Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 15.10.2001, Az.: 6 B 193/01

Auskunftspflicht; Auskunftsverweigerung; Fahrtenbuch; Fahrzeugführer; Firmenfahrzeug; Kraftfahrzeug; Mitwirkungspflicht; Unternehmen; Verhältnismäßigkeit; Verkehrsverstoß

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
15.10.2001
Aktenzeichen
6 B 193/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40268
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 18.000,-- DM festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Anordnung, für sechs ihrer Personenkraftwagen 12 Monate lang ein Fahrtenbuch zu führen.

2

Mit einem auf die Antragstellerin zugelassenen Kraftfahrzeug der Marke Daimler-Chrysler, amtliches Kennzeichen ... 888, wurde am 15.01.2001 verbotswidrig überholt. Das Bußgeldverfahren musste eingestellt werden, nachdem die Antragstellerin sich nicht dazu geäußert hatte, welche Person das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt hat. Daraufhin hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 09.05.2001 für dieses Fahrzeug und für ein eventuelles Ersatzfahrzeug eine Fahrtenbuchanordnung für sechs Monate erlassen, die nach durchgeführtem Widerspruchsverfahren bestandskräftig geworden ist.

3

Im Juli erfuhr der Antragsgegner, dass mit dem vorgenannten Fahrzeug zwei weitere Verkehrsverstöße begangen worden sind:

4

- Am 12.04.2001 um 20.12 Uhr wurde auf der BAB 1 in der Gemarkung Bremen, Fahrtrichtung Hamburg, die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h nach Abzug der Toleranz um 69 km/h überschritten.

5

- Am 08.05.2001 um 10.51 Uhr wurde auf der BAB 7 in der Gemarkung Seesen, Fahrtrichtung Kassel, die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach Abzug der Toleranz um 27 km/h überschritten.

6

In beiden Fällen machte die dazu befragte Antragstellerin keine Angaben, wer das Fahrzeug zu den Tatzeitpunkten geführt hat.

7

Mit Bescheid vom 29.08.2001 gab der Antragsgegner der Antragstellerin u.a. auf, für die Dauer von zwölf Monaten für die Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen  ... 48, ... 22, ... 23, ... 30, ... 90 und ... 200 - auch für entsprechende Ersatzfahrzeuge - Fahrtenbücher zu führen. Zugleich ordnete er die sofortige Vollziehung dieser Anordnung mit der Begründung an, es könne nicht bis zum Abschluss eines möglichen Widerspruchs- und Klageverfahrens hingenommen werden, dass während der Dauer der Fahrtenbuchanordnung für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... 888 auf andere Fahrzeuge des Unternehmens ausgewichen werde.

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Dagegen hat die Antragstellerin Widerspruch erhoben, über den - sofern ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.

9

Am 10.09.2001 hat die Antragstellerin dagegen um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung ausgeführt, die getroffene Maßnahme sei unverhältnismäßig, da es unbegründet und spekulativ sei, dass zukünftig mit den betroffenen Fahrzeugen Verkehrsverstösse begangen würden. Für das bisher betroffene Fahrzeug, mit dem die angeführten Verkehrsverstösse begangen worden seien, werde ein Fahrtenbuch geführt.

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Die Antragstellerin beantragt,

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die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs sowie einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 29.08.2001 wieder herzustellen. 

12

Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Er macht im Wesentlichen geltend:

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Da es sich bei dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... 888 um ein Fahrzeug der Luxusklasse gehandelt habe, das zum Zeitpunkt des ersten Verkehrsverstosses gerade mal ein Jahr alt gewesen sei, müsse angenommen werden, dass der dafür fahrberechtigte Personenkreis so klein ist, dass es der Antragstellerin möglich gewesen wäre, bei der Aufklärung der Vorfälle mitzuwirken, zumal sie schon aus steuerlichen Gründen gehalten sei, Nachweise über die Nutzung ihrer Fahrzeuge zu führen. Die Verweigerung der Mitwirkung sei wahrscheinlich nicht auf ein Fahrzeug beschränkt.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

17

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

18

Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

19

Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, sofern nicht die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet wird. Eine derartige Vollziehungsanordnung setzt zu ihrer Rechtswirksamkeit voraus, dass ohne sie das öffentliche Interesse in schwerwiegender Weise beeinträchtigt würde, so dass demgegenüber die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen zurücktreten. Nach der ständigen Rechtsprechung des für Verkehrsrechtssachen zuständigen 12. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, muss ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegenüber einer formell ordnungsgemäß begründeten Anordnung der sofortigen Vollziehung schon dann scheitern, wenn die angefochtene Entziehungsverfügung offensichtlich rechtmäßig ist (Beschl. vom 03.06.1993 - 12 M 2023/93 -, OVGE 44, 327; Beschl. vom 26.01.2001 - 12 MA 509/01 -; Beschl. vom 11.09.2001 - 12 MA 3022/01). Dies ist hier der Fall.

20

Der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Fahrtenbuchanordnung wird aus Rechtsgründen  Erfolg nicht haben; die Anordnung des Antragsgegners ist ersichtlich rechtmäßig.

21

Rechtsgrundlage für die gegenüber der Antragstellerin als Fahrzeughalterin angeordnete Maßnahme des Antragsgegners ist § 31a Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Das ist hier der Fall.

22

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig und braucht deshalb hier nicht weiter ausgeführt zu werden, dass mit dem Fahrzeug ... 888, dessen Halter die Antragstellerin ist, erhebliche Verkehrsverstöße (insbesondere auch Geschwindigkeitsüberschreitungen) begangen worden sind, die jeweils bereits nach einem erstmaligen Vorfall die Anordnung rechtfertigen, ein Fahrtenbuch zu führen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Bay.VBl. 1983, 310; Urt. vom 17.05.1995 - 11 C 12.94 -, BVerwGE 98, 227; Beschl. vom 09.09.1999 - 3 B 94.99 -, NZV 2000, 386; Nds. OVG, Urt. vom 26.06.1980 - 12 OVG A 45/80; Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00).

23

Außerdem war die Feststellung des Fahrzeugführers nach (mehr als) einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich. In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob angesichts des noch nicht rechtskräftigen Bußgeldbescheides, der wegen des Vorfalls vom 08.05.2001 gegen den im Übrigen wegen nicht weniger Geschwindigkeitsüberschreitungen erheblich vorbelasteten Geschäftsführer der Antragstellerin erlassen worden ist, ebenfalls davon gesprochen werden kann, dass diese Voraussetzung vorliegt. Darauf kommt es nicht an, da bereits der Vorfall vom 12.04.2001 genügt, um die Feststellung zu treffen, dass eine Fahrerfeststellung im Sinne des § 31 a StVZO nicht möglich gewesen und die daraufhin getroffene Maßnahme geboten ist.

24

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin wird sie durch den angefochtenen Verwaltungsakt auch nicht unverhältnismäßig belastet. Die Fahrtenbuchauflage für ihre anderen sechs weiteren PKW ist erforderlich, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass ähnlich schwerwiegende Verstöße, wie sie in der Vergangenheit mit dem PKW ...-888 begangen worden sind, nunmehr mit einem ihrer anderen PKW begangen werden können. Des Nachweises einer konkreten Gefahr weiterer Verkehrsverstöße bedarf es im Rahmen des § 31a StVZO nicht (Jagusch/ Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 31a StVZO Anm. 2; VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 17.11.1997 - 10 S 2113/97 -, NZV 1998, 126 f., jew. m. w. Nw.). Insoweit ist auch unerheblich, dass die vorstehend aufgeführten drei Verstöße mit einem bestimmten Fahrzeug begangen worden sind, das wahrscheinlich überwiegend von ihrem Geschäftsführer genutzt wird. Da dieser bereits mehrfach einschlägig aufgefallen ist - nach den Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes, die sich in der zum Vorfall vom 08.05.2001 beigezogenen Bußgeldakte befinden, waren für ihn am 27.07.2001 insgesamt 10 Punkte eingetragen - liegt es schon aus diesem Grund nahe anzunehmen, dass er auf eines der anderen Fahrzeuge ausweicht, um der bereits durch die beharrliche Auskunftsverweigerung (das Verhalten der Antragstellerin ist ihm als ihrem gesetzlichen Vertreter zuzurechnen) aufgezeigten Neigung nachzukommen, gewissermaßen im Schutze der ihm durch die Antragstellerin vermittelten Anonymität am Straßenverkehr teilnehmen zu können.

25

Aber auch unabhängig von der konkreten Person des Geschäftsführers der Antragstellerin besteht hinreichender Anlass, gegen die wiederholte Auskunftsverweigerung der Antragstellerin mit der getroffenen Maßnahme einzuschreiten. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es ungeachtet handels- und steuerrechtlicher Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten sachgerechtem kaufmännischem Verhalten entspricht, dass ein kaufmännischer Wirtschaftsbetrieb grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen in der Lage ist, Geschäftsfahrten anhand schriftlicher Unterlagen zu rekonstruieren und den jeweiligen Fahrzeugführer im Einzelfall festzustellen. Weigert sich ein Unternehmen dieser Obliegenheit nachzukommen, besteht grundsätzlich -- wie auch im Falle der Antragstellerin - hinreichender Anlass, für alle in Betracht kommenden Fahrzeuge eine Fahrtenbuchauflage zu verhängen, um das Unternehmen auf diese Weise zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung und zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Falle eines erneuten Verkehrsverstoßes anzuhalten (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. vom 31.03.1995 - 25 A 2798/93 - NJW 1995, 3335, 3336 f; Urt. vom 29.04.1999 - 8 A 699/97 - NZV 1999, 439; VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 26.02.1996 - 10 S 294/96 - m. w. Nw., Beschl. vom 20.11.1998 - 10 S 2673/98 - NZV 1999, 149; VG Koblenz, Urt. vom 05.02.1997 - 3 F 10/97 A - ZfSch 1997, 318 - hier zitiert nach Juris; Nds. OVG, Beschl. vom 23.10.1996 - 12 L 587/96; Beschl. vom 30.11.2000 - 12 M 4036/00 -; OVG Saal., Beschl. vom 17.01.2000 - 9 V 16/99 - zitiert nach Juris; VG Braunschweig, Urteile vom 22.10.1997 - 6 A 61180/97 -, 22.04.1999 - 6 A 41/99 -, 15.02.2000 - 6 A 311/99 -, 03.08.2000 - 6 A 296/99 und 08.02.2001 - 6 A 312/99 -). Dies trifft auch auf die Antragstellerin zu.

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Auch die Dauer der Anordnung (12 Monate) ist rechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts der besonderen Schwere des am 12.04.2001 mit einem Fahrzeug der Antragstellerin festgestellten Verkehrsverstoßes (Geschwindigkeitsüberschreitung um 69 km/h) und zudem mit Blick auf die nachhaltige Weigerung der Antragstellerin, an der Aufklärung erheblicher Verkehrsverstösse mitzuwirken, drängt es sich geradezu auf, über das für das andere Fahrzeug der Antragstellerin im untersten Bereich einer effektiven Kontrolle verhängte Maß von 6 Monaten hinauszugehen. Abgesehen davon, dass die Fahrtenbuchauflage im Wesentlichen nur das verwirklicht, was - wenngleich in anderer Form - ohnehin sachgerechtem kaufmännischem Verhalten entspricht, ist der Zeitraum von 12 Monaten im vorliegenden Fall zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle und auch zur spezialpräventiven Einwirkung auf die Mitarbeiter der Antragstellerin (vgl. zu diesem Anordnungszweck etwa VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 17.11.1997, a.a.O.) erforderlich, denen es aus Gründen der Verkehrssicherheit zukünftig verwehrt sein muss, sich der Hoffnung hingeben zu können, eine verkehrswidrige Verhaltensweise werde nicht geahndet, da der Fahrzeugführer nicht festgestellt werden könne. Der Umstand, dass das Fahrtenbuch für das Fahrzeug ... 888 nur sechs Monate lang zu führen ist, steht dem nicht entgegen. Er belastet die Antragstellerin nicht und lässt auch die erst im Anschluss daran ergriffene weitere Fahrtenbuchanordnung des Antragsgegners nicht wirkungslos werden, soweit sie über die für dieses Fahrzeug begründete Verpflichtung der Antragstellerin hinausgeht.

27

Der Antrag ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und berücksichtigt, dass im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des Streitwertes anzusetzen ist, der in einem Verfahren zur Hauptsache festzusetzen wäre. Diesen Hauptsachewert (hier: 36.000,-- DM) ermittelt die Kammer in ständiger Rechtsprechung anhand der Empfehlungen des sog. Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605), die bei Fahrtenbuchanordnungen einen Streitwert vorsehen, der von einem Wert von 500,-- DM je Monat und Fahrzeug ausgeht (vgl. Streitwertkatalog Tz. 45.6, aaO, S. 610; ebenso Nds. OVG, Beschl. vom 29.03.1999 - 12 L 1008/99). Bei den von der Anordnung erfassten 6 Fahrzeugen und der Dauer von 12 Monaten errechnet sich sonach der Betrag von (72 x 500 DM =) 36.000 DM, der im einstweiligen Rechtschutzverfahren zu halbieren ist.