Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 29.08.2013, Az.: 1 Ws 227/13

Zulässigkeit der Einstellung nach §§ 153, 153a StPO im Klageerzwingungsverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
29.08.2013
Aktenzeichen
1 Ws 227/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 48164
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2013:0829.1WS227.13.0A

Fundstellen

  • NJW-Spezial 2013, 762
  • NStZ 2014, 174-175

Amtlicher Leitsatz

1. Der Eigentümer/Halter eines Tieres ist in einem wegen des Verdachts der Tierquälerei geführten Verfahren nicht Verletzter i.S.v. § 172 Abs. 1 StPO.

2. Auch im Klageerzwingungsverfahren kann von den Einstellungsmöglichkeiten gem. §§ 153, 153a StPO Gebrauch gemacht werden.

Tenor:

Das Verfahren wird mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft und des Beschuldigten H. entsprechend § 153a StPO vorläufig eingestellt.

Dem Beschuldigten wird aufgegeben, binnen sechs Monaten einen Betrag von 300,- € in sechs monatlichen Raten von jeweils 50,- €, jeweils zum 3. eines jeden Monats, beginnend im September 2013 an den ... zu zahlen.

Gründe

I.

1. Soweit dem Beschuldigten Tierquälerei gemäß § 17 Nr. 1 und Nr. 2 Tierschutzgesetz vorgeworfen wird, ist der Antrag unzulässig, da die Anzeigeerstatterin nicht als Verletzte im Sinne des § 172 Abs. 1 StPO anzusehen ist.

Verletzte im Sinne des § 172 Abs. 1 StPO ist grundsätzlich, wer durch die behauptete Tat - ihre tatsächliche Begehung unterstellt - unmittelbar in einem Rechtsgut verletzt ist (OLG Hamm, NStZ 86, 327; OLG Koblenz, NJW 85, 1409; Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, § 172, Rn. 9).

Da das Tierschutzgesetz in erster Linie das lebende Tier vor Beeinträchtigungen durch den Menschen schützt und Ausdruck eines auf den Schutz des Tieres ausgerichteten ethischen Tierschutzes ist, ist nach ganz überwiegender Meinung, der sich der Senat anschließt, der Eigentümer/Halter des Tieres vom Schutzzweck des Gesetzes nicht erfasst und damit nicht als Verletzter anzusehen (OLG Celle, 1. Strafsenat, Beschluss v. 10.01.2007, 1 Ws 1/07; Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 172, Rn. 100 m. w. N.; Pfohl in Münchner Kommentar, StGB Bd. VI, Nebenstrafrecht, 2. Auflage, § 17 Tierschutzgesetz, Rn. 149; anders OLG Koblenz, Urteil v. 14.12.1988, 1 Ws 676/88 ohne Begründung).

Die Rechte des Halters werden durch die Vorschrift des § 303 StGB ausreichend geschützt.

2. Wegen der übrigen Vorwürfe des Diebstahls und der Sachbeschädigung ist der Antrag zulässig mit der Maßgabe, dass statt des Diebstahls eine Unterschlagung in Betracht kommt.

Der Antrag ist von einem Rechtsanwalt unterschrieben (§ 172 Abs. 3 S. 2 StPO) und enthält die nach § 172 Abs. 3 S. 1 StPO notwendigen Angaben.

Der Gang des Ermittlungsverfahrens wird ausführlich, insbesondere auch mit Wiedergabe der einzelnen Zeugenaussagen, Zugangsdaten der Bescheide etc. dargestellt und es wird ein Sachverhalt geschildert, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in formeller und materieller Hinsicht rechtfertigen würde.

Soweit dabei zum Beweis auf einzelne Schriftstücke, insbesondere auf den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Göttingen vom 30.04.2013, die Beschwerdebegründung der Anzeigeerstatterin vom 21.05.2013 und den Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig vom 11.06.2013 verwiesen wird, ist eine solche Bezugnahme ausnahmsweise zulässig.

Nach allgemeiner Auffassung darf auf Anlagen zu einem Klageerzwingungsantrag nicht verwiesen werden, wenn erst durch die Kenntnisnahme vom Inhalt dieser Anlagen eine geschlossene Sachverhaltsdarstellung erreicht wird, da das Oberlandesgericht grundsätzlich allein aufgrund des Antrags in die Lage versetzt werden soll, eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen und nicht gezwungen sein soll, sich den entscheidungserheblichen Sachverhalt aus Anlagen zusammenzustellen (OLG Koblenz, Beschluss vom 02.06.1977, 1 Ws 123/77; OLG Celle, NStZ 1997, 406; Schmidt in Karlsruher Kommentar, 6.Auflage, § 172, Rz. 37 m w. N.).

Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

Zwar fehlt eine geschlossene Darstellung des Inhalts der Bescheide bzw. der Beschwerdebegründung im Antrag, jedoch setzt die Anzeigeerstatterin sich sowohl bei der Darstellung des Ermittlungsverfahrens als auch im Rahmen der unter Ziffer II. (Seite 18 ff.) des Antrags enthaltenen Sachverhaltsdarstellung, der Beweisgründe und der Beweiswürdigung mit den in den Bescheiden angeführten Tatsachen und der entsprechenden Argumentation ausführlich auseinander; er deckt insbesondere anhand der Aussage der Zeugen F. und B. Widersprüche in der Einlassung des Beschuldigten und in der Aussage des Zeugen Sch. auf und rekonstruiert zusammenfassend, unter Aufgreifen der in den Einstellungsbescheiden und der Beschwerdebegründung enthaltenen Tatsachen, Beweismittel und Argumentation einen den Tatvorwurf rechtfertigenden Sachverhalt.

3.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.

Der Beschuldigte ist aufgrund der Schilderung in dem Antrag dringend verdächtigt,

am 28.11.2012 gegen 00.10 Uhr

in ..., ...

sich eine fremde, bewegliche Sache rechtswidrig zugeeignet und rechtswidrig eine fremde Sache zerstört zu haben, indem er

zur Tatzeit die sechs Monate alte rotgetigerte europäische Kurzhaarkatze mit Namen "Kater Findus" der Anzeigeerstatterin T., die im Bereich der Appartementanlage frei herumlief, aufgenommen, in den Nacken gepackt und trotz lauten Schreiens der Katze diese am Schwarzen Brett und dem Kreisel vorbei in das von ihm und dem Zeugen K. bewohnte Appartement Nr. ... verbracht hat. In der Wohnung befanden sich die zwei Jagdterrier des Beschuldigten, von denen zumindest einer die Katze sofort tötete, was der Beschuldigte auch für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.

Der hinreichende Tatverdacht hinsichtlich des oben genannten Sachverhalts ergibt sich aus der Einlassung des Beschuldigten selbst, den Gesamtumständen sowie den Angaben der Zeugen..., ..., ... und ...

Der Beschuldigte hat angeführt, er habe die Katze mitgenommen, um seinen Mitbewohner zu erschrecken. Dabei war ihm durchaus bewusst, dass sich in der Wohnung seine für die Jagd ausgebildeten, nach seinen eigenen Angaben mit einem starken Jagdtrieb versehenen und zur Bewegungsjagd auf Schwarzwild eingesetzten Hunde befanden.

Da der Beschuldigte einen Mitbewohner hat und somit dritte Personen ohne sein Wissen Zugang zur Wohnung hatten, konnte er - entgegen seiner Einlassung - nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass seine Zimmertür noch versperrt und die Hunde eingeschlossen waren, zumal sie offenbar auch sonst in der Wohnung umherliefen. So sah der Zeuge F.. sie nach der Tat in der Küche und sie werden nach Angaben des Beschuldigten auf dem Balkon gefüttert. Der Beschuldigte wusste weder, wann sein Mitbewohner in die Wohnung zurückkam, noch mit wem und welche Aktivitäten dann stattfanden; insbesondere musste er auch damit rechnen, dass sein Mitbewohner sich erschrocken hätte beim Anblick der Katze und sofort zu ihm ins Zimmer gelaufen wäre, wodurch die Hunde dann ebenfalls ungehinderten Zugriff auf die Katze gehabt hätten. Dem Beschuldigten war auch bewusst, dass eine sechs Monate alte Katze sich gegen zwei Jagdhunde in deren "Revier" nicht erfolgreich zur Wehr setzen kann. Den (tödlichen) Angriff der Hunde auf die Katze hat der Beschuldigte in Kauf genommen, wobei zu seinen Gunsten von einer alkoholbedingten Enthemmung auszugehen ist.

Es besteht daher der hinreichende Verdacht, dass sich der Beschuldigte wegen Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1 StGB sowie wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB schuldig gemacht hat.

Ein Diebstahls an der Katze scheitert mangels Wegnahme i.S.d. § 242 StGB. Da die Anzeigeerstatterin zur Tatzeit nicht wusste, wo sich die frei herumlaufende Katze befand, fehlte ihr die für fortbestehenden Gewahrsam nötige tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit (vgl. Eser/Bosch in Schönke-Schröder, StGB, 28. Auflage, § 242, Rn. 28).

Bei dem Vorwurf der Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB handelt es sich zwar grundsätzlich gemäß § 374 Abs. 1 Nr. 6 StPO um ein Privatklagedelikt, bei dem der Weg des Klageerzwingungsverfahrens gemäß § 172 Abs. 2 S. 3 StPO verschlossen ist; da jedoch die angezeigte Tat im Sinne des § 264 StPO auch die Unterschlagung als Offizialdelikt betrifft und die Antragstellerin auch hinsichtlich der Unterschlagung Verletzte ist, führt dies zur Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens insgesamt (vgl. Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 172, Rn. 24 m. w. N.; OLG Koblenz, Urteil v. 14.12.1988, 1 Ws 676/88, juris).

II.

Das Verfahren war in entsprechender Anwendung des § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage von 300,- € vorläufig einzustellen, weil es der Durchführung einer Hauptverhandlung nicht bedarf.

1. Die Anwendbarkeit der §§ 153 ff. StPO im gerichtlichen Klageerzwingungsverfahren ist allerdings umstritten.

Während ein Teil der Rechtsprechung und Literatur die Einstellungsmöglichkeit entsprechend §§ 153 ff. StPO unter Hinweis auf systematische Zusammenhänge nicht für möglich hält, sobald der Klageerzwingungsantrag beim Oberlandesgericht angebracht ist (Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, § 174, Rn. 3; OLG Hamburg, VRS 38 (1970) 442; Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 174, Rn. 8 m. w. N.) wird von der überwiegenden Anzahl der Oberlandesgerichte die Anwendbarkeit mit unterschiedlichen dogmatischen Begründungen und Konsequenzen, vor allem im Hinblick auf prozessökonomische Erwägungen bejaht (OLG Stuttgart, Beschluss v. 03.02.1997, 4 Ws 230/96, juris; MDR 82, 954; OLG Braunschweig, NJW 1958, 1361/1362; OLG Celle, MDR 1985, 249/250; OLG Köln, NJW 1991, 764/765; OLG Hamm, NJW 75, 1984).

Dieser Auffassung folgt auch der Senat im Anschluss an seine Entscheidung vom 14.03.1958. Dem Oberlandesgericht als Gericht höherer Ordnung kann grundsätzlich nicht verwehrt sein, beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen über eine Einstellung zu entscheiden, zu der die untergeordneten Gerichte nach Durchführung des Klageerzwingungsverfahrens unstreitig berechtigt sind.

Der von der Gegenmeinung angeführte Zweck des Klageerzwingungsverfahrens, das Legalitätsprinzip zu sichern, wird in jedem Fall dadurch erreicht, dass das Oberlandesgericht die Anklagevoraussetzungen, insbesondere auch das Vorliegen des hinreichenden Tatverdachts, prüft und steht der zusätzlichen Berücksichtigung von Opportunitätsgesichtspunkten nicht entgegen.

Dagegen ist die von den Oberlandesgerichten Stuttgart und Hamm vorgenommene Auslegung des Wortlauts des § 174 StPO, wonach der Begriff des "genügenden Anlasses" im Sinne dieser Vorschrift nicht gleichbedeutend mit den hinreichenden Tatverdachte im Sinne des § 170 StPO sei, sondern darüber hinaus beinhalte, dass die Voraussetzungen für eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO nicht vorlägen (OLG Stuttgart, aaO.; OLG Hamm, aaO.) nicht zwingend und findet auch keine Stütze im Gesetz; ferner passt sie insbesondere nicht auf den Fall einer Einstellung nach § 153a StPO, wo alle Anklagevoraussetzungen vorliegen und das Maß der Schuld in der Regel nicht als völlig unbedeutend einzustufen ist. Vielmehr spricht der Zweck des Klageerzwingungsverfahrens, das Legalitätsprinzip zu sichern, für eine Gleichstellung des "genügenden Anlasses zur Erhebung der öffentliche Klage" im Sinne des § 174 StPO mit dem hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 170 StPO (so auch Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 174, Rn. 9).

Eine gleichzeitige Entscheidung über den Klageerzwingungsantrag durch Verwerfung als unzulässig (entsprechend § 172 Abs. 2 S. 3 StPO; OLG Hamm, Beschluss v. 20.02.1975, 2 Ws 289/74, juris) oder unbegründet (OLG Köln, Beschluss v. 19.07.1990, 2 Zs 126/89) ist daher nicht veranlasst.

2. Die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung im Sinne des § 153a StPO liegen vor.

Der Beschuldigte, sein Verteidiger sowie die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig haben einer entsprechenden Einstellung zugestimmt.

Die Delikte sind im Bereich der unteren Kriminalität anzusiedeln, wenngleich der subjektive Schmerz für die Tierhalterin deutlich größer ist. Der Beschuldigte war zum Tatzeitpunkt aufgrund des Alkoholgenusses enthemmt und es ist ihm abzunehmen, dass sich das Geschehen verselbstständigt und einen so von ihm nicht von vornherein beabsichtigten dramatischen Verlauf genommen hat.

Der Beschuldigte ist strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten.

Unter diesen Voraussetzungen kann das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung durch die Zahlung von 300,- € an eine gemeinnützige Einrichtung beseitigt werden. Dem steht auch die Schwere der Schuld im vorliegenden Fall nicht entgegen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist im Rahmen der vorläufigen Einstellung nicht veranlasst. Im Rahmen der endgültigen Verfahrenseinstellung, d. h. nach Erfüllung der Geldauflage, werden bei der Kostenentscheidung die Grundsätze des § 467 StPO zu berücksichtigen sein.