Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 21.07.2011, Az.: 2 Ws 166/11
Räumlicher Geltungsbereich der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden in der Sitzung hinsichtlich außerhalb des Saals stattfindender und in den Saal hineinwirkender Störungen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 21.07.2011
- Aktenzeichen
- 2 Ws 166/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 23475
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0721.2WS166.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Lüneburg - 03.01.2011 - AZ: 15 Cs 246/10
Rechtsgrundlagen
- § 176 GVG
- § 178 GVG
- § 182 GVG
- § 34 StPO
Fundstellen
- NStZ 2012, 592
- StRR 2011, 434
Verfahrensgegenstand
Hausfriedensbruch
hier Ordnungsgeldverfahren gegen C. S. L.,
Amtlicher Leitsatz
Der räumliche Geltungsbereich der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden in der Sitzung im Sinne der §§ 176 ff. GVG erfasst auch solche Störungen, die zwar außerhalb des Gerichtsgebäudes stattfinden, die dabei jedoch unmittelbar in den Sitzungssaal hineinwirken (hier: Schlagen gegen das Fenster des Sitzungssaales von außen).
In der Strafsache
...
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Beschwerde der Betroffenen C. S. L. vom 31.03.2011
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 03.01.2011
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx,
den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx und
den Richter am Landgericht xxxxxxxx
am 21.07.2011
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten der Beschwerdeführerin verworfen.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung ist dadurch erledigt.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
Gründe
I.
Am 03.01.2011 verhandelte das Amtsgericht - Strafrichterin - Lüneburg gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des Hausfriedensbruchs. Zuvor hatte der Angeklagte die Beschwerdeführerin, die keine Rechtsanwältin ist, mit Genehmigung des Gerichts als seine Verteidigerin gewählt. Diese Genehmigung hatte das Gericht mit Beschluss vom 07.12.2010 zurückgenommen. An der Hauptverhandlung vom 03.01.2011 nahm die Beschwerdeführerin als Zuschauerin teil.
Am Schluss der Sitzung erließ die Vorsitzende auf Antrag des Vertreters der Staatsanwaltschaft gegen die Beschwerdeführerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,- EUR, ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft, weil sie "entgegen mehrfacher Aufforderung die Hauptverhandlung störte".
Dem liegt ein Vorgang zugrunde, der in der Sitzungsniederschrift wie folgt wiedergegeben wird:
"Während der Zeugenvernehmung sprang ein Zuschauer aus der hintersten Reihe auf und stürmte zum Angeklagten, warf einen Zettel auf den Tisch und verließ schnellstens den Sitzungssaal.
C. L. wurde aufgefordert, den Saal zu verlassen, da sie wiederholt störend dazwischen rief. Ihr wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Sie verweigerte sich, den Saal zu verlassen und musste mit Hilfe der Justizwachtmeister aus dem Saal entfernt werden. Dabei ließ sie sich fallen.
(...)
Die Zeugenvernehmung wurde fortgesetzt.
(...)
Plötzlich war C. L. von außen auf den Fenstersims geklettert, schaute in den Sitzungssaal und schlug mehrfach mit den Händen störend gegen das Fenster.
(...)
C. L. wurde durch Justizwachtmeister vom Fenstersims entfernt."
Eine Abschrift des mündlich verkündeten Ordnungsmittelbeschlusses wurde der Beschwerdeführerin am 31.03.2011 zugestellt. Mit dem Rechtsmittel der Beschwerde, das beim Amtsgericht am 04.04.2011 eingegangen ist, wendet sie sich gegen die Festsetzung der Ordnungsmittel dem Grunde nach. Sie wendet insbesondere ein, das Gericht habe seine sitzungspolizeiliche Befugnis überschritten, weil es sich bei dem Vorgang um eine - angebliche - Störung außerhalb des Gerichtsgebäudes gehandelt habe. Hier einzugreifen sei Sache der Polizei. Zudem hätte sie vom Gericht angehört werden müssen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Das nach § 181 Abs. 1 GVG statthafte und rechtzeitig erhobene Rechtsmittel führt in der Sache nicht zum Erfolg.
Das Amtsgericht hat das Ordnungsgeld sowie die ersatzweise verhängte Ordnungshaft gem. § 178 Abs. 1 GVG sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht festgesetzt. Die Beschwerdeführerin hat sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig gemacht.
1.
Ungebühr vor Gericht umfasst alle Verhaltensweisen, die den ordnungsgemäßen Ablauf der Sitzung gefährden oder beeinträchtigen und die Würde des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten angreifen oder missachten. Die Ordnungsmittel des§ 178 GVG können insbesondere als Antwort auf grobe Verletzungen und bewusste Provokationen eingesetzt werden (KK-Diemer, StPO, 6. Aufl., 2008, § 178 GVG, Rdnr. 1, 2).
Die Beschwerdeführerin hat, indem sie während der laufenden Hauptverhandlung mehrfach mit den Händen gegen das Fenster des Sitzungssaals schlug, störenden Lärm und Aufsehen erregt und damit unter Missachtung der Würde des Gerichts den Ablauf der Sitzung beeinträchtigt.
2.
Die Ungebühr hat sich auch "in der Sitzung" im Sinne des § 178 Abs. 1 S. 1 GVG zugetragen.
Die "Sitzung" - auf die sich die polizeilichen Befugnisse des Vorsitzenden (§ 176 GVG) zeitlich wie räumlich beschränken - erstreckt sich in örtlicher Hinsicht neben dem Sitzungssaal auch auf die unmittelbar angrenzenden Räume, von denen Störungen ausgehen können (KK-Diemer, a.a.O., § 176 GVG, Rdnr. 2). Außerhalb dieses Bereiches, z.B. im Treppenhaus, in der Eingangshalle des Gerichts oder außerhalb des Gebäudes auf der Straße obliegt die Abwehr von Störern dem Inhaber des Hausrechts. Bei Störungen der Hauptverhandlung, die lediglich in Sicht- und Hörweite des Gerichtsgebäudes stattfinden, einzugreifen ist Sache der Polizei (Löwe-Rosenberg-Wickern, StPO, 26. Aufl., 2010, § 176 GVG, Rdnr. 6).
Die Beschwerdeführerin hat sich auf dem Fenstersims stehend zwar räumlich außerhalb des Gerichtsgebäudes aufgehalten. Dabei hat sie jedoch unmittelbar in das Innere des Sitzungssaals eingewirkt. Sie war für die dortigen Beteiligten durch das Fenster optisch wie akustisch wahrnehmbar, und zwar in einer ähnlichen Art, als hätte sie sich im Sitzungssaal aufgehalten oder vor dessen Tür gestanden. Die Qualität der Einwirkungshandlung - das Schlagen mit den Händen gegen das Fenster - unterscheidet sich nicht wesentlich dadurch, ob sie von außen oder von innen vorgenommen wird. Aus diesem Grund ist die Handlung auch anders zu beurteilen, als hätte sie auf der Straße in Sicht- und Hörweite des Gerichtsgebäudes stattgefunden, aber nicht direkt in den Sitzungssaal hineingewirkt. Die Einwirkung durch die Beschwerdeführerin vom Fenstersims aus ist so eng mit dem Geschehen im Sitzungssaal verbunden, dass auch die Aufrechterhaltung der Ordnung in diesem Bereich sinnvoll nur von der Vorsitzenden wahrgenommen werden konnte. Sie ist normativ nicht anders zu beurteilen als eine Störung, die von einem unmittelbar angrenzenden Raum aus erfolgt.
3.
Die Förmlichkeit des § 182 GVG - Protokollierung des in der Sitzung verkündeten Beschlusses und dessen Veranlassung - ist beachtet worden.
Der Ordnungsmittelbeschluss enthält zwar entgegen § 34 StPO keine Begründung, aus der ersichtlich wird, welcher Ungebühr konkret sich die Betroffene schuldig gemacht hat. Dieser Mangel führt jedoch nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass das Fehlen einer Begründung durch ausdrückliche oder auch nur stillschweigende Bezugnahme auf den Protokollvermerk über die Veranlassung ersetzt werden kann, wenn nach der Darstellung im Protokoll die Gründe der Entscheidung außer Zweifel stehen und auch das Beschwerdegericht die Entscheidung ohne eigene Erhebungen nachprüfen kann (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1988, 238, m.w.N.). Das ist hier der Fall.
Auch für die Beschwerdeführerin standen die Entscheidungsgründe offenkundig außer Zweifel. Dies ergibt sich bereits aus ihrem konkreten Vorbringen zu dem Vorfall in ihrem Beschwerdeschreiben vom 31.03.2011, den sie bereits am Tag der Zustellung der angefochtenen Entscheidung verfasst und per Fax beim Senat angebracht hat.
4.
Unschädlich ist, dass der Beschwerdeführerin vor Erlass des Ordnungsmittelbeschlusses entgegen § 33 Abs. 1 StPO, Art. 103 Abs. 1 GG kein rechtliches Gehör gewährt worden ist.
Von der Anhörung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn die Ungebühr und der Ungebührwille außer Frage stehen und die Anhörung der Betroffenen nur zu weiteren Ausfällen Gelegenheit gegeben hatte (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., 2011, § 178 GVG, Rdnr. 14; Löwe-Rosenberg-Wickern, a.a.O., § 178 GVG, Rdnr. 36, jeweils m.w.N.).
Ausweislich der Sitzungsniederschrift hatte die Beschwerdeführerin bereits kurz vor dem Vorfall auf dem Fenstersims die Hauptverhandlung durch wiederholte Zwischenrufe gestört und musste deswegen - nach Anhörung - aus dem Sitzungssaal entfernt werden. Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der Tatsache, dass sie selbst von dem Fenstersims durch Justizwachtmeister entfernt werden musste, war mit einer Fortsetzung ihres provokanten Verhaltens auch in einer erneuten Anhörung zu rechnen.
5.
Die Höhe des verhängten Ordnungsgeldes ist angesichts des aufgezeigten Verhaltens der Beschwerdeführerin nicht zu beanstanden. Bei dem gesetzlichen Rahmen von bis zu 1.000,- EUR (§ 178 Abs. 1 S. 1 GVG) liegt ein Ordnungsgeld von 150,-EUR im vertretbaren Bereich. Die Anordnung der ersatzweise zu vollstreckenden Ordnungshaft von 3 Tagen begegnet angesichts des Höchstmaßes von einer Woche (§ 178 Abs. 1 S. 1 GVG) ebenfalls keinen Bedenken.
III.
Mit der Hauptsacheentscheidung über das Rechtsmittel der Beschwerde ist der Antrag nach § 307 Abs. 2 StPO auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung gegenstandslos geworden, so dass der Senat hierüber nicht mehr zu befinden hatte. Stattdessen war der Antrag - ohne Kostenentscheidung - für erledigt zu erklären.
IV.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.