Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.07.2011, Az.: 32 Ss 62/11

Anforderungen an das fahrlässige Fahren ohne Fahrerlaubnis nach Maßgabe des § 21 StVG; Erreichen einer wesentlich über der durch seine Bauart bestimmten liegenden Höchstgeschwindigkeit bei einem im öffentlichen Straßenverkehr geführten Kraftfahrzeug; Notwendigkeit einer substantiierten Beweiswürdigung zum Nachweis der Höchstgeschwindigkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.07.2011
Aktenzeichen
32 Ss 62/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 31336
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0714.32SS62.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
StA Verden - AZ: 424 Js 39295/10
AG Diepholz - 01.03.2011

Fundstelle

  • NJW 2012, 10

In der Strafsache gegen Verteidiger: Rechtsanwalt Dyx, Diepholz - wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Diepholz vom 1. März 2011 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Meier, den Richter am Oberlandesgericht Bornemann und den Richter am Landgericht de Lippe am 14. Juli 2011 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Diepholz zurückverwiesen.

Gründe

1

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrererlaubnis zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 EUR verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Angeklagte, der im Besitz der Fahrerlaubnis der Klassen B, M, S und L ist, am 21. September 2010 um 16:32 Uhr mit dem Kleinkraftrad vom Typ Piaggio, einem Roller, Versicherungskennzeichen 895 DDL, in Diepholz u.a. die Heeder Dorfstraße. Das Amtsgericht hat weiter festgestellt:

"Der Angeklagte fiel den Polizeibeamten Hartke und Diekamp durch eine augenscheinlich hohe Geschwindigkeit auf. Auf einer Strecke von ca. 100 m folgten sie dem Zweirad mit gleichbleibendem Abstand und lasen vom Tacho des Funkstreifenwagens eine Geschwindigkeit von 60 km/h ab.

Der Angeklagte wurde sodann angehalten und gab im Rahmen der Kontrolle an, dass das Kleinkraftrad ca. 65 km/h laufe."

2

Das Amtsgericht hat die getroffenen Feststellungen auf die Äußerung des Angeklagten vor Ort - welche er nach erfolgter Belehrung wiederholt hatte - sowie auf die durch Nachfahren erfolgte Geschwindigkeitsmessung durch die Polizeibeamten Hartke und Diekamp gestützt.

3

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Sprungrevision. Er beanstandet die Verletzung formellen und materiellen Rechtes.

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision zu verwerfen.

5

Die statthafte und auch im Übrigen zulässig eingelegte Sprungrevision hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, sodass es eines Eingehens auf die - nicht zulässig erhobene - Verfahrensrüge nicht bedarf.

6

Das Amtsgericht geht im Grundsatz zutreffend davon aus, dass sich derjenige nach § 21 Abs. 1, Abs. 2 StVG strafbar macht, der ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Verkehr führt, welches auch ohne Vornahme technischer Veränderungen eine Geschwindigkeit erreicht, die wesentlich über der durch seine Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit liegt, und die dafür erforderliche Fahrerlaubnis nicht besitzt. Eine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis setzt in einem solchen Fall jedoch die tatrichterliche Feststellung voraus, dass das Fahrzeug die bauartmäßig zugelassene Geschwindigkeit erheblich überschreitet. Die Grenze für eine erhebliche Überschreitung der bauartmäßig zugelassenen Höchstgeschwindigkeit wird in der Rechtsprechung mit 20% bemessen (vgl.OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. Januar 2003 -1 Ss 73/02 -juris). Ein einmaliges Überschreiten dieser Grenze genügt zudem nicht, vielmehr muss es sich um eine dauerhafte Veränderung des Fahrverhaltens des Kraftfahrzeuges handeln, sodass eine über diesen Grenzwert liegende Geschwindigkeit bei ebener Fahrtstrecke stets wieder erreicht werden kann (vgl. ebenda).

7

Das angefochtene Urteil enthält hierfür jedoch keine hinreichenden Feststellungen. Zwar ist der Beweiswürdigung zu entnehmen, dass das Amtsgericht eine mögliche Geschwindigkeit des Rollers zwischen 60 und 65 km/h zugrunde gelegt hat, es hat jedoch nicht festgestellt, dass diese Geschwindigkeit von dem Roller auf ebener Strecke jederzeit erreicht werden kann.

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2.

Die von dem Amtsgericht zugrunde gelegte Höchstgeschwindigkeit des Rollers wird zudem von der Beweiswürdigung nicht getragen. Die durch die Polizeibeamten mittels Nachfahrens gemessene Geschwindigkeit von 60 km/h vermag diese Feststellungen nicht zu tragen. Erfolgt die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit einem Polizeifahrzeug ohne geeichten Tachometer, ist nach der ständigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ein Sicherheitsabzug von 20% der abgelesenen Geschwindigkeit zu machen (vgl: Senat, NZV 2005, 158 f. [OLG Celle 25.10.2004 - 222 Ss 81/04 (Owi)]) Im vorliegenden Fall würde dies bedeuten, dass lediglich eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 48 km/h zugrunde zu legen wäre. Zudem wäre es erforderlich gewesen, die wesentlichen Umstände der Geschwindigkeitsermittlung wie die Länge der Messstrecke und die Abstandsverhältnisse zwischen dem Motorroller und dem nachfolgenden Polizeifahrzeug mitzuteilen (vgl. OLG Hamm,VRS 102, 302 f. -juris).

9

Das Amtsgericht konnte seine Feststellung jedoch auch nicht auf die Angabe des Angeklagten, der Roller fahre 65 km/h, stützen. Das Amtsgericht teilt hierbei bereits nicht mit, auf welche Weise der Angeklagte davon Kenntnis erlangt hat, dass der Roller 65 km/h schnell fährt. Zwar ist die Annahme naheliegend, der Angeklagte habe diese Geschwindigkeit von dem in dem Motorroller eingebauten Tachometer abgelesen. Aber selbst dieses würde die Feststellung, der Motorroller fahre bis zu 15 km/h schneller als bauartbedingt erlaubt, nicht zulassen, denn hierzu müsste weiter festgestellt werden, dass der Tachometer des Motorrollers die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit exakt und ohne Messfehler anzeigt.

10

3.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung zusätzliche Feststellungen getroffen werden, die eine Verurteilung rechtfertigen. In Betracht käme namentlich eine technische Untersuchung des Motorrollers durch einen Sachverständigen. Zwar ist dem Urteil zu entnehmen, dass sich der Motorroller inzwischen nicht mehr im Besitz des Angeklagten befindet, dies hindert jedoch eine Begutachtung nicht.

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Das angefochtene Urteil war daher nach §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Diepholz zurückzuverweisen.

Dr. Meier
Bornemann
de Lippe