Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 19.10.2015, Az.: 14 UF 74/15

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
19.10.2015
Aktenzeichen
14 UF 74/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 37446
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2015:1019.14UF74.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Wilhelmshaven - 25.01.2006 - AZ: 16 F 375/05 SO

Fundstellen

  • FamRZ 2016, 998
  • MDR 2016, 235-236

Amtlicher Leitsatz

1. Die öffentliche Zustellung eines Beschlusses ist auch dann wirksam, wenn die Voraussetzungen zwar nicht vorlagen, dies für das Gericht bei der Bewilligung der öffentlichen Zustellung aber nicht erkennbar war.

2. Ist ein familiengerichtliches Verfahren vor dem 01. September 2009 eingeleitet und wird gegen die ergangene Entscheidung eine mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Beschwerde eingelegt, wahrt ein beim Amtsgericht eingereichter Schriftsatz nicht die gesetzlichen Fristen.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den am 25. Januar 2006 verkündeten Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Wilhelmshaven wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die Beteiligten zu 1.) und 2.) sind die Eltern der betroffenen Kinder ... und ... Ihre Ehe ist im Jahr 2003 rechtkräftig geschieden worden.

Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2005 beantragte die Beteiligte zu 2.) die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich. Als Begründung führte sie u.a. aus, der Beteiligte zu 1.) pflege seit Ende 2004 keinen Umgang mehr mit seinen Kindern und halte sich häufiger für unvorhergesehene Zeiträume in seinem Heimatland auf, so dass er für Sorgerechtentscheidungen nicht zur Verfügung stehe.

Nachdem eine Zustellung an die von der Antragstellerin genannte Wohnanschrift des Antragsgegners (...) ohne Erfolg blieb, teilte das Einwohnermeldeamt auf eine gerichtliche Anfrage die Anschrift ... in ... mit. Eine Zustellung konnte auch unter dieser Anschrift nicht erfolgen.

Die Antragstellerin teilte mit, dass sie den aktuellen Aufenthaltsort des Antragsgegners nicht kenne und ihr auch die Namen und Anschriften der Familienangehörigen nicht bekannt seien, da diese sämtlich in Ghana lebten. Im September 2005 teilte die Antragstellerin mit, der Antragsgegner solle wohl in London leben, eine genaue Anschrift sei ihr aber nicht bekannt.

Das Amtsgericht veranlasste daraufhin Anfragen an die Einwohnermeldebehörden des Landkreises Friesland und - erneut - der Stadt Wilhelmshaven, sowie an die gesetzliche Krankenkasse des Antragsgegners (AOK) und die zuständige Rentenversicherung (LVA). Diese teilten die Anschriften ... bzw. ... als letzte bekannte Anschrift mit.

Es folgten weitere Anfragen bei früheren Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwälten ... und ..., sowie bei drei früheren Arbeitgebern und der Polizei. Eine aktuelle Anschrift des Antragsgegners war dort jeweils nicht bekannt.

Mit Beschluss vom 11. November 2005 bewilligte das Amtsgericht die öffentliche Zustellung der Antragsschrift und Terminsladung sowie des Bewilligungsbeschlusses.

Auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2006 verkündete das Amtsgericht am vom 25. Januar 2006 einen Beschluss, mit dem es das Sorgerecht für die beiden betroffenen Kindern auf die Antragstellerin zur alleinigen Ausübung übertrug. Mit Beschluss vom selben Tag bewilligte es die öffentliche Zustellung des verkündeten Beschlusses sowie des Bewilligungsbeschlusses, ohne erneute Ermittlungen über den Aufenthaltsort des Antragstellers vorzunehmen.

Gegen den am 25. Januar 2006 verkündeten Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner mit Schriftsatz vom 30. April 2015, eingegangen per Fax am selben Tag, beim Amtsgericht eingelegten Beschwerde, nebst Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand hinsichtlich einer etwaigen versäumten Frist zur Einlegung der Beschwerde. Zur Begründung führt er aus, der Antragstellerin sei bekannt gewesen, dass er sich zum Zeitpunkt der Einleitung des Sorgerechtverfahrens in London aufgehalten habe. Er habe in dieser Zeit regelmäßig mit seinen Kindern und seinem mit der Antragstellerin in einem Haushalt lebenden Bruder telefoniert. Er ist daher der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung der öffentlichen Zustellung nicht vorgelegen hätten, weil der Antragstellerin sein Aufenthaltsort nicht unbekannt gewesen sei. Zudem hätte das Amtsgericht sich nicht auf Ermittlungen in Deutschland beschränken dürfen.

Er habe erst am 16. April 2015 von dem Sorgerechtsbeschluss Kenntnis erlangt, nachdem er vergeblich die Herausgabe seiner in einer Pflegestelle lebenden Kinder verlangt habe. Seinem Verfahrensbevollmächtigten sei der Beschluss am 15. April 2015 übermittelt worden.

Er beantragt,

den am 25. Januar 2006 verkündeten Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Wilhelmshaven zu ändern und den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen, hilfsweise das alleinige Sorgerecht für die Kinder ... und ... auf ihn zu übertragen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner habe sich gut zehn Jahre weder bei ihr, noch bei den Kindern gemeldet. Ihre Angaben, den Aufenthaltsort des Antragsgegners nicht zu kennen, hätten daher auch der Wahrheit entsprochen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners war als unzulässig zu verwerfen, weil die Beschwerde nicht innerhalb der gemäß § 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-Reformgesetz, §§ 621 e Abs. 3 Satz 2, 517 ZPO a.F. geltenden Monatsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen ist und die Voraussetzungen für eine Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht vorliegen.

Im Einzelnen:

1. Auf das Verfahren sind gemäß Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-Reformgesetz die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) geltenden Vorschriften anzuwenden, weil der Antrag vor dem 1. September 2009 gestellt worden ist.

2. Gemäß §§ 621 e Abs. 3 Satz 2, 517 ZPO a.F. erfolgt die Einlegung der Beschwerde durch Einreichung einer Beschwerdeschrift bei dem Beschwerdegericht. Die Beschwerdefrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses.

Diese Frist ist mit Ende 2. Mai 2006 abgelaufen, weil die Zustellung des Beschlusses als am 2. April 2006 bewirkt gilt, nachdem die Benachrichtigung zum Zwecke der öffentlichen Zustellung in der Zeit vom 1. Februar bis zum 2. März 2006 an der Gerichtstafel ausgehängt war.

a) Die - als richtig unterstellte - Behauptung des Antragsgegners, die Antragstellerin habe durch ihre unzutreffende Behauptung, ihr sei der Aufenthaltsort des Antraggegners unbekannt, das Gericht über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung getäuscht, führt zu keiner abweichenden Betrachtung.

Der Senat schließt sich der Auffassung an, wonach die öffentliche Zustellung auch dann wirksam ist, wenn die Voraussetzungen des § 185 ZPO objektiv zwar nicht vorgelegen haben, das bewilligende Gericht dies aber nicht erkennen konnte (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2002, XII ZR 51/00, NJW 2003, 1326 (1327); BGH, Entscheidung vom 6. Oktober 1971, VIII ZR 165/69, zitiert nach juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. November 2011, 6 W 30/01, zitiert nach juris; MüKo-ZPO/Häublein, § 185, Rdnr. 18; Rohe in: Wieczorek/Schütze, § 185, Rdnr. 39; Zöller/Stöber, 30. Auflage, § 186, Rdnr. 9, a.A.: OLG Zweibrücken, Urteil vom 6. April 2001, 2 UF 164/00, zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Juli 197, 29 U 104/97, zitiert nach juris; Roth in: Stein/Jonas, § 185, Rdnr. 16).

Dafür sprechen Gründe der Rechtssicherheit. Die Rechtskraft solcher Entscheidungen wäre auf unbestimmte Zeit in der Schwebe, vorliegend gemäß §§ 621 e Abs. 3, 517 Satz 2, 234 Abs. 3 ZPO a.F. mindestens für die Dauer von 18 Monaten. Das mag in den kontradiktorischen Verfahren der Zivilprozessordnung, an denen lediglich zwei Parteien beteiligt sind und in denen der Streitgegenstand keinerlei Auswirkungen auf außerhalb der Parteibeziehung liegende Personen und Umstände hat, vertretbar erscheinen, weil lediglich die Partei, die unwahre Behauptungen über ihre Kenntnisse des Aufenthaltsortes der anderen Prozesspartei getätigt hat, von dieser Rechtsunsicherheit betroffen ist.

Gerade das vorliegende Verfahren über das Sorgerecht zeigt aber deutlich, dass gerichtliche Entscheidungen auch die Rechtswirklichkeit von - nach altem FGG am Verfahren unbeteiligten - Kindern betreffen, weil diese unmittelbare Auswirkungen auf ihre Vertretung im Rechtsverkehr haben.

Zudem ist es dem die Rechtssicherheit gewährleistenden Rechtsinstitut der Rechtskraft immanent, dass auch unter Verstoß gegen zwingende Verfahrensvorschriften zustande gekommene Entscheidungen rechtskräftig werden. Eine Durchbrechung kommt ausschließlich in den durch das Gesetz geregelten Fällen der Nichtigkeits- oder Restitutionsklage, sowie in den über § 826 BGB zu lösenden Fallgestaltungen in Betracht.

Der Anspruch des Antragsgegners auf rechtliches Gehör, der im Fall einer unzulässigen Bewilligung der öffentlichen Zustellung regelmäßig betroffen ist, gebietet keine abweichende Betrachtung. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausführt, dass jedenfalls dann eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes vorliegt, wenn eine öffentliche Zustellung bewilligt wird, obwohl ihre Voraussetzungen nicht vorliegen und eine andere Form der Zustellung ohne weiteres möglich gewesen wäre. Dabei hat es ausdrücklich die Frage offen gelassen, ob jeder Zustellungsfehler bereits zu einer Verfehlung dieses verfassungsrechtlichen Verstoßes führt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Oktober 1987, 1 BvR 198/97, NJW 1888, 2361). In dem durch das Bundesverfassungsgericht entschiedenen Sachverhalt hatte das Gericht bei der Bewilligung der öffentlichen Zustellung übersehen, dass mittlerweile eine neue Anschrift des Antragsgegners vorlag.

Wie der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 11. Dezember 2012 (aaO.) ausführt, steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Annahme einer wirksamen öffentlichen Zustellung daher dann nicht entgegen, wenn das bewilligende Gericht aus seiner Sicht davon ausgehen durfte und musste, dass die Voraussetzungen vorliegen.

b) Das ist hier der Fall. Das Amtsgericht durfte zum Zeitpunkt der Bewilligungen am 11. November 2005, sowie am 25. Januar 2006 davon ausgehen, dass die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung vorliegen.

Das Amtsgericht hat, nachdem eine Zustellung unter der Meldeanschrift des Antragsgegners erfolglos geblieben war, bei der Antragstellerin um Informationen nachgefragt, bei den seitens der Antragstellerin mitgeteilten verschiedenen Arbeitgebern des Antragsgegners, dessen zuständigen Rentenversicherungsträger und dessen Krankenkasse um Mitteilung einer aktuellen Anschrift gebeten sowie mehrfach bei der Einwohnermeldebehörde angefragt. Weitergehende Ermittlungsansätze bestanden nicht, so dass zum Zeitpunkt der Bewilligung am 11. November 2005 das Amtsgericht davon ausgehen durfte, dass der Aufenthaltsort des Antragsgegners unbekannt ist (§ 185 Nr. 1 ZPO). Das nimmt der Antragsgegner auch nicht in Abrede.

Das Amtsgericht war auch nicht gehalten, zum Zeitpunkt der Bewilligung der öffentlichen Zustellung des Beschlusses vom 25. Januar 2006 erneute Ermittlungen zum Aufenthaltsort des Antragsgegners anzustellen. Aufgrund der kurzen Zeit von nur etwas mehr als zwei Monaten bestand dazu kein Anlass (vgl. OLG München, Urteil vom 24. September 2012 - 19 U 2647/12 -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. Juni 2010 - 5 U 71/10, 5 W 14/10 -, jeweils zitiert nach juris).

3. Dem Antragsgegner war auch keine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Einlegung der Beschwerde gemäß Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-Reformgesetz, §§ 233, 234 ff ZPO zu gewähren.

Die gemäß Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-Reformgesetz, § 234 Abs. 3 ZPO geltende Ausschlussfrist von einem Jahr vom Ende der versäumten Frist an gerechnet ist bereits abgelaufen. Weil die angefochtene Entscheidung verkündet worden ist, begann die Frist zur Einlegung der Beschwerde gemäß Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-Reformgesetz, §§ 621 e Abs. 3, 517 ZPO a.F. spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung und endete damit einen Monat später, mithin am 25. Juli 2006. Die Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO endete damit am 25. Juli 2007.

Die streitige Frage, ob in analoger Anwendung des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Frist des § 234 Abs. 3 ZPO durch eine Fünf-Jahres-Frist zu ersetzen ist, wenn derjenige, auf dessen Antrag die öffentliche Zustellung bewilligt worden ist, nach Trau und Glauben auf die Rechtskraft der Entscheidung nicht vertrauen durfte (vgl. dazu Roth in: Stein/Jonas, § 234, Rdnr. 19 mwN), bedarf hier keiner Entscheidung. Auch die um vier weitere Jahre verlängerte Frist wäre am 25. Juli 2011 abgelaufen.

4. Hinzu tritt, worauf der Senat bereits mit Beschluss vom 27. Juli 2015 hingewiesen hat, dass der Antragsgegner hier keines besonderen Schutzes bedarf, weil die angefochtene Entscheidung jederzeit gemäß § 1696 BGB abänderbar ist.

5. Unter diesen Umständen ist es nicht mehr erheblich, dass die Beschwerde- und Wiedereinsetzungsfristen durch die beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsätze nicht gewahrt werden konnten.

Die Kostenentscheidung folgt aus Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-Reformgesetz, § 13 a Abs. 1 FGG.

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 1 Satz 2, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.