Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 03.01.2008, Az.: 1 B 37/07
Abordnung; Abordnungsverfügung; Aufschiebende Wirkung; Befangenheit; dienstlicher Grund; dringender Unterrichtsbedarf; ernstliche Zweifel; Grundsatz des fairen Verfahrens; kollegiale Zusammenarbeit; Mobbing; unbestimmter Rechtsbegriff; Unterrichtsbedarf; Versetzung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 03.01.2008
- Aktenzeichen
- 1 B 37/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 55005
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 80 Abs 4 S 3 VwGO
- § 31 Abs 1 BG ND
- § 20 VwVfG
- § 21 Abs 1 S 2 VwVfG
- Art 33 Abs 5 GG
Gründe
I.
Der Antragsteller setzt sich gegen eine Abordnungsverfügung zur Wehr.
Er ist Lehrer für Fachpraxis an der BBS II in C. Nachdem es dort zu Spannungen in der Abteilung Metalltechnik und vor allem auch - wegen des Vorwurfs des „Mobbings“ (vgl. u.a. Schreiben des Schulleiters vom 7.9.2006) - zu erheblichen Spannungen mit der dortigen Schulleitung gekommen war, wurde der Kläger zunächst - nach entsprechenden Gesprächen - auf seinen Antrag hin, den er allerdings noch im Juli 2007 wieder zurückzog, mit Wirkung vom 1. August 2007 „aus persönlichen Gründen“ an die BBS W versetzt (vgl. dazu die Verfahren 1 B 29/07 und 1 A 107/07).
Außerdem wurde er - seit dem 4. Juni 2007 arbeitsunfähig erkrankt - durch die hier angegriffene Verfügung vom 29. August 2007 mit sofortiger Wirkung an die BBS W - befristet längstens bis zum 31. Januar 2008 - abgeordnet. Mit Verfügung vom 18. Dezember wurde der Antragsteller dann erneut für ein Schulhalbjahr (vom 1.2.2008 bis zum 31.7. 2008) an die BBS W abgeordnet (vgl. insoweit die Verfahren 1 B 49/07 und 1 A 232/07). Vom 24. September bis 9. November 2007 erfolgte eine stationäre fachklinische Behandlung in der C-Klinik. Der Antragsteller ist z.Z. (Sachstand vom Dezember 2007) „bis auf Weiteres“ krankgeschrieben.
Der Antragsteller trägt zur Begründung seines am 30. August 2007 gestellten Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage 1 A 132/07 vor, die verfügte Versetzung sei offensichtlich rechtswidrig und die ihm zugewiesene Stelle bei der BBS W entspreche nicht seiner Qualifikation, so dass er Teile des Unterrichtsstoffes gar nicht unterrichten könne. Zudem seien die Fahrten nach W für ihn unnötig belastend. Er beantragt,
der Klage 1 A 132/07 aufschiebende Wirkung beizumessen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.
Sie hält die Abordnungsverfügung für rechtmäßig und verweist auf den dringenden Unterrichtsbedarf an der BBS W.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge einschließlich der Personalakte des Antragstellers (1 A 107/07) Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Anders als § 123 Abs. 1 VwGO normiert § 80 Abs. 5 VwGO keinerlei materielle Kriterien für eine Sachentscheidung, so dass diese in der Regel im Wege einer Interessenabwägung zu suchen sind, bei der aufgrund einer summarischen Prüfung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache mitberücksichtigt werden, soweit sie sich schon übersehen lassen (Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, Band I, Loseblattsammlung / Stand: Januar 2000, § 80 Rdn. 252 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 12. Aufl., § 80 Rdn. 158 unter Verweis auf § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO ).
In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1-3 VwGO jedoch, zu denen gemäß § 126 Abs. 3 BRRG auch der Widerspruch gegen eine Abordnung zählt, zieht die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften 12, 4. Aufl. 1998, Rdn. 849 / 851 m.w.N.; Schoch/ Schmidt-Aßmann-Pietzner, aaO., Rdn. 125, 204, 262 / 264 m.w.N.; differenzierend Kopp/ Schenke, VwGO-Kommentar, 11. Aufl. 1998, § 80 Rdn. 116, a.A. in der 12. Aufl. 2000) als Entscheidungsmaßstab § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO (analog) heran. Das bedeutet, dass ein Vollzugsinteresse dann fehlt, wenn bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. auch Beschluss der Kammer v. 15.7.2005 - 1 B 33/05 -).
Solche ernstlichen Zweifel liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung „Unklarheiten, Unsicherheiten und vor allem Unentschiedenheit bei der Einschätzung der Sach- und Rechtslage“ bestehen (Schoch u.a., aaO., Rdn. 194), so dass ein Erfolg im Hauptsacheverfahren mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg (Schoch u.a., aaO., Rdn. 195 m.w.N.; so ausdrücklich auch für das Zulassungsverfahren iSv § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nds. OVG Beschl. v. 11.12.2001 - 2 MA 3519/01 - ; Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 11. Aufl. 1998, § 80 Rdn. 116). Derartige Zweifel sind hier gegeben.
Nach § 31 Abs. 1 NBG kann zwar ein Beamter, wenn ein dienstliches Bedürfnis besteht, vorübergehend ganz oder teilweise zu einer seinem Amt entsprechenden Tätigkeit an eine andere Dienststelle abgeordnet werden. Jedoch muss dabei nach § 21 VwVfG gewährleistet sein, dass der tätig gewordene Amtswalter gemäß den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens objektiv, neutral und fair gehandelt und entschieden hat: „Es darf zum Gegenstand seiner Tätigkeit keine persönliche oder sachliche Interessenkollision bestehen“ (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG-Kommentar, 5. Auflage, § 21 Rn. 1 m.w.N.). Es handelt sich hierbei um eine von Amts wegen zu beachtende Verfahrenspflicht für die Behörde, nur einen unbefangenen Amtswalter in einem Verwaltungsverfahren tätig werden zu lassen. Dabei reicht die Besorgnis der Befangenheit aus, was eine entsprechende Prüfung durch den tätigen Amtswalter in eigener Verantwortung einschließt (Stelkens/Bonk/Sachs, aaO, Rn. 16).
Ein Verstoß hiergegen führt zu einem Verfahrensfehler (OVG Schleswig-Holstein, NVwZ-RR 1993, 396; VG Arnsberg, NVwZ-RR 1990, 274 [VG Arnsberg 26.06.1989 - 2 L 358/89]), u.zw. auch gerade dann, wenn eine innerbehördliche Prüfung insoweit nicht stattgefunden hat, jedoch ein Befangenheitstatbestand bei objektiver Betrachtung vorgelegen hat (VG Arnsberg, aaO., und Stelkens/ Bonk/Sachs, aaO.). Erst am Ende des behördeninternen Prüfungsverfahrens steht fest, ob der jeweilige Amtswalter tätig werden bzw. mitwirken darf oder nicht.
Hier ist der als Amtswalter tätig gewordene Schulleiter, der für eine kollegiale und vertrauensvolle Zusammenarbeit an der BBS II C verantwortlich war und ist, ganz offenkundig selbst derart weit- und tiefgehend in die Spannungen verstrickt, die u.a. Anlass für die verfügte Abordnung an die BBS W waren (Abs. 2 der Abordnungsverfügung v. 29.8.2007), dass ihm eine unparteiische und neutral-faire Entscheidung über die Abordnung gerade des Antragstellers nicht möglich gewesen sein dürfte: Zum einen soll er dem Antragsteller im Rahmen der verfügten Versetzung nach dessen Vortrag schon „grundlos“ mit einem „Disziplinarverfahren mit weitreichenden Folgen“ gedroht (vgl. das Schreiben v. 12.7.2007, Bl. 44/45 in 1 B 29/07) und ihm seine Stundenplangestaltung aus „schulpolitischen“ Gründen vorgehalten haben (Schr. v. 8.2.2007, Bl. 35 in 1 B 29/07), obwohl die Mehrheit der Kollegen an der Schule offenbar einen entsprechenden Stundenplan hatte bzw. hat (vgl. Schr. v. 20.2. 2007, Bl. 12 in 1 B 29/07), weiterhin soll er dem Antragsteller insoweit die Frage gestellt haben „Wofür bekommen Sie eigentlich Bezüge“ (Aktennotiz v. 22. Mai 2006, Bl. 32 GA 1 B 29/07). Zum andern aber ergibt sich aus einzelnen, dem Gericht vorgelegten Schreiben (u.a. des Schulleiters vom 7.9. 2006, Bl. 17 in 1 A 107/07, und eines Kollegen vom 3.7.2006 zum „Fehlen kollegialer Umgangsformen“, Bl. 20 in 1 A 107/07 ), dass sich der hier tätig gewordene Schulleiter persönlich mit dem Vorwurf des „Mobbing“ konfrontiert gesehen hat und das Verhalten der Schulleitung gegenüber dem Antragsteller bei Kollegen auf erhebliche Kritik gestoßen ist. Der Schulleiter war, wie sein Schreiben z.B. auch zur Pausenaufsicht (vom 31.3. 2006) aufzeigt, in die Spannungen persönlich involviert und an ihnen beteiligt. Daher ist davon auszugehen, dass sich der dennoch tätig gewordene Schulleiter bezüglich der den Antragsteller betreffenden Amtshandlungen in einem persönlichen Interessenkonflikt befunden hat und nicht mehr objektiv, neutral und fair handeln konnte, so wie das nach dem rechtsstaatlichen Unbefangenheitsprinzip der §§ 20, 21 VwVfG und seiner Aufgabenstellung, für eine kollegiale und vertrauensvolle Zusammenarbeit an der BBS II zu sorgen, der Fall sein soll. Bei objektiver Betrachtung dürfte hier somit ein Befangenheitstatbestand bestehen, was im Verfahren der Hauptsache näher aufzuklären sein wird.
Nach den Verfahrensgrundsätzen des § 21 VwVfG hätte der Schulleiter von Amts wegen seine persönliche Neutralität und Unbefangenheit zunächst eingehend prüfen und sodann seine Aufsichtsbehörde darüber informieren, also ein innerbehördliches Prüfverfahren einleiten müssen. Die Aufsichtsbehörde hätte dann erst gem. § 21 Abs. 1 S. 2 VwVfG, so wie das gesetzlich vorgesehen ist, eine Anordnung dazu treffen können. Daran fehlt es. Der Schulleiter ist als Beteiligter von Spannungen ohne jedes Prüfverfahren, aber in der Sache offenbar befangen, tätig geworden.
Diese Fehlerhaftigkeit kann sich hier auch ohne weiteres ausgewirkt haben: Der unbestimmte Rechtsbegriff der „dienstlichen Gründe“ für eine Abordnung wird durch den strikt einzuhaltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und durch Art. 33 Abs. 5 GG nebst Fürsorgeprinzip dirigiert (Battis, BBG-Kommentar, 2. Auflage, § 27 BBG, Anm. 8 m.w.N.). Die Voraussetzung des „dienstlichen Bedürfnisses“ ist nicht durch eine Ermessensentscheidung zu füllen, sondern sie ist, da es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne jeden Beurteilungsspielraum handelt (Battis, BBG-Kommentar, 2. Aufl., § 27 Rdn. 7 m.w.N.), gerichtlich vielmehr in vollem Umfange überprüfbar.
Insoweit fällt für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ins Gewicht, dass das zuvor als Begründung für eine Abordnung des Antragstellers dienende Unterrichtsfehl bei der BBS W, der dort drohende „Unterrichtsausfall“, bereits im September 2007 „durch eine Einstellung gelöst“ worden war (Vermerk v. 3.9.2007, Bl. 35 der Beiakten A zu 1 B 49/07), der Antragsteller dort dann lediglich noch wegen Freistellung einer anderen Lehrkraft angeblich „benötigt“ wurde und im Kollegium weiterhin „herzlich willkommen“ war. Die im August verfügte Abordnung des Antragstellers hat somit - schon wegen Fortdauer seiner Erkrankung - keinerlei Auswirkungen auf die schulische Situation in W gehabt. Ob die erneute Abordnung vom Dezember unter diesen Umständen einer veränderten Unterrichtsbedarfslage in W überhaupt noch notwendig und verhältnismäßig war sowie mit Blick auf Art. 33 Abs. 5 GG dem Fürsorgegebot entsprach, unterliegt erheblichen Zweifeln.
Eine Notwendigkeit für die Abordnung des Antragstellers mit ihren Belastungen drängte sich bei dieser Lage der Dinge nicht mehr auf.
Unter diesen Umständen bestehen hier ernstliche Zweifel an der Fehlerfreiheit der streitigen Abordnungsverfügung vom 29. August 2007, so dass die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage anzuordnen ist.
Es kann bei dieser Lage der Dinge dahinstehen, dass die Abordnung eines an Spannungen beteiligten Beamten, soweit das Abordnungsverfahren für sich betrachtet korrekt verlaufen ist, in der Regel sachgemäß und durchaus eine korrekte Ermessensentscheidung sein kann (vgl. Beschl. der Kammer v. 15.7.2005 - 1 B 33/05 -; BVerwGE 26, 65). Hier dürfte es an einem korrekten Verwaltungsverfahren fehlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.