Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 15.03.2007, Az.: 2 A 3227/05

Beamtenverhältnis; beamtenversorgungsrechtliche Streitigkeit; Beamter; Beendigung; Disziplinarentscheidung; Disziplinarrecht; Disziplinarverfahren; Einstellung; Eintritt in den Ruhestand; Freiheitsstrafe; Freiheitsstrafe; Gesamtfreiheitsstrafe; Gesamtstrafe; Gesamtstrafenbildung; Kürzung; Rechtsverletzung; Rechtsverstoß; Ruhegehalt; Ruhestand; Ruhestandsbeamter; strafbare Handlung; Strafurteil; Streitigkeit; Verfall; Verlust; Versorgung; Versorgungsbezüge; Verurteilung; Vorsatz; vorsätzliche Tat

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
15.03.2007
Aktenzeichen
2 A 3227/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71969
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zum Verlust des Anspruchs auf Versorgung bei strafrichterlicher Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, wenn eine strafbare Handlung erst nach Eintritt in den Ruhestand begangen wurde.

Tatbestand:

1

Der im Februar 1944 geborene Kläger wurde mit Wirkung vom 01.04.1993 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Er leistete zuletzt als Rechtspfleger beim D. Dienst. Der Kläger begehrt die Zahlung von Versorgungsbezügen.

2

Mit Urteil des E. vom 17.02.1997 wurde der Kläger wegen Betruges, versuchten Betruges und falscher eidesstattlicher Versicherung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Rechtskraft dieses strafrichterlichen Urteils trat am 17.03.1999 ein. Ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils wurde die Gesamtstrafe aus vier Einzelstrafen gebildet. Für den im Juli 1988 begangenen Betrug setzte der Strafrichter zehn Monate an, für den versuchten Betrug, den der Kläger im November 1992 begangen hatte, warf er eine Strafe von vier Monaten aus, und für die beiden falschen eidesstattlichen Versicherungen war eine Geldstrafe von jeweils 90 Tagessätzen für angemessen erachtet worden. Die beiden falschen eidesstattlichen Versicherungen hatte der Kläger im Dezember 1992 sowie im Dezember 1993 abgegeben. Nähere Ausführungen zur Bildung der Gesamtstrafe enthalten die Urteilsgründe nicht.

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Mit Disziplinarverfügung vom 08.08.1997 hatte die Präsidentin des F. gegen den Kläger ein Disziplinarverfahren eingeleitet, dieses wegen des anhängigen Strafverfahrens zugleich ausgesetzt und des Weiteren die Kürzung des Ruhegehaltes des Klägers um ein Drittel verfügt. Die Einstellungsverfügung der Präsidentin des G. datiert vom 26.03.1999. Dort heißt es, das Disziplinarverfahren werde gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 4 NDO eingestellt, da der Kläger seine Rechte aus dem Beamtenverhältnis aufgrund der strafrichterlichen Verurteilung verloren habe. Des Weiteren stellt die Einstellungsverfügung fest, dass der einbehaltene Teil des Ruhegehaltes endgültig auf der Grundlage des § 96 Abs. 1 Satz 2 NDO verfallen sei. In der Begründung der Einstellungsverfügung wird näher erläutert, dass die Wirkungen des § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG i. V. m. § 43 NBG eingetreten seien. Der Kläger habe seine Rechte als Ruhestandsbeamter verloren und damit auch zum Ablauf des Monats März 1999 seinen Anspruch auf Versorgung.

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Die hiergegen vom Kläger eingelegte Beschwerde wies der Nds. Minister der Justiz in seinem Beschwerdebescheid vom 07.09.1999 zurück. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Beschwerdebescheides heißt es, diese Entscheidung sei nur hinsichtlich der Kosten anfechtbar.

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In der Folgezeit wurden die Versorgungsleistungen des Klägers mit Ablauf des 31.03.1999 eingestellt, und der Kläger wurde nachversichert. Er betrieb die Wiederaufnahme seines Strafverfahrens erfolglos.

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Am 13.06.2002 erhob der Kläger Klage auf Feststellung, dass er seine Rechte als Ruhestandsbeamter durch das rechtskräftige Urteil des E. nicht verloren habe. Diese gegen die Präsidentin des G. gerichtete Feststellungsklage wies die 13. Kammer des erkennenden Gerichts (Einzelrichter) im Urteil vom 29.04.2003 - 13 A 2582/02 - als unzulässig ab. In den Urteilsgründen heißt es, die Feststellungsklage sei aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes unzulässig. Der Kläger könne seinen Anspruch durch Leistungs- oder Verpflichtungsklage gegenüber dem Beklagten des vorliegenden Verfahrens geltend machen. Dies sei ein unmittelbares, sachnäheres und wirksameres Verfahren. Auch habe sich der Kläger gegen die Einstellung des Disziplinarverfahrens wehren und damit effektiven Rechtsschutz erhalten können. Den gegen dieses Urteil gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Nds. OVG durch Beschluss vom 10.12.2003 als unzulässig ab.

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Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 21.12.2004 erhob der Kläger Widerspruch und beantragte beim Beklagten, ihm die seit dem 08.08.1997 vorenthaltenen Versorgungsbezüge nachzuzahlen. Entgegen der in den Disziplinarverfügungen geäußerten Rechtsauffassung habe er nämlich seine Rechte als Versorgungsempfänger nicht verloren. Mit Schreiben vom 19.01.2005 teilte ihm der Beklagte daraufhin mit, er sei an die gesetzliche Regelung gebunden. Das Strafurteil sei rechtskräftig und er nicht befugt, erneut in die Rechtsfindung einzutreten.

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Der Kläger hat am 02.06.2005 gegen dieses nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Schreiben Klage erhoben. Im Klageverfahren macht er nur noch einen Anspruch auf Zahlung von Versorgungsbezügen für die Zeit ab 01.04.1999 geltend. Zur Begründung trägt er vor, das bestandskräftig abgeschlossene Disziplinarverfahren regele nur den Verfall der bis einschließlich März 1999 auf der Grundlage des § 92 NDO einbehaltenen Versorgungsbezüge. Ein Ruhestandsbeamter verliere seine Rechte aus dem Beamtenverhältnis bei einer strafrichterlichen Verurteilung wegen einer vorsätzlichen, vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Diese Voraussetzungen lägen bei ihm nicht vor. Zwar möge es zutreffen, dass die genannte Rechtsfolge auch bei Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr eintrete. Dies könne aber nur der Fall sein, wenn entweder sämtliche strafbaren Handlungen vorsätzlich und in der Zeit vor Eintritt in den Ruhestand begangen worden seien, oder wenn nach den zur Gesamtfreiheitsstrafe zusammengezogenen Einzelstrafen eine Gesamt- oder Einzelstrafe von mindestens einem Jahr schon wegen der vor dem Eintritt in den Ruhestand liegenden vorsätzlich begangenen Handlungen auszusprechen war. Hier aber liege es so, dass die zweite falsche eidesstattliche Versicherung, über die das Amtsgericht Bückeburg im Strafverfahren zu entscheiden hatte, am 03.12.1993, mithin nach Beendigung seines Beamtenverhältnisses begangen worden sei. Dann könne der Verlust seiner Beamtenrechte aber nur eingetreten sein, wenn wegen der vor dem 01.04.1993 begangenen Straftaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr auszusprechen gewesen wäre. Davon könne jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit ausgegangen werden. Für eine Gesamtstrafenbildung seien rein schematische oder gar rechnerisch ermittelte Bemessungserwägungen fehlerhaft. So habe das Gericht beispielsweise berücksichtigen können, dass zwischen der zweiten und dritten Tat noch nicht einmal ein Monat lag. Möglicherweise hätte es bei Würdigung seiner Person bei nur drei angeklagten Straftaten lediglich eine Freiheitsstrafe von elf Monaten ausgesprochen.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 19.01.2005 zu verpflichten, ihm Versorgungsbezüge aus der BesGr A 11 BBesO mit einem Ruhegehaltssatz von 69,22 v. H. für die Zeit ab 01.04.1999 nebst Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.06.2005 zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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und hält die Klage für unzulässig. Die Bestandskraft der Einstellungsverfügung der Präsidentin des G. vom 26.03.1999 stehe dem mit der Klage verfolgten Anspruch entgegen. Über den Umweg einer Klage auf Zahlung von Versorgungsbezügen könne eine Korrektur dieser bestandskräftigen Entscheidung nicht erreicht werden. Im Übrigen sei der Kläger durch das Urteil des E. wegen vorsätzlicher Taten, die er vor seiner Versetzung in den Ruhestand begangen habe, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden, so dass er kraft Gesetzes seine Rechte als Ruhestandsbeamter und damit seinen Anspruch auf Fortzahlung der Versorgungsbezüge verloren habe.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die beigezogenen Versorgungsakten und die Gerichtsakte im Verfahren 13 A 2582/02 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig.

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Zur Entscheidung des Rechtsstreits ist die erkennende Kammer berufen, nicht etwa eine Fachkammer für Disziplinarrecht. Bei dem hier zu entscheidenden Streit handelt es sich nicht um einen solchen über die Auslegung, die Tragweite oder die Folgen einer Disziplinarentscheidung im Sinne des zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch geltenden § 122 Abs. 1 NDO. Beispielhaft führt § 122 Abs. 3 NDO als einen solchen Streit über die Folgen einer Disziplinarentscheidung auch auf, dass der mit einem Disziplinarverfahren konfrontierte Beamte sich gegen Feststellungen der Einleitungsbehörde nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 NDO wendet. Nach dieser Rechtsvorschrift verfallen auf der Grundlage des § 92 NDO einbehaltene Beträge, wenn das Disziplinarverfahren aus den Gründen des § 63 Abs. 1 Nrn. 3 - 5 eingestellt worden ist. Eine derartige Fallgestaltung liegt hier vor. Dem Kläger war das Ruhegehalt durch die Disziplinarverfügung der Präsidentin des G. vom 08.08.1997 um ein Drittel gekürzt worden. Die Einstellungsverfügung vom 26.03.1999 stellt das eingeleitete Disziplinarverfahren gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 4 NDO ein und stellt zugleich fest, der einbehaltene Teil des Ruhegehaltes bleibe endgültig verfallen. Der Verfall ist zwar auf § 96 Abs. 1 Nr. 2 NDO gestützt, der den Verfall aufgrund eines Strafurteils regelt, das den Verlust der Rechte als Ruhestandsbeamter zur Folge hat. Diese Regelung ist aber inhaltsgleich mit der des § 96 Abs. 1 Nr. 3 NDO, sofern das Disziplinarverfahren aus den Gründen des § 63 Abs. 1 Nr. 4 NDO eingestellt worden ist. Deshalb wäre bei einem Streit um die verfallenden Bezüge auch hier der Antrag an die Disziplinarkammer nach § 122 Abs. 1 NDO der richtige Antrag gewesen. Ein solches Begehren, Nachzahlung der einbehaltenen Ruhegehaltsbezüge seit dem 08.08.1997, hat der Kläger zwar zunächst gegenüber dem Beklagten unter dem 21.12.2004 geltend gemacht, in diesem Umfang ist sein Begehren aber nicht rechtshängig geworden. Die Klage geht auf Zahlung von Versorgungsbezügen erst ab dem 01.04.1999, dem Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils nachfolgenden Monat. Von diesem Zeitpunkt ab ist die zur Entscheidung stehende Rechtsfrage nicht mehr eine solche über die Folgen einer Disziplinarentscheidung, sondern über die Folgen der strafgerichtlichen Verurteilung.

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Aus dem Gesagten folgt zugleich, dass das rechtsbeständig eingestellte Disziplinarverfahren der Zulässigkeit der hier erhobenen Klage nicht entgegen steht. Rechtsbeständig geworden ist neben der Einstellung allein der Ausspruch, dass der auf der Grundlage des § 92 NDO einbehaltene Teil des Ruhegehalts endgültig verfällt. Die Ausführungen zu den Rechtswirkungen des Strafurteils, nach dem der Kläger seine Rechte als Ruhestandsbeamter verloren habe, stellen sich als Begründungselement der disziplinarrechtlichen Entscheidung dar und stehen der Rechtsverfolgung des Klägers nicht entgegen.

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Auch das rechtskräftig gewordene Urteil der 13. Kammer des erkennenden Gerichts vom 29.04.2003 - 13 A 2582/02 - entfaltet keine Rechtskraftwirkung dahin, dass die erhobene Verpflichtungsklage unzulässig ist. Aus dem Urteil folgt gemäß § 121 VwGO, dass in Zukunft nicht festgestellt werden kann, der Kläger habe seine Rechte als Ruhestandsbeamter durch das rechtskräftige Urteil des E. nicht verloren. Nur insoweit ist über den Streitgegenstand entschieden worden. In den tragenden Gründen, die bei einem klageabweisenden Urteil zur Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft heranzuziehen sind, verweist der Einzelrichter der 13. Kammer den Kläger gerade auf das hier anhängig gemachte Verfahren. Eine Klage gegen den Beklagten des vorliegenden Verfahrens sei ein sachnäheres und wirksameres Verfahren. Diese Rechtsauffassung wird von der erkennenden Kammer zwar nicht geteilt, weil der Streit um den Verlust der Rechte als Ruhestandsbeamter der weitergehende ist als der hier anhängig gemachte. So stehen einem Ruhestandsbeamten nicht nur Versorgungsbezüge zu, sondern auch Beihilfeansprüche und weitere Rechtsfolgen ergeben sich auch für die Hinterbliebenen sowie in Bezug auf seine Dienstbezeichnung, vgl. § 44 NBG. Deshalb muss die Frage des Fortbestehens oder des Verlustes der Rechte eines Ruhestandsbeamten ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis sein. Jedenfalls aber in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem das rechtskräftig gewordene, klageabweisende Urteil über den Feststellungsantrag den Kläger auf eine Verpflichtungsklage verweist, kann dem Kläger der Einwand der Rechtskraft nicht entgegen gehalten werden.

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Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Versorgungsbezügen seit April 1999 ist auch nicht verwirkt. Trotz der bis zur Klageerhebung im Juni 2005 verflossenen langen Zeit (der Beklagte hat sich auf Verjährung im Übrigen nicht berufen) hat der Kläger für den Beklagten keine Anhaltspunkte dahin gesetzt, er werde an seinem Anspruch nicht festhalten (Umstandsmoment). Er hat vielmehr zunächst die Wiederaufnahme des strafgerichtlichen Verfahrens betrieben. Nachdem dieser Versuch erfolglos blieb, hat er im Februar 2002 die erörterte Feststellungsklage erhoben, in jenem Verfahren ist das Urteil erst mit dem Beschluss des Nds. OVG vom 10.12.2003 rechtskräftig geworden, der den Antrag auf Zulassung der Berufung ablehnt. Seinen hier verfolgten Anspruch hat der Kläger dann ein Jahr später bei dem Beklagten angemeldet. Auch nach dieser Frist musste der Beklagte damit noch rechnen, nachdem das Urteil vom 29.04.2003 den Kläger auf diese Rechtsschutzmöglichkeit verweist.

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In der Sache muss die Klage jedoch ohne Erfolg bleiben. Dem Kläger steht ein Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von Versorgungsbezügen für die Zeit ab dem 01.04.1999 nicht zur Seite. Der das entsprechende Begehren des Klägers ablehnende Bescheid des Beklagten vom 19.01.2005 geht zu Recht davon aus, dass der Kläger gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 BeamtVG i. V. m. § 43 NBG mit Rechtskraft des Urteils des E. vom 17.02.1997, die am 17.03.1999 eintrat, seine Rechte als Ruhestandsbeamter verloren hat. Deshalb dürfen ihm Versorgungsbezüge auch nicht ausgezahlt werden.

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Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG verliert ein Ruhestandsbeamter, gegen den wegen einer vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangene Tat eine Entscheidung ergangen ist, die nach Beamtenrecht zum Verlust der Beamtenrechte geführt hätte, mit Rechtskraft der Entscheidung seine Rechte als Ruhestandsbeamter. Nach § 43 Satz 1 Nr. 1 NBG endet das Beamtenverhältnis eines Beamten, der im ordentlichen Strafverfahren durch das Urteil eines deutschen Gerichts wegen einer vorsätzlichen Tat zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, mit der Rechtskraft dieses Urteils. Am 17.02.1997 verurteilte das Amtsgericht Bückeburg den Kläger wegen einer vorsätzlichen Tat, die er vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangen hat, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Dies folgt zur Überzeugung der Kammer aus folgenden Erwägungen:

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Der Wortlaut des § 43 NBG spricht vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung i. V. m. der Regelung in §§ 53 bis 55 StGB für eine Auslegung, dass mit der „einen“ vorsätzlichen Tat, an die die Vorschrift des § 43 NBG die Beendigung des Beamtenverhältnisses knüpft, das einem strafgesetzlichen Tatbestand zugeordnete konkrete Handeln oder Unterlassen bezeichnet ist. Dann käme es für die Frage, ob der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, nicht auf die Höhe der gegen ihn verhängten Gesamtstrafe an. Eine solche wird im Strafverfahren nämlich nur ausgeurteilt, wenn der Täter mehrere Straftaten begangen und dadurch mehrere Freiheitsstrafen verwirkt hat, vgl. § 53 Abs. 1 StGB. Auf diesen Wortlaut kann jedoch nicht maßgeblich abgestellt werden, wie sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes und seinem Sinn und Zweck ergibt.

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Der Wortlaut des § 43 NBG ist § 24 Abs. 1 BRRG nachgebildet, der seine noch heute gültige Fassung durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts gefunden hat (Art. 18 Nr. 1 des Gesetzes v. 25.06.1969, BGBl. I, S. 654, 664). Im Bundesgesetzblatt ist indessen nicht die vom Bundestag beschlossene Fassung verkündet worden (vgl. dazu im Einzelnen Hammacher, DÖD 1985, 81 f.). Der Gesetzentwurf geht auf den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform zurück, und sah für die Anpassung des § 24 BRRG die Formulierung „wegen vorsätzlicher Tat ... verurteilt wird“ vor (BT-Drucks. V/4049 S. 91). Diese Fassung sollte nach den Beratungen unverändert Gesetz werden, wie sich aus der Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages (in der Drucks. V/4170) ergibt. Auf der Grundlage der fehlerhaften Bekanntmachung ist dann auch das NBG geändert worden. Die Formulierung „wegen vorsätzlicher Tat“ und eben gerade nicht „wegen einer vorsätzlichen Tat“ entsprach auch der Rechtslage, wie sie vor dem Ersten Strafrechtsänderungsgesetz galt und wie sie nach dem Willen des Gesetzgebers unverändert fortgelten sollte. Unter Geltung des alten Rechts ist aber anerkannt, dass eine Gesamtstrafe von mindestens einem Jahr zum Verlust der Beamtenrechte führt (OVG Lüneburg, MDR 1954, 126 [OVG Niedersachsen 27.10.1953 - V A 381/53]).

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 10.06.1992, ZBR 1992, 314) ist ebenfalls anerkannt, dass eine zur Beendigung des Beamtenverhältnisses bzw. zum Verlust der Rechte als Ruhestandsbeamter führende Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr auch vorliegt, wenn wegen mehrerer vorsätzlicher Rechtsverletzungen eine Gesamtfreiheitsstrafe in dieser Höhe ausgesprochen wird. Die maßgebliche Erwägung des Gerichts, und dem schließt sich die Kammer an, geht dahin, dass Beamte, die sich besonders schwerwiegender Verstöße schuldig gemacht haben, als schlechthin untragbar für den öffentlichen Dienst kraft Gesetzes ihre Beamtenrechte verlieren, ohne dass es dazu noch eines Disziplinarverfahrens bedarf. Ein Beamter, der durch mehrere Rechtsverstöße eine Freiheitsstrafe von insgesamt einem Jahr oder mehr verwirkt hat, hat sich danach für den öffentlichen Dienst nicht weniger untragbar gemacht als ein Beamter, der eine solche Strafe bereits durch einen einzigen Rechtsverstoß verwirkt hat. Nach dem Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Regelung ist der mit der für die Automatik der kraft Gesetzes eintretenden Beendigung des Beamtenverhältnisses erforderliche eindeutige Anknüpfungspunkt auch im Falle eines auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr wegen vorsätzlicher Rechtsverletzungen lautenden Strafurteils gewahrt.

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Der Kläger hat die Tat, zu der er zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, auch vor Beendigung seines Beamtenverhältnisses begangen. Zutreffend weist er allerdings darauf hin, dass er mit Ablauf des Monats März 1993 in den Ruhestand versetzt wurde und die letzte, im Urteil des E. abgeurteilte Tat, die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung, im Dezember 1993 begangen hat. Wenn also eine Gesamtstrafe ausreicht, der Rechte eines Ruhestandsbeamten verlustig zu gehen, so muss diese sich aus Taten ergeben, die vor Beendigung des Beamtenverhältnisses lagen. Der Amtsrichter hat für die vier Taten zwar Einzelstraftaten ausgeurteilt (Betrug zehn Monate, versuchter Betrug vier Monate, zwei falsche eidesstattliche Versicherungen jeweils 90 Tagessätze), die Bildung seiner Gesamtstrafe von vierzehn Monaten aber nicht näher begründet. Ausgangspunkt der Gesamtstrafenbildung ist § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB. Danach wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, hier also durch Erhöhung der Freiheitsstrafe von zehn Monaten wegen vollendeten Betruges gebildet. Bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen entsprechen die 90 Tagessätze für die Verurteilung wegen einer falschen eidesstattlichen Versicherung einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, vgl. § 54 Abs. 3 StGB. Rein rechnerisch ergibt sich auch bei Außerachtlassung der im Dezember 1993 begangenen eidesstattlichen Versicherung eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwölf Monaten. Die zur Erhöhung der wegen vollendeten Betruges verwirkten höchsten Strafe von zehn Monaten anzusetzenden Einzelstrafen ergeben weitere zehn Monate, aus denen bei der Gesamtstrafenbildung der Amtsrichter vier weitere Monate ausgeurteilt hat. Der Anteil der hier auszublendenden drei Monate ist danach so gering, dass er auf die Gesamtstrafe von vierzehn Monaten mit weniger als einem Monat durchschlägt.

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Wegen der Regelung des § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB, nach der bei Bildung der Gesamtstrafe die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend zu würdigen sind, hat das Strafurteil die Höhe der Gesamtstrafe nicht aufgrund einer rein schematischen, im Rechenwege gefundenen Betrachtung festgesetzt. Eine solche rechnerische Betrachtungsweise würde die wegen des versuchten Betruges und der beiden falschen eidesstattlichen Versicherungen verhängten insgesamt zehn Monate Freiheitsstrafe, die zur Erhöhung der Einsatzstrafe von zehn Monaten um weitere vier Monate führten, in Relation zu drei Monaten Freiheitsstrafe für die nach Versetzung in den Ruhestand begangene Tat setzen. Der Anteil dieser Tat an der Straferhöhung um vier Monate betrüge danach weniger als einen Monat. Nun richtet sich das Gebot des § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB an den Strafrichter, der die Bemessung der Gesamtstrafe vorzunehmen hat. Die Kammer hingegen kennt das vom Strafrichter gefundene Ergebnis sowie die vom Kläger jeweils verwirkten Einzelstrafen und ist deshalb in der Lage, die Gesamtstrafenbildung wertend nachzuvollziehen, auch wenn insoweit das Strafurteil eine Begründung vermissen lässt. Für die Einschätzung der Kammer, dass die strafrichterliche Einzelfallwürdigung dem rechnerisch gefundenen Ergebnis nahe kommt, bedarf es keiner ergänzenden Ermittlungen und Feststellungen, die - worauf der Kläger zu Recht hinweist - der Kammer verwehrt sind (vgl. BVerwG, U. v. 28.05.1998, E 107, 34). Im dortigen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen für den Rechtsverlust nach § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG nicht feststellen können, da das Strafurteil keine tatsächlichen Feststellungen in Bezug auf die zeitliche Zuordnung der Straftat enthielt. Dem Strafgericht genügte die Feststellung eines bestimmten zeitlichen Rahmens, es hat aber keine näheren Angaben zu den mindestens zwanzig Fällen strafbaren Verhaltens getroffen. Für das Verwaltungsgericht war daher nicht feststellbar, ob ein Teil der strafbaren Handlungen noch vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangen war, dahingehende Feststellungen oder Würdigungen waren dem Verwaltungsgericht untersagt. So liegt es hier indessen nicht. Das Urteil des E. vom 17.02.1997 trifft alle die tatsächlichen Feststellungen, die erforderlich sind, um die Taten des Klägers an der Norm des § 59 Abs. 1 BeamtVG zu messen. Auch die dafür notwendigen normativen Grundlagen finden sich in dem Urteil, weil die vier Einzelstraftaten sowohl vom Tatzeitpunkt her bestimmt sind wie auch für sie eine konkrete Freiheits- bzw. Geldstrafe ausgeworfen wird. Ausgehend von der verhängten Gesamtstrafe kann deshalb die Kammer ohne zusätzliche Feststellungen und Würdigungen zu dem Ergebnis kommen, dass das Amtsgericht Bückeburg den Kläger wegen einer vorsätzlichen Tat, die er vor Beendigung seines Beamtenverhältnisses begangen hat, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilte.

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Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.