Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 27.05.2009, Az.: 11 B 1448/09

Altfallregelung; Familieneinheit; Ermessen; intendiert; Lebenunterhalt

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
27.05.2009
Aktenzeichen
11 B 1448/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 44490
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2009:0527.11B1448.09.0A

Amtlicher Leitsatz

Hat bereits ein Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG erhalten, darf die Aufenthaltserlaubnis für die minderjährigen Kinder und den anderen Elternteil nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass keine Perspektive der Lebenunterhaltssicherung bestehe und deshalb ein atypischer Fall vorliege, der ein Abweichen von der Soll-Regelung rechtfertige (dazu: OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. März 2009 - 10 LA 411/08 -). Denn § 104a AufenthG ist - sofern nicht spezifische Versagungsgründe in einer Person vorliegen - grundsätzlich auf eine familieneinheitliche Betrachtung angelegt, so dass das bestehende Ermessen der Behörde in diesem Fall ausnahmsweise nicht dahingehend intendiert ist (dazu: OVG Lüneburg a.a.O.), die Aufenthaltserlaubnis abzulehnen.

Gründe

1

Das nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu beurteilende Begehren der Antragsteller, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, sie bis zur Unanfechtbarkeit des gleichzeitig mit einer Klage (11 A 1447/09) angegriffenen Bescheides des Antragsgegners vom 21. April 2009, durch welchen u.a. die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen abgelehnt worden ist, abzuschieben, ist im Wesentlichen begründet und nur in geringem Umfang erfolglos.

2

Es besteht ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung, weil der Antragsgegner offenbar beabsichtigt, den Aufenthalt der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland in naher Zukunft zu beenden (vgl. Vermerk vom 26. Mai 2009).

3

Es besteht auch ein Anordnungsanspruch, also ein materielles Recht der Antragsteller bis einschließlich 31. Dezember 2009 von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschont zu bleiben. Denn es spricht einiges dafür, dass der Antragsgegner ihren Antrag auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 104a AufenthG nicht rechtsfehlerfrei ablehnen kann.

4

Der Antragsgegner geht allerdings zutreffend davon aus, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis lediglich erteilt werden "soll". Dies bedeutet, dass diese in der Regel zu erteilen ist, jedoch bei atypischen Umständen hiervon abgesehen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2005 - 1 C 18.04 - BVerwGE 124, 326 [BVerwG 22.11.2005 - BVerwG 1 C 18/04]<331> ) . Es entspricht auch der Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 26. November 2008 - 11 A 1233/08 - <juris>) und des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 31. März 2009 - 10 LA 411/08 - <juris>; Urteil vom 29. Januar 2009 - 11 LB 136/07 - juris <Rn. 84>), dass ein solcher atypischer Fall insbesondere dann gegeben ist, wenn eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" über den 31. Dezember 2009 hinaus nicht erfolgen wird. Eine solche negative Prognose ist gerechtfertigt, wenn sicher davon auszugehen ist, dass der Lebensunterhalt zum 31. Dezember 2009 nicht in dem in § 104a Abs. 5 Sätze 2 und 3 AufenthG erforderlichen Umfang gesichert sein und auch keiner der in § 104a Abs. 6 AufenthG aufgeführten Härtefälle vorliegen wird.

5

Nach den auch insoweit zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Antragsgegners vom 21. April 2009 und in dessen Schriftsatz vom 25. Mai 2009 ist auch nach Ansicht des Gerichts nicht erkennbar, wie die Antragsteller nach dem 31. Dezember 2009 ihren Lebensunterhalt in der erforderlichen Weise sichern könnten. Dass ein Härtefall im Sinne des § 104a Abs. 6 AufenthG vorliegt, ist ebenfalls nicht ersichtlich.

6

Liegt somit ein atypischer Fall vor, kann die Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG aber grundsätzlich dennoch nach Ermessen erteilt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2005 a.a.O.). Eine solche Entscheidung hat der Antragsgegner bisher nicht getroffen. Nach Maßgabe des Zweckes der Ermächtigung (§ 114 Satz 1 VwGO) ist das behördliche Ermessen zwar nach der bereits erwähnten Rechtsprechung der Kammer und des Nds. Oberverwaltungsgerichts in den atypischen Fällen dahingehend intendiert, den Antrag nach der Altfallregelung abzulehnen, so dass es im Regelfall keiner besonderen behördlichen Erwägungen mehr bedarf (vgl. allgemein: BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1997 - 3 C 22.96 - BVerwGE 105, 55 [BVerwG 16.06.1997 - 3 C 22/96]<57 f.>). Indes weist der Fall der Antragsteller Besonderheiten auf, die eine abweichende Beurteilung erfordern.

7

Der Antragsgegner hat nämlich bisher nicht hinreichend beachtet, dass der im Kreis B. lebende Vater der Antragsteller zu 2) und 3), Herr B., bereits im Besitz einer bis zum 31. Dezember 2009 befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG ist. Wegen der Verbindung dieser Antragsteller zu der Antragstellerin zu 1), ihrer Mutter, ist auch diese Teil des familiären Verbandes.

8

Die Bestimmung des § 104a AufenthG geht nämlich davon aus, dass die Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung grundsätzlich familieneinheitlich erfolgt (vgl. auch Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Rn. 19 ff. zu § 104a). So wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/5065, S. 202) insbesondere ausgeführt, dass in die Bestimmung die minderjährigen Kinder der Berechtigten mit einbezogen werden sollen. Sie erhalten ein von ihren Eltern abhängiges Aufenthaltsrecht (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. Januar 2009 - 10 ME 442/08 - InfAuslR 2009, 183 [OVG Niedersachsen 20.01.2009 - 10 ME 442/08]), deren aufenthaltsrechtliches Schicksal sie grundsätzlich teilen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 29. Januar 2009 a.a.O., Rn. 82 und 86). Besonders deutlich hat der Gesetzgeber den Grundsatz der Familieneinheit in § 104a Abs. 3 AufenthG hervorgehoben, wonach bei Straftaten im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG auch in häuslicher Gemeinschaft lebende Familienangehörige grundsätzlich von der Altfallregelung ausgeschlossen sind. Den Ausschlussgrund des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG, den ihre Eltern verwirklicht haben, müssen sich minderjährige Kinder ebenfalls zurechnen lassen (a.a.O., Rn. 82). Schließlich kann eine humanitär begründete Stichtagsregelung nur dann praktische Bedeutung erlangen, wenn der Ausländer hier auch mit seiner bereits in Deutschland befindlichen Familie leben kann. Dass nach § 29 Abs. 3 Satz 3 AufenthG insoweit ein Nachzug aus dem Ausland ausscheidet, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Dass der Antragsgegner sein Ermessen im Sinne der Antragsteller auszuüben hat, ergibt sich schließlich auch aus den für ihn bindenden Vorl. Nds. VV zum AufenthG vom 31. Juli 2008 (Nr. 104a. 0.5.1), wonach eine unterschiedliche aufenthaltsrechtliche Behandlung der Familienmitglieder im Rahmen der Altfallregelung grundsätzlich vermieden werden soll.

9

Entgegen der Ansicht des Antragsgegners leben die Antragsteller zu 2) und 3) mit ihrem Vater in einer familiären Lebensgemeinschaft, auch wenn sie nach einer Auflage in ihren Duldungen den Wohnsitz in der Stadt Nordenham zu nehmen haben. Sie sind in B. zur Welt gekommen. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge erhalten sie von dem Antragsgegner zusammen mit der Antragstellerin zu 1) seit Ende 2006 in weitreichender Weise Erlaubnisse zum Verlassen des räumlichen Geltungsbereichs ihrer Duldungen, um sich bei ihrem Vater aufzuhalten.

10

Da der Vater der Antragsteller zu 2) und 3) lediglich eine bis zum 31. Dezember 2009 geltende Aufenthaltserlaubnis besitzt und deren Verlängerung fraglich ist, besteht derzeit kein Anlass, die Abschiebung der Antragsteller über diesen Zeitpunkt hinaus zu untersagen, so dass ihr weitergehender Antrag erfolglos bleiben muss.