Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 21.10.1999, Az.: 1 RE-Miet 3/99

Mietzinszahlungen

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
21.10.1999
Aktenzeichen
1 RE-Miet 3/99
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1999, 18226
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1999:1021.1RE.MIET3.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG ... - AZ: 6 S 125/99
AG ... - AZ: 116 C 1154/98

Fundstellen

  • WuM 1999, 684-686 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZMR 2000, 18-20

In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
den Präsidenten des Oberlandesgerichts ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
im Wege des Rechtsentscheids
am 21. Oktober 1999 beschlossen:

Tenor:

Ein Rechtsentscheid ergeht nicht.

Gründe

1

I.

Der Kläger verlangt von seinen Vermietern, den Beklagten, die Rückzahlung vermeintlich überhöhten Mietzinses.

2

Der Kläger mietete gemeinsam mit seiner Ehefrau, die ihre Ansprüche ihn abgetreten hat, von den Beklagten ab 01.06.1994 eine 148 qm große 5-Zimmer-Wohnung im Hause ... ... in .... Das Mietverhältnis, das bis 31.05.1999 befristet war, endete vorzeitig Ende Februar 1999. Es war eine Staffelmiete vereinbart, die zunächst 1.700,00 DM monatlich (ohne Nebenkosten) betrug und sich jährlich um Beträge zwischen 60,00 DM und 65,00 DM monatlich erhöhte.

3

Der Kläger hat behauptet, dass 1994 ... eine Mangellage an Wohnungen bestanden habe, die die Beklagten zur Forderung einer den ortsüblichen Mietzins wesentlich übersteigenden Miete ausgenutzt hätten. Der Kläger hat einen Rückforderungsanspruch von 21.760,00 DM errechnet.

4

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 21.760,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18.03.1998 zu zahlen.

5

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Die Beklagten haben behauptet, der vereinbarte Mietzins übersteige den ortsüblichen Vergleichsmietzins nicht wesentlich. Sie hätten ein etwaiges geringes Angebot an Wohnungen schon deswegen nicht ausgenutzt, weil der Kläger eine großzügig geschnittene Wohnung ohne Rücksicht auf die Höhe des Mietzinses habe anmieten wollen.

7

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da für Wohnungen wie die hier vermietete ein eigentlicher Markt nicht existiere und derart große Wohnungen von der damals noch verstärkten Nachfrage aufgrund der Wiedervereinigung Deutschlands nicht betroffen gewesen seien; die Beklagten hätten eine etwaige Wohnungsmangellage jedenfalls nicht ausgenutzt, weil der Kläger bereit gewesen sei, für ein besonderes Objekt einen besonderen Preis zu zahlen.

8

Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter und behauptet, die Wohnung sei nicht als Sonder- oder Luxusobjekt einzustufen. Er hält seine persönliche Situation für unerheblich. Er meint, sein Rückforderungsbegehren sei auch für den Zeitraum nach Wegfall der Mangellage begründet, und verweist auf den Rechtsentscheid des Hanseatischen Oberlandesgerichts ... vom 03. März 1999 (WuM 1999, 209). Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.

9

Das Landgericht hat die Sache mit Beschluss vom 20.07.1999 dem Senat vorgelegt zum Erlaß eines Rechtsentscheides über folgende Frage: "Entfallen Rückforderungsansprüche des Mieters aus einem Wohnraummietvertrag, in dem unter Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbarem Wohnraum eine die übliche Entgelte wesentlich übersteigende Mietzinsvereinbarung getroffen wurde, ab dem Zeitpunkt des Wegfalls der Mangellage?"

10

Das Landgericht möchte die Voraussetzungen des § 5 WiStrG für den Zeitraum bis zum 31.12.1995 bejahen, nicht aber für die Zeit danach. Die Kammer beabsichtigt, von dem genannten Rechtsentscheid des Hanseatischen Oberlandesgerichts ... abzuweichen, und legt deswegen die Sache zum Rechtsentscheid vor. Im Vorlagebeschluss ist ausgeführt, dass § 5 WiStrG eine preisregulierende Funktion habe, die nicht mehr gerechtfertigt sei, sobald die Mangellage an Wohnungen weggefallen sei. Gehe man von durchgehender (Teil-)Nichtigkeit des Mietvertrages aus, so hänge es von dem zufälligen Zeitpunkt des Vertragsschlusses kurz vor oder kurz nach dem Wegfall der Mangellage ab, ob dem Mieter u.U. für einen langen Zeitraum ein Rückforderungsanspruch zustehe.

11

II.

Ein Rechtsentscheid ergeht nicht, weil die Vorlage des Landgerichts nicht den Voraussetzungen des § 541 Abs. 1 ZPO entspricht und daher unzulässig ist. Der Senat kann nicht prüfen, ob die Vorlagefrage für das Berufungsverfahren entscheidungserheblich ist, weil der Vorlagebeschluss hierzu keine nachvollziehbare Begründung enthält.

12

1.

Der Senat kann die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht selbständig prüfen. Alle Rechtsfragen, die außerhalb der vorgelegten Frage stehen, hat das Landgericht als zuständiges Berufungsgericht in eigener Verantwortung zu beurteilen. Deswegen ist das Oberlandesgericht, das über einen Rechtsentscheid zu befinden hat, grundsätzlich an die vom vorlegenden Landgericht im Vorlagebeschluss vertretene und niedergelegte Rechtsauffassung ebenso wie an die Tatsachenfeststellung gebunden (BayObLGZ 1987, 36, 38 f). Die Bindung entfällt aber, wenn die Auffassung des Landgerichts in einem bestimmten Punkt unhaltbar ist oder zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führt. Sie entfällt auch, wenn der Vorlagebeschluss sich mit einem Teil des Sachverhalts nicht auseinandersetzt, obwohl sich dies aufdrängt, und deswegen der Vorlagegrund entfällt (BGH NJW 1990, 3142, 3143) [BGH 11.07.1990 - VIII ARZ 1/90]. Gleichfalls kann die Entscheidungserheblichkeit vom Oberlandesgericht verneint werden, wenn das Landgericht eine Rechtsfrage übersehen hat, deren Beantwortung die Entscheidung über die vorgelegte Rechtsfrage erübrigen würde (BayObLG a.a.O.). Damit das für den Rechtsentscheid zuständige Gericht prüfen kann, ob das Landgericht die relevanten tatsächlichen und rechtlichen Fragen gesehen und gewürdigt hat, und damit beurteilt werden kann, ob ein Ausnahmefall vorliegt, in dem das Oberlandesgericht an die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit durch das Landgericht nicht gebunden ist, ist es unerlässlich, dass die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage im Vorlagebeschluss nachvollziehbar dargelegt ist (BayObLG a.a.O.; OLG Celle NdsRpfl. 1984, 43 und 233).

13

2.

Auf die Vorlagefrage kann es nur dann ankommen, wenn die Voraussetzungen des § 5 WiStrG jedenfalls für den Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegen, da sonst die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts zurückzuweisen wäre; ein Rückforderungsanspruch des Klägers kann sich allein ergeben, wenn die Beklagten gegen § 5 WiStrG verstoßen haben.

14

Das Landgericht hat zu § 5 WiStrG ausgeführt, dass es nach ständiger Rechtsprechung der Kammer, die sich auf überzeugende Sachverständigengutachten stütze, für die Stadt ... keinen Teilmarkt für die Wohnungen unterschiedlicher Größe und Ausstattung gebe. Bis zum 31.12.1995 habe für ... eine angespannte Wohnungsmarktlage bestanden, danach jedoch nicht mehr. Dies sei feststehende Rechtsprechung der Kammer, die das als gerichtsbekannt ansehe. Die Kammer würde vorliegend auch eine Ausnutzung dieses geringen Angebots sehen, obwohl der Kläger aufgrund seiner persönlichen Situation nicht zur Anmietung der Wohnung gezwungen gewesen sei. Mit dem Kläger gehe die Kammer davon aus, dass es nicht auf die individuelle Situation des Mieters ankomme, sondern auf die Ausnutzung der Situation auf dem Wohnungsmarkt ("Sozialwucher").

15

3.

Diese Ausführungen reichen nicht aus, um die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage nachvollziehbar darzulegen. Der Vorlagebeschluss lässt nicht erkennen, wie das Landgericht die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 1 WiStrG versteht und durch welche konkreten Tatsachen es sie als erfüllt ansehen will. Es kann deswegen offen bleiben, ob nicht auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Auslegung des § 5 WiStrG durch das Landgericht bestehen und ob das Landgericht mit seiner Auffassung von Oberlandesgerichtsentscheidungen abweicht, so dass es nach § 541 Abs. 1 S. 1 ZPO schon hinsichtlich vorrangig zu prüfender Rechtsfragen wegen Abweichung hätte vorlegen müssen; die zur Vorlagepflicht führende Divergenz ist nicht beschränkt auf Rechtsentscheide, sondern kann auch zu anderen zivilrechtlichen Entscheidungen, aber auch zu im Straf- bzw. Bußgeldverfahren ergangenen Entscheidungen bestehen (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 541 Rdnr. 14 mit Verweis auf § 546 Rdnr. 12).

16

a.

Das Amtsgericht hat sich außerstande gesehen, ein geringes Angebot an vergleichbaren Räumen i.S.d. § 5 Abs. 2 WiStrG festzustellen, da der Kläger dazu nicht ausreichend vorgetragen habe, ein eigentlicher Markt für ein solches Sonderobjekt nicht bestehe, vielmehr die 148 qm große, in einem 2-Familien-Haus gelegene Mietwohnung mit Gartennutzung schon wegen der Miethöhe nur für einen eingeschränkten Kreis an Mietern in Betracht komme, so dass sich ein Angebot-Nachfrage-Verhältnis nicht entwickelt habe. Was es demgegenüber besagen soll, dass es nach ständiger Rechtsprechung der Kammer für die Stadt ... keinen Teilmarkt für Wohnungen unterschiedlicher Größe und Ausstattung gebe, ist nicht klar ersichtlich. Da Oberlandesgerichte außerhalb von Rechtsentscheidsverfahren mit Wohnraummietsachen nicht befaßt sind, ist die ständige Rechtsprechung der Kammer dem Senat naturgemäß nicht bekannt Dies gilt ebenso für die "überzeugenden Sachverständigengutachten", die im Vorlagebeschluss weder näher dargestellt sind noch sich etwa in den Akten befinden.

17

Der Satz, es gebe für Braunschweig keinen Teilmarkt für Wohnungen unterschiedlicher Größe und Ausstattung, könnte darauf hindeuten, dass die Kammer von dem Tatbestandsmerkmal der vergleichbaren Räume gänzlich Abstand nehmen will. Das in § 5 Abs. 2 WiStrG vorausgesetzte geringe Angebot muss nach dem Wortlaut der Vorschrift an Räumen bestehen, die der betreffenden Wohnung nach Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage vergleichbar sind. Daher ist auf den Teilmarkt abzustellen, zu dem die Wohnung gehört (OLG Hamm -Bußgeldsenat- WuM 1995, 323, 324 [OLG Hamm 02.03.1995 - 2 Ss OWi 144/95]; OLG Stuttgart -Bußgeldsenat- MDR 1996, 958 [Leitsatz]; LG Frankfurt/Main WuM 1998, 169, 170 [LG Frankfurt am Main 16.12.1997 - 2 S 266/97]; Meyer in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 5 WiStrG Anm. 4 e). Gibt es einen solchen Teilmarkt nicht, kann das die Gerichte nicht davon entbinden, das Merkmal der Vergleichbarkeit bei der Feststellung des geringen Angebots zu beachten. Da § 134 BGB Zugunsten des Mieters nur eingreifen kann, wenn der Vermieter den vollen objektiven Tatbestand des § 5, WiStrG erfüllt, kann im Zivilrechtsstreit kein anderer Maßstab an die Verbotsnorm des § 5 WiStrG gelegt werden als im Bußgeldverfahren. Wollte die Kammer von der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung abweichen, bestünde im übrigen die Vorlagepflicht nach § 541 Abs. 1 ZPO.

18

b.

Lässt sich ein geringes Angebot an vergleichbaren Räumen feststellen, so muss, damit § 5 Abs. 1 WiStrG Anwendung findet, der Vermieter dieses geringe Angebot ausgenutzt haben, um eine überhöhte Miete zu erzielen. Die Begründung des Vorlagebeschlusses, die sich auf den Satz beschränkt, es komme nicht auf die individuelle Situation des Mieters an, sondern auf die Ausnutzung der Situation auf dem Wohnungsmarkt ("Sozialwucher"), lässt nicht erkennen, welche rechtlichen Anforderungen die Kammer an das Tatbestandsmerkmal der Ausnutzung stellen will und durch welche unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen sie dieses Merkmal als erfüllt ansieht. Würden ein geringes Angebot an vergleichbaren Wohnräumen und die Forderung einer objektiv überhöhten Miete für sich allein schon ausreichen, um den § 5 Abs. 1 WiStrG anzuwenden, so wäre das Tatbestandsmerkmal der Ausnutzung überflüssig. Es ist aber als besondere Voraussetzung der Ursächlichkeit des geringen Angebots für die überhöhte Miete in den Tatbestand aufgenommen worden. Ausnutzen bedeutet das bewußte Zunutzemachen der gegebenen Lage (OLG Hamm, a.a.O.; Meyer in Erbs/Kohlhaas, a.a.O.). Das Merkmal des Ausnutzens fehlt nach verbreiteter Auffassung, wenn der Mieter nicht deswegen die überhöhte Miete zu zahlen bereit ist, weil er aufgrund der Marktlage sonst keinen angemessenen Wohnraum finden könnte, sondern deswegen, weil es ihm darauf ankommt, gerade diese Wohnung oder eine Wohnung dieser Art oder Lage anzumieten; deswegen wird verlangt, dass der Mieter seine ergebnislosen Bemühungen um eine andere Wohnung darlegt (LG Köln WuM 1999, 123 [LG Köln 03.12.1998 - 6 S 465/97]; LG Frankfurt/Main WuM 1998, 167, 168 [LG Frankfurt am Main 14.10.1997 - 2 S 166/97] und 169, 170; LG München I WuM 1998, 360; Weyhe, Aktuelle Entwicklungen im Mietrecht, MDR 1998, 1322, 1323). Dieser Auffassung ist auch das Amtsgericht gefolgt. Das Landgericht ist zwar nicht gehalten, sich dem anzuschließen. Es muss aber seine eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals und die darunter zu subsumierenden Umstände des Falles im Vorlagebeschluss darlegen. Daran fehlt es. Bei beabsichtigter Abweichung von der zitierten Rechtsprechung des OLG ... bestünde darüber hinaus die Vorlagepflicht nach § 541 ZPO.

19

4.

Da der Senat die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage für das beim Landgericht anhängige Berufungsverfahren mangels nachvollziehbarer Begründung des Vorlagebeschlusses hierzu nicht feststellen kann, ist die Sache ohne Erlass eines Rechtsentscheides an das Landgericht zurückzugeben. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.