Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 26.06.2014, Az.: 10 A 5640/12

Einbürgerung; Ermittlung wirtschaftliche Leistungsfähigkeit; Freibetrag Erwerbstätigkeit; Sicherung des Lebensunterhalts

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
26.06.2014
Aktenzeichen
10 A 5640/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42532
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei der Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einbürgerungsbewerbers nach § 9 Abs. 1 StAG i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG sind die (fiktiven) Absetzbeträge für Erwerbstätigkeit nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger einzubürgern, soweit die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG erfüllt sind und kein Ausschlussgrund nach § 11 StAG gegeben ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

Der im Jahr 1969 in Tyr/Libanon geborene Kläger hat die palästinensische Volkszugehörigkeit und ist im Jahr 1993 nach Deutschland eingereist. Sein Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Er ist im Besitz eines Reiseausweises für Ausländer. Nachdem ihm erstmalig am 09.07.2007 eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG erteilt worden war, ist er seit dem 12.11.2010  im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Seit dem 20.04.2007 ist er mit der deutschen Staatsangehörigen A. verheiratet. Er ist Vater einer im Februar 2011 geborenen deutschen Tochter.

Am 26.01.2011 beantragte er bei der Beklagten seine Einbürgerung. Neben weiteren Unterlagen legte er unter anderen eine Bestätigung der Generaldelegation Palästinas in der Bundesrepublik vom 21.06.2006 vor, derzufolge er Palästinenser ist, die Abschrift seiner Geburtsurkunde sowie einen - als Dokument zur Eheschließung gültigen - Zivilregisterauszug vom 04.10.2005, demzufolge er zu den palästinensischen Flüchtlingen im Libanon gehört.

Mit Schreiben vom 29.11.2011 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags auf Einbürgerung an. Eine Bedarfsberechnung unter Berücksichtigung des von der Ehefrau des Klägers bezogenen Elterngeldes habe ergeben, dass die Familie einen ergänzenden Arbeitslosengeldanspruch in Höhe von 303,09 Euro habe. Insofern könne er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie nicht auf Dauer ohne Anspruch auf Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten. Daraufhin legte der Kläger einen unbefristeten Arbeitsvertrag als Montagehelfer ab dem 01.12.2011 mit einer Gesamtvergütung von monatlich 400,00 Euro vor. Darüber hinaus legte er Gehaltsbescheinigungen seiner Ehefrau vor, denen zufolge sie einen monatlichen Nettoverdienst von rund 1.160,00 Euro erzielt. Mit einem Gesamteinkommen von 1.743,86 Euro (einschl. Kindergeld) werde der Gesamtbedarf von 1.432,00 Euro deutlich überschritten.

Mit Bescheid vom 31.08.2012, zugestellt am 04.09.2012, lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Einbürgerung ab. Da der Kläger erst seit dem 09.07.2007 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei und sich damit nicht schon seit acht Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, komme eine Einbürgerung nach § 10 StAG nicht in Betracht. Eine Einbürgerung nach § 9  i.V.m. § 8 StAG scheide aus, weil der Kläger nicht in der Lage sei, den eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt seiner Familie ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen zu sichern. Auch wenn der Kläger bislang keine Leistungen nach dem SGB II in Anspruch genommen habe, bestehe für ihn und seine Familie - unter Berücksichtigung der Absetzbeträge für Erwerbstätigkeit - ein ergänzender Leistungsanspruch in Höhe von derzeit 75,21 Euro. Es lägen auch keine Gründe im Sinne von § 8 Abs. 2 StAG vor, von der Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen.

Am 04.10.2012 hat der Kläger Klage erhoben. Ein theoretischer Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe allein in Hinblick darauf, dass bei der Einkommensermittlung für ihn und seine erwerbstätige Ehefrau jeweils die Freibeträge für Erwerbstätigkeit in Höhe von 170,00 Euro und 322,00 Euro einkommensmindernd berücksichtigt würden. Es sei jedoch unverhältnismäßig, seine Einbürgerung aus diesem Grunde abzulehnen; tatsächlich nähmen er und seine Familie keine ergänzenden Leistungen nach dem SGB II in Anspruch.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 31.08.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Einbürgerung des Klägers scheitere daran, dass dieser den Lebensunterhalt von sich und seiner Familie nicht sicherstellen könne. Auch wenn er keine ergänzenden Leistungen nach dem SGB II beziehe, habe er - unter Berücksichtigung der Freibeträge für Erwerbstätigkeit - einen rechnerischen Leistungsanspruch nach den Vorschriften des SGB II. Umstände, die es rechtfertigen könnten, von den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte nach § 8 Abs. 2 StAG abzusehen, seien nicht ersichtlich.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen; sämtliche Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Einbürgerung; der diesem Anspruch entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 19.05.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

I. Allerdings kommt ein Anspruch des Klägers auf Einbürgerung nach § 10 StAG nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen auf Antrag einzubürgern. Da dem Kläger erstmalig am 09.07.2007 ein (befristeter) Aufenthaltstitel erteilt worden ist, erfüllt er derzeit noch nicht die Mindestaufenthaltsdauer von acht Jahren.

II. Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 9 Abs. 1 StAG. Danach sollen Ehegatten Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 StAG eingebürgert werden, wenn sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlieren oder aufgeben oder ein Grund für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach Maßgabe von § 12 vorliegt (Nr. 1), und wenn gewährleistet ist, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen (Nr. 2). Nach § 8 Abs. 1 StAG  kann ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn er handlungsfähig nach Maßgabe von § 80 Abs. 1 AufenthG ist (Nr. 1), nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt  ist (Nr. 2), eine eigene Wohnung gefunden hat (Nr. 3) und sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist (Nr. 4).

Die zwischen den Beteiligten allein streitige Frage, ob der Kläger sich und seine Angehörigen im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG zu ernähren imstande ist, ist nach Auffassung der Kammer im Ergebnis zu bejahen.

Ausgangspunkt für die Berechnung des zur Sicherung des Lebensunterhalts eines Einbürgerungsbewerbers notwendigen Bedarfs sind die Bestimmungen des Sozialgesetzbuches (SGB) Zweites Buch (II), die grundsätzlich auch im Rahmen der Ermessenseinbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG den Maßstab dafür bieten, ob der Ausländer sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist (BVerwG, Beschl. v. 06.02.2013 - 5 PKH 13/12 - juris). Für den Kläger, seine Ehefrau und das gemeinsame Kind ergibt sich aus § 20 Abs. 5 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Absatz 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Januar 2014 (BGBl I 2013, Nr. 63, S. 3857-3857) eine monatliche Regelleistung für die Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 935,00 Euro (353,00 Euro + 353,00 Euro + 229,00 Euro). Hinzu kommen nach § 22 Abs. 1 SGB II die monatlichen Aufwendungen für Miete und Unterkunft in Höhe von 507,00 Euro, so dass sich daraus ein monatlicher Gesamtbedarf von insgesamt 1.442,00 Euro errechnet.

Diesen Bedarf können der Kläger und seine Ehefrau mit dem von ihnen erzielten Erwerbseinkommen zuzüglich des Kindergeldes decken, ohne auf die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen angewiesen zu sein.

Der Kläger erzielt ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 450,00 Euro. Seine Ehefrau verfügt - ausweislich der dem Gericht vorgelegten Gehaltsbescheinigungen für die Monate Dezember 2013, Januar, März und April 2014 - über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von rund 1.133,00 Euro. Zuzüglich der monatlichen Kindergeldzahlungen von 184,00 Euro ergibt sich daraus ein durchschnittliches Nettoeinkommen von rund 1.767,00 Euro, und damit ein den Gesamtbedarf übersteigendes Einkommen in Höhe von 325,00 Euro. Selbst wenn man von diesem Betrag die in § 11b Abs. 2  Satz 1  SGB II pauschaliert erfassten Werbungskosten für erwerbsfähige und erwerbstätige Leistungsberechtigte in Höhe von jeweils 100,00 Euro für den Kläger und seine Ehefrau absetzt, verbleibt dem Kläger und seinen Angehörigen ein anrechenbares Familieneinkommen in Höhe von 1.567,00 Euro, das den familiären Lebensbedarf abdeckt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten scheidet eine weitere Einkommensreduzierung um die nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II vom Einkommen abzusetzenden Freibeträge für Erwerbstätigkeit (in Höhe von 170,00 Euro für den Kläger und in Höhe von 322,00 Euro für seine Ehefrau) im Zusammenhang mit der Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG aus.

Zwar gehört die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einbürgerungsbewerbers im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den gesetzlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit das den Einbürgerungsbehörden nach § 8 Abs. 1 StAG eingeräumte Ermessen eröffnet ist (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 06.02.2013, a.a.O.). Dabei ist es - anders als bei der Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG - im Rahmen von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG ohne Belang, ob zwischen einem vom Ausländer zu verantwortenden Verhalten und dessen Unfähigkeit, sich und seine Angehörigen zu ernähren, ein objektiver Zurechnungszusammenhang besteht (BVerwG, Beschl. v. 06.02.2013, a.a.O.).

Allerdings ist aus Sicht der Kammer eine schematische Übertragung aller Regelungen des SGB II auf die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Ausländers im Staatsangehörigkeitsrecht nicht geboten. Die Vorschriften zu den Absetzbeträgen für Erwerbstätigkeit nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II finden im Hinblick auf die Frage, ob ein Einbürgerungsbewerber dazu imstande ist, sich und seine Angehörigen zu ernähren, keine Anwendung, da die fiktive Minderung der tatsächlich verfügbaren Eigenmittel um die nach § 11 b Abs. 3 SGB II zugebilligten Freibeträge im Staatsangehörigkeitsrecht nicht gerechtfertigt ist.

Maßgeblich für diese Auslegung ist die Zielrichtung, die der Gesetzgeber mit der Berücksichtigung der Freibeträge nach § 11 b Abs.1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II verfolgt. Die Neuregelung der Erwerbstätigenfreibeträge im Kontext des SGB II sollte die Anreize zur Aufnahme einer voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung für Bedarfsgemeinschaften mit Arbeitslosengeld II-Bezug erhöhen (BT-Drs. 17/3404, S. 95), wobei die Freibeträge höher liegen als es der regelmäßigen Praxis bei der Anrechnung noch unter Geltung des früheren Bundessozialhilfegesetzes entsprach (Löns/Herold-Tews, SGB II-Kommentar, 2005, § 11, Rn. 13). An anderer Stelle heißt es dazu in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/3404, S. 44) wie folgt:

„Arbeit und Leistung müssen sich lohnen. Wenn man arbeitet, muss man mehr haben als wenn man nicht arbeitet.“

Diese Privilegierung des Arbeitseinkommens nach dem SGB II würde statt der intendierten Besserstellung für den Einbürgerungsbewerber faktisch nachteilige Wirkungen entfalten, obwohl es sich lediglich um fiktive Absetzbeträge handelt, die das Einkommen des Einbürgerungsbewerbers tatsächlich nicht vermindern (so auch zur Berücksichtigung der Absetzbeträge nach § 11 b Abs. 3 SGB II bei der Entscheidung über einen Aufenthaltstitel: Hess VGH, Beschl. v. 14.03.2006 - 9 TG 512/06 -, juris; VG Berlin, Urt. v. 23.09.2005 - 25 A 329.02 - juris).

Soweit eine Anrechnung der nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II ermittelten Freibeträge pauschal unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Berechnung des zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG (Urt. v. 26.08.2008 - 1 C 32/07 - juris) vorgenommen wird (so z.B. Marx in: GK-StAR, Stand: Dez. 2013, § 8, Rn. 141), rechtfertigt dies keine andere Bewertung.

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in der vorzitierten Entscheidung vom 26.08.2008 im Kontext eines aufenthaltsrechtlichen Verfahrens zunächst die Auffassung vertreten, dass bei der Bestimmung des zur Verfügung stehenden Einkommens zur Sicherung des Lebensunterhalts im Aufenthaltsrecht sämtliche in § 11 Abs. 2 SGB II a.F. (jetzt § 11 b SGB II) genannten Beträge abzusetzen sind, weil der Lebensunterhalt dann nicht gesichert ist, wenn ein Anspruch auf aufstockende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II besteht:

„Dies lässt sich zwar nicht schon aus dem Wortlaut der Vorschrift herleiten. Denn die Formulierung, der Ausländer müsse seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten "können", lässt auch eine Interpretation im Sinne der Auffassung der Revision zu. Es ergibt sich aber aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift in Verbindung mit den Gesetzesmaterialien und der systematischen Stellung im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes. Der Sinn und Zweck der Regelung besteht, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, darin, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte zu vermeiden. Die Lebensunterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 AufenthG wird in der Begründung des Gesetzentwurfs als eine der Erteilungsvoraussetzungen von grundlegendem staatlichen Interesse und als wichtigste Voraussetzung, um die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern, bezeichnet (BTDrucks 15/420 S. 70). Dies spricht dafür, dass im Falle eines voraussichtlichen Anspruchs auf öffentliche Mittel - sofern sie nicht ausdrücklich nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer Betracht zu bleiben haben - der Lebensunterhalt nicht als gesichert angesehen werden kann, da dann auch eine Inanspruchnahme dieser Mittel zu erwarten oder jedenfalls nicht auszuschließen ist. Ob die Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden, ist nach dem gesetzgeberischen Regelungsmodell unerheblich. Dies wird u.a. auch durch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 27 Abs. 3 AufenthG bestätigt, in der zu dem vergleichbaren Erfordernis des Angewiesenseins auf Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs ausgeführt wird, es komme wie im bisherigen Recht "nur auf das Bestehen eines Anspruchs auf Sozialhilfe, d.h. das Vorliegen der Voraussetzungen, nicht auf die tatsächliche Inanspruchnahme an" (BTDrucks 15/420 S. 81).“

Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 16.11.2010 (1 C 20/09, juris) im Zusammenhang mit dem Ehegattennachzug unter Hinweis auf höherrangiges Recht (Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 - AB L 2003/251 vom 3. Oktober 2003, sog. Familienzusammenführungsrichtlinie) korrigiert:

„Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 4. März 2010 in der Rechtssache Chakroun (C-578/08) für den Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie entschieden, dass der Begriff der "Sozialhilfeleistungen des ... Mitgliedstaats" ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist, der nicht anhand von Begriffen des nationalen Rechts ausgelegt werden kann (Rn. 45). Nach dem Unionsrecht bezieht sich der Begriff "Sozialhilfe" in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie auf Unterstützungsleistungen, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleichen (Rn. 49). Unter diesen unionsrechtlichen Begriff der Sozialhilfe fällt aber nicht der Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II, der in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt wird und eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben soll (vgl. Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 22), nicht aber einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgleicht. Dieser Freibetrag darf daher bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie nicht zu Lasten des nachzugswilligen Ausländers angerechnet werden.

Die in § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II pauschaliert erfassten Werbungskosten stellen hingegen im Grundsatz Aufwendungen dar, die die tatsächlich verfügbaren Einkünfte eines Erwerbstätigen reduzieren, sodass ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht entgegensteht. Allerdings ist dem Gebot der individualisierten Prüfung jedes einzelnen Antrags auf Familienzusammenführung gemäß Art. 17 der Richtlinie dadurch Rechnung zu tragen, dass der Ausländer einen geringeren Bedarf als die gesetzlich veranschlagten 100 € nachweisen kann.“

Gleichzeitig hat das Bundesverwaltungsgericht in einer weiteren Entscheidung vom selben Tag (1 C 21/09, juris) klargestellt, dass außerhalb des Anwendungsbereiches der Familienzusammenführungsrichtlinie oder sonstiger unionsrechtlicher Vorgaben aufenthaltsrechtlich bei der Berechnung des Hilfebedarfs auch weiterhin die Bestimmungen des SGB II hinsichtlich des Freibetrags für Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II (a.F.) und der Werbungskostenpauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II (a.F.) maßgeblich sind. In diesem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Verfahren ging es um die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen an einen Staatsangehörigen aus Sri Lanka, bei der keine unionsrechtlichen Vorgaben zu beachten waren, so dass nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts - wie in der Entscheidung vom 26.08.2008 bereits ausgeführt - die Vermeidung (neuer) Belastungen für die öffentlichen Haushalte bei dauerhaftem Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ein grundlegendes staatliches Interesse darstellte und keine weitergehende Korrektur wie bei Fällen im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie erforderte.

Gleichwohl folgt für die Kammer aus dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Einkommensermittlung im Aufenthaltsrecht nicht, dass diese Grundsätze auch im Staatsangehörigkeitsrecht Geltung beanspruchen. Vielmehr ist es aus Sicht des Gerichts geboten, entsprechend der Unterschiede zwischen dem Aufenthaltsrecht und dem Staatsangehörigkeitsrecht zu differenzieren.

So ist bereits der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 08.05.2006 (12 TP 357/06; Makarov/v.Mangoldt, Dt. Staatsangehörigkeitsrecht, 19. Lfg., XXXVIII) davon ausgegangen, dass bei der Einbürgerung der eigenen Lebensunterhaltssicherung ein weniger entscheidendes Gewicht zukommt als bei der Erlangung des Aufenthaltstitels. Wie auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 19.02.2009 (5 C 22/08, juris) zum Bezug von Sozialhilfe im Alter eines Einbürgerungsbewerbers ausgeführt hat, entspricht es zunächst der Zielsetzung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, einer Zuwanderung in die Sozialsysteme entgegenzuwirken, so dass dementsprechend für den Anspruch auf Einbürgerung auch eine gewisse wirtschaftliche Integration zu verlangen und davon grundsätzlich nur dann abzusehen ist, wenn der Bezug der bezeichneten steuerfinanzierten Sozialleistungen nicht zu vertreten ist. Weiter führt das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung vom 19.02.2009 jedoch Folgendes aus:

„Diese Zielsetzung wird regelmäßig indes bereits dadurch gefördert, dass bei zurechenbar unzureichender wirtschaftlicher Integration die erforderliche Voraufenthaltszeit eines achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalts oder der für den Einbürgerungsanspruch erforderliche Aufenthaltsstatuts (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG) nicht erreicht werden kann, weil regelmäßig bereits das Aufenthaltsrecht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) einen gesicherten Lebensunterhalt verlangt. Kann oder soll indes aufenthaltsrechtlich diesem Umstand nicht (mehr) Rechnung getragen werden, verliert auch für das Staatsangehörigkeitsrecht der Gesichtspunkt an Gewicht, dass einer "Zuwanderung in die Sozialsysteme" vorgebeugt werden soll. Bei einem für den Einbürgerungsanspruch hinreichenden, verfestigten Aufenthaltsstatus ist der Bezug der Sozial(hilfe)leistung unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Der Gesetzgeber hat zudem den (auch) fiskalischen Interessen, die mit dem Erfordernis der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts verfolgt werden, in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG insoweit geringeres Gewicht beigemessen als im Aufenthaltsrecht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG; dazu jüngst Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - InfAuslR 2009, 8), als er nicht jeglichem Bezug von Sozial(hilfe)leistungen die Wirkung beigemessen hat, den Einbürgerungsanspruch auszuschließen, und selbst bei den Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II und SGB XII den nicht zu vertretenden Bezug ausgenommen hat.“

Berücksichtigt man diese vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze, verbietet sich eine rein schematische Anwendung der Absetzbeträge für Erwerbstätigkeit auf die Situation eines Einbürgerungsbewerbers. Während dem Ausländer bei der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erst ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht verliehen wird und sich damit - wie vom Bundesverwaltungsgericht im Verfahren 1 C 21/09 ausgeführt - auch die Frage der Vermeidung dauerhafter neuer Belastungen für die öffentlichen Haushalte stellt, verfügt ein Einbürgerungsbewerber bereits über einen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt mit unbefristetem Aufenthaltstitel, so dass bereits unabhängig von der Entscheidung über seinen Einbürgerungsantrag von seinem dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet auszugehen ist. Damit entfällt jedoch auch das Argument der Vermeidung neuer Belastungen für die öffentlichen Haushalte.

Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, warum erwerbstätige Einbürgerungsbewerber schlechter gestellt werden sollten als nicht erwerbstätige Einbürgerungsbewerber, die über ein ausreichendes Einkommen in Höhe des Regelsatzes und der Kosten der Unterkunft aus Zinseinkünften oder sonstigem Vermögenseinkünften verfügen und die - anders als erwerbstätige Einbürgerungsbewerber - bereits bei einem dem Gesamtbedarf deckenden Einkommen einzubürgern wären.

Stellen die Freibeträge für Erwerbstätigkeit nach § 11 b Abs. 3 SGB II nur fiktive Absetzbeträge dar, die das - über dem Gesamtbedarf (Regelsatz zzgl. Kosten der Unterkunft) liegende - Gesamteinkommen der Familie des Klägers tatsächlich nicht vermindern, ist damit auch die Annahme gerechtfertigt, dass der Kläger und seine Familie - wie bereits in der Vergangenheit - dazu in der Lage sind, selbständig ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und damit die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG erfüllen.

Auch die weiteren Voraussetzungen nach § 8 StAG sind erfüllt.

Der Kläger ist ganz offensichtlich handlungsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 StAG, er verfügt über eine eigene Wohnung (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 StAG) und es ist auch nicht ersichtlich, dass er zu einer rechtswidrigen Tat verurteilt worden ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 2) StAG. Soweit es an einer entsprechenden aktuellen Abfrage nach möglichen strafrechtlichen Verurteilungen fehlt, ist dem durch die im Tenor formulierte Maßgabeklausel Rechnung zu tragen, dass eine Verpflichtung zur Einbürgerung des Klägers nur mit der Maßgabe erfolgt, dass § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG erfüllt ist (und auch kein Ausschlussgrund nach § 11 StAG gegeben ist).

Darüber hinaus erfüllt der Kläger auch die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 1 StAG. Nach § 9 Abs. 1 StAG sollen Ehegatten Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 StAG eingebürgert werden, wenn sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlieren oder aufgeben oder ein Grund für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach Maßgabe von § 12 StAG vorliegt und gewährleistet ist, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen (d.h. nach den Vorläufigen Anwendungshinweisen des Bundesministerium des Inneren zum Staatsangehörigkeitsgesetz, Stand: 17. April 2009, Ziffer 9.1.2.1  eine Aufenthaltsdauer von mindestens 3 Jahren im Inland aufweisen), es sei denn, dass sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen (§ 10 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 4 StAG) und keinen Ausnahmegrund nach § 10 Abs. 6 StAG erfüllen. Der Kläger ist seit dem Jahr 2007 Ehegatte einer Deutschen und verfügt seitdem auch über einen Aufenthaltstitel, so dass die Dauer des rechtmäßigen Inlandsaufenthalts mit fast sieben Jahren auch ausreichend ist, um eine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse anzunehmen. Darüber hinaus hat der Kläger durch die Vorlage des Zertifikates B1 ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nachgewiesen.

Soweit nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StAG Voraussetzung für die Einbürgerung die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit ist, ist der Kläger als im Libanon geborener palästinensischer Volkszugehöriger nicht nur de facto, sondern auch de jure als staatenlos im Sinne des Art. 2 Satz 1 StaatenlMindÜbkAG anzusehen (so auch VG Freiburg, Urt. v. 26.02.2003 - 2 K 975/01 - juris; VG Berlin, Urt. v. 13.06.2012 - 35 K 438.10 - juris, jeweils m.w.N.). Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass der Kläger die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt, würde diese einer Einbürgerung nicht entgegenstehen, da es sich bei dem Libanon um einen Staat handelt, der faktisch keine Entlassung aus der Staatsangehörigkeit vornimmt, so dass Mehrstaatigkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StAG hinzunehmen wäre (Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministerium des Inneren zum Staatsangehörigkeitsgesetz, Stand: 17. April 2009, Ziffer 12.1.2.2). Anhaltspunkte für eine anderweitige Staatsangehörigkeit bestehen nicht. Damit steht auch § 9 Abs. 1 Nr. 1 StAG einer Einbürgerung des Klägers nicht entgegen.

Sind die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 StAG erfüllt, soll der Einbürgerungsbewerber eingebürgert werden, d.h., dass die Einbürgerung regelmäßig vorgenommen werden muss und nur in atypischen Fällen, insbesondere bei Missbrauchsfällen, verweigert werden darf (Marx, in: GK-StAR, Stand: Dezember 2013, § 9, Rn. 158, m.w.N). Da kein atypischer Sachverhalt in diesem Sinne ersichtlich ist, hat der Kläger einen Einbürgerungsanspruch nach § 9 Abs. 1 StAG.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.

IV.  Die Berufung war nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, weil dem Verfahren eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt. Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Anrechnung der Freibeträge für Erwerbstätigkeit nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II gibt es - wie oben dargestellt - bislang nur für das Aufenthaltsrecht und nicht für das Staatsangehörigkeitsrecht. Soweit das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zuletzt mit der Frage der Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Staatsangehörigkeitsrecht befasst war, hat es in seinem Beschluss vom 17.09.2013 (13 LA 213/11, n.v.) ausdrücklich offen gelassen, ob bei der Frage der Bedürftigkeit im Kontext einer Einbürgerung die hier streitigen Abzugsbeträge nach § 11 Abs. 2 und 3 SGB II (jetzt: § 11 b Abs. 2 und 3 SGB II) zu berücksichtigen sind, da sich eine Bedürftigkeit des Einbürgerungsbewerbers bereits durch den Anspruch auf Kinderzuschlag vermeiden ließ.  Ob im Rahmen von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG auch die Absetzbeträge nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen sind, ist damit obergerichtlich noch nicht entschieden.