Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 15.08.2013, Az.: 1 Ss 50/13

Umfang der tatrichterlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Verletzung der Unterhaltspflicht

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
15.08.2013
Aktenzeichen
1 Ss 50/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 43632
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2013:0815.1SS50.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 21.03.2013

Fundstelle

  • StRR 2014, 74-75

Amtlicher Leitsatz

Zum erforderlichen Umfang der tatrichterlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Verletzung der Unterhaltspflicht.

In der Strafsache
gegen pp.
- Verteidiger: Rechtsanwalt Gordon Kirchmann, Goethestraße 11, 42489 Wülfrath (Vollmacht: BI. 108) -
wegen Verletzung der Unterhaltspflicht
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 15. August 2013
beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 21. März 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Göttingen zurückverwiesen.

Gründe

Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit einem am 27. März 2013 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Nach Zustellung des Urteils am 26. April 2013 ist der Angeklagte mit Schriftsatz 22. Mai 2013 zur Revision übergangen. Außerdem hat er das Rechtsmittel in dem genannten, am 22. Mai 2013 eingegangenen Schriftsatz zugleich begründet und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Revisionsbegründung verwiesen.

Der Angeklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Göttingen zurückzuverweisen. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt ebenfalls Aufhebung und Zurückverweisung.

II.

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 18. Juli 2013 ausgeführt:

"Die Urteilsfeststellungen erscheinen unvollständig und daher nicht geeignet, die Verurteilung des Angeklagten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zu tragen.

Der objektive Tatbestand einer Verletzung der Unterhaltspflicht gern. § 170 Abs. 1 StGB setzt das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus, diese regelmäßig aus dem inländischen bürgerlichen Recht resultierende Pflicht beinhaltet als Teilelemente die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten einerseits und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners andererseits (vgl. statt vieler OLG Gelle, 2. Strafsenat, Beschluss vom 19.04.2011 — 32 Ss 37/11 Rn. 10 mit zahlreichen Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen — bei [...]). Die von dem Tatrichter für die Beurteilung des Bedarfs des Berechtigten und der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten herangezogenen Grundlagen müssen in einer Weise festgestellt und im Urteil dargelegt werden, die dem Revisionsgericht eine Überprüfung der rechtlichen Wertung des Tatrichters ermöglicht (OLG Celle, a.a.O., Rn. 14 ebenfalls mit weiteren Nachweisen). Auch bedarf es der tatrichterlichen Feststellung zur Höhe der Unterhaltsschuld, wobei die erkennenden Gerichte berechtigt sind, sich bei der Bestimmung von Bedarf des Unterhaltsberechtigten und Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten an den in der Rechtsprechung der Familiensenate der Oberlandesgerichte entwickelten unterhaltsrechtlichen Leitlinien und Tabellen zu orientieren, müssen jedoch die von ihnen herangezogenen Leitlinien und Tabellen in dem Urteil angeben (OLG Celle, a.a.O., Rn. 13 ebenfalls mit weiteren Nachweisen).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Hinsichtlich der Höhe der Unterhaltsschuld wird lediglich ausgeführt, dass die am 14.07.2003 geborene Tochter bei ihrer Mutter lebt und der Angeklagte sich mit Urkunde vom 24.06.2004 gegenüber dem Jugendamt des Landkreises Göttingen zur Zahlung von Unterhalt nach der Regelbetragsordnung verpflichtet hat. Die unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Lebensbedarfs des unterhaltsberechtigten Kindes erforderlichen Feststellungen zur Leistungsfähigkeit der Kindesmutter (vgl. hierzu OLG München NStZ 2009, 212 f, 213 [OLG München 02.09.2008 - 5 St RR 160/08]) fehlen ebenfalls. Des Weiteren bedarf es der tatrichterlichen Feststellung zur Leistungsfähigkeit des Angeklagten. Insoweit muss im Urteil auch der notwendige Eigenbedarf — neben zahlenmäßigen Angaben über tatsächliche oder mögliche Einkünfte und Verpflichtungen — mitgeteilt werden (vgl. OLG München a.a.O.). Dem Urteil können insoweit lediglich die Höhe der monatlichen Nettoeinkünfte und die Tatsache, dass der Angeklagte einem weiteren Kind gegenüber unterhaltspflichtig ist, entnommen werden. Ob eine (weitere) Unterhaltspflicht gegenüber der Mutter jenes Kindes, mit. der der Angeklagte verheiratet ist, besteht oder eine solche fehlt, wird ebenso wenig wie die Höhe des notwendigen Selbstbehalts des Angeklagten dargelegt.

Allerdings wird der in der Revisionsbegründungsschrift angesprochene, auf der Ansicht des OLG Koblenz beruhende (OLG Koblenz NStZ 2005, 640 [OLG Koblenz 04.04.2005 - 1 Ss 59/05] f) sogenannte Nachholbedarf nicht anzuerkennen sein, weil die Beurteilung der Leistungsfähigkeit über einen längeren Zeitraum nach Durchschnittssätzen dem Schutzzweck der Norm des § 170 StGB, welcher vorrangig dem Schutz des Unterhaltsberechtigten vor der Gefährdung seines materiellen Lebensbedarfs dient, nicht genügend Rechnung trägt (OLG Celle, a.a.O., Rn. 23 f, 25 m. w. N.)."

Dem tritt der Senat bei. Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass es für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten auf eine etwaige Unterhaltsschuld gegenüber seiner Ehefrau wegen der Rangfolge des § 1609 BGB dann nicht ankommt, wenn lediglich der Mindestbedarf nach § 1612 a BGB zugrunde gelegt wird (vgl. Palandt/Brudermüller, 72. Aufl., § 1609 Rn. 11 aE).

Wegen der dargelegten Darstellungsmängel ist das Urteil gemäß § 353 StPO aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Amtsgericht vorbehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.