Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 10.11.2005, Az.: 8 U 86/95
Schadensersatz wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Schadstoffemissionen mehrerer Lackieranlagen; Annahme einer durch klassische toxische Mechanismen vermittelten Lösungsmittelvergiftung; Wissenschaftliche Anerkennung des Konzepts der multiplen Chemikaliensensitivität; "Nocebo-Effekt" als Ursache für Befindlichkeitsstörungen; Fehlende Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit einem medizinischen Sachverständigen; Beweislastumkehr bei einer Nichteinhaltung der Bestimmungen einer Betriebsgenehmigung bzw. einer Überschreitung der Grenzwerte bei Emissionen und Immissionen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 10.11.2005
- Aktenzeichen
- 8 U 86/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 36105
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2005:1110.8U86.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 10.03.1995 - AZ: 13 O 3391/92
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 6 Abs. 1 UmweltHG
Fundstelle
- OLGReport Gerichtsort 2007, 769-771
In dem Rechtsstreit ...
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10. März 1995 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird unter gleichzeitiger Abweisung der in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2005 von der Klägerin gestellten Haupt- und Hilfsanträge zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung und der Revision.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten als Insolvenzverwalter der P... GmbH & Co. KG (frühere Beklagte, im folgenden: Schuldnerin) auf Schadensersatz wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Schadstoffemissionen in Anspruch.
Die im Jahre 1980 geborene Klägerin wohnte bis Ende Mai 1991 in der D...Straße ... in O... Hiervon etwa 2 km entfernt betreibt die Schuldnerin südlich des O... Hafens an der R...straße zwei Lackieranlagen mit vier Lackierkabinen und eine weitere Lackieranlage mit einer Lackierkabine. Die Lackieranlagen sind nach dem Bundesemissionsschutzgesetz bestandskräftig genehmigt. Der frühere Wohnort der Klägerin liegt nordöstlich dieser Anlagen. Die Abluft der Lackieranlagen wird über zwei 85 bzw. 70 m hohe Schornsteine abgeführt; die Abluft der thermischen Nachverbrennungsanlagen wird über jeweils 20 m hohe Schornsteine ins Freie geleitet. Emissionen aus der Lackküche und dem Lacklager werden über Dachventilatoren nach außen geführt.
Zumindest seit Anfang 1990 gingen von den Lackieranlagen erhebliche Geruchsemissionen aus, die zu zahlreichen Beschwerden von Anwohnern führten. Der Geruch kam dem von Katzendreck nahe. Die Ursache des Geruchs waren chemische und Stoffwechselreaktionen in dem in einem geschlossenen Kreislauf geführten Waschwasser der Lackierkabinen.
Die Klägerin hat behauptet, dass die Geruchsemissionen erstmalig im Dezember 1988 und dann verstärkt seit Herbst 1989 und im Laufe des Jahres 1990 aufgetreten seien. Noch im Frühjahr 1991 sei mehrfach katzendreckähnlicher Geruch wahrzunehmen gewesen. Mit den Geruchsbelästigungen seien die Grenzwerte der Betriebsgenehmigung überschreitende Schadstoffemissionen einhergegangen, insbesondere von Lösungsmitteln, aber auch von anderen toxischen chemischen Substanzen. Das habe bei ihr erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Übelkeit, Ödembildung, Sehstörungen, Haarausfall, eine Schwächung des Immunsystems und anderes verursacht sowie ihre Schulunfähigkeit herbeigeführt. Insbesondere habe sie eine Lösungsmittelvergiftung erlitten; sie leide seitdem unter einer multiplen Chemikalienunverträglichkeit.
Ihre Erkrankung stehe in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Inbetriebnahme der Lackieranlagen und dem Auftreten der Geruchsemissionen. Die Krankheitssymptome seien stets aufgetreten, wenn katzendreckähnlicher Geruch geherrscht habe; dafür verweist sie auf die von ihrer Mutter geführten Aufzeichnungen. Ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien typisch für Erkrankungen, die durch Rückstände von Lösungsmitteln, wie sie bei Lackierarbeiten anfielen, verursacht würden. Bei Aufenthalten außerhalb von O... und nach dem Wegzug aus O... seien derartige Krankheitssymptome nicht aufgetreten.
Anwohner des Werkes sowie Mitarbeiter der Schuldnerin hätten unter denselben oder ähnlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu leiden gehabt. An der D... Straße wohnende Nachbarn hätten ebenfalls über vergleichbare Beschwerden geklagt.
Ihre Erkrankung sei auf den Betrieb der Lackieranlagen und die dabei ausgestoßenen Rückstände von Lösungsmitteln zurückzuführen. Die Schuldnerin habe die Grenzwerte der Betriebsgenehmigung nicht eingehalten. Neben Rückständen von Lösungsmitteln würden weitere toxische Stoffe durch die Schornsteine sowie durch Gebäudeöffnungen an die Umwelt abgegeben. Eine zusätzliche Gefahrenquelle stelle die Entsorgung des Waschwassers dar. Eine am 25. Mai 1990 aufgetretene Geruchsemission sei auf eine Anlagenstörung zurückzuführen. Die Schuldnerin, die das Problem des katzendreckähnlichen Geruchs seit längerem gekannt habe, habe zur Verhinderung solcher Emissionen gebotene Maßnahmen pflichtwidrig unterlassen.
Die Klägerin hat deshalb die Zahlung von Schmerzensgeld in Kapital- und Rentenform sowie die Feststellung der Pflicht der Schuldnerin zum Ersatz allen materiellen und immateriellen Schadens verlangt.
Die Schuldnerin hat behauptet, sie habe die Lackieranlagen bestimmungsgemäß betrieben und die Immissions- und Emissionswerte eingehalten. Die emittierten Schadstoffe lägen erheblich unter den erlaubten Grenzwerten und den Vorgaben der Betriebsgenehmigung. Das Auftreten von Geruchsemissionen im Jahr 1990 stelle eine Störung des bestimmungsgemäßen Normalbetriebs der Anlage nicht dar. Katzendreckähnlicher Geruch sei nur im Jahr 1990 aufgetreten. Die Ursachen dieses vorher nicht bekannten Problems habe sie sofort untersuchen und noch im Laufe des Jahres 1990 abstellen lassen. Die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin seien nicht auf die von ihrem Betrieb ausgehenden Emissionen zurückzuführen, sondern beruhten auf anderen Umwelteinflüssen oder sonstigen Ursachen.
Das Landgericht hat die Klage mit dem am 10. März 1995 verkündeten Urteil abgewiesen. Mit ihrer zulässigen Berufung hat die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld (in einer Größenordnung von 50.000,00 DM) für den Zeitraum Oktober 1989 bis Rechtshängigkeit nebst 4% Zinsen seit dem 16. November 1990 zu zahlen,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin seit Rechtshängigkeit eine Schmerzensgeldrente (mindestens 300,00 DM monatlich) zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
- 3.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der aus den Schadstoffemissionen ihres O...er Werkes im Zeitraum bis Mai 1991 resultiert, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Die Schuldnerin hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Berufung der Klägerin mit dem am 16. November 1995 verkündeten Urteil zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist auf die Revision der Klägerin durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Juni 1997 (Az.: VI ZR 372/95, NJW 1997, 2748 ff) aufgehoben worden; die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an den Senat zurückverwiesen worden.
Im Jahr 2002 ist über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden; mit Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 28. Mai 2002 (Az.: 9 IN 311/02) ist der Rechtsanwalt Dr. W... zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden, auf ihn ist die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen übergegangen. Das Insolvenzverfahren ist bisher nicht abgeschlossen. Die Klägerin hat dort eine Forderung von 586.892,00 Euro wegen Sach- und Gesundheitsschäden sowie Anwalts- und Gerichtskosten angemeldet. Der Verwalter bestreitet diese Forderung.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
- 1.
es wird zur Insolvenztabelle AG Freiburg 9 IN .../02 festgestellt, dass der Klägerin gegenüber ein vom Gericht zu bestimmendes angemessenes Schmerzensgeld, zumindest jedoch in Höhe von 120.000,00 Euro nebst 4% Zinsen seit dem 16. September 1990 anzuerkennen ist und zusteht,
- 2.
es wird zur Insolvenztabelle AG Freiburg 9 IN .../02 festgestellt, dass der Klägerin eine vom Gericht zu bestimmende angemessene Rente zu zahlen ist und zusteht,
- 3.
es wird zur Insolvenztabelle AG Freiburg 9 IN .../02 festgestellt, dass der Klägerin aller materielle und immaterielle Schaden zu ersetzen ist, der aus der Schadstoffemission des O...er Werkes im Zeitraum bis Mai 1991 und folgend resultiert, soweit die Ansprüche nicht auf öffentlich-rechtliche Träger oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind;
hilfsweise,
zur Insolvenztabelle festzustellen, dass der Klägerin in dem Insolvenzverfahren der P... GmbH & Co. KG, eine Insolvenzforderung von 586.982,00 Euro zusteht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin in der Fassung der Anträge gemäß Schriftsatz vom 17. Juni 2004 sowie den in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2005 gestellten Hilfsantrag zurückzuweisen.
Beide Parteien ergänzen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen nach Maßgabe der von ihnen gewechselten Schriftsätze.
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 18. Dezember 1997 durch Vernehmung von Zeugen, die Einholung eines technischen Gutachtens und die Einholung eines umweltmedizinischen/toxikologischen Gutachtens, weiter durch die mündliche Anhörung des medizinischen Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 6. Mai 1998, das technische Gutachten des TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt e.V. vom 9. April 1999, das umweltmedizinische, klinisch-toxikologische und internistische Gutachten des Sachverständigen Privatdozent Dr. rer. nat. Dr. med. K... vom 28. Juli 2005 sowie die Sitzungsniederschrift vom 13. Oktober 2005 Bezug genommen. Die Akten 129 Js 33483/90 a Staatsanwaltschaft Oldenburg waren zu Beweiszwecken Gegenstand des Rechtsstreits.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin kann die Klägerin als Insolvenzgläubigerin (§ 38 InsO) ihre mit der Klage erhobenen Forderungen nur nach den Vorschriften der Insolvenzordnung verfolgen, § 87 InsO. Dementsprechend hat sie ihre Forderung mit 586.982,00 EUR bei dem Beklagten als Insolvenzverwalter zur Tabelle angemeldet (§§ 174, 175 InsO), dieser bestreitet sie. In diesem Fall ist die streitige Forderung im kontradiktorischen Prozess zu klären; die Klägerin hat die Feststellung gegen den bestreitenden Insolvenzverwalter zu betreiben, § 179 InsO. In einem zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anhängigen Rechtsstreit ist die Feststellung gemäß § 180 Abs. 2 InsO durch Aufnahme des Rechtsstreits zu betreiben. Diesen Anforderungen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Juni 2004 durch die Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Beklagten und die Ankündigung von Feststellungsanträgen entsprechend den §§ 179 ff. InsO Rechnung getragen. Jedenfalls der in der mündlichen Verhandlung nach Hinweis des Senats gestellte Hilfsantrag ist nach § 181 InsO zulässig.
2.
Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB oder § 6 Abs. 1 UmweltHG stehen der Klägerin nicht zu. Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme durch Einholung eines umweltmedizinischen/toxikologischen und eines technischen Gutachtens hat nicht ergeben, dass die bestehende schwerwiegende Erkrankung der Klägerin toxische Ursachen hat und auf Emissionen aus den Lackieranlagen der Schuldnerin zurückzuführen ist; die Ursache für ihre Erkrankung konnte ebenso wenig festgestellt werden. Insbesondere gibt es aufgrund der auf einer Auswertung der Akten beruhenden umfangreichen Untersuchungen des Sachverständigen Dr. K... keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin eine durch klassische toxische Mechanismen vermittelte Lösungsmittelvergiftung bestand oder besteht. Eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen der Erkrankung der Klägerin und aus den Anlagen der Schuldnerin stammenden Emissionen kann danach schon aufgrund des medizinischen Gutachtens nicht festgestellt werden, und dies unabhängig davon, ob der Klägerin Beweiserleichterungen zugute kommen oder nicht.
3.
Der medizinische Sachverständige konnte sein Gutachten lediglich aufgrund der Aktenlage erstatten, weil die Klägerin zur Zusammenarbeit mit ihm nicht bereit war und sich insbesondere geweigert hat, sich von ihm untersuchen und anamnestisch befragen zu lassen. Sollen Umweltnoxen als Verursacher von Beschwerden und Erkrankungen identifiziert werden, so setzt dies eine persönliche Untersuchung und eine systematische Anamneseerhebung voraus (Gutachten Seite 2, 3). Auf die Wichtigkeit einer persönlichen Untersuchung und Befragung hat der Sachverständige stets hingewiesen (vgl. etwa sein Schreiben vom 21. März 2001). Auch eine Befragung und Untersuchung der Klägerin in ihrer Wohnung (Beschluss des Senats vom 4. Juli 2001) konnte nicht durchgeführt werden. Eine mit Beschluss vom 16. November 2001 vorgenommene Fristsetzung gemäß § 356 ZPO für die Vereinbarung eines ärztlichen Untersuchungstermins mit dem medizinischen Sachverständigen war ebenfalls erfolglos. Mit Beschluss vom 26. April 2002 hat der Senat deshalb angeordnet, dass der medizinische Sachverständige sein Gutachten ohne vorherige Untersuchung der Klägerin in ihrer Wohnung nach derzeitiger Aktenlage erstatten soll. Weiterhin haben die Klägerin und ihre Eltern die ihnen von dem Sachverständigen übersandten umweltmedizinischen Fragebögen nur unvollständig und weitgehend lediglich mit dem inhaltlich nichtssagenden Hinweis auf die Aktenlage beantwortet. Ein zunächst abgegebenes Einverständnis mit einer Befragung des Hausarztes der Klägerin Dr. med. J... hat die Klägerin nachträglich in zeitlicher Hinsicht stark eingeschränkt und mit für den Sachverständigen nicht hinnehmbaren Einschränkungen (mindestens zeitgleiche Bekanntgabe der Fragestellungen) verbunden. Die Begutachtung durch den medizinischen Sachverständigen beruht deshalb aus von der Klägerin zu vertretenden Gründen allein auf der von dem Sachverständigen umfangreich ausgewerteten Aktenlage, auf die ihn die Klägerin in ihren Schriftsätzen und den umweltmedizinischen Fragebögen auch stets verweist. Weitergehende Erkenntnismöglichkeiten durch eine persönliche Untersuchung und Befragung der Klägerin, die möglicherweise Feststellungen zugunsten der Klägerin zugelassen hätten, waren dem Sachverständigen nicht zugänglich.
a.
Der medizinische Sachverständige hat zwecks Erstellung seines Gutachtens zunächst die Gerichtsakten, die Akten der Staatsanwaltschaft Oldenburg (Az: 129 Js 33483/90 a) sowie die von den Parteien, insbesondere der Klägerin, umfangreich vorgelegten Unterlagen ausgewertet; zugrundegelegt hat er weiter die Aufzeichnungen der Mutter der Klägerin aus den Jahren 1990/91 (Bd. II Bl. 35 ff. der Akten der Staatsanwaltschaft). Dabei hat sich folgendes ergeben:
Die Klägerin und andere Anwohner der Lackieranlagen der Schuldnerin sind auf diese durch den aus den Lackieranlagen austretenden katzendreckähnlichen Geruch aufmerksam geworden (Strafanzeigen der Klägerin, ihrer Eltern und weiterer Personen ab Mai 1990, Bd. I Bl. 85 ff. der Akten der Staatsanwaltschaft). Dieser von vielen - nicht allen - Anwohnern wahrgenommene und als unangenehm empfundene Geruch hat dazu geführt, dass über Befindlichkeitsstörungen aller Art geklagt wurden; ein Hinweis auf eine toxische Verursachung findet sich nach Auffassung des Sachverständigen jedoch nicht. Der Sachverständige vermutet vielmehr einen sogenannten Nocebo-Effekt als Ursache, d.h., die von den Geruchsbelästigungen betroffenen Menschen werden auch durch die Berichterstattung in den örtlichen Medien auf eigene Beschwerden aufmerksam und ordnen diese im Hinblick auf die negative Erwartungshaltung des Menschen bezüglich der toxischen Wirkung von chemischen Substanzen in der Umwelt diesen als Auslöser oder Ursache zu, obwohl ein unangenehmer Geruch nichts zu einer eventuellen toxischen Wirkung des Stoffes besagt. Dem entspricht es, dass ansonsten bei der im Umkreis der Anlagen der Schuldnerin wohnhaften Bevölkerung eine signifikante Erhöhung der Erkrankungen oder Fehlzeiten etwa in Schulen und Kindergärten nicht zu beobachten war (Schreiben des Gesundheitsamts der Stadt O... vom 18. April 1991 an die Staatsanwaltschaft Oldenburg nebst Anlagen zu den Aktivitäten und Erkenntnissen des Gesundheitsamtes zur Frage möglicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Schadstoffemissionen des P...-Werkes, Bd. I Bl. 88 ff. der Akten der Staatsanwaltschaft). Weiterer Anlass zu epidemiologischen Untersuchungen habe danach ersichtlich nicht bestanden; die Beschwerden aus der Bevölkerung seien zudem nicht nach primären spezifisch schadstoffbedingten Beschwerden und sekundären Befindlichkeitsstörungen abgegrenzt worden.
Die ärztliche Behandlung der Klägerin ist seit dem Kindesalter umfangreich dokumentiert, ohne dass daraus - so der medizinische Sachverständige - entscheidende oder gar eindeutige Hinweise auf die Art der Erkrankung der Klägerin erlangt werden könnten. Offenbar reagierte die Klägerin schon sehr früh und vor dem Auftreten des katzendreckähnlichen Geruchs auf lösungsmittelhaltige Stoffe wie etwa die in der Schule verwandten Filzstifte. Die vorhandenen ärztlichen Berichte lassen jedoch offen, ob diese Reaktion allein durch die geruchliche Wahrnehmung ausgelöst wird oder toxische Ursachen hat. Weiter erörtert werden eine Borreliose, also eine durch Bakterien (Spirochaeten), die etwa durch Zecken übertragen werden, ausgelöste Erkrankung sowie eine Narkolepsie (zwanghafte Schlafanfälle am Tag) verbunden mit einer Katalepsie (anhaltendes Verharren in einer bestimmten Körperstellung). Beide Erkrankungen wären grundsätzlich geeignet, die bei der Klägerin aufgetretenen bzw. vorhandenen Krankheitssymptome zu erklären. Diagnostisch nachgegangen worden ist diesen Erkrankungen jedoch ausweislich der Aktenlage nicht. Auf Emissionen der Schuldnerin können sie nicht zurückgeführt werden.
Trotz massiver Beschwerden auch nach 1991, dem Zeitpunkt des Wegzuges der Klägerin aus O..., ist seitens der zahlreichen von der Klägerin konsultierten Ärzte verschiedenster Fachrichtungen eine diagnostische Aufklärung nicht erfolgt. Dies hält der Sachverständige angesichts der in manchen Arztberichten enthaltenen Diagnosen mit erheblichem Krankheitswert und im Hinblick auf mögliche Heilungschancen nach genauerer diagnostischer Klärung für ungewöhnlich. Soweit einige Arztberichte die Erkrankung der Klägerin auf Umweltschadstoffe zurückführen, fehlt es - so der Sachverständige - an einer fundierten umweltmedizinischen Anamneseerhebung und Aufklärung. Teilweise seien offenbar Angaben der Klägerin oder ihrer Eltern zu einer multiplen Chemikalienunverträglichkeit ungeprüft übernommen worden. Auch seien ersichtlich nicht allgemein anerkannte toxikologische Konzepte verfolgt worden. Einzig bei dem Aufenthalt der Klägerin in der Veramed Allergie- und Umweltklinik Inzell im März/April 1991 sei die Sensibilität der Klägerin auf Lösungsmittel getestet worden (Ärztlicher Bericht vom 22. Mai 1991). Überprüfbar war die dort gestellte und von den behandelnden Ärzten als sehr wahrscheinlich bezeichnete Diagnose einer toxischen Schädigung durch Toluol und Diacetonalkohol für den Sachverständigen mangels Mitteilung von näheren Details zu den vorgenommenen Versuchen und Testungen jedoch nicht; weiter fehle dieser Interpretation eine Auseinandersetzung mit den sonst bei der Klägerin diagnostizierten Erkrankungen und ihren allergischen Neigungen.
Die Angaben der Klägerin zur Entwicklung ihrer Erkrankung und zu deren letztlich eintretender Irreversibilität in den Jahren 1989 bis 1991 vermag der Sachverständige anhand der von der Klägerin vorgelegten Atteste und der Aufzeichnungen ihrer Mutter nicht nachzuvollziehen. Dafür stützt er sich auch auf die Ermittlungen im Gutachten des TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt, wonach der Wind an den Tagen, an denen ein katzendreckähnlicher Geruch wahrzunehmen war, von den Anlagen der Schuldnerin in Richtung der damaligen Wohnung der Klägerin wehte, an Tagen, an denen bei der Klägerin besonders schwere gesundheitliche Symptome aufgetreten sind, jedoch nicht. Daraus folge ein Widerspruch zur Annahme der Klägerin, dass Emissionen der Lackieranlagen der Schuldnerin ihre Beschwerden verursacht hätten. Dies gelte auch im Hinblick auf das Gutachten Dr. W... (Pressemitteilung der Universität O... vom 3. Juni 1991 betreffend Untersuchungen zu Schadstoffemissionen der Firma P..., Bd. II Bl. 13 f. der Akten der Staatsanwaltschaft) hinsichtlich der Untersuchungen von organischen Verbindungen in Wasser- und Luftproben der Lackieranlagen und zur toxikologischen Beurteilung der Emissionen sowie der in der eidesstattlichen Erklärung des früheren Mitarbeiters der Schuldnerin Smid erhobenen Vorwürfe. Die dort genannten Schadstoffe und Emissionen sind nach Auffassung des Sachverständigen nicht geeignet, die Erkrankung der Klägerin auszulösen. Von Bedeutung sei dafür auch, dass allein die Klägerin in dieser einzigartigen und andauernden Weise betroffen ist, nicht aber andere Anwohner.
b.
Der medizinische Sachverständige ist aufgrund dieser Auswertung der Gerichtsakten, der Akten der Staatsanwaltschaft Oldenburg und der weiteren in Anlagenordnern befindlichen Unterlagen zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin eine durch klassische toxische Mechanismen vermittelte Lösungsmittelvergiftung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bestanden hat und nicht besteht. Diese Einschätzung macht sich der Senat zu eigen. Der medizinischen Sachverständige hat bei seinen Erwägungen nicht nur die durch den TÜV Hannover identifizierten bzw. dokumentierten Schadstoffe berücksichtigt, sondern auch diejenigen aus den Gutachten Dr. W..., der Niedersächsischen Landesanstalt für Emissionsschutz und des Bremer Umweltinstituts. Letztere beruhen teilweise auf Luftmessungen durch die Mutter der Klägerin. Die Luftkonzentrationen der Lösungsmittel lagen in einem zu niedrigen Bereich, insbesondere deutlich unterhalb der sogenannten MAK-Werte (maximale Arbeitsplatzkonzentration), um eine solche Lösungsmittelvergiftung ursächlich herbeizuführen. Angesichts des in den Akten dokumentierten unauffälligen neurologischen Befundes der Klägerin können weiter durch Lösungsmittel verursachte neurologische Erkrankungen wie eine Polyneuropathie oder eine Encephalopathie ausgeschlossen werden. Eine besondere erbliche Veranlagung oder eine ganz besondere individuelle Disposition der Klägerin im Hinblick auf Umweltschadstoffe hat der Sachverständige aufgrund des in den Akten dokumentierten Krankheitsbildes ausgeschlossen.
Der Behauptung der Klägerin, sie leide an einer multiplen Chemikaliensensitivität, diese sei auf Emissionen der Lackieranlagen der Schuldnerin zurückzuführen, ist der Sachverständige nachgegangen; eine Erklärung der Erkrankung der Klägerin auf dieser Grundlage hat er ebenfalls nicht feststellen können. Dabei hat er zunächst im einzelnen begründet, dass das Konzept der multiplen Chemikaliensensitivität wissenschaftlich nicht anerkannt ist; insbesondere vernachlässige es, dass auf eine multiple Chemikaliensensitivität zurückgeführte Symptome in den meisten Fällen durch andere in der Wissenschaft anerkannte Konzepte und Erkrankungen beschrieben werden können. Klassische toxische und allergische Verursachungsmechanismen seien hierbei nicht von Bedeutung. Grundlage der Diagnose seien durchweg eine Vielzahl von speziellen Laboruntersuchungen mit oft auffälligen Befunden. Aussagekraft und Plausibilität der dabei gewonnenen Laborwerte seien jedoch ohne umweltmedizinische Anamneseerhebung gering. Aus diesen Gründen handelt es sich bei der multiplen Chemikaliensensitivität nicht um ein allgemein in der Wissenschaft anerkanntes Krankheitskonzept, das der Begutachtung und Entscheidung in diesem Rechtsstreit nicht zugrundegelegt werden kann. Hinzu kommt, dass auch bei Zugrundelegung dieses Konzepts die Erkrankung der Klägerin kaum erklärt werden kann. Den genauen Beginn der Erkrankung konnte der Sachverständige dem Inhalt der Akten nicht entnehmen; insbesondere scheidet eine einmalige Exposition mit einer aggressiven chemischen Substanz aus. Die seltenere Variante einer chronischen Auslösung lässt sich kaum mit Emissionen der Schuldnerin erklären, eher schon mit der Exposition mit Lösungsmitteln etwa aus Filzstiften oder Klebern, die in der Grundschule verwandt wurden, Schadstoffbelastungen in den damaligen Wohnräumen, dem Straßenverkehr, bei dem z.B. Benzol, Toluol und Xylolen freigesetzt werden, oder mit der Unverträglichkeit zahnärztlicher Materialien (auch dazu finden sich Hinweise in den vorgelegten Behandlungsunterlagen). Schließlich ist der stets erforderliche Ausschluss anderer Krankheitsursachen weder zu führen noch irgendwie wahrscheinlich. Die dafür erforderlichen Tests sind ausweislich des Inhalts der Akten nicht durchgeführt worden. Auch der Arztbrief der V...klinik ..., in der die Klägerin im Frühjahr 1991 behandelt und untersucht wurde, lässt dies nicht erkennen; die Möglichkeit der Verursachung von Beschwerden allein durch die geruchliche Wahrnehmung (sogenannter Nocebo-Effekt) bleibt offen.
Die Diagnose einer multiplen Chemikaliensensitivität setzt nach deren Konzept den Ausschluss anderer Krankheiten voraus. Auch daran fehlt es nach den Feststellungen des Sachverständigen; vielmehr vermögen konkurrierende oder begleitende Erkrankungen der Klägerin, deren Ursache nicht der Schuldnerin angelastet werden kann, ihre Beschwerden teilweise oder sogar vollständig zu erklären. Die wichtigsten davon sind eine Borreliose, also eine durch Bakterien der Familie Spirochaeten ausgelöste fieberhafte Infektionskrankheit, eine Narkolepsie mit Katalepsie (zwanghafte Schlafanfälle am Tag mit anhaltendem Verharren in einer bestimmten passiv gegebenen Körperhaltung), eine Aluminiumencephalopathie, ein Quincke-Ödem, eine Nahrungsmittelunverträglichkeit oder -allergie sowie eine Erkrankung aus dem psychosomatischen Formenkreis. Die in den Akten enthaltenen ärztlichen Unterlagen bieten dazu ein uneinheitliches Bild (vgl. Tabelle S. 97 des Gutachtens) und lassen jegliche Möglichkeit offen. Alle diese Diagnosen sind im Laufe der Jahre von einem oder mehreren Ärzten bereits einmal gestellt worden, ohne dass dem eine stringente diagnostische Aufklärung und gegebenenfalls Therapie gefolgt wäre. Weiter ist von Bedeutung, dass ein großer Teil der Beschwerden der Klägerin in Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Übelkeit, Ödembildung und Sehstörungen besteht. Diese Beschwerdekombination ist gerade nicht typisch für eine Lösungsmittelvergiftung oder Chemikalienunverträglichkeit im Sinne von klassischen toxischen Wirkungen oder einer Allergie.
c.
Ein weiteres Argument ergibt sich aus den meteorologischen Gegebenheiten. Die Aufzeichnungen der Mutter der Klägerin und die Feststellungen des meteorologischen Gutachters des TÜV Niedersachsen/Sachsen-Anhalt stimmen insoweit überein, als immer dann, wenn im Bereich der früheren Wohnung der Klägerin ein katzendreckähnlicher Geruch wahrgenommen werden konnte, der Wind aus Richtung P... wehte. Andererseits - mit lediglich einer Ausnahme - wehte der Wind stets aus anderen Richtungen, wenn die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin besonders schwerwiegend waren. In den betreffenden Jahren von 1988 bis 1991 herrschte im Jahresmittel nur eine Häufigkeit von ca. 25% der Windrichtung von den Anlagen der Schuldnerin zur früheren Wohnung der Klägerin. Das wird bestätigt durch das Ergebnis der Umfrageaktion des Gesundheitsamtes (Bd. I Bl. 101 f. der Akten der Staatsanwaltschaft). Das Gros der Beschwerden kam nämlich aus dem südlich der Anlagen der Schuldnerin gelegenen Stadtteil Os...; aus dem Bereich nördlich der H... bzw. des Küstenkanals gab es neben derjenigen der Klägerin und ihrer Eltern nur eine weitere Meldung. Die Auslösung der Erkrankung der Klägerin durch Emissionen der Schuldnerin ist auch aufgrund dieser Tatsache wenig wahrscheinlich.
Die Einwendungen der Klägerin gegen den meteorologischen Teil des technischen Gutachtens greifen nicht durch. Die Ausbreitungsberechnungen des Gutachtens beruhen auf Daten des Deutschen Wetterdienstes und dessen Ausbreitungsklassenstatistiken für O.... Der als Gutachter tätige Diplom-Meteorologe v. B... hat sie mit den den Aufzeichnungen der Mutter der Klägerin verglichen und dabei festgestellt, dass Windrichtung und Auftreten katzendreckähnlichen Gestanks an bestimmten Tagen miteinander korrespondieren. Diese zeitliche Koinzidenz spricht deutlich für die Richtigkeit der meteorologischen Feststellungen im Gutachten.
d.
Die für den katzendreckähnlichen Geruch verantwortlichen Mercaptane, auf die sich die Klägerin für die Überschreitung von Emissions- und Immissionswerten beruft, haben keine toxische Wirkung. Deren Quelle waren allerdings unstreitig die Lackieranlagen der Schuldnerin. Diese Geruchsstoffe haben ihren Ursprung im Wasser des Koagulierbeckens. Der chemische Prozess, durch welchen die Geruchsstoffe entstehen, wird durch Fäulnisbakterien in Gang gesetzt. Auslöser des katzendreckähnlichen Geruchs sind sogenannte Mercaptane, die nach übereinstimmender Auffassung des technischen und des umweltmedizinischen Gutachters keine bekannten toxischen Wirkungen haben (Gutachten des TÜV Ziffer 3.4; S. 93 ff. Gutachten K...). In chemischer Hinsicht handelt es sich um schwefelhaltige Kohlenwasserstoffe. Sie zeichnen sich insbesondere durch einen intensiven Geruch aus; der Geruchsschwellenwert liegt sehr niedrig, so dass eine Geruchsbelästigung schon bei sehr geringer Konzentration wahrgenommen werden kann. Mercaptane - als Oberbegriff für schwefelwasserstoffhaltige Verbindungen - kommen in deutlich unterschiedlichen chemischen Zusammensetzungen vor und können harmlose Naturstoffe, die in geringster Konzentration in Lebensmitteln als Aromastoffe eingesetzt werden und in Arzneimitteln vorkommen, oder hoch toxisch sein. Eine verallgemeinernde Aussage zur Toxizität von Mercaptanen ist nicht möglich. Die in den Lackieranlagen der Schuldnerin durch die Reaktion von Mesityloxid oder Diacetonylalkohol mit Schwefelwasserstoff freigesetzten Mercaptane gehören zu den nicht toxischen Geruchsstoffen.
Nach den Auswertungen des medizinischen Sachverständigen anhand der in den Akten enthaltenen Unterlagen des Gesundheitsamtes sind bei der den Geruchsbelästigungen durch Merkaptane ausgesetzten Bevölkerung der Stadtteile D... und Os... anhaltende Gesundheitsstörungen oder Erkrankungen nicht zu beobachten gewesen. Die von einigen Anwohnern geklagten Beschwerden waren sehr vielgestaltig und betrafen nahezu alle Organsysteme, was deutlich gegen einen toxischen Vorgang spricht, bei dem hauptsächlich bestimmte Organe berührt werden, nicht aber primär alle Körperfunktionen. Auch bei der Klägerin betrafen die Symptome nahezu alle Organsysteme. Die Annahme des Sachverständigen, der katzendreckähnliche Geruch habe bei der Klägerin wie bei anderen der Geruchsbelästigung durch Mercaptane ausgesetzten Personen einen sogenannten Nocebo-Effekt (Gutachten K... S. 81 ff) hervorgerufen, ist damit mehr als plausibel. Geruchsbelästigungen werden häufig als besorgniserregend und Gesundheitsstörungen auslösend angesehen. Geruchliche Wahrnehmung und Giftigkeit einer Substanz sind jedoch völlig verschiedene Stoffeigenschaften, die vor allen Dingen nicht miteinander verbunden sein müssen. Das gilt insbesondere für die hier in Frage stehenden Mercaptane, die über ihren unangenehmen Geruch hinaus keine toxische Wirkung haben und durch die insbesondere der Gesundheit nachteilige Effekte nicht ausgelöst werden können.
e.
Auf die von dem Beklagten bestrittene Behauptung der Klägerin, die Schuldnerin habe das Koagulierwasser verbotenerweise in die H.../den Küstenkanal abgelassen, kommt es nicht an, weil - die Richtigkeit dieser Behauptung unterstellt - daraus nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen eine Schädigung der Klägerin nicht resultieren kann; einer weiteren Sachaufklärung bedarf es dazu nicht. Ein erhöhtes Risiko der Schadstoffexposition für Bewohner wie die Klägerin, die nicht unmittelbar an dem Abflusskanal wohnen, ergibt sich daraus nicht. Zwar enthielt das Koagulierwasser ausweislich des Gutachtens Dr. W... neben mit Schwefelkohlenstoff extrahierbaren Substanzen auch andere Stoffe, die sich nicht erfassen oder identifizieren ließen. Jedoch sind diese Stoffe deutlich weniger flüchtig und gut wasserlöslich, was eine Ausbreitung dieser nicht erfassten Stoffe zur Wohnung der Klägerin hin wenig wahrscheinlich macht.
f.
Ein weiteres wesentliches Argument gegen die Verursachungshypothese der Klägerin ergibt sich aus der Tatsache, dass allein sie in dieser einzigartigen und anhaltenden Form erkrankt ist, nicht aber weitere Einwohner von O..., die im gleichen Radius um die Lackieranlagen der Schuldnerin wohnten. Dies folgt aus den in den Akten (Bd. I Bl. 88 ff. der Akten der Staatsanwaltschaft) vorhandenen Unterlagen des Gesundheitsamtes der Stadt O..., die der medizinische Sachverständige umfassend ausgewertet hat.
Die Betriebsanlagen der Schuldnerin befinden sich gerichtsbekannt südlich des O...er Hafens; nördlich, westlich (Innenstadt) und südlich davon befindet sich neben gewerblicher auch umfangreiche Wohnbebauung; lediglich östlich der Anlagen ist nur eine geringe Bebauung vorhanden. Die Annahme des Sachverständigen, dass in einem Radius von ca. 2 km um die Betriebsanlagen der Schuldnerin herum tausende Einwohner leben, trifft gerichtsbekannt zu. Die Beschwerden über die Geruchsbelästigungen stammen denn auch aus sämtlichen umliegenden Stadtteilen, insbesondere aus dem südlich der Betriebsanlagen gelegenen Stadtteil Os.... Das Hauptaufschlaggebiet der durch die 70 und 85 m hohen Schornsteine abgeführten Emissionen liegt nach den Ermittlungen der technischen Gutachter etwa 1 bis 2 km östlich der Betriebsanlagen und führt dort zu den höchsten zusätzlichen Emissionen. Im Bereich des früheren Wohnortes der Klägerin treten deutlich geringere Emissionswerte auf. Die durch die Schornsteine der thermischen Nachverbrennungsanlagen und die Deckenventilatoren von Lackküche und Lacklager abgeleiteten Abgase führen im unmittelbaren Umfeld des Betriebsgeländes der Schuldnerin zu den höchsten zusätzlichen Emissionen; diese nehmen in Richtung des früheren Wohnortes der Klägerin deutlich ab.
Trotz dieser Gegebenheiten ist für den hier in Rede stehenden Zeitraum nur die Erkrankung der Klägerin aktenkundig geworden, obwohl theoretisch mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre, dass andere Anwohner in der Nähe des Betriebsgeländes oder in der Hauptwindrichtung erkrankt wären, wenn die Emissionen der Schuldnerin der Auslöser gewesen wären. Die in den Jahren 1990/91 vorgenommenen Untersuchungen des Gesundheitsamtes O... (Bd. I Bl. 88 ff., 175 ff. der Akten der Staatsanwaltschaft) zu Fehlzeiten in den Kindergärten (darunter der Kindergarten in Os...), Auffälligkeiten bei Einschulungsuntersuchungen, Beschwerdehäufigkeiten in Praxen von Kinder-, Allgemeinärzten und Internisten in den Stadtteilen Os... und D... sowie die Auswertungen von Fragebögen haben keinen Anhalt für eine erhöhte Erkrankungshäufigkeit oder durch die Lackieranlagen der Schuldnerin verursachte Erkrankungen in den betroffenen Stadtteilen ergeben. Im Frühjahr 1991 durchgeführte Immissions- und Innenraummessungen des Niedersächsischen Landesamtes für Immissionsschutz im Kindergarten Os... haben in der Außenluft keine gesundheitliche Beeinträchtigungen bedingenden Werte für Lösungsmittel ergeben; in den Innenräumen lagen diese Werte sogar geringfügig höher, hinzu kam eine Belastung mit dem Holzschutzmittel PCP. Die von Anzeigeerstattern und weiteren Beschwerdeführern ausweislich des Inhalts der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten geklagten Beschwerden im Zusammenhang mit den von den Lackieranlagen ausgehenden Geruchsbelästigung lassen sich - so der medizinische Sachverständige - am ehesten als Befindlichkeitsstörungen einordnen und geben keinerlei Hinweise auf eine toxische Verursachung; einer weiteren Beweiserhebung durch die Vernehmung von im Umkreis der Lackieranlagen der Schuldnerin lebenden Personen, wie dies die Klägerin fordert, fehlt danach die Grundlage. Der Sachverständige hat weiterhin keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die Klägerin aufgrund besonderer individueller Disposition an Emissionen der Lackieranlagen der Schuldnerin erkrankt ist. Vielmehr spricht nach seiner Auffassung alle Erfahrung und Wahrscheinlichkeit dagegen, dass die vielgestaltigen und fortbestehenden Beschwerden der Klägerin durch klassisch toxische Mechanismen ausgelöst worden sind. Einen solchen Zusammenhang hat er aufgrund des ihm zur Verfügung stehenden Tatsachenmaterials mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.
Das Vorbringen der Klägerin zu Todesfällen unter P...-Mitarbeitern (8 Todesfälle zwischen 1992 und 2003) ist nicht hinreichend substantiiert und einer Aufklärung nicht zugänglich. Anhaltspunkte dafür, dass Todesfälle innerhalb der Belegschaft auf toxische Ursachen zurückzuführen sind, nennt die Klägerin nicht. Im Hinblick auf ihre Erkrankung ist diese von dem Beklagten bestrittene Tatsache ohne Aussagekraft. Innerhalb der Lackieranlagen gelten die höheren MAK-Werte (maximale Arbeitsplatzkonzentration), es herrschen dort mithin andere Verhältnisse als etwa 2 Kilometer entfernt am früheren Wohnort der Klägerin.
g.
Die Sachkunde des medizinischen Sachverständigen greift die Klägerin vergeblich an. Der Sachverständige hat seine fachlichen Qualifikationen im Gutachten im einzelnen dargelegt; er ist sowohl Arzt wie Diplom-Chemiker und besitzt praktische Erfahrungen aus der Tätigkeit in einer umweltmedizinischen Ambulanz. Den von der Klägerin aus dem Gutachtenauftrag W... hergeleiteten Bedenken vermag der Senat nicht zu teilen; dem von der Klägerin auszugsweise vorgelegten Schreiben vom 26. Mai 2000 ist nur der Hinweis zu entnehmen, dass der Sachverständige nicht Kinderarzt ist, weswegen ein solcher zur Begutachtung hinzugezogen werden sollte. Nichts anderes hat er bei seiner Anhörung erklärt. Die hier zu klärenden Fragen gehören zu den von ihm vertretenen Fachrichtungen. Das schriftliche Gutachten und seine mündliche Anhörung bestätigen zur Überzeugung des Senats seine Eignung zur Beantwortung der Fragen des Beweisbeschlusses. Widersprüche zwischen seinem Gutachten und Ausführungen in einem von ihm mit herausgegebenen toxikologischen Handbuch - zur Frage der Toxizität von Mercaptanen - bestehen nicht. Die gegen ihn gerichteten mehrfachen Befangenheitsanträge hat der Senat als unbegründet zurückgewiesen; soweit der Vorwurf der Befangenheit auf das Gutachten gestützt wird, ist dies zuletzt mit Beschluss des Senats vom 22. August 2005 geschehen.
4.
Das von dem Senat eingeholte technische Gutachten des TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt zu den von den Anlagen der Schuldnerin in den Jahren 1988 bis 1991 emittierten Schadstoffen, deren Verbreitung in der Umgebung des früheren Wohnorts der Klägerin und zur Einhaltung der durch die Betriebsgenehmigungen festgelegten Emissions- und Immissionswerte, insbesondere der Mindestbrennraumtemperatur, hat ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass von den Lackieranlagen der Schuldnerin ausgehende Schadstofflasten die Erkrankung der Klägerin, deren toxische Verursachung vom Senat ohnehin - wie unter 3. ausgeführt - nicht festgestellt werden kann, herbeigeführt haben. Insbesondere sind die mit der Betriebsgenehmigung vorgegebenen Grenzwerte für Emissionen nicht überschritten worden. Das aber wäre Voraussetzung dafür, dass der Klägerin, die grundsätzlich zu beweisen hat, dass von den Anlagen der Schuldnerin ausgehende Schadstoffemissionen die behauptete Rechtsgutverletzung verursacht haben, Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr in der Kausalitätsfrage zugute kommen.
Die Abluft der Lackieranlagen wurde in dem hier maßgeblichen Zeitraum (1988 bis 1991) über zwei 70 bzw. 85 m hohe Schornsteine ins Freie geführt. Die thermischen Nachverbrennungsanlagen, in denen die Abluft aus den Trocknern der Lackieranlagen verbrannt wird, verfügten über jeweils 18 m (inzwischen 20 m) hohe Schornsteine. Das Lacklager und die Lackküche werden über Absaugsammelleitungen, die jeweils in der Halle unter dem Dach zusammengeführt werden, entlüftet; die Ventilatoren sind über dem Dach angeordnet. Die von den Lackieranlagen in die Atmosphäre abgeführten Emissionen stammen ganz überwiegend aus diesen Lüftungssystemen (Schornsteine bzw. Ventilatoren). In geringem Umfang werden Emissionen durch die Türen und Fenster der Produktionshallen freigesetzt; diese Schadstofffracht ist jedoch gegenüber den gerichteten Quellen (Schornsteine und Ventilatoren) von untergeordneter Bedeutung, infolge ihrer Verdünnung durch die Luftwechselraten in den Gebäuden kann sie sich in größeren Entfernungen (ca. 2 km bis zum früheren Wohnort der Klägerin) kaum auswirken. Maßgeblich kommt es darauf an, ob die durch die Schornsteine und Deckenventilatoren verarbeitungsbedingt freigesetzten Lösungsmittel und Einsatzstoffe die durch die Betriebsgenehmigung und die TA-Luft festgelegten Werte überschritten haben.
Das ist nach den Ermittlungen der Gutachter des TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt nicht der Fall (Ziffer 3.5 des Gutachtens). Grundlage dieses Gutachtens sind die Messungen und Untersuchungen des TÜV Hannover gemäß den gutachtlichen Stellungnahmen vom 20. Dezember 1990, 25. Februar, 14. März und 24. April 1991 (Bd. I Bl. 126 ff. der Akten der Staatsanwaltschaft). Mehrere Messungen des TÜV Hannover im fraglichen Zeitraum (am 30. Oktober und 6. Dezember 1990) haben ergeben, dass die Emissionswerte nicht überschritten werden. Das gilt zunächst für das Abgas des Lacklagers und der Lackküche; lediglich einer von mehreren Halbstundenmittelwerten liegt mit 181 mg/m³ über dem einzuhaltenden Emissionswert von 150 mg/m³, die weiteren Halbstundenmittelwerte bewegen sich in einem Bereich von 35,93 bis 107,60 mg/m³ und unterschreiten damit den einzuhaltenden Wert deutlich.
Ähnliches gilt für die Emissionsmesswerte im Abgas der 70 und 85 m hohen Schornsteine der Lackieranlagen. Auch hier liegt lediglich ein Halbstundenmittelwert mit 163,86 mg/m³ oberhalb des einzuhaltenden Grenzwertes von 150 mg/m³, während die anderen Messwerte, sowohl bezogen auf die Summe der einzelnen Schadstoffklassen als auch auf die Summe aller drei Schadstoffklassen unterhalb dieses Grenzwertes liegen.
Schließlich halten auch die thermischen Nachverbrennungsanlagen die Grenzwerte für Emissionen ein. In diesen Anlagen werden gas- und dampfförmige Schadstoffe durch Verbrennen beseitigt; chemisch gebundener Kohlenstoff und Wasserstoff werden in die lufthygienisch unbedenklichen Stoffe Kohlendioxyd und Wasser überführt. Die Grenzwerte werden unabhängig davon eingehalten, ob die Brennraumtemperatur 750 Grad Celsius oder 700 Grad Celsius betrug; in beiden Fällen war ein ausreichender Ausbrand der zu behandelnden Trocknerabgase gewährleistet. Bei den meisten Schadstoffen unterscheiden sich die Emissions-Messwerte nicht oder nur geringfügig. Nachgewiesen werden konnten die Schadstoffe Aceton und Formaldehyd; die sonstigen Schadstoffkomponenten lagen bei beiden Temperaturwerten unterhalb der Nachweisgrenze. Aceton ließ sich bei beiden Temperaturbereichen in der gleichen Größenordnung feststellen; bei Formaldehyd lag der Messwert bei der geringeren Temperatur um eine Größenordnung höher als bei 750 Grad Celsius, aber immer noch zwei Größenordnungen unterhalb der einzuhaltenden Grenzwerte.
Das Betreiben der thermischen Nachverbrennungsanlagen mit einer Mindestbrennraumtemperatur von 700 Grad Celsius statt der 750 Grad Celsius, wie sie im Genehmigungsbescheid festgeschrieben ist, verstößt allerdings gegen die Betriebsgenehmigung. Der bestimmungsgemäße Betrieb der Anlage wird dadurch jedoch nicht in Zweifel gezogen; denn auch bei niedrigerer Mindestbrennraumtemperatur tritt eine Überschreitung der Emissions- und Immissionswerte nicht ein. Die geringere Brennraumtemperatur reicht ebenfalls aus, um die einzuhaltenden Emissionswerte zu unterschreiten. Bei beiden Temperaturwerten liegen die Messwerte für die einzelnen Schadstoffe überwiegend unterhalb der Nachweisgrenze. Von Bedeutung ist der Umstand, dass bei einer Brennraumtemperatur von 700 Grad Celsius die Werte für Stickstoffoxyde niedriger liegen als bei einer Temperatur von 750 Grad Celsius (Tabelle 3.6.1 des technischen Gutachtens). Wurden die thermischen Nachverbrennungsanlagen mit der geringeren Brennraumtemperatur von 700 Grad Celsius gefahren, so wäre die Klägerin grundsätzlich Stickstoffoxyden in deutlich geringerem Maße ausgesetzt gewesen als es bei der in der Betriebsgenehmigung vorgeschriebenen höheren Temperatur von 750 Grad Celsius der Fall gewesen wäre.
Dahingestellt bleiben kann, ob das Austreten des katzendreckähnlichen Geruchs aus den Anlagen der Schuldnerin eine Störung des bestimmungsgemäßen Betriebs bedeutet und ob diese das Erforderliche getan hat, um den Geruchsemissionen von vornherein oder alsbald nach deren Auftreten zu begegnen. Denn daraus kann angesichts der fehlenden Toxizität der für den Geruch verantwortlichen Mercaptane nichts zugunsten der Klägerin hergeleitet werden (vgl. oben 3. d.).
Eine schädliche, unter Gesichtspunkten der Delikts- oder Gefährdungshaftung relevante Einwirkung auf das Rechtsgut eines Dritten wird zwar grundsätzlich nicht dadurch ausgeschlossen, dass Schadstoffemissionen die Grenzwerte der TA-Luft einhalten; auch die eigentümliche Kombination emittierter Stoffe kann, worauf sich die Klägerin beruft, gesundheitsschädliche Wirkungen haben. Ein solcher Sachverhalt kann hier jedoch nicht festgestellt werden, und das schon deshalb, weil sich in der Beweisaufnahme keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass die Erkrankung der Klägerin toxischer Natur ist (vgl. oben 3.).
5.
Nachdem weder eine auf Umweltschadstoffe zurückzuführende Erkrankung der Klägerin noch eine Verursachung durch von den Lackieranlagen der Schuldnerin ausgehende Emissionen festgestellt werden können, weiterhin von einem bestimmungsgemäßen Betrieb der Lackieranlagen auszugehen ist, kommt es auf die Frage von Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr im Rahmen des grundsätzlich von der Klägerin als Geschädigter zu führenden Kausalitätsnachweises nicht mehr an. Die entsprechende Formulierung im Revisionsurteil ist im übrigen offen und bedarf einer Verfeinerung (vgl. dazu Hager Anm. zu LM Nr. 30 § 823 (C) BGB; JZ 1998, 361 f [BGH 17.06.1997 - VI ZR 372/95]). Allein eine Nichteinhaltung der Bestimmungen der Betriebsgenehmigung oder eine Überschreitung der Grenzwerte bei Emissionen und Immissionen, wie sie die Klägerin behauptet, muss noch nicht signifikant für eine Ursache-Wirkungs-Beziehung sein und zu einer Beweislastumkehr führen, Um dies bejahen zu können, muss ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Emissionen und Schaden dargetan werden (das mag hier angenommen werden können); die Emissionen müssen generell geeignet sein, den entstandenen Schaden zu verursachen. Dafür bestehen im hier zu entscheidenden Fall keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Herkunft von Geruchsimmissionen am früheren Wohnort der Klägerin aus den Lackieranlagen der Schuldnerin ist an den Tagen, an denen katzendreckähnlicher Geruch geherrscht hat, nicht zu bezweifeln; ansonsten kann nur von einer geringen zusätzlichen und von der Windrichtung abhängigen Emissionslast, die die Schuldnerin zu vertreten hat, die Rede sein. Die geografischen und klimatischen Bedingungen, insbesondere die Windrichtung und die Ausbreitungsrichtungen sprechen aus den dargelegten Gründen deutlich gegen einen Zusammenhang zwischen Emissionsquelle (Betriebsanlagen der Schuldnerin) und Immissionsort (früherer Wohnsitz der Klägerin). Die Erkrankung der Klägerin hat schließlich mit hoher Wahrscheinlichkeit keine toxischen Ursachen; weitere Feststellungen zugunsten der Klägerin in dieser Hinsicht waren dem Senat aufgrund der Ablehnung der Klägerin, sich von dem medizinischen Sachverständigen untersuchen und anamnestisch befragen zu lassen, nicht möglich.
Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr könnte die Klägerin auch deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Förderung und Mitwirkung an der Beweisaufnahme in entscheidenden Punkten abgelehnt hat. Gerade in Umwelthaftungsfällen treffen neben dem potentiellen Schädiger auch den Geschädigten umfangreiche Mitwirkungspflichten. Die Klägerin hat sich einer Untersuchung und Anamneseerhebung durch den gerichtlichen Sachverständigen trotz mehrfacher Aufforderung und Fristsetzung nach § 356 ZPO verweigert; den Umweltfragebogen hat sie nur unzureichend und wenig aussagekräftig ausgefüllt. Für die Feststellung einer durch Umweltnoxen ausgelösten Erkrankung ist eine persönliche Untersuchung und eine systematische Anamneseerhebung unerlässlich; das hat der medizinische Sachverständige in seinem Gutachten und diversen der Erstellung des Gutachtens vorausgehenden Schreiben umfangreich dargelegt und begründet. Feststellungen zur Ursache der Erkrankung der Klägerin konnten deshalb nur eingeschränkt, nämlich nach Aktenlage, die keinen genauen oder auch nur hinreichenden Aufschluss vermittelt, getroffen werden. Schon diese Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten ließen es nicht zu, der Klägerin Beweiserleichterungen zugute kommen zu lassen. Wer bei schwierigen Beweislagen insbesondere im Fall der haftungsbegründenden Kausalität Beweiserleichterungen welcher Art auch immer für sich in Anspruch nehmen will und sich darauf beruft, es sei Sache des Prozessgegners, sich zu entlasten, darf sich einer zumutbaren Sachaufklärung nicht verweigern und dadurch gegebenenfalls dem Prozessgegner die diesem aufgrund der Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr obliegende Beweisführung unmöglich machen. Das folgt aus dem auch im Prozessrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben und der Verpflichtung jeder Partei zu redlicher Prozessführung.
6.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Klägerin vom 16., 18., 20., 22., 27., 29. Oktober und 2. und 8. November 2005 geben dem Senat keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
7.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.