Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.03.2008, Az.: 5 K 602/03
Pauschalbesteuerung des Abverkaufs der "letzten Ernte" eines Landwirts nach Aufgabe des Betriebes gem. § 24 Umsatzsteuergesetz (UStG); Vorsteuerberichtigung bei Aufgabe oder Veräußerung eines landwirtschaftlichen Betriebes
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 06.03.2008
- Aktenzeichen
- 5 K 602/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 15858
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2008:0306.5K602.03.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 19.11.2009 - AZ: V R 16/08
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs. 3 UStG
- § 19 Abs. 1 UStG
- § 24 UStG
- Art. 25 6. EG-Richtlinie
Fundstellen
- DStR 2008, X Heft 37 (Kurzinformation)
- DStRE 2008, 1394-1395 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2008, 1420-1421 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- KÖSDI 2008, 16287 (Kurzinformation)
- NWB direkt 2008, 10
- Jurion-Abstract 2008, 228761 (Zusammenfassung)
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Der Abverkauf der "letzten Ernte" eines Landwirts nach Aufgabe des Betriebes unterliegt der Pauschalbesteuerung nach § 24 UStG.
Tatbestand
Die Kläger sind die Erben des verstorbenen Landwirts K. Herr K. betrieb in B. einen landwirtschaftlichen Betrieb. Seine Umsätze, die laut Buchführung 61.634,98 DM ausmachten, versteuerte er pauschal nach § 24 UStG. Mit Pachtverträgen vom 1.5.1996 verpachtete er die landwirtschaftlichen Nutzflächen mit Wirkung zum 1. Oktober 1996. Die Wirtschaftsgebäude, Vorräte, Maschinen und stehende Ernte behielt er zurück.
In der Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1996 lieferte Herr K. - nach seiner Buchführung - Zuckerrüben im Werte von 27.668,07 DM brutto an die Zucker-Aktiengesellschaft U.. Außerdem erhielt er eine Anfuhrentschädigung i.H.v. 1.964,69 DM.
Herr K. gab für das Streitjahr keine Umsatzsteuererklärung ab, da er die Auffassung vertrat, auch die nach dem 1. Oktober 1996 erzielten Erlöse aus dem Verkauf der Zuckerrüben unterlägen der Pauschalbesteuerung nach § 24 UStG.
Das Finanzamt vertrat dagegen die Auffassung, dass die nach Verpachtung der landwirtschaftlichen Flächen erzielten Erlöse nicht der Pauschalbesteuerung nach § 24 UStG unerlägen. Der Kläger sei zwar Kleinunternehmer i.S.d. § 19 Abs. 1 UStG, es sei aber anzunehmen, dass er in seinen Ausgagngsrechnungen Umsatzsteuer in Höhe von 9,5% gesondert ausgewiesen habe. Er schulde deshalb die Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG. Die Umsatzsteuer ermittelte das Finanzamt wie folgt:
Bruttoerlöse für Zuckerrübenlieferungen nach dem 01.01.1996 | 27.668,07 DM |
---|---|
Anfahrtsentschädigung | 1.964,69 DM |
Summe | 29.632,76 DM |
ausgewiesene Umsatzsteuer (9,5%) | 2.570,88 DM |
Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Es führte zur Begründung aus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Anwendung des § 24 UStG voraussetze, dass der Steuerpflichtige einen aktiv bewirtschafteten land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalte. Diese Voraussetzungen seien mit der Verpachtung der landwirtschaftlichen Flächen ab dem 1. Oktober 1996 nicht mehr gegeben.
Hiergegen richtet sich die Klage, zu deren Begründung die Kläger vortragen:
Die Verpachtung der landwirtschaftlichen Flächen sei zwar nominell zum 1. Oktober 1996 erfolgt. Herr K. sei jedoch mit dem Pächter einig gewesen, dass die stehende Ernte von ihm noch abzuernten sei. Deswegen seien die Flächen früher oder später - je nach dem Zeitpunkt der Ernte der Feldfrüchte - übergeben worden. Die Zuckerrüben seien deshalb zu einem Zeitpunkt veräußert worden, in dem Herr K. tatsächlich noch Teile seiner landwirtschaftlichen Fläche bewirtschaftet habe.
Die Kläger sind außerdem der Auffassung, dass die pauschale Besteuerung nach § 24 UStG alle Umsätze des landwirtschaftlichen Unternehmers erfasse, die durch die Nutzung des Grund und Bodens erwirtschaftet würden. Dies müsse unabhängig davon gelten, ob im Zeitpunkt der Veräußerung der landwirtschaftlichen Produkte die Produktionsflächen noch vom Erzeuger bewirtschaftet würden oder nicht.
Die Kläger beantragen,
den Umsatzsteuerbescheid 1996 vom ......2001 unter Aufhebung des Einspruchsbescheides vom .....2003 dahingehend abzuändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 DM festgesetzt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Finanzamt hält an seiner im Einspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Umsätze aus dem Verkauf der Zuckerrüben unterliegen der Besteuerung nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG.
Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 UStG ist für die Anwendung der Durchschnittsbesteuerung Voraussetzung, dass die Umsätze im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführt werden. Landwirtschaft ist die planmäßige Nutzung des Bodens und die Verwertung der daraus gewonnenen pflanzlichen oder tierischen Produkte (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 2001 V R 43/00, BStBl II 2002,701, BFHE 197,330. Hierunter fällt auch der Verkauf der von Herrn K. selbst erzeugten Zuckerrüben.
Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs - BFH - unterliegen nur Umsätze der Pauschalbesteuerung nach § 24 UStG, die in einem noch aktiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen Betrieb erzielt werden (vgl. BFH-Urteile vom 21. Februar 1980 V R 113/73, BFHE 131,104, BStBl II 1980, 613 und vom 21. April 1993 XI R 50/90, BFHE 171, 129, BStBl II 1993, 696; offen gelassen im Urteil vom 12.10.2006 V R 36/04, BFHE 215,356, BStBl II 2007, 485. So auch Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 31. März 2003, 4 K 282/01, EFG 2003, 1055 und Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. April 2004, 6 K 1254/02, EFG 2004, 1410). Nach dieser Auffassung wäre der Abverkauf der letzten Ernte nach Verpachtung der wesentlichen Betriebsgrundlagen und Einstellung des landwirtschaftlichen Betriebs nach allgemeinen Grundsätzen der Umsatzsteuer zu unterwerfen und fiele nicht unter die Pauschalierung nach § 24 UStG.
Der Senat ist der Auffassung, dass bei richtlinienkonformer Auslegung auch solche Umsätze der Durschschnittsbesteuerung nach § 24 UStG unterliegen. Die Vorschrift findet ihre gemeinschaftsrechtliche Grundlage in
Art. 25 6. EG-Richtlinie. Danach können die Mitgliedstaaten für landwirtschaftliche Erzeuger eine Pauschalregelung anwenden. Nach Art. 25 Abs. 2 Spiegelstrich 1 und 2 6. EG-Richtlinie in Verbindung mit Anhang A sind landwirtschaftliche Erzeuger auch Betriebe des Ackerbaus im Allgemeinen.
Wie der EuGH in seinem Urteil vom 15. Juli 2004 ausgeführt hat (C - 321/02, EuGHE 2004, 7101) kommt eine pauschale Besteuerung nach Art. 25 6. EG-Richtlinie nicht allein deshalb in Betracht, weil der Leistende landwirtschaftlicher Erzeuger ist. Vielmehr müssen alle in der Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt sein. Eine pauschale Besteuerung setzt deshalb voraus, dass der Leistende landwirtschaftliche Erzeugnisse liefert oder landwirtschaftliche Dienstleistungen im Sinne des Art. 25 Abs.2 6. EG-Richtlinie in Verbindung mit Anhang A und Anhang B erbringt. Für die Frage, ob Umsätze der Pauschalbesteuerung unterliegen, stellt der EuGH somit nicht in erster Linie auf formale Kriterien ab, sondern auf den wirtschaftlichen Gehalt der erbrachten Leistung.
Bei dem Verkauf der letzten Ernte erfolgen alle Produktionsschritte für die Erzeugung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse innerhalb eines aktiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen Betriebs. Nur der Verkauf dieser Erzeugnisse findet im Abwicklungsstadium des Betriebes statt. An dem Charakter der Leistung als Verwertung von in landwirtschaftlicher Urproduktion erzeugter Produkte ändert sich dadurch nichts. Anknüpfend an die oben zitierte Rechtsprechung des EuGH, nach der es für die Pauschalierung der Umsätze nicht allein auf die Eigenschaft als landwirtschaftlicher Unternehmer ankommen kann, ist auch in dieser Fallkonstellation nicht allein maßgebend, ob noch aktiv bewirtschafteter landwirtschaftlicher Betrieb besteht.
Diese Auslegung rechtfertigt sich auch in Hinblick auf die mit § 24 UStG bzw. Art. 25 6. EG-Richtlinie verfolgten Zwecke. Der EuGH hat in dem genannten Urteil ausgeführt, dass die Bedeutung von Art. 25 6. EG-Richtlinie insbesondere in seinem Anwendungsbereich auch unter Berücksichtigung des mit der Vorschrift verfolgten Ziels zu beurteilen sei. Danach sollen Landwirte, die für die von ihnen bezogenen Eingangsleistungen keinen Vorsteuerabzug geltend machen können, dadurch entlastet werden, dass sie für ihre landwirtschaftlichen Tätigkeiten einen Pauschalausgleich gezahlt erhalten, wenn sie landwirtschaftliche Erzeugnisse verkaufen oder landwirtschaftliche Dienstleistungen erbringen.
Wollte man die im Abwicklungsstadium anfallenden Umsätze der allgemeinen Umsatzbesteuerung unterwerfen würde die Systematik des Pauschalierungsverfahrens gestört. Die Neutralität der Umsatzsteuer in diesem Verfahren wird dadurch erreicht, dass der pauschal versteuernde Landwirt bei dem Verkauf der landwirtschaftlichen Erzeugnisse von der Umsatzsteuer entlastet wird, die er zunächst bei Bezug der Eingangsleistungen zu tragen hat. Wird die "letzte Ernte" nach allgemeinen Grundsätzen besteuert, tritt diese Entlastung von der Eingangsumsatzsteuer nicht ein (vgl. Zaisch in Leingärtner, Besteuerung der Landwirte, § 57, Rdz. 37).
Das Problem der Belastungsneutralität wird im übrigen auch von der Finanzverwaltung gesehen. So sieht das BMF-Schreiben vom 6. Dezember 2005 (IV A 5 - S 7316 - 25/05, BStBl I 2005, 1068, 1083) vor, dass bei Aufgabe oder Veräußerung eines landwirtschaftlichen Betriebes gemäß § 24 UStG eine Vorsteuerberichtigung nach § 15 a Abs. 2 UStG in Betracht komme. Dieser Vorsteuerbetrag soll danach in Anlehnung an § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG nach den dort maßgebenden Durchschnittsätzen für die Veräußerungsumsätze geschätzt werden können. In diesem Sinne hat auch das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 08.04.2004 im Rahmen der Vorsteuerkorrektur nach § 15 a UStG die Vorsteuer nach gleichen Grundsätzen geschätzt.
Eine solche Schätzung der Vorsteuer ist nach dem Urteil des BFH vom 12.10.2006 V R 36/04 grundsätzlich nicht möglich. Vielmehr ist danach für eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15 a UStG beim Wechsel von der Besteuerung nach Durchschnittsätzen zur Regelbesteuerung grundsätzlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 UStG vorlagen, insbesondere ob über die Eingangsleistungen Rechnungen i.S.d. § 14 UStG vorlagen. Auch insoweit ist die Anwendung der Pauschalbesteuerung auf einem Sachverhalt wie diesen aus Praktikabilitätsgründen vorzuziehen.
Nach alledem kommt es für die Entscheidung des Streitfalles nicht mehr darauf an, ob Herr K. Kleinunternehmer war, die Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 oder § 14 Abs. 3 UStG schuldet, ob Gutschriften, wie sie im Streitfall vorliegen, im Rahmen des § 14 Abs. 3 UStG als "Rechnung" anzusehen sind und ob ggf. bei Anwendung von § 14 Abs. 2 UStG die Umsatzsteuer im Zeitpunkt der Leistung oder erst im Zeitpunkt der Erteilung der Gutschrift entsteht (vgl. hierzu Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 23. August 2001, 5 K 534/96, EFG 2001, 1576). Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass Gutschriften der Zuckerfabrik mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer nur über einen Betrag i.H.v. 22.928,58 DM Bemessungsgrundlagen und 2.178,22 DM Umsatzsteuer vorliegen, so dass auf Grundlage der Auflassung des Finanzamt eine Steuerfestsetzung allenfalls in dieser Höhe in Betracht käme.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.