegnerin weist allerdings zutreffend darauf hin, dass der Runderlass des Nds. Innenministeriums vom 16.08.2001 (45.31-12230/1-1 (§ 32) - in dem bestimmt war, dass die Verlängerung von Aufenthaltsbefugnissen, die u.a. aufgrund des Runderlasses vom 18.10.1990 erteilt worden waren, nach Maßgabe der jeweils der Ersterteilung zugrunde gelegten Regelung (mit einer Ausnahme, die hier jedoch nicht einschlägig ist) zu erfolgen habe und § 34 Abs. 2 AuslG nicht anzuwenden sei, durch Runderlass vom 31.03.2005 - 45.2-12230/1-8 - aufgehoben wurde mit der Folge, dass nunmehr die vorläufige Nds. Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz anzuwenden ist. Sie wendet diese Verwaltungsvorschrift jedoch nicht zutreffend an, wenn sie lediglich auf die Ausführungsbestimmungen zu § 101 AufenthG verweist; einschlägig ist vielmehr die Nr. 8.1.1 der Verwaltungsvorschrift, wo bestimmt wird, dass besondere Regelungen über die Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen aufgrund diverser Bleiberechtsregelungen auch nach Außerkrafttreten der jeweiligen Anordnungen weiterhin anzuwenden sind. Die Kammer ist der Auffassung, dass damit die bisherige Handhabung (u.a. gegenüber Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Libanon, die vor 1990 in das Bundesgebiet eingereist sind) unter Geltung des Aufenthaltsgesetzes zementiert wird.
Da die Antragsteller bereits aus diesem Grunde Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse haben, kommt es weder darauf an, ob man in ihrem Falle von der Regel des § 5 Abs. 1 AufenthG abzuweichen hat, weil sich der Antragsteller mittlerweile im Rentenalter befindet und der Antragstellerin bisher untersagt war, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, noch darauf, ob wegen des drohenden Herzinfarktes bei der Antragstellerin ein Abschiebungsverbot für beide Antragsteller besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Da die Rechtsverfolgung der - prozessarmen - Antragsteller aus den obigen Gründen Erfolg hat, ist ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwaltes ihrer Wahl zu bewilligen.
Streitwertbeschluss:
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. In Anbetracht der Vorläufigkeit der begehrten Regelung reduziert sich der für das Hauptsacheverfahren anzusetzende Streitwert um die Hälfte.