Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 18.11.2004, Az.: 14 U 108/04
Ermittlung der Mitverschuldensquote beim Zustandekommen eines Verkehrsunfalls; Bestehen einer unklaren Verkehrslage durch das Fahren eines Personenkraftwagens auf eine Bushaltestelle
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 18.11.2004
- Aktenzeichen
- 14 U 108/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 24193
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:1118.14U108.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 25.03.2004 - AZ: 4 O 301/03
Rechtsgrundlage
- § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO
Fundstellen
- MDR 2005, 569-570 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2005, 21
- SVR 2005, 109-110
Amtlicher Leitsatz
Fährt ein Pkw nach rechts auf eine Bushaltestelle, schafft dies noch keine unklare Verkehrslage, die ein Überholen oder Vorbeifahren verbietet.
In dem Rechtsstreit
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 2. November 2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 25. März 2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Stade teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.326,87 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Juli 2003 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Wert der Beschwer und Streitwert für das Berufungsverfahren: 3.264,38 EUR.
Gründe
(abgekürzt gemäß §§ 540, 313 a Abs. 1 ZPO)
Die Berufung des Klägers, mit der er sich dagegen wendet, dass das Landgericht zu seinen Lasten einen Mitverschuldensanteil von 30 % hinsichtlich des Zustandekommens des Verkehrsunfalls vom 22. Februar 2003 in D. angenommen hat (die Teilabweisung wegen eines geringen Anteils des Nutzungsausfalls nimmt er hingegen hin), hat Erfolg.
Ausgehend von dem durch den Einzelrichter gefundenen Beweisergebnis (welches die Sachverhaltsschilderung des Klägers bestätigt, diejenige der Beklagten hingegen widerlegt hat) bleibt für die vom Landgericht angenommene Mithaftung des Klägers nach Auffassung des Senats kein Raum.
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Beklagte zu 1 vor dem Linksabbiegen mit ihrem Fahrzeug teilweise auf die rechts neben der Fahrbahn belegene Bushaltestelle gefahren ist und den linken Blinker erst dann gesetzt hat, als sie bereits zum Abbiegen nach links ansetzte und der Kläger mit seinem Fahrzeug neben dem ihren gewesen ist. Diesen Sachverhalt hat der Senat schon deswegen zugrunde zu legen, weil die Beklagten selbst das Urteil des Landgerichts nicht angefochten haben. Ob, wie das Landgericht als zugestanden angenommen hat, die Beklagte zu 1 in eine links der Straße gelegene Grundstückseinfahrt hat fahren wollen oder, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seinerseits unstreitig gestellt hat, in den nach links abzweigenden H.weg, ist demgegenüber ohne Belang.
Bei dieser Sachlage vermag der Senat, anders als der Einzelrichter, nicht davon auszugehen, dass dem Kläger ein Mitverschuldensvorwurf dahingehend zu machen ist, trotz unklarer Verkehrslage (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO) überholt zu haben. Ein PKW (die Beklagte zu 1 fuhr einen Kleinwagen), der auf einer 7 m breiten Straße verlangsamt und - zumindest teilweise - auf die rechts neben der Fahrbahn belegene Bushaltestelle fährt, schafft keine unklare Verkehrslage dahingehend, dass der nachfolgende Verkehr mit einem Abbiegen nach links rechnen muss. Vielmehr spricht ein solches Fahrmanöver allein dafür, dass der auf die Busspur fahrende Pkw dort (möglicherweise verbotswidrig, aber nicht selten zu beobachten) kurz anhalten will, um Mitfahrer aussteigen zu lassen. Dass ein solches Fahrmanöver hingegen als "Ausschwenken" gedacht sein könnte, um in eine links der Straße belegene Einfahrt oder Seitenstraße zu fahren, ist bei einem Pkw weder zu vermuten noch ernsthaft zu befürchten, weil es für ein solches Fahrverhalten keinerlei Veranlassung gibt (ein Pkw lässt sich, anders als u. U. ein Sattelzug mit Auflieger, in Einfahrten normaler Breite ohne vorheriges Ausschwenken hineinmanövrieren, zumal für ein Abbiegen nach links ja zusätzlich noch die Fahrbahnbreite der Gegenfahrbahn zur Verfügung steht, um das eigene Fahrzeug in einen der Einfahrt entsprechenden Winkel zu bringen). Dass der Kläger wegen einer derart fernliegenden Annahme nicht von einem Überholvorgang abgesehen hat, kann jedenfalls keinen gegenüber dem Fehlverhalten der Beklagten zu 1 ins Gewicht fallenden Verschuldensvorwurf begründen.
Angesichts dessen und der groben Verkehrsverstöße der Beklagten zu 1, die nicht nur ihre zweite Rückschaupflicht missachtet hat, sondern nach den zugrunde zu legenden Feststellungen des Landgerichts auch ihr Abbiegemanöver viel zu spät durch Blinkzeichen angekündigt hat, tritt auch die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers jedenfalls zurück, weshalb offen bleiben kann, ob die Kollision für den Kläger unvermeidbar gewesen ist (was anzunehmen sein dürfte, wenn die Beklagte zu 1, wie das Landgericht festgestellt hat, just in dem Moment abgebogen ist, als sich der Kläger bereits neben ihr befunden hat, und sie den Blinkhebel offenbar erst mit der Bewegung betätigt hat, die zum Einschlagen des Lenkrades erforderlich gewesen ist).
Angesichts des oben Gesagten kann es dem Kläger entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung auch nicht zu einem gegenüber dem groben Verschulden der Beklagten zu 1 zu berücksichtigenden Mitverschuldensvorwurf gereichen, nicht zur Ankündigung seines Überholmanövers gehupt zu haben (was im innerstädtischen Verkehr ohnehin kaum jemals angezeigt sein dürfte).
Deswegen war das Urteil des Landgerichts im Umfang des Berufungsangriffs des Klägers abzuändern: Die Beklagten haften dem Kläger dem Grunde nach uneingeschränkt.
Die Kostenentscheidung folgt § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Den Wert der Beschwer hat der Senat mit Blick auf § 26 Nr. 8 EGZPO festgesetzt. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Wert der Beschwer und Streitwert für das Berufungsverfahren: 3.264,38 EUR.