Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.01.2019, Az.: 2 Ws 485/18
Strafe trotz fiktiv zu erteilender Erlaubnis
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 16.01.2019
- Aktenzeichen
- 2 Ws 485/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 36045
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 14.11.2018 - AZ: 46 KLs 8/18
Rechtsgrundlage
- § 44 Abs. 1 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Der objektive Tatbestand des § 284 StGB ist bereits erfüllt, wenn ein Spielhallenbetreiber nach dem 01. Juli 2017 eine Spielhalle ohne die erforderliche glücksspielrechtliche Erlaubnis betreibt. Es ist ohne Bedeutung, ob ihm eine vorläufige glücksspielrechtliche Erlaubnis hätte erteilt werden müssen.
Tenor:
1. Der angefochtene Beschluss wird - soweit er die Ablehnung der Zulassung der Anklage und der Eröffnung des Hauptverfahrens betrifft - aufgehoben.
2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Hannover vom 30. April 2018 wird zur Hauptverhandlung zugelassen. Das Hauptverfahren wird vor der 12. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover eröffnet, vor der die Hauptverhandlung stattzufinden hat.
3. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hannover zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Angeschuldigte.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Hannover hat gegen den Angeschuldigten wegen unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels am 30. April 2018 Anklage erhoben.
Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeschuldigten zur Last, im Zeitraum vom 1. Juli bis zum 18. September 2017 in der D.straße ... in H. als Geschäftsführer der Firma M. S. GmbH ohne behördliche Erlaubnis eine Spielhalle betrieben zu haben.
Zwar sei der M. S. GmbH eine gewerberechtliche Erlaubnis zur Betreibung der streitgegenständlichen Spielhalle erteilt worden; durch den am 01. Juli 2012 in Kraft getretenen Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüStV) vom 15. November 2011 sei jedoch eine weitere glücksspielrechtliche Erlaubnis zum Betreiben der Spielhalle erforderlich gewesen, die der M. S. GmbH nicht erteilt worden sei.
Da die Firma durch den unerlaubten Betrieb der Spielhalle im Tatzeitraum einen Erlös von 90.000 € erzielt habe, begehrt die Staatsanwaltschaft zudem gemäß § 73b StGB gegenüber der als Einziehungsbeteiligte benannten M. S. GmbH die Einziehung des Wertes des Taterlangten.
Am 02. Oktober 2018 hat die Staatsanwaltschaft darüber hinaus auch im selbstständigen Einziehungsverfahren beantragt festzustellen, dass die Einziehungsbeteiligte durch die dem Angeschuldigten W. zur Last gelegte Tat einen Betrag in Höhe von 90.000 € erlangt hat. Zugleich hat sie die Anordnung der Einziehung des Wertes des Taterlangten in Höhe dieses Betrages beantragt.
Der Glücksspieländerungsstaatsvertrag vom 15.11.2011 regelte u.a. folgendes:
- Trotz einer vorhandenen gewerberechtlichen Erlaubnis wurde nunmehr gemäß § 24 GlüStV zusätzlich eine landesrechtliche, glücksspielrechtliche Erlaubnis zur Betreibung einer Spielhalle erforderlich.
- Zwei Spielhallen in "echter Konkurrenz" mussten nunmehr mindestens 100 m Luftlinie voneinander entfernt sein (sog. Abstandsgebot; § 25 GlüStV iVm § 10 Abs. 2 NGlüSpG).
- Mehrere Spielhallen in einem Komplex durften nicht mehr verbunden miteinander betrieben werden (sogenanntes Verbundverbot, § 25 Abs. 2 GlüStV)
- Bisher erteilte Genehmigungen galten aufgrund der Übergangsvorschrift gem. § 29 Abs. 4 GlüStV bis zum 1. Juli 2017 fort.
- Gem. § 29 Abs. 4 GlüStV wurden die für die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis zuständigen Behörden ermächtigt, nach Ablauf des in Satz 2 bestimmten Zeitraums eine Befreiung von der Erfüllung einzelner Anforderungen des § 24 Abs. 2 sowie § 25 für einen angemessenen Zeitraum zuzulassen, wenn dies zur Vermeidung unbilliger Härten erforderlich war (sog. Härtefallregelung).
Die beiden von der M. S. GmbH ursprünglich mit einer gewerberechtlichen Erlaubnis betriebenen Spielhallen in der D.str. ... in H. befinden sich in einem Gebäudekomplex. Zudem befanden sich in einem Abstand von weniger als 100 m zahlreiche andere Spielhallen (Verstoß gegen Abstands- und Verbundverbot).
Der Angeschuldigte hat sich zu dem Tatvorwurf nicht eingelassen. Er vertritt die Rechtsauffassung, § 284 StGB sei bei schwebenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren und zudem aufgrund mangelnder verfassungskonformer Gesetzesgrundlage des Verfahrens bzgl. der Auswahl konkurrierender Spielhallenbetreiber nicht anwendbar. Im Übrigen habe sich der Angeschuldigte auch in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden.
Die 12. große Strafkammer des Landgerichts Hannover hat mit Beschluss vom 14. November 2018 die Eröffnung des Hauptverfahrens und des selbstständigen Einziehungsverfahrens abgelehnt. Zur Begründung führt die Kammer aus, die Frage, ob ein Glücksspiel ohne Erlaubnis betrieben werde, sei nicht rein formal zu betrachten. Bei der Auslegung von § 284 StGB seien vielmehr auch grundrechtlich geschützte Belange zu berücksichtigen; es sei durch die Strafgerichte mithin auch verwaltungsrechtlich zu beurteilen, ob eine Erlaubnis hätte erteilt werden können oder müssen. Im vorliegenden Fall sei das Auswahlverfahren zur Erlaubniserteilung zwischen konkurrierenden Spielhallen verfassungswidrig gewesen, so dass der Angeschuldigte für den angeklagten Zeitraum einen Anspruch auf Erteilung der erforderlichen Erlaubnis für den Betrieb seiner Spielhalle gehabt habe. Nach alledem sei schon der objektive Tatbestand des § 284 StGB nicht erfüllt, so dass auch der Antrag auf Eröffnung eines selbstständigen Einziehungsverfahrens abzulehnen sei.
Gegen den ihr am 20. November 2018 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Hannover am 26. November 2018 sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 18. Dezember 2018 beantragt, den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 14. November 2018 aufzuheben, die Anklage zuzulassen sowie das Hauptverfahren vor dem Landgericht - große Strafkammer -zu eröffnen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist nach §§ 210 Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, soweit das Landgericht Hannover die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat (vgl. im Folgenden Ziffer 1). Soweit sich die sofortige Beschwerde indes gegen die Ablehnung der Eröffnung des selbstständigen Einziehungsverfahrens richtet, ist die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht begründet (vgl. im Folgenden Ziffer 2).
1.) Das Gericht beschließt nach § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn ein Angeschuldigter nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Ein hinreichender Tatverdacht setzt voraus, dass die Verurteilung eines Angeschuldigten überwiegend wahrscheinlich erscheint oder ein Zweifelsfall mit ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung vorliegt, zu dessen Klärung die besonderen Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung notwendig sind (vgl. OLG Celle NdsRpfl 2013, 253; OLG Stuttgart NStZ-RR 2011, 318 [OLG Stuttgart 12.04.2011 - 5 Ws 6/11]; NStZ-RR 2012, 117; OLG Koblenz NJW 2013, 98 [OLG Koblenz 18.09.2012 - 2 Ws 712/12]). Bei dieser Wahrscheinlichkeitsabwägung besteht für eine direkte Anwendung des Zweifelsgrundsatzes kein Raum. Zweifelhafte Tatfragen hindern daher die Eröffnung nicht, wenn sie in der Hauptverhandlung durch Bewertung von Zeugenaussagen, der Einlassung des Angeschuldigten und mit Hilfe von Sachverständigen geklärt werden und damit zu Feststellungen führen können, die eine Verurteilung tragen. Dabei sind auch die besonderen Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung zu berücksichtigen (vgl. Senat vom 08.09.2016, Az.: 2 Ws 244/14; OLG Hamm, Beschluss vom 21. November 2013, 5 Ws 438/13).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht nach Aktenlage ein solcher hinreichender Tatverdacht für die dem Angeschuldigten mit der Anklage vom 30. April 2018 zur Last gelegten Tat. Die vom Landgericht Hannover im angefochtenen Beschluss aufgeführten Gesichtspunkte rechtfertigen die getroffene Entscheidung, die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen, nicht.
Im Einzelnen:
a) Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "ohne behördliche Erlaubnis" des § 284 StGB ist eine rein formelle Betrachtungsweise geboten; maßgeblich für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes ist mithin allein, ob formal eine wirksame Erlaubnis zur Veranstaltung eines Glücksspiels vorlag.
Diese Rechtsauffassung wird sowohl in der Kommentarliteratur (Krehl in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2008, § 284, Rn. 22; BeckOK StGB/Feilcke/Hollering, 40. Ed. 1.11.2018, StGB § 284 Rn. 30; Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 29. Aufl. 2014, StGB § 284 Rn. 23; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 284, Rn. 21; MüKoStGB/Hohmann, 3. Aufl. 2019, StGB § 284 Rn. 18), als auch in der Rechtsprechung übereinstimmend vertreten.
So hat der BGH erst am 17. Januar 2018 entschieden, dass der Tatbestand der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels bereits erfüllt ist, wenn für einen aufgestellten Glücksspielautomaten keine Bauartzulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) besteht oder das in Rede stehende Gerät abweichend von dieser Zulassung betrieben wird; es sei ohne Bedeutung, ob ein nicht in seiner Bauart zugelassenes Gerät materiell den Anforderungen der Spielverordnung entspricht oder ob eine Erlaubnis hätte erteilt werden können (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2018 - 4 StR 305/17 -, juris).
Bereits hieraus wird die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretene rein formale Betrachtungsweise des Tatbestandsmerkmals "ohne behördliche Erlaubnis" deutlich.
Soweit das Landgericht Hannover im angefochtenen Beschluss ausführt, der BGH habe im Bereich der gewerblichen Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten entschieden, dass aufgrund der verwaltungsakzessorischen Natur des § 284 StGB die materielle Rechtsmäßigkeit maßgeblich sei, kann dem nicht gefolgt werden.
Die im angefochtenen Beschluss zitierte Entscheidung des BGH (Urteil vom 16. August 2007 - 4 StR 62/07 -, juris) stellt vielmehr das Gegenteil heraus. Zutreffend weist das Landgericht zwar darauf hin, dass der BGH insoweit ausführt, die Frage der Strafbarkeit gem. § 284 StGB könne nicht losgelöst von der verfassungsrechtlichen Beurteilung der landesrechtlichen Regelung des Glücksspielrechts beantwortet werden. Obwohl der BGH zudem das der damaligen Entscheidung zugrunde liegende Sportwettengesetz des Saarlandes als verfassungswidrig ansah und deshalb klarstellt, dass eine Strafbarkeit gem. § 284 StGB ausscheidet, wenn die fehlende Erlaubnis auf einem Rechtszustand beruht, der seinerseits die Rechte des Betreibers von Glücksspielen in verfassungswidriger Weise verletzt, ergibt sich aus der Entscheidung gerade nicht, dass es bei der Beurteilung der Frage, ob ein Glücksspiel ohne behördliche Erlaubnis i.S.v. § 284 StGB betrieben wurde, auf die materielle Rechtmäßigkeit ankommt. Dies wird insbesondere aus dem Wortlaut in Rn. 6 der Entscheidung deutlich, wo es heißt: "Allerdings hat der Angeklagte objektiv und subjektiv die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 284 Abs. 1 StGB erfüllt." Der Bundesgerichtshof hat sich nicht für eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestandsmerkmals "ohne behördliche Erlaubnis" entschieden; vielmehr nimmt er im Falle der Verfassungswidrigkeit der landesrechtlichen Regelung des Glücksspielrechts an, dass § 284 StGB schlicht nicht anwendbar und eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG geboten ist (vgl. insoweit auch Krehl in: Laufhütte u.a., a.a.O., § 284, Rn. 6a). Dieser Rechtsprechung haben sich die Oberlandesgerichte in zahlreichen Entscheidungen angeschlossen (vgl. insoweit exemplarisch: KG Berlin, Urteil vom 02. Februar 2012 - (4) 1 Ss 552/11 (327/11) -, juris; KG Berlin, Urteil vom 02. Februar 2011 - (4) 1 Ss 371/10 (234/10) -, juris; OLG München, Urteil vom 17.06.2008 - 5 StRR 28/08).
b) Der Senat erachtet das alleinige Abstellen auf die Frage, ob formal eine wirksame Erlaubnis zur Veranstaltung eines Glücksspiels vorlag, auch für zutreffend:
Bereits ein Vergleich mit zahlreichen weiteren verwaltungsakzessorischen Straftatbeständen ergibt, dass auch insoweit eine strenge Akzessorietät angenommen wird. Bei den dem Grundsatz der Verwaltungsakzessorietät unterliegenden Straftatbeständen des Betäubungsmittelgesetzes ist für die Frage, ob eine wirksame Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln i.S.v. § 3 BtMG gegeben ist, ebenso allein die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes maßgeblich (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Auflage 2016, § 3, Rn. 3) wie bei den Straftatbeständen gem. § 95 ff. AufenthG, bei denen strafrechtliche Konsequenzen allein an formell wirksame und vollziehbare verwaltungsrechtliche Ge- und Verbote bzw. deren Fehlen geknüpft werden (MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl. 2018, AufenthG § 95 Rn. 3-5; Hoffmann, Ausländerrecht 2. Auflage, 2016, vor § 95, Rn. 7).
Diese in der Regel gebotene rein formale Betrachtungsweise der verwaltungsakzessorischen Straftatbestände ist auch unerlässlich, um dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG Genüge zu tun und eine Rechtsunsicherheit in der Bevölkerung zu vermeiden. Bei einer Pflicht der Strafgerichte, die materielle Rechtmäßigkeit der behördlichen Erlaubnis i.S.v. § 284 StGB zu prüfen, wäre zudem der Schutzzweck der Norm des § 284 StGB gefährdet. Dieser liegt darin, eine übermäßige Anregung der Nachfrage nach Glücksspielen zu verhindern, durch staatliche Kontrolle einen ordnungsgemäßen Spielablauf zu gewährleisten, eine Ausnutzung des natürlichen Spieltriebs zu privaten oder gewerblichen Gewinnzwecken zu verhindern und einen nicht unerheblichen Teil der Einnahmen aus Glücksspielen (mindestens 25 %) zur Finanzierung gemeinnütziger oder öffentlicher Zwecke heranzuziehen (vgl. BT- Drucksache 13/8587, S. 67 f.). Insbesondere um die Nachfrage nach Glücksspielen für den Staat kontrollierbar zu machen, ist es erforderlich, dass an die Missachtung behördlicher und verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen im Glücksspielrecht strafrechtliche Konsequenzen geknüpft sind.
Der Senat verkennt nicht, dass nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die Frage der Akzessorietät in jedem Einzelfall anhand der jeweiligen konkreten Strafnorm zu bestimmen ist und z.B. die Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit einer familiengerichtlichen Gewaltschutzanordnung bei der Prüfung der Strafbarkeit gem. § 4 GewSchutzG durch die Strafgerichte zu erfolgen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 3 StR 40/13 -, BGHSt 59, 94-105). Indes bestehen zwischen der veraltungsakzessorischen Vorschrift des § 284 StGB auf der einen Seite und etwa § 4 GewSchG auf der anderen Seite gravierende Unterschiede, die die abweichenden Prüfungsanforderungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden verwaltungsrechtlichen bzw. familiengerichtlichen Regelungen rechtfertigen:
Bei den Sachverhalten, die als Voraussetzung für den Erlass einer Gewaltschutzanordnung in Betracht kommen, handelt es sich überwiegend um Straftaten (§§ 123, 223, 239, 240, 241 StGB), auch wenn die materiell-rechtliche Grundlage der Anordnung in § 823 Abs. 1, § 1004 BGB liegt. Demgegenüber würde bei einer Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der behördlichen Erlaubnis i.S.v. § 284 StGB die Prüfung ggf. komplizierter verwaltungsrechtlicher Fragestellungen auf die Strafgerichte verlagert. Ferner soll durch § 284 StGB eine Vielzahl von Personen vor dem übermäßigen Angebot von Glücksspielen bewahrt werden, während durch den Erlass einer Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG im Regelfall lediglich eine konkret gefährdete Person geschützt werden soll.
c) Die nach alledem gebotene rein formale Betrachtungsweise des Tatbestandsmerkmals "ohne behördliche Erlaubnis" des § 284 StGB führt im vorliegenden Fall zur Annahme des hinreichenden Tatverdachts bzgl. des objektiven Tatbestands, denn im Zeitraum vom 30. Juni bis zum 17. September 2018 verfügte die M. S. GmbH nicht über die erforderliche glücksspielrechtliche Erlaubnis. Gleichwohl ergeben sich aus der Akte eindeutige Anhaltspunkte, dass in Kenntnis der fehlenden Erlaubnis und damit auch vorsätzlich jedenfalls eine Spielhalle weiterbetrieben wurde.
Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft Hannover zudem im Vermerk vom 30. April 2017 darauf hin, dass sich die Rechtslage hinsichtlich des Glücksspielrechts aus 2017 nicht mit dem der Entscheidung des BGH vom 16. August 2007 zugrunde liegende Sportwettengesetz des Saarlandes vergleichen lässt.
Die Frage, ob die Länder überhaupt die ausschließliche Zuständigkeit zur Regelung der gewerberechtlichen Anforderungen an den Betrieb und die Zulassung von Spielhallen besitzen und ob das durch den Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüStV) eingeführte Verbot des Verbundes mehrerer Spielhallen an einem Standort, die Abstandsgebote, die Reduzierung der Gerätehöchstzahl je Spielhalle, die Aufsichtspflicht und die Übergangsregelungen im Glücksspielstaatsvertrag und den Gesetzen der Länder Berlin, Bayern und des Saarlandes mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wurde durch das Bundesverfassungsgericht am 07. März 2018 positiv beantwortet (BVerfG, Beschluss vom 07. März 2017 - 1 BvR 1314/12 -, BVerfGE 145, 20-105).
Das OVG Lüneburg hat zudem die Vorschriften der § 24,25 GlüStV und die glücksspielrechtlichen Regelungen im niedersächsischen Landesrecht als verfassungskonform anerkannt und ausgeführt, dass diese nicht dem Unionsrecht widersprechen. Der glücksspielrechtliche Erlaubnisvorbehalt, das Verbundverbot und das Abstandsgebot verstoßen nicht gegen die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit und das unionsrechtliche Transparenzgebot; die restriktive Handhabung der Härtefallregelung des § 29 Abs. 4 GlüStV verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 04.09.2017 - 11 ME 206/17 -, juris). Der Senat verkennt nicht, dass es den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht entspricht, die Auswahl zwischen konkurrierenden Spielhallenbetreibern ausschließlich zufallsbezogen durch Losentscheid herbeizuführen, so dass eine durch Losentscheid zu Lasten eines Spielhallenbetreibers getroffene Auswahlentscheidung allein aus diesem Grund rechtswidrig ist (OVG Lüneburg, Beschluss vom 04. September 2017 - 11 ME 330/17 -, juris). Aus dieser auch im vorliegenden Fall rechtswidrig erfolgten Auswahlentscheidung folgt zwar, dass der M. S. GmbH eine vorübergehende Genehmigung hätte erteilt werden müssen; ein Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit von § 284 StGB resultiert hieraus indes nach den oben ausgeführten Maßstäben nicht.
d) Der hinreichende Tatverdacht hinsichtlich der in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hannover vom 30. April 2018 näher bezeichneten Tat entfällt auch nicht wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums gem. § 17 StGB.
Zwar ist vorliegend hinsichtlich der Frage, ob sich den niedersächsischen Regelungen die wesentlichen Parameter der Auswahlentscheidung in Konkurrenzsituationen zwischen Bestandsspielhallen in hinreichendem Maße dem Gesetz entnehmen lassen oder nicht, eine extrem unklare Rechtslage gegeben (vgl. hierzu: Senat, Beschluss vom 03. September 2018, 2 Ws 255/18). Die Annahme eines Verbotsirrtumes erscheint mithin keineswegs fernliegend, denn das Risiko einer extrem unklaren Rechtslage darf nicht einseitig dem Normadressaten aufgebürdet werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 26. Juni 2006 - 1 Ss 296/05 -, juris). Selbst im Falle des Vorliegens einer extrem unklaren Rechtslage ist indes Voraussetzung für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums, dass der Täter - z.B. aufgrund eines eingeholten kompetenten Rechtsrates eines Rechtsanwaltes - im Tatzeitpunkt davon ausging, sein Handeln stelle kein strafbewehrtes Unrecht dar (BGH, Urteil vom 16. August 2007 - 4 StR 62/07 -, juris). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass dem Angeschuldigten z.B. durch Schreiben der Stadt H. vom 22.03.2017, als auch durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 03. Juli 2017 vor Augen geführt wurde, dass ein Weiterbetreiben einer der beiden Spielhallen nach dem 01. Juli 2017 eine Straftat darstellen könnte. Liegen widerstreitende Auskünfte vor, neigt die überwiegende Auffassung dazu, eine sog. "bedingte Unrechtseinsicht" ("Unrechtszweifel") oder zumindest einen vermeidbaren Verbotsirrtum anzunehmen (Fischer, StGB, 65. Auflage, § 17, Rn. 16). Verwaltungsakte, mit denen ein Verhalten untersagt wird, führen i.d.R. zur Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, selbst wenn der Täter sie für rechtswidrig und sein Verhalten für erlaubt hält (Vogel in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, aaO, § 17 StGB, Rn. 73). Die irrtümliche Annahme der Nichtigkeit einer Untersagungsverfügung ist mit Blick darauf, dass nur "offensichtlich" an einem "besonders schweren Fehler" leidende Verwaltungsakte nichtig sind (§ 44 Abs. 1 VwVfG), i.d.R. vermeidbar.
Der Angeschuldigte hat im vorliegenden Verfahren bislang - abgesehen von dem pauschalen Hinweis auf das Vorliegen eines Urteilsirrtums - kein fehlendes Unrechtsbewusstsein geltend gemacht oder vorgetragen, aufgrund eines für kompetent erachteten anwaltlichen Rates davon ausgegangen zu sein, das Weiterbetreiben einer der beiden Spielhallen erfülle nicht den Tatbestand des § 284 StGB. Die Ausführungen des Verteidigers zur Frage des Verbotsirrtums beschränken sich insoweit im Wesentlichen auf Rechtsausführungen.
Es ist nach ständiger Rechtsprechung jedoch weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. BVerfGE 9, 420; BGH NJW 2007, 2274 [BGH 25.04.2007 - 1 StR 159/07]).
Nach alledem liegt jedenfalls derzeit hinreichender Tatverdacht vor, so dass der Beschluss der Kammer im dargestellten Umfang aufzuheben und das Verfahren zu eröffnen war.
e) Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts war das Verfahren zudem auch vor der 12. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover zu eröffnen, weil die Staatsanwaltschaft Hannover zutreffend die besondere Bedeutung des Falles gem. § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG bejaht hat und der Senat im Übrigen keine Veranlassung hatte, von der Möglichkeit des § 210 Abs. 3 StPO Gebrauch zu machen und das Verfahren vor einer anderen Kammer zu eröffnen.
Zwar ist das Auftreten schwieriger Rechtsfragen für sich allein ohne Einfluss auf die besondere Bedeutung i.S.v. § 24 GVG (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21. April 2016 - 1 Ws 75/16 -, juris; OLG Bremen JZ 1953, 150 [OLG Bremen 04.09.1952 - Ws 97/52]; OLG Bamberg MDR 1957, 117 [OLG Bamberg 01.10.1956 - Ws 198/56]; OLG Hamburg NStZ 1995, 252 f.). Eine besondere Bedeutung eines Falles liegt indes vor, wenn die rasche Klärung einer grundsätzlichen, für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsamen Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof ermöglicht werden soll (BGH, Urteil vom 22. April 1997 - 1 StR 701/96 -, BGHSt 43, 54-62, BGHSt 43, 53-61).
So liegt der Fall hier. Der BGH hat hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 284 StGB im Zusammenhang mit den Regelungen im Glücksspieländerungsstaatsvertrag bislang nicht Stellung bezogen, so dass im vorliegenden Verfahren eine grundsätzliche und bedeutsame Rechtsfrage zu entscheiden ist. Diese dürfte auch für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle von Bedeutung sein, denn insoweit ist nicht Voraussetzung, dass bereits zahlreiche weitere Strafverfahren anhängig sind; vielmehr ist ausreichend, wenn insoweit Rechtsfragen zu klären sind, die erhebliche Auswirkungen auf eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle hinaus haben können, so dass sich das vorliegende Verfahren weit aus den durchschnittlichen Strafverfahren abhebt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 02. November 2012 - 2 Ws 114/12 -, juris).
Hieran gemessen war die besondere Bedeutung i.S.v. § 24 GVG zu bejahen. Den sog. Glücksspieländerungsstaatsvertrag unterzeichneten am 15. Dezember 2011 alle Bundesländer mit Ausnahme von Schleswig-Holstein, so dass sich die Problematik des Erfordernisses einer zusätzlichen glücksspielrechtlichen Erlaubnis zum Betreiben von Spielhallen seit dem 1. Juli 2017 nicht nur in Niedersachsen stellt. Dem Senat ist zudem bekannt, dass in der Zwischenzeit eine Vielzahl verwaltungsgerichtlicher Verfahren anhängig sind, in denen die Anordnung einer sofort umzusetzenden Schließung einer der fünfjährigen Übergangsfrist unterfallenden Bestandsspielhalle gerichtlich überprüft wird.
Es liegt auf der Hand, dass sich mithin auch in einer Vielzahl von Fällen bundesweit die Frage stellt, ob Spielhallenbetreiber, die nach dem 1. Juli 2017 ohne die erforderliche glücksspielrechtliche Erlaubnis ihre ursprünglich gewerberechtlich genehmigte Spielhalle weiterbetrieben, den Straftatbestand des § 284 StGB erfüllt haben.
2.) Soweit sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hannover hingegen gegen die im angefochtenen Beschluss erfolgte Ablehnung der Eröffnung des selbstständigen Einziehungsverfahrens richtet, ist sie nicht begründet.
Die Voraussetzungen der selbstständigen Einziehung gem. § 76a StGB waren von Anfang an nicht erfüllt, denn die selbstständige Einziehung ist bereits nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur zulässig, wenn der Angeschuldigte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden kann. Hiervon konnte bereits im Zeitpunkt der Fertigung der Antragsschrift vom 02. Oktober 2018 nicht die Rede sein, denn die Staatsanwaltschaft hatte zutreffend den hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich der angeklagten Tat bejaht, die Einziehungsbeteiligung der M. S. GmbH beantragt und das Landgericht hatte keine ablehnende Entscheidung hinsichtlich der Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen. Nachdem der Senat nunmehr das Hauptverfahren eröffnet hat, wird die 12. große Strafkammer im Hauptverfahren über die Frage der Anordnung der Einziehungsbeteiligung der M. S. GmbH zu befinden haben.
Insoweit weist der Senat für die anstehende Hauptverhandlung auf folgende Umstände hin:
Die im Vermerk der Staatsanwaltschaft Hannover vom 23. November 2017 dargelegten Auskünfte (vgl. Bl. 51 Band I d. A.) stellen keine hinreichend belastbare Schätzgrundlage i.S.v. § 73d Abs. 2 StGB dar. Die bloße nicht belegte Auskunft eines Mitarbeiters der Landeshauptstadt Hannover erscheint nicht ausreichend, um von einem Mindesterlös von 2000 € pro Geldspielautomaten auszugehen. Im Übrigen ist die Qualität der Spielgeräte der M. GmbH nach Aktenlage nicht ermittelt, obwohl diese neben der Lage der Spielhalle für die Erzielung des Erlöses maßgeblich sein soll. Insbesondere wird zu berücksichtigen sein, dass die von der Staatsanwaltschaft benannte Einziehungsbeteiligte - hätte sie die rechtswidrige Versagung der glücksspielrechtlichen Erlaubnis akzeptiert und der Betrieb der streitgegenständlichen Spielhalle eingestellt - Amtshaftungsansprüche bzgl. der entgangenen Einnahmen hätte geltend machen können. Daher könnte eine Verfahrensweise nach § 421 StPO geboten sein.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 465 Abs. 1 StPO. Gesichtspunkte der Billigkeit stehen nicht entgegen, denn eine Entscheidung hinsichtlich der von der Staatsanwaltschaft begehrten Einziehung von Taterträgen wird im Hauptsacheverfahren zu treffen sein.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht eröffnet (§ 304 Abs. 4 StPO).